Ruth Linhart | USA 1 | USA 2 | USA 3 | USA 4 | USA 5 | USA 6 | USA 7 | Native Americans | Reisen

Monument valley

USA 2012 – Der Südwesten, von der Sonora-Wüste bis Santa Fe

Für die Touristen bietet der Südwesten der USA tolle Landschaften. Für die Bewohner, zum Großteil Native Americans in ihren Reservaten, bedeutet die Existenz in diesen wüsten Gebieten einen ständigen Überlebenskampf.

Organ Pipe Cactus National Monument

Phoenix
            north

26. 3. 2012 Phoenix, Arizona, Hotel Holiday Inn Airport North.
Bei der Ankunft zeigte sich über Phoenix ein durchsichtiger rosa Abendhimmel mit Silhouetten von Palmen, der Mond wiegte sich als liegende Sichel. Jetzt ist es hier kurz vor neun Uhr abends, daheim schon sechs Uhr früh. Neun Stunden beträgt der Zeitunterschied Mitteleuropäische Zeit zu Mountain Standard Time.
Die Landung in Washington war sehr holprig, anscheinend war es dort ziemlich stürmisch.
Meine Schwester Ursula und ich hatten Glück, denn es waren gerade wenig Reisende angekommen und die Einreise-Prozedur ging schnell vonstatten. Faszinierend, an jedem Schalter saß ein Immigration officer mit anderen Wurzeln: ein Schwarzer, ein Abkömmling chinesischer oder japanischer Eltern oder Großeltern, ein Weißer und unser Beamter, der ein Schild mit dem Namen „Ahmed“ angesteckt hatte und indische Vorfahren haben könnte. Niemand verlangte den Ausdruck unserer ESTA-Einreisegenehmigung mit der „application number“. „Vier Finger der rechten Hand“, „Daumen der rechten Hand“, „Vier Finger der linken Hand“, „Daumen der linken Hand“, hieß es für den Abdruck unserer Fingerspitzen auf eine grüne Fläche zu legen. Dann „Photo“. Und schon war alles erledigt.
Ursula liegt schon im Bett, ich trödle noch, aber ich bin auch wegen der quasi durchwachten Nacht schon unsäglich müde und kann bald nicht mehr schreiben. Alles weitere morgen!

Phoenix
            Hotel Innenhof
Phoenix
            north

27. 3. 2012, Holiday Inn Phoenix Airport North, 3.30 Uhr früh.
The toilet ist blocked up! Das habe ich gerade im Wörterbuch eruiert.
Ursula ist auch auf. Der Jet lag macht sich bemerkbar.
Das Hotel hat einen großen schönen Innengarten, unser Zimmer ist eine Suite. Aber es ist alles dunkel: Teppichboden, Möbel. Riesige Queensize Betten mit jeweils vier Kopfkissen. Die Betten sind so hoch, dass ich mit den Beinen nicht am Boden ankomme, wenn ich auf der Bettkante sitze.
Die Leute waren bisher sehr nett. Schon die dralle Frau mit dem runden Gesicht, die neben Ursula im Flugzeug saß. Als Ursula beim Landeanflug auf Washington Nervosität zeigte, klopfte sie ihr beruhigend auf die Schulter. Beim Aussteigen wünschte sie uns „Nice holidays“ und sagte, dass sie und ihr Mann aus Florida seien.
Interessant bei der Einreise in Washington war, dass unmittelbar nach dem Aussteigen aus dem Flugzeug jede Menge schwarzer Männer mit Rollstühlen aufgereiht standen. Wir rätselten, ob das vielleicht private Anbieter seien, so wie bei uns die Taxis. 

Immigration-Prozedur

Die Immigration-Prozeduren waren einfach wie bereits geschildert. Auch die Prozedur mit dem Koffer war eine Kleinigkeit. Er wurde zwar von Wien bis Phoenix durchgecheckt, aber wir mussten das Gepäck beim Baggage Claim in Washington in Empfang nehmen. Es erwartete uns schon, als wir dorthin kamen. Dann zum Zoll. Dieser entpuppte sich als junge freundliche Frau. Wir gingen an ihr vorbei, ohne aufgehalten zu werden. Und zurück mit dem Koffer auf ein Rollband. Das war alles.
Beim Ausstellen der boarding card für den Flug nach Phoenix halfen uns Angestellte an irgendwelchen Schaltern, die eigentlich damit gar nichts zu tun hatten.
Und die Frau beim Taxistand am Flughafen von Phoenix: Es hieß sich zu entscheiden, ob wir ein Taxi mit Fixpreis wollten oder nach „meters“ zahlen. Als sie hörte, dass unser Ziel das Holiday Inn war, schickte sie uns weg zum Shuttlebus des Hotels. „Das Taxi kostet mindestens 16 Dollar!“. Wir suchten nach einem öffentlichen Telefon, um das Hotel von unserer Ankunft zu benachrichtigen. Da bot uns eine Frau ihr mobile an, und anschließend wünschte sie uns noch herzlich schöne Ferien.

Wir waren sehr müde, saßen aber vor dem Schlafengehen noch ein Viertelstündchen im Hotelgarten, wo zwei offene Feuer loderten und tranken Campari Orange. Das kannte der Barkeeper offensichtlich nicht, mischte es uns aber bereitwillig. 13 Dollar. Am Flughafen zahlten wir für unsere Kaffeejause 17 Dollar.

