Ruth Linhart | USA 1 | USA 2 | USA 3 | USA 4 | USA 5 | USA 6 | USA 7 | Native Americans | Reisen
3. 4. 2012, von Monument Valley
nach Farmington
Kayenta: Der Ort, an dem die Straße zum Monument Valley von der
Route 160 abzweigt. Auf dem Highway wird ein McDonalds
angekündigt. Das ist in dieser einsamen Gegend schon eine
Sensation. Stars and Stripes flattern im Wind. Wir passieren das
“Kayenta Unified School Center” und eine Kirche „Living Word
Assembly of God“.
In Wikipedia erfahre ich, dass es in Kayenta noch viel mehr
Kirchen gibt, aber auch einige Hotels für Besucher des Monument
Valley und Restaurants. Wie überall in der Navajo Nation ist es
auch hier verboten, Alkohol auszuschenken. Sicher ist die
strikte Alhokolregelung auch in Zusammenhang damit zu sehen,
dass Alkoholismus ein großes Problem der Indianerreservate war
(oder noch ist). Kayenta hat zirka 5000 Einwohner, über 90
Prozent sind Native americans.
Wir fahren auf der Route 160
East. Sehr weite Landschaft. Links rote Felsen, rechts in der
Ferne lang gestreckte Mesas, graublau. Bis dorthin gelbbraune
Steppenlandschaft. Wieder auf beiden Straßenseiten nicht enden
wollende Zäune. Ab und zu einige Pferde oder Kühe. Ein Auto der
Highway Patrol hat einen Wagen aufgehalten.
Baby Rocks: Bizarre rote Felsenformation. Fotostopp.
Ursula hätte gerne einen guten Kaffee. In den nächsten Orten
Dennehotso und Tes Nez Iah ist keine Gelegenheit zum
Kaffeetrinken zu erwarten. Vielleicht kommt wieder einmal ein
McDonalds. Bei den Häusern, die ab und zu auftauchen, stehen oft
viele Autos, man weiß natürlich nicht, in welchem Zustand.
Harry erzählte gestern, dass die Autos sehr teuer geworden
seien, ein Auto koste heute mindestens 20 000 Dollar. Eine
Gallone Benzin, das sind 3,78 Liter, bekommt man um ungefähr
vier Dollar.
Mexican Water. Hier wurde 1907
ein trading post eingerichtet. An der Straße gibt es ein Lokal,
wir bestellen Kaffee, er ist ungenießbar, wir lassen ihn stehen.
Weiter wüstenhafte Gegend. Wir bewegen uns noch immer durch die
Navajo Indian Reservation.
Kokopelli
Später, Farmington, Hotel Town
Place Suites Mariott. Rückblick auf den heutigen Tag:
In der Früh blauer Himmel und herrliche Sonne. Das Monument
Valley zeigt sich von seiner besten Seite. Wir nehmen vom View
Hotel Abschied und fahren zu den „Navajo artists“ gleich
außerhalb des Monument Valley. Dort erstehen wir beide um je 110
Dollar einen Kokopelli-Anhänger aus Silber und Türkis. Kokopelli
ist uns schon am Grand Canyon begegnet und ist, wie schon
gesagt, ein uralter Fruchtbarkeitsgott, der tanzt und Flöte
spielt. Die ersten bekannten Abbildungen erscheinen auf
Töpfereien der Hohokam-Indianer aus dem 8. Jahrhundert. Oft
wurde er mit einem überdimensionalen Penis dargestellt. Die
spanischen Missionare „überzeugten die Hopi-Handwerker, bei
ihren Darstellungen der Figur den Phallus auszulassen“, lesen
wir in Wikipedia. Auf diese Weise „entmannt“ ist die Gestalt des
Kokopelli heute zu einem Wahrzeichen des Südwestens der USA
geworden. Bei den Hohokam und Hopi gab man ihm manchmal eine
Gefährtin namens Kokopelli–mana. Wir schließlich machen
Kokopelli zur Göttin, die uns auf unserer Reise beschützt.
