Am Abend werden wir den berühmten Platz
Djemaa el-fna besuchen. Jetzt ein strahlender Morgen. Der Tag verspricht
heiß zu werden. Von 40 Grad ist die Rede. Darum kündigt uns der
Reiseleiter eine mittägliche Siesta an.
Wir gleiten mit dem Bus durch
die breiten Straßen, in deren Mitte Rosenrabatten, die das ganze Jahr
blühen. Erstes Ziel sind die Menara-Gärten mit einem Wasserreservoir
aus dem 12. Jahrhundert inmitten von Olivenhainen, ein weitläufiges
Gelände, in dem sich jetzt um neun Uhr vormittags noch wenige Menschen
befinden. Said hat vom Frühstück Brot mitgenommen und füttert
die Karpfen. Der Himmel ist eine tieflblaue Kuppel. Den Hohen Atlas sieht man
nicht so klar, wie es möglich wäre, sondern als dunstverschleierte
Schemen.
Fahrt entlang der Stadtmauer, die sich 16 Kilometer um die Medina
zieht. Viele traditionell gekleidete Männer sitzen an der Mauer bei
Spielen zusammen.
Nächster Stopp sind die Saadier-Gräber aus dem
16. Jahrhundert. Ummauerter Garten mit südlichen Früchten. Said zeigt
uns, dass die Bitterorangen und die Grapefruits an kleinen Herzen erkennbar
sind, die sich an die Blätter anschließen. Er schenkt mir ein
Grapefruitblatt, das sich aber leider sofort einzurollen beginnt. Die Mausoleen
sind mit Stuck- und Zedernholzarbeiten und Carrara-Marmor geschmückt. Man
tauschte damals ein Kilo marokkanischen Zucker gegen ein Kilo Marmor,
erzählt Said und entwickelt die Abstammung des Wortes Zucker in den
europäischen Sprachen aus dem marokkanischen Wort dafür.

Alle Sehenswürdigkeiten, die wir vorgestellt bekommen, liegen nahe
beieinander, so auch der reizende Bahia-Palast. Auf dem Weg dorthin passieren
wir den jüdischen Stadtteil, die Mellah. Der Bahia-Palast wurde um 1900
von zwei Großwesiren angelegt und bezaubert durch seine Innenhöfe,
Gärten, Springbrunnen und prächtigen Säle. Alles aufs Feinste
ausgestattet mit Wandmosaiken, Stuckschnitzereien und Zedernholzdecken. Bis zu
den Fensterläden mit zartem Kunsthandwerk geschmückt. Wir bekommen
eine Viertelstunde Zeit zum Herumschlendern. In solch einem Ambiente unter
solch einem strahlenden Himmel würde ich auch gerne wohnen!