Oase Phoenix

Oase
            Phoenix

Ein paar Worte zu Phoenix, von dem wir hier nur eine breite Straße, ein paar niedrige Gebäude, eine Tankstelle, dazwischen Grünanlagen, viele Palmen und in der Ferne den dunklen Schatten einer Bergkette sehen. Phoenix ist seit 1912 die Hauptstadt des Bundesstaates Arizona. 1,6 Millionen Menschen wohnen in der Metropole, 4,3 Millionen im Großraum Phoenix. Vom Zweiten Weltkrieg bis heute hat sich die Bevölkerung von Phoenix verzehnfacht! Ursprünglich – seit 200 vor Christus – machten die sesshaften Hohokam-Indianer die wüstenhafte Gegend durch Bewässerung fruchtbar. Die Hohokams verschwanden im 13. und 14. Jahrhundert aus unbekannten Gründen. Es folgten die Pima-Indianer, die dann von Mexiko aus von den Spaniern bedrängt wurden. Weiße Siedler ließen sich erst um 1860 herum im Valley of the Sun, wie das Tal des Salt River genannt wird, nieder. Heute ist Phoenix eine grüne Oase, lese ich. Die nötigen Wasserreserven liefern die über 2000 Meter hohen Bergketten im Norden und Osten der Stadt und ein System von Stauseen. Viele Sonnenhungrige, vor allem Senioren aus dem ganzen Land, zieht es in den Wintermonaten hierher. Für Freizeitbeschäftigungen ist gesorgt, 140 Golfplätze und mehr als 1000 Tennisplätze stehen zur Verfügung! Im Stadtzentrum soll es neben vielen Wolkenkratzern noch den historischen Siedlungskern aus dem 19. Jahrhundert geben. Es wäre sicher hübsch, das zu besichtigen. Aber wir möchten so schnell wie möglich zum Organ Pipe Cactus National Monument.
Jetzt will ich mir einen Kaffee kochen. Ein Kaffeekocher ist da. Und Ursula will ins Internet. 

27. 3. 2012, im Siesta Motel in Ajo
Das Motel ist „basic“. Wir haben auf nur eine Nacht abgeändert.
Hier sind wir wirklich in einem letzten Winkel von Amerika. Das Städtchen Ajo in der Sonora Wüste. Wir sitzen auf der Holzbank vor unserem Motel-Zimmer und schreiben unsere Reisenotizen nieder. Autos und Palmen stehen in Reih und Glied vor uns. Dahinter die Straße Arizona 85 South. Der Himmel ist makellos blau.
Unser Zimmer wurde schon einmal aufgebrochen wie das Loch oberhalb des Schlosses zeigt.

Heute früh in Phoenix große Freude über schönes Wetter, die Tatsache, dass wir in Amerika sind und den einladenden Innenhof des Hotels. Eigentlich ein „Innenpark“ mit Palmen, blühenden Hibiskussträuchern, Bougainvilleas und rosa duftenden Blütensträuchern, deren Namen wir nicht kennen.
Zum Frühstück Porridge und Toast. Die blonde junge Serviererin bietet uns an, uns beide zu fotografieren. Sie fragt, woher wir seien. Aus Vienna in Europe. „Oh, that´s far away.“ Das stimmt! Zirka 10 000 Kilometer liegen zwischen Phoenix und Wien. Unglaublich. Das Ereignis beim Frühstück war eine Art Erdbeerkäse, den ich für Erdbeermarmelade gehalten hatte.
Dann mit dem Shuttlebus vom Hotel zum Airport und von dort mit dem Shuttle zum Rental-Car-Center. Alles wahnsinnig weitläufig. Alles hellgrün, viele Blumen. Mimosenbäume, zum Teil schon verblüht.
Beim Autovermieter Alamo waren wieder alle sehr freundlich. Ein junger Schwarzer erklärt uns, was wir wissen müssen. Ursulas AARP-Karte, die sie als Mitglied der American Association für Retired Persons ausweist, verhilft uns zu 80 Dollar Verbilligung.
Wir erhalten einen Hyundai Santa Fe, mittelgroß, braungrau. Man sitzt sehr gut drin und Ursula sagt, man fährt auch gut. Die große Fahrt beginnt!

Route Arizona 85 South

Route 85

Die weibliche Stimme des GPS und die Straßenkarte geleiten uns gut aus Phoenix hinaus auf die Autobahn Interstate 10. Dieser Highway ist die südlichste Verbindung zwischen Ost- und Westküste der USA und erstreckt sich über 3960 Kilometer. Wir fahren nach Westen, Richtung Los Angeles.
Aber schon bald, bei der Abfahrt 112, zweigen wir auf die Bundesstraße Arizona 85 ab, die nach Süden durch das Organ Pipe Cactus National-Monument bis zum Ort Lukeville an der mexikanischen Grenze führt. 

Rechts und links der Straße Wüste. Die große Sonora-Wüste. Mit ihrer Fläche von 320 000 Quadratkilometern ist sie eine der größten Wüstenregionen der Welt. Sie bedeckt einen Teil von Mexiko, und in den USA erstreckt sie sich in den Bundesstaaten Arizona und Kalifornien. Berühmt ist sie auch wegen ihres Artenreichtums an Pflanzen und Tieren. Vorerst fahren wir durch eine beige, spärlich bewachsene Ebene. In der Ferne erstrecken sich Bergketten am Horizont. Die heißen hier im Osten Maricopa Mountains und im Westen Painted Rock Mountains und Gila Bend Mountains.
Dann Gila Bend. Es ist die erste Stadt außer der Millionenmetropole Phoenix, durch die wir auf dieser Reise kommen. Unser Eindruck: einige schachtelartige Häuser und Wohnwägen in der Wüste. Einige schäbige Lokale an der Route 85, die auch die Hauptstraße des Ortes zu sein scheint. 

Gila Bend

Wir schauen ins Visitor Center. Dort gibt es schöne große Blumenübertöpfe, die sind aber zu schwer fürs Heimtransportieren! Eine Attraktion ist die riesige Nachbildung einer aufgestellten Klapperschlange mit gespreiztem Gebiss aus rostigen Ofenrohren – oder zumindest schaut das Material so aus.

