"Sabach il chia", sagt Mohamed und wir
murmeln etwas Entsprechendes.
Es ist früh am Tag und wir sitzen schon
im Bus. Reger Verkehr in Richtung Rabat. Salé sei billiger zum Wohnen,
erklärt Mohamed. Arbeit gibt es aber in Rabat, wo sich Ministerien und
andere Institutionen befinden. Der Himmel ist wieder schön, sanfter Dunst
liegt über allem.
Mohamed kommt darauf zurück, dass unsere Reise
aus zwei Teilen besteht, der Besichtigung der Königsstädte Rabat,
Meknès, Fés und Marrakesch sowie der Fahrt in den Süden
durch die bergigen Landschaften. Er schlägt uns von Erfoud, unserem
südlichsten Ziel, aus eine Wüstenfahrt im Landrover vor. Fast alle
wollen mitmachen.
Mohamed: "Wir fahren heute auf der Landstraße,
nicht auf der Autobahn, damit wir mehr von der Gegend sehen". Die Gründe
seien außerhalb Rabats viel billiger und es werde viel gebaut. Die Leute
zahlen 400 bis 600 Euro für den Quadratmeter. Die Häuser hier
hätten keine Keller.
Zwischen den Fahrbahnen blüht Oleander in
allen Rottönen und Weiß. Die Gegend ist sehr grün und ganz
flach. Palmen. Bougainvilleas, Bananenstauden, Bambushecken (kann das sein?)
und Hibiskushecken. Pferde , viele Störche.
Links passieren wir eine
der vielen Residenzen der königlichen Familie. "Hierher kommt der
König, wenn er Lust auf Reiten hat." Alle hundert Meter oder so die lange
Mauer entlang sind je zwei Soldaten postiert.
Später kommen wir an
einem großen weißen Gebäude vorbei, es ist eine Gelddruckerei.
Nun begleitet uns ein 130 000 ha großer staatlicher Korkeichenwald.
Kork wird nach Frankreich exportiert, für Weinflaschen, erzählt
Mohamed. Aber in Marokko werde Kork auch gegessen.
Am Straßenrand
stehen junge Leute, die Kork und Trüffel verkaufen. "Ein Kilo Trüffel
kostet zehn Euro. Die Trüffel werden ebenfalls nach Frankreich exportiert.
Es gibt auch Wildschweine, die werden von den Franzosen gejagt", so Mohamed.
Verkauft werden auch Eicheln, die man laut Mohamed wie Kastanien isst. Die
Korkeichenwälder seien ein sonntägliches Ausflugsziel der Rabater.
"Sie kommen zum Picknick hierher".
Als wir aussteigen, sehen wir die Spuren
davon. Nicht nur Eicheln liegen auf dem Boden herum, sondern auch
Wasserflaschen aus Plastik und Diverses aus Nylon.
Weiterfahrt. Die
Erde ist hier rötlich. Wir sehen viele Schafe und Kühe, sie weiden in
lichten Wäldern. Immer mehr Verkäufer stehen am Straßenrand.
Dann Straßenpolizei mit Kamera. Weiter drüben ist die Autobahn.
Kreisverkehr.
Wir fahren durch kleine Städte. Viel wird gebaut.
"Investoren aus großen Städten", sagt Mohamed. Er spricht von
Bauspekulation. "Viele der Häuser gehören auch Gastarbeitern, die im
Ausland leben, in Frankreich, Holland usw. " Hier wohnen meistens Araber,
hören wir, aber 85 % der Bevölkerung Marokkos seien Berber.