Heute sind wir durch so viele
verschiedene Landschaften gefahren, dass ich sie fast nicht mehr
rekonstruieren kann. Riesige weite Landschaften, endlos bis zum
Horizont. Entweder trifft eine gelbe Steppe direkt auf den
blauen Himmel, oder rote Mesas und blaue Bergzüge schieben sich
dazwischen. „Red Mesa“ ist ein Ort an der Route 160 mit 237
Einwohnern, den „district headquarters“ und Schulen. In der
Ferne ein langgestreckter roter Tafelberg, daher der Name.
Alle diese Gegenden gehören zu Indianer Reservaten, laut Karte
bis zum Four Corners Monument zur Navajo Nation, dann nördlich
der Route 64 zum Ute Mountain Indian Reserve gehörend. Die Ute,
lese ich in Wikipedia, seien Nomaden gewesen, die keinerlei
Ackerbau betrieben hätten. Sie lebten schon vor 2000 in Gebieten
des heutigen Utah, Colorado und New Mexico und seit der zweiten
Hälfte des 19. Jahrhunderts beschränkt auf einen immer kleineren
Teil ihres früheren Siedlungsgebietes in drei Reservaten. Eines
davon ist das Ute Mountain Indian Reserve. Laut Reiseführer ein
„Geheimtipp“ ist der Besuch des Ute Mountain Tribal Park.
Viele der Gegenden, durch die wir kommen, sind steppenartig mit niedrigem Bewuchs von Hartlaubpflanzen bewachsen. Recht malerisch immer wieder einmal zwei, drei Pferde, seltener Kühe, noch seltener Schafe. Diese Tiere ganz vereinzelt in den riesigen Weiten von Arizona und New Mexico. Gegen Shiprock und weiter in Richtung Farmington nimmt Wüste überhand, auf der keine Pflanzen mehr wachsen, weißgraue Sand- oder Steindünen, es schaut aus wie riesige Zementwerke, dürfte aber einfach von der Natur geschaffenes absolut unfruchtbares Gebiet sein. Wenn wir Menschen aus der Nähe sehen, wie in dem Café in Mexican Water oder in Shiprock sind es vorwiegend Indianer, also Native americans, mit dunklerer Haut, schmal geschnittenen Augen, breiten Backenknochen und pechschwarzen Haaren.
Four Corners
Aber bevor wir New Mexico
betreten, biegen wir ab zum Four Corners Monument.
Four Corners heißt die gesamte Region, in der die vier
Bundesstaaten Utah, Arizona, Colorado und New Mexico aufeinander
treffen. Auch das Monument Valley liegt in Four Corners. Der
größte Teil gehört zur Navajo Nation, gefolgt von den Hopi, Ute
und Zuni Indian Nations. Das gesamte Gebiet ist ein Teil des
Colorado Plateaus, ländlich, rau und wasserarm.
Das Four Corners Monument wird vom Navajo Nation Parks and
Recreation Department verwaltet. Das Monument selbst besteht aus
einer steinernen Plattform, in die eine Granitplatte und in
deren Mitte eine Bronze-Platte mit den Namen der vier
Bundesstaaten eingelassen ist. Die Inschrift auf der
Granitplatte lautet: „Four states here meet in freedom under
god.“ Rundherum gibt es die Wappen der betreffenden
Bundesstaaten. Und laut Wikipedia die Fahnen der hier ansässigen
Native americans. Diese jedoch fehlen bei unserem Besuch.
Rund um das Four Corners
Monument erwartete ich mir Infrastruktur. Es gibt aber nur das
Monument selbst, ein paar Buden mit Silberschmuck und eine
Fry-Bread-Bude. Fry Bread – das blaue Navajobrot aus geriebenem
Wacholder, Mehl und Wasser, das uns im View-Hotel gar nicht
zusagte. Zu diesem Zeitpunkt wussten wir noch nichts von seiner
Bedeutung für die Navajo.
Wir stellen uns also mit jedem unserer vier Fußpaare auf ein
anderes US-Bundesland, was hier die größte Sensation ist.