Gila Bend

In „Sofias Mexican Food“ essen wir Tacos und trinken Kaffee. Ich radebreche spanisch! „A fuera por favor!“
Im Internet erfahre ich, dass die Stadt 1872 nahe einer antiken Hohokam-Siedlung gegründet wurde, aber schon ab dem 17. Jahrhundert schauten spanische Missionare und Eroberer vorbei. Von der Mitte des 19. Jahrhunderts an hatte der Ort Bedeutung als Poststation, Straßen- und Bahnknotenpunkt. Der Name stammt von einer neunziggradigen Biegung des nahen Gila-Flusses her. Ausgesprochen wird „Gila“ spanisch: „Hila-Bend“.
Ungefähr 2000 Menschen leben heute hier, rund die Hälfte von ihnen „Hispanic and Latino americans“. Das heißt, sie stammen von spanisch sprechenden Familien ab und/oder aus Ländern Lateinamerikas. Ungefähr ein Viertel von ihnen, vor allem Junge und Alte, leben anscheinend unter der Armutsgrenze.
Einige Bedeutung hat die kleine Stadt, weil sie an der Kreuzung der Interstate 8 – sie führt von Kalifornien nahe der mexikanischen Grenze bis zur Einmündung in die Interstate 10 - und der Route 85 liegt und auch historische Routen durch sie hindurch führten. Von dem Gebiet im Westen der Stadt, das Volkswagen of America geleast hat, um hier Automobile zu testen, merken wir nichts, und auch nichts von dem großen Kraftwerk für Solarenergie, das hier geplant ist oder gebaut wird – es soll 2013 fertig sein und in der Bauphase 1500 Leute beschäftigen!
Natürlich lebten und leben auch Indianer in dieser Region der USA. Sie werden heute in den USA politisch korrekt als „Native Americans“ oder „American Indians“ bezeichnet, auf Deutsch „Ureinwohner Amerikas“. Ihr Anteil an der Bevölkerung von Gila Bend ist ungefähr zehn Prozent. Gleich bei Gila Bend gibt es ein kleines Reservat der Tohono O’odham, San Lucy heißt es. Hier wurden die Bewohner eines zirka 40 Quadratkilometer großen Gebietes auf drei Quadratkilometern zusammengezogen, als 1960 der Painted Rock Dam am Fluss Gila gebaut und ihr angestammtes Gebiet geflutet wurde.

Barry Goldwater Air Force Range

Von Gila Bend geht es weiter über eine einsame schnurgerade Landstraße durch die Wüste bis zur Stadt Ajo.
Wir befinden uns jetzt auf dem Gebiet des „Barry Goldwater Air Force Range“, ein riesiges militärisches Sperrgebiet, das sich entlang der mexikanischen Grenze viele hunderte Kilometer weit in den Westen bis nach Yuma erstreckt. Es ist, lese ich, ein „bombing range“ – wörtlich übersetzt mit „Bombardierungsbereich“ - und wird hauptsächlich „for air-to-ground bombing practice“ benützt, und zwar zur Tages- und Nachtzeit. Wenn ich das richtig verstehe, handelt es sich also um ein Übungsgebiet für Bombenabwürfe verschiedenster Art aus verschiedenster Höhe und von verschiedensten Flugzeugtypen. Nahe Gila Bend liegt das „Gila Bend Air Force Auxiliary Field“, das für Notlandungen der Piloten, die hier trainieren, dient.
Während unserer Fahrt ist aber der der Motor unseres Santa Fe und der weniger anderer Autos der einzige menschlich erzeugte Lärm unter dem weiten blauen Himmel. Irgendwo in dieser unfruchtbaren scheinbar menschenleeren Wüste, im Osten der Route 85, ist auf der Straßenkarte die „Papago Indian Reservation“ eingetragen.

route 85

Sucht man diese im Internet, kommt man zur Wikipedia-Eintragung über die Tohono O’odham. Sie sind ein Volk der 562 Indianer-Stämme, die heute in den USA anerkannt sind. Dieser Stamm der amerikanischen Ureinwohner wurde früher „Papago“ genannt, aber sie selbst lehnen diese Bezeichnung – sie heißt „Tepary Bohnen Esser“ - ab, die ihnen von den spanischen Eroberern zugeteilt worden war. Sie nennen sich „Tohono O’odham“, das heißt „Desert People“, also „Wüstenvolk“. Sie gelten als Nachfahren der frühen Hohokam-Indianer. Die Tohono O’odham leben in einem Teil ihres ursprünglichen Siedlungsgebietes in der Sonora-Wüste zwischen Tucson und Ajo. Es handelt sich dabei um die drittgrößte Reservatsfläche in den USA.

Tohono O´odham Nation

Die Bevölkerung umfasste nach der Volkszählung von 2000 zirka 10 800 Menschen, wobei die eigene Registrierung der Tohono O’odham ungefähr die doppelte Bevölkerungsanzahl verzeichnet. Regiert wird die „Tohono O’odham Nation“ von einer Ratsversammlung (council) und einem Vorsitzenden (chair person). Sie haben eine eigene Sprache und halten Traditionen wie Tanzen, Gesänge, Töpfern und Korbflechten hoch. Wirtschaftliches Einkommen haben sie heute anscheinend hauptsächlich durch drei Kasinos auf ihrem Gebiet. Die Tohono O’odham scheinen von einer Reihe von Problemen betroffen zu sein, die immer wieder auftauchen, wenn ich über die verschiedenen Indianer-Reservate lese, durch die wir im Zuge unserer Reise kommen, nämlich den Kampf um das ihnen zustehende Land, Vorurteile der umgebenden Bevölkerung und schlechte Gesundheit. Die Hälfte bis zwei Drittel der Reservatsbewohner leiden an Übergewicht und Diabetes.
Bei den Tohono O’ohams kommen noch die Schwierigkeiten mit der mexikanischen Grenze hinzu, denn Mitglieder des Stammes wohnen zu beiden Seiten dieser Grenze. Seit den 1980igern erschwert eine strikte Grenzkontrolle das wirtschaftliche Überleben der Tohono O’ohams auf mexikanischer Seite und die menschlichen Kontakte beider Seiten. In Wikipedia lese ich, dass die Reservate der Tohono O’odham sich in den letzten Jahren zum größten Korridor für illegale Einwanderer entwickelt hätten.