Viele
Berber seien arabisiert. Hauptsprache des Landes ist Arabisch. Viel mehr
erfahren wir aber von Mohamed nicht über die Berber, die
ursprüngliche Bevölkerung Marokkos. Der Name soll vom römischen
"barbari" herrühren, aus dem schließlich die "Berber" wurden. Das
ist aber nicht erwiesen. Eine Frau, al-Kahina, führte um 700 die Berber im
Kampf gegen die damals unter dem Banner des Islam auf das Gebiet des heutigen
Marokko vordringenden Araber. Mit dem Tod der bis heute bei den Berbern
hochverehrten Seherin und Königin war der Widerstand gegen die
eindringenden Araber gebrochen. In "Wikipedia" lese ich unter dem Schlagwort
"Berber": "Heute bezeichnen sich einige Berber, insbesondere in Marokko, als
`Imazighen´ (Freie), um sich in einer eigenen, in ihrer Muttersprache
gefassten Volksgruppenbezeichnung wiederzufinden. Üblicherweise benutzen
die Berbervölker aber die Namen der einzelnen Volksstämme (zum
Beispiel Rifkabylen oder Tuareg)."
Weiter geht die Fahrt Richtung
Meknès durch ein landwirtschaftlich sehr erschlossenes Gebiet. "Hier
gibt es Bauern und Pächter, die für Großgrundbesitzer arbeiten.
Die Pächter erhalten 20 Prozent der Ernte, " sagt Mohamed.
Größere Bauern wohnen in kleineren Städten, wie wir gerade eine
durchfahren. Ernte gebe es nur einmal im Jahr, in erster Linie Weizen, auch
Hülsenfrüchte. Berühmt seien die Trauben bzw. der Rotwein von
Meknès.
Nun verkaufen Frauen am Straßenrand Eier, Honig und
Milchprodukte. Mohamed: "Derzeit wartet man auf Regen. Letztes Jahr hat es sehr
stark geregnet, darum ist alles noch so grün." Dann erwähnt er, dass
1972 120 000 ha Land an arme Leute verteilt worden und dass kleine
Genossenschaften gegründet worden seien. Mehr über die Landreform,
die in Ansätzen nach dem Ende der französischen Kolonialzeit
durchgeführt wurde, erfahren wir nicht. Dafür erzählt uns
Mohamed, dass es hier eine Gendarmerie und dass es sehr viele Unfälle
gebe, dass die Leute zu schnell führen und heuer schon über 2000 Tote
im Straßenverkehr zu beklagen seien. (In Österreich starben 2008
ungefähr 700 Menschen, allerdings ist die Bevölkerung Marokkos
viermal so groß und die Fläche mehr als fünfmal so groß).
Die Radargeräte der Gendarmerie seien Geschenke von Frankreich.
Die nächste Stadt heißt Tiflet. "Vor ein paar Jahren war hier
nur ein Wochenmarkt", bemerkt Mohamed. Wegen der Landflucht werde viel gebaut.
Die Frauen sind mit Einkäufen unterwegs, mit verhülltem Kopf und
Djellabah. Man sieht neben Autos und Mopeds auch Esel als Reit- und Lasttiere.
Dann wird die Gegend hügeliger. Olivenbäume. Jetzt sei
Erntesaison, erfahren wir. Unterirdische Wasserkanäle dienen der
Bewässerung.
Mohamed spricht ein bisschen über Soziales. "Das
Zusammenleben in der Familie ist sehr wichtig, am Land und auch in der Stadt.
Altersheime gibt es höchstens in Casablanca oder Rabat. Die besten soziale
Versicherung ist die Familie. Es ist religiöse Pflicht bei uns, sich um
die Eltern zu kümmern. Beamte haben eine Krankenversicherung. Aber
Handwerker und Bauern sind nicht versichert. In staatlichen Krankenhäusern
bekommt man aber, wenn man Armut nachweisen kann, alles gratis. Eine normale
Krankenbehandlung kostet 20 Euro. Polizisten verdienen 300 bis 500 Euro. Davon
kann man schön leben. "
In Casablanca seien die Mieten teuer, aber am
Land wohnten alle Leute in Häusern, es gebe keine Mietwohnungen. "Der
Lehrer wohnt gratis."
Dichte Hecken von Feigenkakteen begrenzen die
Grundstücke, dienen als Zäune. Die Früchte - Kakutusfeigen -
werden gegessen.