Das
Volkskundemuseum ist ebenfalls in einem ehemaligen Wesirspalast untergebracht,
und mehr als die Gegenstände erfreuen mich die architektonischen
Raffinessen der Bauweise im andalusischen Stil. Die Koutoubia-Moschee sehen wir
vorerst nur von außen. Mit Blick auf ihr Minarett speisen wir zu Mittag.
Am Nachmittag spazieren wir um die Moschee herum, hinein dürfen wir als
Nichtmoslems nicht. Said berichtet, dass als Folge dessen, dass sich die
französischen Kolonialherren in den Moscheen derartig aufführten,
Christen fast in allen Moscheen Marokkos der Zutritt verwehrt wird. Im
weitläufigen Garten rund um die Moschee beobachten wir Buben, die mit
Orangen eine Art Boule spielen.
Abends. Nach der Siesta waren wir auch
in den Souks von Marrakesch. Alleine hätten wir uns sicher nicht zurecht
gefunden.
Said sagt, dass sich hier 1600 Souvernirgeschäfte drängen!.
Aber nicht für uns! Wir trotten wie in Fès eine Weile hinter
unserem Führer her durch die bunte Welt, die rechts und links wie in einem
Film vorbeizieht. Anders als in Fès sind es nicht Mulis, denen wir
ausweichen müssen, sondern junge Männern mit Mopeds, die sich in
ziemlich rasantem Tempo den Weg durch die Menschenmassen bahnen. Lange, viel zu
lange, sitzen wir in einer klimatisierten "Apotheke", wo uns im Anschluss an
einen ausführlichen Vortrag über die Produkte des Hauses diese
verkauft werden. Das einzig Positive an dem Besuch ist eine kurze Massage des
Nackens um zwei Euro.
Dann endlich führt uns Said zum Platz der
Gaukler. Aus den engen Gassen der Souks hinaus auf die Weite dieses
berühmten Ortes. Der Himmel darüber verläuft geradezu unirdisch
von Helldämmer - bis Dunkelnachtblau, in diesem die beleuchteten
Türme der Minarette, die schwarzen Silhouetten der Bäume hinter dem
Platz. Auf dem Platz unzählige Lampen, die dampfendes Licht versenden, das
sich zu weißen Nebeln trifft. Dieser Platz der Gaukler, wie er auf
Deutsch genannt wird, heißt auf arabisch "Versammlung der Toten", weil
in früheren Jahrhunderten die Köpfe enthaupteter Sünder hier
ausgestellt wurden. 2001 wurde er von der Unesco in die Liste der "Meisterwerke
des mündlichen und immateriellen Erbes der Menschheit" aufgenommen.
Immateriell wirken auch die vielen hunderte oder sind es tausende von Menschen,
die unter dem zerfließenden Licht der Lampen in der zu Ende gehenden
Dämmerung versammelt sind und eine schwarze sich bewegende Masse bilden.

Und die meisten dieser Menschen sich eindeutig Einheimische. Die paar
Touristen fallen gar nicht auf.
Das Gedränge ist so dicht, dass wir -
die Gruppenmitglieder- uns tatsächlich sofort verlieren. Anscheinend
wäre es schön, sich in eines der Cafes auf den umliegenden
Dächern zu setzen und von dort aus dem Treiben zuzuschauen, aber Said
schenkt uns nur eine einzige halbe Stunde Zeit. Wir drängen uns in einige
der Gruppen von Menschen (alles Männer!), die sich in dunklen Kreisen um
die Attraktionen scharen. Märchenerzähler, Theaterspieler, einen am
Boden sitzenden Alten mit einem Falken sehen wir. Als sich eine der Gruppen
kurzzeitig öffnet, erblicke ich wie ein Phantom im schwankenden
Lichtschein einen Mann mit grauem Bart und bleichen, scharfen
Gesichtszügen, der aufsteht und einige Schritte in Theaterpose setzt.
Keine Ahnung, wen er darstellt. Aber es muss fesselnd sein, denn die Zuschauer
starren gebannt auf ihn. Um 10 Dirham (1 Euro) führt uns ein
mäßig begabter Gaukler einen Jongleursakt vor, der misslingt und
anschließend schnürt er sich den Hals zu und hält
plötzlich die zwei Strickenden in der Hand. Wir klatschen.


In der
Mitte des Platzes scheint es Garküchen zu geben, dort hängen viele
weiße Gaslampen, es dampft und kocht, und auch hier sitzen viele
Menschen. Nicht zu vergessen natürlich der berühmte Zahnarzt, der
inmitten von künstlichen Gebissen auf dem Platz zu ordinieren scheint.
Hans will einen frisch gepressten Orangensaft um 3 Dirham trinken, aber ich
bringe ihn aus Angst vor einer Infektion davon ab.
Die ganze Zeit
strömen Massen von Menschen, auch sehr viele Frauen, Familien mit Kindern,
auf den Platz, die meisten Frauen in Kopftüchern und bunten langen
Kleidern - aber ohne die Kapuze der Djellabah.
Vom Platz ein paar Schritte
entfernt in Richtung der Koutoubia-Moschee, deren erleuchtetes Minarett unser
Orientierungspunkt ist, der Busbahnhof. Dort warten wir lange auf unseren Bus,
denn ein Verkehrschaos lähmt die Stadt. Der König mit seinem Gefolge
ist von Agadir nach Marrakesch gekommen.