Route 85
            south

Was die Geschichte anlangt, so leisteten sie den weißen Eindringlingen lange Widerstand. Zwei größere Aufstände in den 1660igern und 1750igern bewirkten einen teilweisen Rückzug der Spanier und ermöglichten das Überleben von Traditionen des Stammes. Vom späten 17. Jahrhundert bis ins 20. Jahrhundert gab es zwischen ihnen und den angrenzenden Apachen immer wieder Auseinandersetzungen und die Tohono O’odham halfen den Weißen beim Kampf gegen die Apachen. Erst 1917 wurden sie dem allgemeinen Reservatssystem unterstellt. Ab 1930 setzte die Regierung stark auf Assimilation. Aber in den Boarding Schools, in denen die indianischen Kinder erzogen wurden, lernten sie nur soviel, wie sie für einen Job als Arbeiter oder Hausangestellte brauchten.

Rechts und links der Route 85 gelb und orange blühende Büsche. Am Horizont bizarre Bergketten. Hier wächst so weit das Auge reicht anscheinend nichts außer niedrigem Gebüsch, unter dem wohl die rattlesnakes hausen. Kein Anzeichen irgendeiner menschlichen Behausung. Diese Landschaft hat etwas Depressives an sich, trotz Sonne und klarem Licht.
Jetzt haben wir im Autoradio einen Sender gefunden, der amerikanische oldies spielt, Swing, Foxtrott, Quickstep-Melodien, von Dean Martin bis Frank Sinatra. Das hellt auf.

Das Städtchen Ajo

Siesta
            Motel

Etwa siebzig Kilometer von Gila Bend beziehungsweise von der mexikanischen Grenze entfernt liegt Ajo. „Ajo“ heißt Knoblauch auf Spanisch. Laut einer Wikipedia-Eintragung, die aber mit mangelhaften Quellangaben versehen ist, könnte es sein, dass die spanischen Kolonisten damit den ursprünglichen Namen O’odham des Ortes ersetzten.
Als erstes ziehen wir in das Siesta Motel ein, das am nördlichen Rand dieses weltvergessenen Städtchens liegt und das beste Hotel der Stadt sein soll. Beim Betreten entscheiden wir sofort, statt der zwei gebuchten nur eine Nacht zu bleiben. Ursula sagt, ein Zimmer, um mit Schlaftabletten früh einzuschlafen und am Morgen früh abzufahren. Oder meinte sie den Ort? Vielleicht beides.

Bahnhof in
            Ajo

Dabei hat der Ort ein ansprechendes historisches Zentrum mit einer palmenbewachsenen Plaza und einem hübschen Bahnhofsgebäude. Aber das Kupferbergwerk, das früher Reichtum brachte, ist verlassen, die Bahnlinie verwildert, der Bahnhof leer. Das Prominenteste sind die Abraumhalden des früheren Bergbaus. Sie sind von jedem Winkel des Städtchens aus zu sehen und überragen die Häuser.
Sowohl die indianischen Ureinwohner, wie später auch die Spanier und die weißen Amerikaner profitierten von den reichen Erzvorkommen des Ortes. So sollen sich die Ureinwohner das Kupfer aus Ajo verwendet haben, um Farbe für die Körperbemalung zu gewinnen.
Der erste Angloamerikaner, der in der Mitte des 19. Jahrhunderts durch den Ort kam, fand Spuren des früheren Erzabbaus vor. Tom Childs hieß er und richtete in den 1880iger Jahren hier das erste Kupferbergwerk Arizonas ein. Über Cap Horn wurde das Erz nach Wales gebracht, aber als ein Schiff sank, bedeutete dies das vorläufige Ende. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts begann der Bergbau wieder und boomte. Eine Bahnlinie wurde für den Abtransport des Kupfers eingerichtet, die von 1916 bis 1985 in Betrieb war. 1000 Leute arbeiteten hier im Tagbau. Um 1980 sank der Kupferpreis international und so auch für das Kupfer aus Arizona extrem. 1983 kündigte die Firma ein Einfrieren der Löhne an und begann Verhandlungen mit der Gewerkschaft.

Arizona Copper Mine Strike

Der Arizona Copper Mine Strike von 1983 bis 1986, der in die Geschichte der amerikanischen Arbeitskämpfe einging, war die Folge, und er endete mit einer Niederlage der Gewerkschaften. Obwohl der Kupferpreis unmittelbar nach Beendigung des Streiks wieder anstieg und die Firma den Konkurs vermeiden konnte, wurde der Bergbau in Ajo eingestellt.
Heute, erfahre ich aus Wikipedia, leben hier vor allem Pensionisten, Agenten der Border Patrol und junge Familien. Laut Census von 2000 betrug die Bevölkerung etwa 3700 Einwohner, rund 80 Prozent davon Weiße, 0, 24 Prozent Schwarze, rund sieben Prozent Native americans. An die 40 Prozent der EinwohnerInnen sind Hispanics. Das Durchschnittsalter liegt bei 52 Jahren. Über 20 Prozent der Einwohner lebten 2000 unter der Armutsgrenze, d.h. unter dem Existenzminimum.