Nachdem wir das Monument und uns darauf ausreichend
fotographiert haben, fahren wir die Route 64 in Richtung
Shiprock weiter.
Wir passieren die Grenze zu
New Mexico und halten kurz an, um Fotos zu machen. New Mexico,
the Land of Enchantment – das Land der Verzauberung! Als es uns
gerade mit einem großen gelben Schild und diesen Worten begrüßt,
läutet das Telefon
– ein Anruf aus Österreich!
McDonalds in Shiprock
Der Ort Shiprock erhielt seinen
Namen wegen einer weithin sichtbaren Felsformation, deren
Gestalt entfernt an ein Segelschiff erinnert. Der Felsen ist 457
Meter hoch und den Navajos heilig. Diesen Felsen fotographieren
wir aus der Ferne und erreichen dann den Ort, der an der
Kreuzung der Route 64 nach Westen und der Route 491 nach Norden
liegt. Sowohl die Umgebung wie auch die Stadt selbst scheinen
uns ein ziemlicher Tiefpunkt unserer Reise zu sein.
Im Büchlein „A radiant curve“ der Dichterin Lucie Tapahonso lese
ich jedoch das Gedicht „Tomorrow I will drive to Shiprock“. Sie
ist dort daheim und beschreibt einen Besuch bei ihrer Familie in
so warmen Worten, dass mir der Ort im Nachhinein noch nahe
kommt.
Für Touristen ist er jedoch
nicht sehr einladend. Anscheinend gibt es hier kein einziges
Hotel oder Motel. Jedoch existiert eine Tankstelle und ein
McDonalds-Restaurant, das wir hungrig aufsuchen. Der Junge an
der Theke ist mit uns überfordert. Auch wir kommen bei der
Bestellung an die Grenzen unserer Leistungsfähigkeit. Ursula
verlangt „Milch“ in den Kaffee. Das weiße Etwas, das dem
entspricht, heißt aber Cream und ist oft eine „Non dairy cream“,
also ohne eine Spur von Milch. Der Geschäftsführer rettet die
Situation. Auch fragt uns der junge Mann beharrlich „meal?“ Ja,
natürlich. Das bedeutet aber, dass wir zusätzlich zu den
bestellten Pommes zwei weitere Schachteln mit Pommes auf unser
Tablett gestellt bekommen.
Neben uns sitzt eine indianische Familie. Ein jüngerer Mann, der
sich nett mit seiner Tochter vergnügt, die sich ihrerseits mit
einem sehr groß geratenen Spielzeuggewehr vergnügt. Mit ihnen
zwei alte Frauen an dem Tisch, vielleicht die Großmütter.
Nach diesem kulinarischen
Höhenflug geht es weiter nach Farmington. Farmington im San Juan
County ist mit zirka 46 000 Einwohnern weit und breit die größte
Stadt. Die Hälfte der Bevölkerung ist weiß, zirka 20 Prozent
sind Native americans. Farmington selbst liegt offensichtlich in
keinem Reservat, sondern zwischen den Navajo- und Ute mountain
Indian Reservates. Im San Juan County wird Petroleum, Gas und
Kohle gewonnen. Betrieben werden diese Abbaustätten von BHP
Biliton, einem australisch-britischen Rohstoffkonzern, einem der
drei weltgrößten Bergbauunternehmen. Die Kohle, die man in den
Navajo- und San Juan-Minen fördert, wird zur Gänze für die
Beheizung der nahen Strom erzeugenden Betriebe Four Corners
Generating Station und San Juan Power Plant genutzt. Die
Betriebe stehen auf von den Navajos gepachteten Grund und sind
seit langem wegen der von ihnen verursachten Luftverschmutzung
im Focus von Umweltgruppen und Native-american- Aktivisten.
Zentrum Farmington
„Die staubige Rancherstadt ist
ein guter Ausgangspunkt für Ausflüge zu den Sehenswürdigkeiten
der Umgebung“, lese ich in einem Reiseführer. Eine besondere
Sensation sei das riesig Bolack Museum of Fish and Wildlife mit
der weltgrößten Sammlung ausgestopfter Wildtiere.
