Das Hotel Hananae Club in Ouarzazate, einer
Stadt, die 1928 als Garnison der französischen Fremdenlegion
gegründet wurde, nennt sich "Hotel de Charme". Tatsächlich ist die
Anlage, einer marokkanischen Burg nachgefühlt, romantisch. Den Abend
beschließen wir im Freien beim Pool und bewundern Bäume, vielleicht
sind es auch nur üppig auswuchernde Kletterpflanzen, die mit rosa
Blütenglocken dicht übersät sind. Leider weiß niemand von
uns, wie sie heißen. In unserem Zimmer gibt es wenig Licht und wenig
Klopapier. Zum Glück habe ich im Koffer eines mit, denn sonst wäre
ich in dieser Nacht in eine unaussprechliche Lage geraten. Der Durchfall, der
schon etliche unserer Gruppe plagt, holt mich ein. Nur mit mehreren
Imodium-Kapseln lässt er sich eindämmen. Heute reisen wir wieder im
Bus, viele hunderte Kilometer!
Als wir gestern Abend noch vor das Tor
unserer Anlage traten, waren wir enttäuscht. Stadt sahen wir keine, nur
Busse. Die Fahrt aus der Stadt und die Lektüre des Reiseführers
bestätigen, dass der Ort keinerlei Sehenswürdigkeiten besitzt.

Vor
allem ist er bekannt, weil hier sehr viele Hollywood-Filme gedreht werden. Said
sagt, dass die wilde Wüstenlandschaft seit 1960 in 200 Filmen
vorkäme. In einem Reiseführer wird Ouarzazate "Klein-Hollywood"
genannt. Ob Tibet oder Ägypten, "offenbar gebrauchen die Filmemacher
Südmarokko quasi als Blaupause für jede Art von Landschaft, die man
mit archaischer Einsamkeit und Weite assoziiert. Und weil das Tal des
Dadès mit seiner Fruchtbarkeit entfernt an den Nil erinnert, wählt
man es als Schauplatz für zahlreiche Bibelschinken
", lese ich.
Nicht nur die Filmindustrie ist Arbeitgeber, auch der Tourismus hat in den
letzten Jahren der Stadt Aufschwung gebracht, denn vom Verkehrsknotenpunkt
Ouarzazate aus kann man den Süden Marokkos erkunden. Hauptattraktion in
der Gegend um Ouarzazate ist aber sicher die Kasbah Ait Benhaddou, die als
Weltkulturerbe gilt.

Leider bin ich heute etwas benommen von den
Ereignissen der Nacht und den vielen Tabletten, sodass ich den Ausflug in die
berühmte Kasbah nicht ausreichend zu würdigen vermag. Unser Bus
hält in einem schäbigen Ort, um zur Kasbah zu gelangen, müssen
wir ein Rinnsal in einem breiten Flussbett überqueren. Die Burganlage ist
wie alle Häuser hier aus Stampflehm erbaut, in den Maisstroh gemischt
wird. Ait Benhaddou ist riesig und besteht aus mehreren ineinander
verschachtelten Burgen. Die Kasbahs in Süd-Marokko sind Fluchtburgen und
Sippenwohnung in einem und dienten als Refugium vor Angriffen rivalisierender
Berberstämme oder Attacken von Nomaden. Heute haben sie diese historischen
Funktionen verloren, und ich vermute, dass die fünf Berber-Familien, die
laut Said noch in der Kasbah Ait Benhaddou wohnen, vom Staat für den
Tourismus finanziert werden.