Es ist nachmittags, wir wollen einige Einkäufe erledigen. In einem Geschäftslokal, das books anpreist, hoffen wir, Ansichtskarten zu finden. Der dunkle große Raum ist voll geräumt mit diversesten Materialien, es schaut aus wie ein großes Lager. Postkarten gibt es keine. Dann der Versuch, im Electronics Shop ein amerikanisches Handy zu erwerben. Ein dicklicher junger Mann ist wenig engagiert und schickt uns zu einem Supermarkt namens „Dollar general“. Dort dieselbe Szene. An der Kasse ein ähnlich übergewichtiger Verkäufer, vielleicht der Bruder des vorherigen. Er weiß auch nicht, ob man mit dem dort verkauften mobile nach Europa telefonieren könne. Seine Kollegin. „I have no idea!“ Europa dürfte hier so ferne liegen wie für uns der Mond!

Kirchen und Abraumhalden

Kirchen in
            Ajo
Abraumhalden bei Ajo

Der Versuch, bei Dollar General einen Kamillentee oder Pfefferminztee zu erwerben, scheitert. Wir finden nur Säckchen mit Schwarztee, Eistee und abenteuerlichen Mischtees. Aber aus einem Regal blickt mich ein weißer Plüschhase mit bunten Ohren traurig an. Ich nehme ihn mit und taufe ihn Moses, nach dem Hündchen im Siesta Motel.
Um uns die Zeit zu vertreiben machen wir eine kurze Rundfahrt durch den Ort bis zur Einöde, die unmittelbar an die letzten Häuser der kleinen Siedlung grenzt. Wohnwägen und niedrige weiße Häuschen mit Veranda davor. Menschenleer. Dann irgendwo ein grauhaariger Mann mit Stock. Von hier aus sieht man noch besser die dunkelbraunen und weißen Abraumhalden des ehemaligen Kupferbergwerks, die den Ort umrahmen. Aber es ist gibt viele Kirchen hier, zwei schöne weiße Gebäude im historischen Center, weitere in den Gassen. Ich lese „Full gospel fellowship“, „St. Titus Church and Institute“, „First Assembly of God“. Außerdem gibt es einen “American Citizens Social Club”.
Dann kehren wir in unser Zimmer zurück und überlegen vorher kurz, ob wir auf die Rückseite des Hauses in eine der „cabins“ übersiedeln wollen, wegen der vielen Männer, die neben uns eingezogen sind, um bald gemeinsam mit Wasserflaschen das Motel zu verlassen. Die Hotelleute beruhigen uns. Das seien construction workers, die am Morgen mit der Sonne aufstehen und deshalb früh schlafen gehen. Er, der junge Mann vom Motel, werde nach dem Rechten schauen.
Jetzt fahren wir essen.

28. 3. 2012, Ajo, 7.30 Uhr früh
Wir sitzen zum Frühstück auf der Terrasse von „Marcellas Cafe and Bakery“. Hier ist von 6 am bis 8 pm geöffnet, und wir lesen weiters „No drinks allowed“ – also kein Alkohol, „ No pets allowed“ und „No smoke“.
Interessanterweise ist gegenüber unserem Frühstückslokal ein Kiosk, auf dem zu lesen steht: “Liquor, Beer”, und wir haben schon mehrere große trucks mit der Aufschrift “Budweiser” gesehen.

French
            Fried Toast

Wir warten auf unseren „French Fried Toast“ mit Spiegelei und fühlen uns pudelwohl. Der Himmel ist blitzblau, die Sonne ist vor einiger Zeit goldgelb im Osten aufgestiegen, vor uns liegt die Straße, auf der wir bald weiterfahren werden. Ein großes Gefühl der Freiheit erfüllt uns. Und dass es gerade dieser Ort Ajo ist, wohin wir heute gehören.
Aus dem Lokal tritt ein Franziskaner mit Kutte. Ein alter Herr mit weißem Bart, Schildkappe und kurzer Hose spaziert vorbei. Eine alte Dame mit Stock steigt herauf zur Terrasse, auf der wir sitzen. Verstöße gegen das Nichtrauchergebot kann man der „smokefree Arizona Organization“ melden.
Der French Fried Toast schmeckt köstlich. Ich esse ihn ganz auf. Das Spiegelei, das dabei liegt, lasse ich aber über.

Littering highways is unlawful

Littering
            highways

Jetzt geht es in Richtung Organ Pipe Cactus National Monument, dem ersten Ziel unserer Reise. Die Sonora Wüste erstreckt sich eben und mit niedrigem, zum Teil blattlosem Gebüsch bedeckt bis zu den verschiedenfärbigen Bergketten mit Zacken und Riffen. Der angepeilte Nationalpark grenzt direkt an Mexiko.
Gerade ist uns ein Auto entgegengekommen, auf dem ein Schild mit dem Wort „Innsbruck“ prangte. Und jetzt durchfahren wir den Ort Why, „Warum“. In die Wüste gestreute Häuschen und ein größerer Betrieb mit vielen parkenden Autos. Laut Wikipedia hat die Gemeinde 116 Einwohner. „Littering highways is unlawful“-Tafeln begleiten unsere Fahrt.

Abends, Gila Bend, Best Western Space Age-Motel
Ein relativ schönes Motel in der Stadt Gila Bend. Es kostet auch relativ viel, zirka 120 Dollar für das Doppelzimmer. Es verfügt über ein funktionierendes W-Lan (waifai) und ist sauber. Zwei große Queensize-beds, blütenweiß bezogen und ein Bad, wie es hier anscheinend üblich ist: Eine Waschgelegenheit im Zimmer, ein kleines Badezimmer mit einer Wanne, die schmäler ist als bei uns und einen niedrigen Rand hat, eine Dusche mit fixem Duschkopf.
Vor dem Motel rauschen die riesigen amerikanischen Lastwägen vorbei, und uns scheint, dass auf der anderen Seite, hinter dem Motel, die Eisenbahn fährt. Existiert die „Tucson, Cornelia and Gila Bend Railroad“ immer noch?
Vor dem Abendessen spazieren wir die Hauptstraße – gibt es andere? – ein Stück auf und ab, kein Mensch zu sehen. Leute, die zu Fuss gehen, sind vielleicht verdächtig. Im Space Age Restaurant bestellen wir etwas Mexikanisches und fragen nach Bier. „No alcohol!“ kommt es empört zurück.