Die Einfahrt nach Farmington ist reizlos, und auch das weitere
Stadtbild verschönert sich nicht. Niedrige unattraktive Gebäude,
Reklametafeln und, wenn ich mich recht erinnere, Ampeln
begleiten unseren Weg. Unsere GPS-Dame führt uns zum gut
beschriebenen Hotel Best Western, aber dieses existiert nicht
mehr. Im nahen Mariott-Hotel sind alle Zimmer voll. „Booked
out!“. Wir können es nicht fassen, denn die Stadt scheint uns
alles andere als ein Tourismusmagnet zu sein. Aber sie ist ein
kommerzielles Zentrum.
„Ist ein Event hier?“ fragen wir. „Nein, normal bussiness.“ Die
freundliche Dame an der Rezeption telefoniert mit drei Hotels,
bis sie ein freies Zimmer für uns findet. Hier im vierten Stock
(bei uns dritter) Blick über hellgrüne Bäume, gar nicht so übel.
Jetzt gehen wir das Hotel erforschen, es verfügt auch über einen
Indoor Pool.
Ein Ort vor Shiprock hieß übrigens Rattlesnake. „Ich komme aus
Klapperschlange….“
4.4.2012, Farmington
Ich habe so gut geschlafen wie noch nie auf unserer Reise. Das
Wetter ist grau. Ein Lichtblick sind die blühenden Bäume unter
unserem Fenster. Gestern besuchten wir noch das nahe Steak
House. Es war voll, „amerikanische“ Atmosphäre (wie wir sie uns
vorstellen), alles holzgetäfelt, eine große Bar, an der
vorwiegend Männer sitzen, Musik und zwei überdimensional große
Fernsehschirme, auf denen Sport und Werbung läuft.
Von den beiden jungen Serviererinnen werden wir wie fast überall
mit „Hallo Ladies“ angesprochen. Nur Harry von den Navajo Spirit
Tours bezeichnete uns als „you guys“.
Die Kellnerinnen wollen von uns wissen, woher wir kommen und
plaudern auch sonst allerhand. „I like your accent“, versichern
sie uns. Ist das ein Kompliment? Gegen neun Uhr leert sich das
Lokal. Auch wir verabschieden uns.
On the road. Wieder Route 64. “Light House church” und “Mesa View Baptiste Church”. Zwischen Farmington und Bloomfield ein vierspuriger highway. Bloomfield nennt sich im Internet “The heart of the Four Corners”. Unter “history” steht nur ein einziger Satz: “In April 2007, Bloomfield attracted attention and some controversy when the city council voted unanimously to erect a stone monument of the Ten commandments at the city hall.”
Zart hellgrüner Frühling. Rosa blühende Bäume. Ein Schild “Hurrican and Swabbing Services”. “Swabbing” heißt “pistonieren”. Aber was heißt “pistonieren”?
US-Brigadegeneral Kit Carson
Nun sehr weite Landschaft. Mit
Wacholder bewachsene Felsenzüge und Canyons. Ranches. Kühe.
Schon liegt links der Navajo Lake State Park. Der Navajo Lake
ist ein Stausee - sicher wäre der Navajo Lake State Park auch
einen Umweg wert. Aber wir müssen noch weit. Eine Siedlung heißt
Navajo City. In Wikipedia verlautet, dass Navajos hier schon
1630 siedelten und dass eine gewisse Familie Hubbell zwischen
1880 und 1882 einen Trading post hatte.
Jetzt fahren wir nach einer längeren Strecke bergauf auf einer
Art Hochebene. Der nächste Ort nennt sich heißt Gobernador. Ich
sehe ihn aber nur auf der Karte, in Natura keine Spur davon.
Wahrscheinlich führt die Straße fernab des Ortes, denn immerhin
hat er nach dem Internet 691 Bewohner und Bewohnerinnen, davon
weiß 424, hispanic 353, indian 30 und black zero.
Struppiger Wald, Kühe. Die
Brücke „La Jara Arroyo“. Gewundenes Tal, ausgetrockneter Bach.