Eine dieser Familien besuchen wir. Im ebenerdigen
Raum sind Ziegen und Schafe untergebracht, Schlaf- und Wohnräume sind in
den oberen Stockwerken. Wir erfahren, dass viele Häuser in Marokko , so
auch dieses hier, nach außen keine Fenster haben, um die Hitze
abzuwehren.
Ich trotte der Gruppe nach und bemerkte einen Aufruhr, als Said
sagt, dass wir zu Pfefferminztee eingeladen sind, und viele Gruppenmitglieder
das ablehnen. Die Einsicht, dass es extrem unhöflich ist, der Einladung
nicht nachzukommen, siegt, und wir sitzen im Gästeraum auf den
Sitzbänken an den Wänden und erwarten geduldig unser Glas mit der
picksüßen Flüssigkeit, gekocht von der unverschleierten und
freundlich lächelnden Frau des Hauses. Said pflückt auf dem
Rückweg zum Bus eine Eukalyptusblüte, die er durch die Reihen gehen
lässt. Die Blüten sind gelb und duften stark.
Die Fahrt über
den Hohen Atlas nach Marrakesch beginnt.
2260 Meter hoch ist der Pass
Tizi-n-Tichka. Die bergige Landschaft, durch die wir gefahren sind und noch
fahren, ist voll leuchtender Farben und beeindruckender Abstürze. Im
Unterschied zu der gestrigen Reise sind die Berge hier bis zum Gipfel grün
bewachsen. Dazwischen schimmert rote Erde. Wir fahren an Terrassen mit
wunderbarem Fernblick vorbei und denken: "Wären wir alleine hier,
würden wir sicher hier stoppen." Aber auch Said wählt für uns
ein schönes Restaurant, und wir speisen auf einer Terrasse mit Sicht auf
die weiten Täler und Berge, hinter denen wir, von uns aus gesehen im
Norden, Marrakesch wissen, "die Perle des Südens".
Marrakesch
liegt inmitten einer etwa 150 km2 großen Dattelpalmenoase in der
fruchtbaren Haouz-Ebene vor dem Panorama des Hohen Atlas. Nach Fès ist
Marrakesch die zweitälteste Königstadt. 1070 gründete die aus
Mauretanien stammende Berber-Dynastie der Almoraviden als ihre neue Hauptstadt
Marrakesch, auch unter der nachfolgenden Berber-Dynastie der Almohaden im 12.
Jahrhundert bleibt Marrakesch Hauptstadt bis die Meriniden diese im 13.
Jahrhundert nach Fès übersiedeln. Aber im 16. Jahrhundert unter der
Herrschaft der Saadier, der ersten arabischen Dynastie, die Marokko regiert,
wird Marrakesch nochmals Hauptstadt des Reiches. Gold- und Sklavenhandel mit
Timbuktu und Westafrika bringen wirtschaftlichen Aufschwung, und Marrakesch
wird zu einer prächtigen Metropole ausgebaut. Unter Moulay Ismael im 17
Jahrhundert wird dann Meknès Hauptstadt.
Heute ist Marrakesch, von
dem sich der Staatsname Marokko ableitet "eine touristische Attraktion ersten
Ranges".
Und dann fahren wir schon in Marrakesch ein. Breite
Straßen, Grünanlagen mit vielen Blumen, rosa Gebäude, das ist
der der neue Stadtteil, Guéliz genannt. Wie wir es jetzt schon in
mehreren Städten beobachtet haben, wurde er großräumig und
prächtig von den Franzosen angelegt. Über die Avenue Mohammed V. geht
es am berühmten Place Djamaa el-Fna und der Medina vorbei.
Großartige Hotelanlagen begleiten uns bis zu unserem Hotel Diwane. Es
liegt um eine Ecke der Avenue, in einer schmäleren Straße und ist
ebenfalls ziemlich prächtig.

Eine beeindruckende Eingangshalle lässt
den Blick auf die oberen Stockwerke frei, von der Rezeption fällt der
Blick auf einen Innenhof mit blühendem Oleander, Pool und Cafe. Unser
Zimmer im fünften Stock schaut auf die Straße, aber es ist
groß, mit gemütlichem marokkanischen Polstersofa und niedrigem
runden Tisch, das Fenster ist zu öffnen und bleibt auch offen. Wir
genießen die milde Luft, die hereinströmt. Die Betten sind
blütenweiß, bügelfrisch überzogen und die besten aller
Hotelbetten in Marokko.
Am frühen Abend liegt rosa Licht
über der rosa Stadt. Wir treten vor das Hotel und tauchen in den
städtischen Trubel ein. An der Ecke zur Avenue Mohammed V. hält
gerade ein roter Sightseeing-Bus mit offenem Verdeck. Zu dumm, dass wir nicht
einsteigen, denn nach dem Abendessen fährt der Bus nicht mehr. Statt
dessen werfe ich die Postkarten in den gelben Briefkasten der marokkanischen
Post und kaufe an einem Kiosk Zeitungen. Die Schlagzeile im "Figaro" "Prix
Nobel des la paix la surprise Obama" und in der "Frankfurter Allgemeinen"
"Nobelpreis für Literatur an Hertha Müller". Mit diesen Neuigkeiten
setzen wir uns in eines der vielen Straßencafés. Auch einige
andere Frauen beobachte ich hier, wenn auch die Männer in der
Überzahl sind.