No alcohol

Nun aber der Bericht über den gestrigen Abend und den heutigen Tag.
Gestern waren wir zum Abendessen in dem von der Motel-Angestellten empfohlenen Restaurant Oasis an der historischen  Plaza von Ajo. Wir bekamen eine Art Kartoffelpüree mit Hühnerfleisch und tranken ein „sparkling water“, das gut schmeckte. Um ein Glas Wein zu trinken, hätten wir uns in das Innere des Lokals zurückziehen müssen. Im „public space“ sei Alkoholkonsum nicht erlaubt, erklärt uns die Kellnerin. Wir staunen und trinken Wasser.
Dann zurück zum Motel. Der Himmel ist einzigartig, der Mond liegt romantisch in der Himmelsschaukel. Aber die Nacht war schlecht. Um halb neun Uhr drehten wir das Licht ab, um halb ein Uhr war ich wieder wach. Ursula schlief zum Glück fast durch.
Die construction workers ruhten wohl schon, als wir gegen acht Uhr zurückkamen. Heute früh standen sie ungefähr gleichzeitig mit uns auf. Sie waren ganz leise und völlig ungefährlich. Aber in einem Motel, wo nur eine dünne Tür gegen die Nacht draußen schützt, fühlt man sich sehr ausgesetzt. Den Türspalt am Boden, durch den Tiere herein kriechen hätten können, deckten wir mit einem Handtuch ab. Immerhin gibt es in der Gegend nicht nur rattle snakes, sondern auch Skorpione und Taranteln.
In der Früh wieder herrliches durchscheinendes Licht. Nach dem Frühstück die Fahrt über Why zum National Monument mit den Orgelpfeifenkakteen. Wir passieren einen Posten der border control, dem wir egal sind. Dann der Eingang zum Naturpark. „Organ Pipe Cactus National Monument. A Biopsphere Reserve“.

Eingang
            Organ Pipe Cactus National Monument

Die Bergketten, mal fern, mal nahe, rötliches Gestein in der Nähe, die weiten Flächen voll aufragender Kakteen. Das Schutzgebiet bedeckt 830 Quadratkilometer innerhalb der Sonora Wüste und wird vom National Park Service verwaltet. Der Park heißt nach dem Orgelpfeifenkaktus, den es nur hier gibt. Aber noch 30 weitere Kakteengewächse beherrschen die Vegetation des Schutzgebietes. Insgesamt gibt es hier 4000 Arten von Pflanzen und Tieren. Das macht die Sonorawüste zur Wüste mit der größten Biodiversität in Nordamerika. Grund ist das meistens frostfreie Klima im Winter und die zwei Regenperioden pro Jahr. 

4000 Arten von Pflanzen und Tieren

Millie
            Miller et al, Desert Critters

Im Visitor Center kaufe ich mir ein Büchlein mit den Namen der Pflanzen und Tiere, die im Südwesten, also auch hier vorkommen. Die Vogelpopulation ist groß und bunt, Gilaspechte, Kolibiris, Geier, Rotschwanzbussarde, Rennkuckuck, verschiedene Falkenarten, Zaunkönig, Fliegenschnapper, Wachteln, Tauben, Eulen, Raubwürger, Oriol, Kernbeißer undsoweiter bevölkern hier die Lüfte. Und zahlreiche Reptilienarten tummeln sich zwischen der stacheligen Vegetation. So die Gila Echse (Gila Monster) und die Western Diamant Klapperschlange, aber noch viele mehr, wie ich dem Büchlein entnehme, nämlich diverse Kröten, viele Eidechsenarten wie der Desert Night Lizard, Desert Spiny Lizard, Side Blotched Lizard, der Regal Horned Lizard, Fringe Toed Lizard, Greater Earless Lizard, Flat-Tail Horned Lizard, auch Legunane wie Desert Iguana und Chuckwalla sowie das Texas Banded Gecko. An Schlangen gibt es die Ground Snake (Sonora semiannulata), sie ist maximal einen halben Meter lang und kommt in vielen Farben vor, die Desert Spotted Leafnose, eine Schlange namens Coachwhip, sie ist sehr dünn und schnell und wird zirka zwei Meter lang, die Gopher Snake, eine Natter, die bis zu fast drei Meter Länge erreicht, die Common King Snake und die Western Mojave Patchnose Snake. Weiters die gefährliche giftige Sidewinder-Schlange und diverse Klapperschlangen wie Mojave-Rattler, Western Diamondback und Blacktail Rattler sowie die Longnose Snake und die Western Coral Snake. Natürlich ist die Wüste auch insektenreich, von schönen Schmetterlingen über diverse Käfer, Grillen, Ameisen, Motten bis zum Giant Desert Hairy Scorpion (zirka zehn Zentimeter lang), dem Bark Scorpion („tödlich“ steht hier!) und dem Geisselskorpion Vinegarroon (soll harmlos sein, schaut aber beängstigend aus!) sowie der Tarantel. Auch diverse Fledermausarten scheinen in dem Büchlein auf, die Wüstenschildkröte, Füchse, Kaninchen, Mäuse, Eichhörnchen, Coyoten, Bobcats - also Luchse -  Stinktiere, das Wüstendickhornschaf, verschiedenes Rotwild und das Halsbandnabelschwein. Und natürlich der Mountain Lion oder Puma.
Ich fragte den alten Herrn, der mit einer alten Dame – wahrscheinlich beide ehrenamtlich – im Visitor Center tätig ist, ob der Besuch des Parks gefährlich sei, wegen Schlangen und mountain lions. Er sagt, dass die Tiere großteils nachtaktiv sind, dass „normal caution“ nötig sei, und dass es neunzehn Pumas in dem Gebiet gebe, aber man fast hundertprozentig keinen zu Gesicht bekäme. Und wenn, würde er – der Puma - davon laufen.
Und wirklich zeigt sich uns bei unserer Rundfahrt auf dem in der Mittagshitze ausgedörrten Wüstenboden kein einziges Tier, nur der Schatten einer vor uns fliehenden Eidechse und einige Vögel in der flirrenden Luft, die wir nicht identifizieren können.
Im Internet wurden wir aufgefordert, ja genug Wasserreserven mitzunehmen und auch Werkzeuge für das Auto im Falle einer Panne. Denn der 32 Meilen lange ungepflasterten Ajo mountain drive sei rau und steil. Um ihn zu bewältigen haben wir extra nicht das kleinste Auto gemietet, sondern unseren Santa Fe. Der Rundkurs durch die Kakteenwüste ist wirklich holprig und kurvenreich, aber viel harmloser als in meiner Vorstellung. Trotzdem, eine Autopanne möchte ich nicht haben!