Kiefern und Eichen, braunes Laub im Unterholz. Felsen. Wieder
Mühlviertel-artig.
Eine Weile fahren wir durch das Gebiet des Carson National
Forest. Der ist ungefähr 6000 Quadratkilometer groß und
erstreckt sich im Osten bis zu den Sangre Christo Mountains. Der
Wheeler Peak mit über 4000 Metern der höchste Berg des
Bundesstaates liegt auf seinem Gebiet. Hier lebten Anasazi. In
Wikipedia lese ich, dass auch Land zum Carson National Forest
gehört, das früher von den Spaniern und der mexikanischen
Regierung an weiße Siedler vergeben wurde. Dabei wird
ausgelassen, dass es vorher den indianischen Bewohnern
weggenommen worden war. Benannt wurde der National Forest nach
dem legendären Trapper, Rancher, Indianeragent und
US-Brigadegeneral Kit Carson, der für das Verhältnis und den
Umgang der weißen Siedler mit den Ureinwohnern eine wichtige und
je von welcher Seite man es anschaut, eine gerühmte oder
unrühmliche Rolle gespielt hat.
Jicarilla Apache Indian Reservation
Wir verlassen den westlichen
Teil des Carson National Forest und gelangen in die Jicarilla
Apache Indian Reservation. Wieder eine sehr karge Landschaft,
aber keine Wüste sondern bewaldete Berge. Viele Raben. Kühe.
Schnee unter den Bäumen.
Der Name „Apache“ hat für alle Karl May Leser und Leserinnen
einen magischen Klang. Es gibt mehrere Gruppen dieses Volkes wie
die Mescalero Apachen, die Chiricahua-Apachen, die Jicarilla
Apachen und andere. Die Jicarilla Apache Indian Reservation,
durch die unsere Reise geht, befindet sich im Norden New Mexicos
und umfasst etwas mehr als 3600 Quadratkilometer mit rund 2800
Einwohnern (nach dem Census von 2000). Sie besteht seit 1887.
„Jicarilla“ wurden die Ureinwohner von den Spaniern benannt, das
Wort heißt „Kleiner Korb“ und hat mit der Korbflechterei zu tun,
die sie ausführten. Sie selbst nennen sich Tinde oder Dinde, was
soviel wie „Volk“ heißt. Ursprünglich siedelten die Jicarilla
Apachen in einem weitaus größeren Gebiet im südlichen Colorado
und nördlichen New Mexico. Ihre Lebensweise war beeinflusst von
den nomadischen Indianerstämmen des Westens und den sesshaften
Pueblo-Indianern im Osten, und so ernährten sie sich einerseits
vom Jagen und Sammeln und anderseits von Landwirtschaft entlang
der Flüsse ihres Lebensraumes. Dazu gehörte auch der Rio Grande
und der Chama-Fluss.
Bis zur Ankunft der Spanier lebten sie verhältnismäßig friedlich
auf einem Gebiet, das ihnen nach ihrem Ursprungsmythos von ihrem
Schöpfer gegeben worden war und in dem sie die Flüsse und Berge
als heilige Orte respektierten. Der spanische Kolonialismus, der
Expansionismus der USA nach dem Westen, die Kriege mit anderen
Indianervölkern wie den Comanchen und den US-Truppen, Hungernöte
und Krankheiten, die die Weißen einschleppten, setzten die
Jicarilla Apachen unter starken Druck. Die Folge waren Verlust
von Eigentum, Entfernung aus ihren heiligen Gebieten und
Umsiedlung in Gegenden, die nicht für das Überleben geeignet
waren. In dem Reservat, das ihnen schließlich zugeteilt wurde,
war Ackerbau unmöglich. Holzverkauf und Schafzucht wurden zu
Einkommensquellen, aber Anfang des 20. Jahrhunderts litten viele
Bewohner an Unterernährung und bis zu 90 Prozent an Tuberkulose.