Wieder eine Stadt. Khemisset. Die Platanenalleen in den
Orten haben ihr Vorbild in Frankreich, erfahren wir von Mohamed.
Hier sehe
ich aus dem Bus, anders als in Tiflet, viele Frauen ohne Schleier und Kopftuch,
gekleidet in Hosen.
Nach der "technischen Pause", wie unser
Reiseleiter sich ausdrückt, sitzt in dem Bus, in dem wir angeblich alles
liegen lassen können, weil vom Busbegleiter aufgepasst wird, ein fremder
Mann, ein blinder Passagier. Er drückt sich in den Winkel der hintersten
Busreihe. Hans entdeckt ihn. Der Reiseleiter fordert ihn auf, zu gehen. Er
schüttelt trotzig den Kopf. Erst als die gesamte dreiköpfige
Busbesatzung ihn unter Druck setzt, verlässt er widerwillig den Bus. Ein
unangenehmes Gefühl bleibt.
Die weite Hügellandschaft ist bedeckt
mit Olivenbäumen, sonst wirkt sie eher braun, schon abgeerntet. Kleine
Lastautos, die vom Wochenmarkt kommen, mit Schafen oder Federvieh auf dem Dach,
überholen uns. Ich sehe auch einen Esel und eine Kuh, festgebunden auf der
Ladefläche.
Truthähne werden am Straßenrand verkauft. Oder
Sanderbsen, die ähnlich wie Kichererbsen sein sollen. Auch Schnecken,
Olivenöl und Granatäpfel werden angeboten.
Jetzt tauchen
Weingärten auf. Der Ort und die Weinmarke von hier heißen "Djellal".
"Eine sehr fruchtbare Gegend", sagt Mohamed.

Meknès, die zweite
Königsstadt auf unserer Reise. Es ist mittags und heiß und unsere
Aufnahmekapazität ist eingeschränkt. Es ist wohl der Place el Hedim,
der zwischen der Mellah, dem jüdischen Viertel, und der Medina liegt, wo
wir das 1732 vollendete Bab el Mansour bewundern. Es gilt als das schönste
Stadttor Marokkos. Meknès wird von einer historischen Gestalt
beherrscht, von Moulay Ismael. 1667 hatte die Dynastie der Alaouiten die
Regentschaft von Marokko übernommen. Diese Dynastie herrscht bis heute.
Und 1672 bis 1727 hielt Moulay Ismail das Szepter in der Hand. Er machte
Meknès zur Hauptstadt, ließ eine 40 km lange Stadtmauer um die
Stadt bauen und ist auch sonst berühmt für seinen gigantomanischen
Lebensstil. Sein Heer zählte 150 000 Mann, er soll sich 500 Haremsdamen
gehalten haben und der Vater von 700 Söhnen gewesen sein. Nach seinem Tod
versank Marokko in Nachfolgekämpfe, Meknès in Unbedeutendheit. Die
Sultansresidenz wurde in das nur 60 km entfernte Fès verlegt. Heute ist
Meknès eine bedeutende Militärbasis und Zentrum der einheimischen
Nahrungsmittelindustrie.

Nach dem prächtigen Stadttor besichtigen wir
auch noch das Mausoleum von Moulay Ismael. Es beeindruckt durch wunderbare
Stuckornamente, Decken aus Zedernholz und begeistert wie alle tradtionellen
Gebäude durch geflieste Innenhöfe in den schönsten Farben. Zum
Abschluss dürfen wir auch noch in eine Moschee. Hier wird für uns die
Toilettenanlage für die Gläubigen aufgesperrt. Sie ist ein ziemlicher
Tiefpunkt.
Auf Fragen unserer Reisekollegen hat Mohamed ein bisschen etwas
über den Islam erzählt. Marokkaner sind Sunniten. Er hat aber
resümiert: "Wichtiger als die Religion ist bei uns die Tradition."
Interessant ist, dass in Marokko Sonntag öffentlicher Feiertag ist, an
dem Schulen, Banken und Ämter geschlossen sind. Die Handwerker in den
Altstädten, so Mohamed, halten aber am Freitag Ruhetag.