Erste Blüte mit 65

Saguaro

Endlich sind wir nun also hier, in der Sonora Wüste - wie oft zu Hause am PC erträumt. Immer wieder steigen wir aus und genießen den Blick über die weite fremdartige Landschaft, das Farbenspiel vom hellen frühlingshaften Grün bis zum Graugrün der Wüstenpflanzen, die verschiedenen dunklen Blautöne der fernen Bergzüge und das tiefe leuchtende unglaubliche Blau des Himmels, der sich über allem wölbt. Zwischen den vielen verschiedenartigen Pflanzen ragen die Saguaro-Kakteen viele Meter in die Höhe wie unwirkliche Monumente. Sie sind die größte Kakteenart in den USA und werden bis zum 50 feet hoch, also mindestens 15 Meter! Sie wiegen Tonnen und können 200 Jahre alt werden. Hier im Organ Pipe Cactus National Monument blühen sie zum ersten Mal mit ungefähr 65 Jahren und erzeugen ihre ersten Seitenarme im Alter um die 90. Die Tohono O’odham verehren und nutzen die Saguaros. Das Neue Jahr feiern sie, wenn sie die die Saguaro Früchte ernten, zur Zeit, in der der Sommer-Monsunregen die ausgetrocknete Wüste bewässert. Leider blühen die Saguaros im Mai und Juni, sodass wir das nicht erleben können. Irgendwo lese ich, dass das Überleben der Saguaro Kakteen wie das vieler anderer Wüstenpflanzen gefährdet ist.

Organ Pipe
            cactus

Die Orgelpfeifenkakteen, die dem Naturreservat seinen Namen geben, wachsen in den USA nur hier. Im Juni und Juli, wenn es für Touristen unerträglich heiß ist, bedecken Blüten und Früchte die Arme dieses Kaktusses. Die lila Blüten öffnen sich nur in der Nacht, und schließen sich am frühen Morgen, um den Wasserverlust möglichst gering zu halten. Sie strömen einen starken Duft aus, der Fledermäuse anzieht. Jeden Sommer kommen diese aus Mexiko, ziehen ihre Jungen mit dem Blütennektar groß und ernähren sich von den Früchten. Sie nisten in aufgelassenen Minen, Felsen und alten Farmhäusern, lese ich in der Broschüre des Visitor Center. Allerdings sehen wir auf unserer Route durch den Park, die natürlich nur einen kleinen Teil umfasst, keine Überreste menschlicher Behausungen.

Rosa blühende Kakteen
Ocotillo

Einige Pflanzen blühen gerade jetzt wie die rot blühenden Büsche namens Ocotillo, die keine Kakteen sind. Prächtig rosa blüht eine niedrige kugelige Kakteenart. Pelzige buschartige Kakteen heißen Teddy Bear Cholla und trotz ihres putzigen Namens ist ihre Nähe besser zu meiden, denn sie stechen. Andere heißen Prickly Pear Cactus, Barrel Cactus, Hedgehog Cactus oder Fishhook Cactus.
Im Visitor Center haben wir einen Ajo Mountain Drive Guide erhalten. Informationen über das Naturreservat gibt es bei insgesamt 18 Stationen. So erfährt man, dass sich in dieser Wüste bereits vor 12 000 Jahren Menschen eingerichtet haben, indem sie ihre Lebensweise an die seltenen Regenfälle anpassten. Sie wohnten zum Beispiel im Diablo Wash, einem der tausende Canyons in dem Gebiet und ernährten sich nicht nur von den Früchten der Kakteen, sondern gruben Bewässerungsgräben und pflanzten Mais und Tepary-Bohnen. Die Tohono O’oham setzten später diese Art der Landwirtschaft fort.

Drogenmafia

Kris Eggle

Ich schlafe fast schon wieder ein, dabei ist dieses Organ Pipe Cactus National Monument etwas vom Schönsten überhaupt. Eigentlich wollten wir im Anschluss an die Autofahrt einen Spaziergang machen, Wanderwege - trails - sind für die Besucher vorgesehen. Aber es war Mittag und sehr heiß. Zurückgekehrt zum Visitor Center bemerkten wir ein Denkmal für einen 28jährigen Grenzranger, der von der mexikanischen Drogenmafia umgebracht worden ist. Und daneben war zu lesen, dass es sich bei der Sorge um die Sicherheit der Parkbesucher gar nicht in erster Linie um die Gefahr durch Tiere handelt, sondern dass es noch ganz andere und größere Gefahren gibt.