Nach dem Zweiten Weltkrieg verbesserte sich die Situation, weil im Reservat Öl und Gas entdeckt wurden. Heute basiert die Wirtschaft der Jicarilla Apachen auf den Öl- und Gasquellen, die im Besitz des Stammes sind, auf Forst- und Viehwirtschaft, traditionellem Handwerk – so Korbflechterei und Töpferei – und Glückspiel. Der Stamm führt zwei Casinos. Ein Teil der Bevölkerung arbeitet als Verwaltungsbeamte des Reservates. Aber auch heute ist noch von hoher Arbeitslosigkeit und großer Armut die Rede.
Hunters welcome
Jetzt dehnt sich rechts und
links von der Straße eine richtige Schneelandschaft.
Eine Art Passhöhe. Etwas später tut sich eine weite Talmulde auf
mit Schneebergen im Hintergrund, ein größerer Ort. Das ist
Dulce, spanisch für „Süß“, der Hauptort des Reservats. Hier
wohnen nach dem Census von 2000 2600 Menschen, über 90 Prozent
Native americans, 3,43 % Weiße, 0,04 % African americans.
Ungefähr 30 % der Bevölkerung leben unter der Armutsgrenze.
Dulce ist Stammeshauptquartier und Verwaltungssitz der Jicarilla
Apachen sowie Schulort. Eine sehr ländlich wirkende Gemeinde in
ansprechender Landschaft. Wir passieren vergleichsweise schöne
Häuser, Pferdekoppeln für Rodeos, ein Hotel - Best Western
Jicarilla Hotel and Casino – und einen „Jicarilla Apache
Supermarket“.
Beim „Apachengrill“ kehren wir ein. „Hunters welcome“ verkünden große Buchstaben beim Eingang. Ein Riesenraum mit Hirschgeweihen an den Wänden, Billardtischen, einer Bar und einer Theke, hinter der der Wirt und die Wirtin für die baldige Mittagszeit Vorbereitungen treffen. Alles blitzblank. Der Wirt mit Zopf, Mongolenkäppchen und Spitzbart, die Wirtin dick und jung, beide die Arme mit Tätowierungen übersät, sehr sympathisch und freundlich. Sie brauen für uns einen frischen Kaffee. Wir jausnen auf Barhockern an der Theke sitzend Santa Fe-chicken: Huhn, Avocado, Chilly, sehr scharf! Sie fragen, woher wird kommen, aber unsere Antwort sagt ihnen gar nichts. Für ein Foto posieren sie mit etwas verlegenem Lächeln.
Nach Dulce fahren wir ständig
bergauf. Verschneite Hochebene. Der nächste Ort auf den
Straßenschildern heißt Chama. Die Route 64 passiert ihn aber
nicht direkt. In der Gegend von Chama scheint es Bären zu geben,
denn an der Straße steht ein großer Bär aus Holz.
Während wir bisher nach Osten gefahren sind, wenden wir uns bei
Chama nach dem Süden. Unsere Straße mündet in die Route 84. Die
Orte heißen nun Brazos – die Arme, Los Ojos – die Augen – und
weiter südlich Cebolla – Zwiebel. Zwischen Chama und Brazos
fahren wir am Brazos Peak vorbei, ein 3478 Meter hoher Gipfel.
Umfehdetes Gebiet
Ein Ort heißt Tierra Amarilla,
Gelbe Erde, nach dem Ton, der im Tal des Flusses Chama gefunden
und von den Native americans genutzt wurde. Das Gebiet war, wie
ein „historic landmark“ – eine Tafel an der Straße – informiert,
ein heftig umfehdetes Gebiet. Und zwar kämpften die
Indianerstämme der Apachen, Navajos und Ute gegen die weißen
Siedler und später Bewohner, die die Gegend in Besitz nahmen.
Noch 1967 gab es Unruhen, diesmal aber richtete sich der Unmut
hispanischer Bewohner gegen die anglosächsischen Siedler, die
sich hispanisches Land unter die Nägel gerissen hätten.