Weiterfahrt. Rechts und links der Straße Pomeranzenbäume, sie
werden auch Bitterorangen genannt. Oliven werden mit ihnen zusammen eingelegt.
Manche Bauern arbeiten auf den Feldern mit Traktoren, manche mit Eseln oder
Maultieren.
Nächstes Ziel ist der Wallfahrtsort Mulay Idris. An der
Straße Pfefferminze, Olivenbäume, sehr viele Agaven. Aus Agaven
werde Seide gemacht, höre ich mit Staunen. Ganz spezielle Stoffe. Auch
Djellabahs werden daraus genäht.
Von Mulay Idris bekommen wir wenig zu
sehen. Fotostop auf einem gegenüberliegenden Hügel. Mulay Idris ist
der wichtigste marokkanische Wallfahrtsort und bezieht sich auf Mulay Idris I,
der ein Nachkomme des Propheten Mohammed war und das erste unabhängige
marokkanische Reich im Norden des heutigen Marokko gegründet hat. Eine
Pilgerfahrt zu diesem Wallfahrtsort könne die Fahrt nach Mekka ersetzen,
allerdings nur, wenn man sie sieben Mal macht. Wir sehen viele weiße
Häuser und eine Moschee in ihrer Mitte. Die Moschee dürften wir als
Christen sowieso nicht betreten, aber die Stadt dachten wir doch zu besuchen.
Doch daraus wird nichts. Wir erklimmen mit dem Bus einen steilen Hügel und
werden statt in den Wallfahrtsort in ein Speiselokal geführt.
Ganz in der Nähe liegt Volubilis - so heißt auch die schöne
blaue Prachtwinde auf Lateinisch.
Vollubilis ist ein Ort, der tausend Jahre
alte Geschichte atmet. Auf einem Hügel ein weitläufiges
Ausgrabungsgelände. So weit das Auge blickt Hügelketten und braune
Berge. Die ehemalige Berbersiedlung wurde 45 nach Christus von Kaiser Caligula
eingenommen und war der entfernteste Außenposten des römischen
Reiches. Wunderbare Fußbodenmosaiken sind erstaunlicherweise
ungeschützt Sonne, Wind und Regen ausgesetzt. Die Überreste von
Triumphbögen, Forum, Kapitol und Basilika, aber auch von Bädern und
Bordellen zeugen davon, dass reges Stadtleben herrschte. Heute liegt die Hitze
eines südlichen Herbsttages über den Säulen, Steinblöcken
und Fliesen. Wenn unser Führer gerade einmal seinen Redefluss unterbricht,
herrliche Stille.

Mohamed hat uns am Eingang einem älteren Mann in
blauem Hemd übergeben, der voraus marschiert und ohne auf unsere
Nachzügler zu warten in deutschen Wortfetzen und abenteuerlichen
Satzkonstruktionen zum Großteil Unverständliches herunter rattert.
Eigentlich ärgerlich, aber die Unklarheiten, die entstehen, belustigen uns
auch. War diese Ruine nun ein Hundehaus oder ein Hurenhaus oder ein Hurenhaus
mit Hundehaus davor?
Im Bus kündigt uns Mohamed Fès als
Höhepunkt der Reise an. Fès wurde schon 808 nach Chr. von Mulay
Idris II gegründet und ist die älteste der vier
Königsstädte. Die mittelalterliche Medina ist UNESCO-Weltkulturerbe.
Um 860 stiftete eine Frau, Fatima Bint Mohamed El -feheri, die angeblich
älteste Universität der Welt.
Mohamed gibt uns seine Handynummer,
falls wir morgen einander in der Medina verlieren.
Zwischen sandfarbenen
Hügeln, zu deren Füßen sich Olivenhaine hinstrecken, rollen wir
auf diese Stadt zu. Davor noch ein Fotostop an einem weitläufigen
lichtlblauen Stausee.