Nach dem Besuch der Kakteenwüste setzen sich die technischen Schwierigkeiten fort, die mit dem Absturz der Taschenlampe in der Nacht im Hotelzimmer und dem Absturz des Fotoapparates auf dem Parkplatz des Visitor Center begonnen hatten. Wir planen, von Ajo mit Hilfe des GPS zum Holiday Inn in Phoenix zurückzukehren. Aber es gelingt uns nicht, im Navigationsgerät dieses Hotel und dessen Adresse zu speichern. „Freihändig“ in Phoenix ein bestimmtes Ziel zu finden trauen wir uns nicht zu. Wir fahren daher zu einer Tankstelle mit Supermarkt. Auch das Tanken selbst ist übrigens zum ersten Mal alles andere als einfach. Die Supermarkt-Angestellte, die uns dabei behilflich ist, kennt sich mit dem Navi nicht aus. Eine Frau, die aus einem Auto mit Aufschrift „Border control“ aussteigt, lehnt ab, uns beim Tanken zu helfen, sie wisse nicht, wie das geht. Und erst recht war sie nicht bereit, sich auf das GPS einzulassen. Eine weitere Frau kommt herbei, sie spricht etwas deutsch, kennt sich nicht aus und rät uns, zu Müllers Love Hotel in Buckeye zu fahren, dort seien freundliche kompetente Leute!
Es ist schon nach vier Uhr nachmittags, bis Phoenix müssen wir drei Stunden Fahrzeit rechnen. Bei einem Gebrauchtwagenhändler versuchen wir neuerlich unser Glück. Der junge Mann dort scheint ein weiterer Bruder des gestrigen dicklichen Verkäufers zu sein. Mit ölverschmierten Händen fingert er hilfsbereit am Navi herum, nur, um auch nicht weiter zu kommen als wir selbst. Also wieder ins Auto, die schnurgerade Straße nach Gila Bend. Gila Bend, das uns gestern als trostloses Ende der Welt erschienen war, kommt uns heute, nach dem Besuch in Ajo, quasi als Weltstadt vor!

Best
            Western Space Lodge
Wir stürzen in das Best Western Hotel, das dort an der Straße liegt, und bitten die Rezeptionistin, eine ältere Frau, um Hilfe mit dem Navi, die wir wiederum nicht bekommen. Zurück im Auto haben wir eine Baustelle zu passieren und finden danach die Straße nach Phoenix nicht mehr. Es ist fünf Uhr nachmittags, wir sind enerviert. Kurz entschlossen fahren wir zurück zum Best Western und fragen, ob ein Zimmer frei sei. Es ist. Und hier liege ich jetzt im Bett, während es daheim neun Stunden später, nämlich dreiviertel sieben Uhr am Morgen ist und der nächste Tag beginnt!


29. 3. 2012, Gila Bend
Aufwachen im Motel. Zwischen der Straße, auf der die trucks donnern, und den Schienen, auf denen die Züge trompeten. Dazwischen das Motel, Palmen voll Vogelgezwitscher und ein weiß eingezäunter Pool.
Ursula hatte in der Nacht Einbrecherfantasien. Ich fühlte mich total wohl, obwohl wir das Fenster, geschützt durch ein Fliegengitter, offen hatten. Draußen die Autos und ein Motorrad. Das gehört einem Gast aus Missouri. Das bike ist geschmückt mit den Stars and Stripes.
Die Vögel, die so aufgeregt zwitschern, sind schwarz, etwa so groß wie Amseln, aber schlanker und haben einen langen wippenden Schwanz. Es gibt auch Spatzen.
Gestern vor unserem Aufbruch aus Ajo, aßen wir nochmals im Restaurant Oasis am historic plaza Sandwiches und tranken Capucchino – in riesigen Tassen, ein ganz anderes Getränk, als das, welches wir uns unter Capucchino vorstellen. Zwei Burschen werkten dort in unbeschreiblichem Chaos hinter der Theke. Genauer schaute ich nicht, denn es dürfte ziemlich schmutzig gewesen sein. (Wie die Bewertungen im Internet „An oasis in a Cafe – perfect“, „Great Coffee, great Location“ und „Great Sandwiches“ zustande kommen, ist mir ein Rätsel. Ich kann mir nur erklären, dass wir verwöhnter sind als die Gäste aus den USA.)
Hier im Best Western Space Age Hotel in Gila Bend jedenfalls das Gegenteil, alles blitzsauber. Zum Frühstück bestelle ich Belgian waffers.


Quellen: Aus dem Internet

Phoenix
Gila Bend
Barry Goldwater Air Force Range
Papago Indian Reservation (Tohono O’odham)
Tohono O’odham (deutsch)
Ajo, Arizona
Ajo
Arizona Copper Mine Strike
Organ Pipe Cactus National Monument - Sicherheitshinweise
Organ Pipe Cactus National Monument in Arizona
Organ Pipe Cactus National Monument (Wikipedia)


Sonstige verwendete Literatur

Baedeker USA Südwesten, Texte Georg Bareth, Heinz Burger, Rainer und Rolf Eisenschmid, Carmen Galenschovski, Reinold Hermanns, Wolfgang Liebermann, Helmut Linde, Axel Pinck, Wolfgang Rotzinger, Angelika Stehle, Andrea Wurth, Reinhard Zakrzewski, Karl Baedeker Verlag, Ostfildern 7. Auflage 2011

Hans-R. Grundmann, Isabel Synnatschke, USA der ganze Westen, Reise Know-How Verlag, Westerstede, 18. komplett überarbeitete und erweiterte Auflage 2011

Millie Miller, Cyndi Nelson, Desert Gritters, Plants and Animals of the southwest, Johnson Books, Boulder, 1996

National Park Service, U.S: Department of the Interior, Organ Pipe Cactus National Monument, Ajo Mountain Drive Guide, Desert Adaptations.

Vis-a-Vis
, USA Südwesten & Las Vegas, Texte Randa Bishop, Donna Dailey, Paul Franklin, Michelle de Larrabeiti, Philip Lee, Übersetzung Barbara Rusch, Dorling Kindersley, London, New York, München, Melbourne, Delhi, aktualisierte Neuauflage 2011/2012


Ruth Linhart | USA 1 | USA 2 | USA 3 | USA 4 | USA 5 | USA 6 | USA 7 | Native Americans | Reisen