Die ganze Gegend ist schon seit 5000 Jahren besiedelt und
spielte in der amerikanischen Geschichte eine Rolle als
Handelsroute in die Four Corners Gegend. Im 18. Jahrhundert
wanderten hier spanische Missionare von Santa Fe nach
Kalifornien und während des Kalifornischen Goldrausches zogen
zehntausende Abenteurer aus der ganzen Welt auf der Suche nach
Gold hier vorbei. Diverse Eisenbahnlinien verkehrten in dieser
Region, die bis auf einige historische Linien für Touristen
eingestellt worden sind.
Wir sehen bei unserer Fahrt nur
die schöne Landschaft und exotisch klingende Straßenschilder.
Das Gebiet scheint uns eine ideale Gegend für Tourismus und
Sommerfrische. Wir fahren wieder bergab und kommen vorbei an der
hübsch aussehenden Vista de Rio Lodge, ganz aus Holz gebaut – es
dreht sich um den Blick auf den Chama River und im Internet
wirbt sie für Ausflüge nach Abiquiu, Taos, Santa Fe und Durango.
Auch an einem Elk Horn Restaurant und einem Three Ravens
Coffeehouse flitzen wir vorbei. Wildlife areas sind angekündigt.
Der Lake Heron State Park ist gekennzeichnet durch einen Stausee
und den romantischen Chama River. Weiter südlich blitzt die
blaue Wasserfläche des Abiquiu Reservoirs bis herauf zur Route
84, auf der wir uns bewegen. Beide gehören zum San
Juan-Chama-Projekt. In dem hoch interessanten Buch „Pueblo
Nations, Eight Centuries of Pueblo Indian History“ von Joe S.
Sando erfährt man ausführlich, was die diversen
Staudammprojekte, Nationalparks, National Forests etc. für die
hier schon vor den Weißen ansässige Bevölkerung bedeutet (hat) –
nämlich Landverlust bzw. ständiges Ringen um die eigenen Rechte
und darüber hinaus den Verlust an seit Urzeiten heiligen
Stätten.
In dem Buch geht es nur um die Pueblo-Indianer New Mexicos, aber
ähnlich erging es – und ergeht es noch immer - auch allen
anderen Indianervölkern.
Caramel Macciato
Je weiter gegen Santa Fe wir
fahren, desto bizarrer wird die Landschaft. Verschneites
Hochgebirge, dunkle Wälder und in der Ebene rechts und links der
Straße rote Felsenzüge. Jetzt sind wir lange bergab und zurück
in den hellgrünen Frühling gefahren.
Fotostopp an einem idyllischen Fleck mit grüner Wiese, schwarzen
Kühen und einem schönen Haus mit rotem Dach. Dahinter der Fluss
mit hellgrünen Ufern.
Die verschneiten Gebirgszüge
sind nun die Sangre de Christo Mountains. Über 4000 Meter hoch.
Weiße Gipfel, wie die Alpen.
Ein Auto mit Schiff angehängt fährt hinter uns. Wohin fährt es
wohl?
In Medalanes viele Containerhäuser. Ein Schild „Mobile Homes
Space“.
Bei Hernandez blüht es in vielen Farben, rosa, weiß, gelb.
Mehrere Kirchen: Victory Chapel, Truth Mysteries Chapel, Iendita
de Paz.
Wir tanken und trinken einen Caramel Macchiato Cafe und ein
Sprite. Der Kaffee schmeckt nicht nach Kaffee, aber das ist
keine Überraschung. State Police und der Sheriff beehren das
Lokal ebenfalls, drei Gestalten in brauner Uniform mit goldenem
Sheriff-Stern.
Dann der Ort Espanola. Von hier aus beginnt ein breiter Highway
in Richtung Santa Fe. Eine Straße heißt „Vietnam Veterans Road“.
Die Straße 502 zweigt ab. Sie führt nach Los Alamos, wo im
Rahmen des Manhattan Projects die ersten Atombomben entwickelt
wurden. Auf dem zugehörigen Testgelände Alamagordo fand am 16.
Juli 1945 die erste Kernwaffenexplosion statt. Auch heute noch
sind das Los Alamos National Laboratory und das Sandia National
Laboratory in Albuquerque die größten
Kernforschungseinrichtungen der USA.
Wir überqueren den Fluss Rio Grande, der uns aus Literatur und
Filmen ein Begriff ist. Eine Abfahrt führt nach Santa Fe Opera.
Hier finden alljährlich im Juli und August renommierte
Opernfestspiele statt.
Und dann kommt endlich die
Einfahrt nach Santa Fe. Sie erinnert an die Westeinfahrt von
Wien. Durch bewaldete Hügel gleitet man hinunter in die Stadt,
die verdeckt von viel Grün in einer Ebene liegt.
Seit ich vor vielen Jahren Simone de Beauvoirs Reisebericht
„Amerika bei Tag und Nacht“ gelesen habe, träume ich davon, nach
Santa Fe zu kommen. Sie schreibt: „ Santa Fe liegt auf einem
Hochplateau von 2000 Metern Höhe. … Auf den ersten Blick sind
wir von dieser kleinen spanischen Stadt bezaubert, die man zu
Fuß durchlaufen kann wie eine gute alte europäische Stadt, und
die trotzdem kein Dorf ist, sondern eine richtige Stadt. Nach
New York und Chicago, nach Los Angeles und San Francisco fühlt
man sich wie in ein Zauberland versetzt.“ (182)
Und erst nach Ajo, Gila Bend und Farmington!
Quellen aus dem Internet
Kayenta,
Arizona
Mexican
Water, Arizona
Kokopelli
Red
Mesa, Arizona
Ute (Volk)
Four Corners
Four
Corners Monument
Shiprock,
New
Mexico
Bisti
Wilderness and Shiprock (you tube)
Farmington,
New Mexico
BHP Biliton
Four
Corners Generating Station
San
Juan
Power
plant
(Los
Angeles
Times)
Bloomfield,
New Mexico
Navajo
Lake State Park
Navajo
City,
New Mexico
Gobernador
NM
Carson
National
Forest
Kit Carson
Jicarilla
Apache
Dulce,
New Mexico
Chama,
New Mexico
Rio
Chama
Tierra
Amarilla, New Mexico
California
Gold
Rush
Heron
Lake (New Mexico)
Abiquiú,
New
Mexico
San-Juan-Gebirge
Sangre
de Christo Mountains
Los
Alamos,
New Mexico (de)
Los
Alamos (en)
Manhattan
Projekt
Santa Fe
Opera
Santa
Fe, New Mexico
Sonstige verwendete Literatur
Baedeker USA Südwesten, Texte Georg Bareth, Heinz Burger,
Rainer und Rolf Eisenschmid, Carmen Galenschovski, Reinold
Hermanns, Wolfgang Liebermann, Helmut Linde, Axel Pinck,
Wolfgang Rotzinger, Angelika Stehle, Andrea Wurth, Reinhard
Zakrzewski, Karl Baedeker Verlag, Ostfildern 7. Auflage 2011
Simone de Beauvoir, Amerika Tag und Nacht, Reisetagebuch
1947, deutsch von Heinrich Wallfisch, rororo12206, Rowohlt
Verlag, Reinbek bei Hamburg, 1988, 7. Auflage 2002
Hans-R. Grundmann, Isabel Synnatschke, USA der ganze
Westen, Reise Know-How Verlag, Westerstede, 18. komplett
überarbeitete und erweiterte Auflage 2011
Joe S. Sando, Pueblo Nations, Eight Centuries of Pueblo
Indian History, Foreword by Regis Pecos, Clear Light publishers,
Santa Fe, New Mexico, 1992, 1998
Luci Tapahonso, poems and stories, The University of
Arizona Press, Tucson 2008
Vis-a-Vis, USA Südwesten & Las Vegas, Texte Randa
Bishop, Donna Dailey, Paul Franklin, Michelle de Larrabeiti,
Philip Lee, Übersetzung Barbara Rusch, Dorling Kindersley,
London, New York, München, Melbourne, Delhi, aktualisierte
Neuauflage 2011/2012
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