Heute haben wir die Fahrt über den
Antiatlas vor uns, 345 Kilometer. Hauptattraktion wird der Besuch der Schlucht
von Todrha sein.
Beim Aufwachen sehe ich vom Bett aus eine Palme vor
dem Fenster. Überall Bougainvilleas in voller Blüte. Unser Zimmer ist
sehr groß und landesüblich mit vielen Textilien ausgestattet. Die
Zimmer sind ebenerdig, bei den vielen Schlangen und Skorpionen, die es hier
geben soll, freute mich das nicht, aber die Eingangstür ist total
abgedichtet und vor dem Fenster ein Fliegengitter, sodass wir mit
geöffneten Fenster schlafen konnten, bei der Hitze ein Vorteil.
Ein
wunderschöner Morgen, wir frühstücken im Schatten am Pool. Dann
Abfahrt..
Als erstes werden wir von Said in eine
Verarbeitungsstätte von Ammoniten, die in der Gegend gefunden werden,
gebracht. Der Händler versucht uns zu überzeugen, dass die zugegeben
wunderschönen Tischplatten und anderen Gegenstände ohne Belastung
für uns per Post in unser Heimatland geschickt werden könnten, aber
niemand greift das Angebot auf.
Im Bus erzählt Said wieder ein
bisschen über die Landessitten. Männer begrüßen sich alle
mit einem Kuss, sagt er. Ein Vorgang, der sich mehrere Male wiederholt. Eine
Frau küsst niemals den Mann ins Gesicht, sondern die Hände des Mannes
bei der Begrüßung. Sie küsst seine Hand, dann küsst er
ihre Hand. Und das setzt sich fort. Dazwischen Fragen und Antworten (ich nehme
an, nach dem Befinden, der Familie etc.) "Als letzte küsst die Frau, aus
Respekt für den Mann".
Auch Frauen küssen einander die
Hände, sagt Said.
Heute ist Freitag, der traditionelle Feiertag der
Moslems, aber wie schon erwähnt sind in Marokko Schulen und Banken und
öffentliche Stellen am Freitag in Betrieb. "Wegen des Exports und der
Verbindung mit dem Ausland." Die Kinder gehen auch am Samstag in die Schule. Am
Freitag gehen Moslems auf den Friedhof, erzählt Said weiter. Dorthin
bringen sie Rosenwasser und Orangenblütenwasser, und sie pflanzen duftende
Blumen.
Die Fahrt wird im Gebiet der Oasen von Jorf (Schorf
ausgesprochen) unterbrochen, um das traditionelle Irrigationssystem zu
besichtigen. Wie riesige Maulwurfshügel erheben sich mehrere Meter hohe
Sandhäufen soweit das Auge reicht in der Wüste neben der
Straße. Sie sind Teile einer unterirdischen Bewässerungsanlage , die
früher überall im Maghreb verbreitet war, eine Technik, die
wahrscheinlich im persischen Raum entwickelt wurde. Von einer wasserreichen
Region, wie es der Atlas ist, werden Kanäle gegraben und das Wasser fliest
durch die natürliche Neigung des Terrains bis zu den Oasen. In letzter
Zeit führte man in den meisten Regionen modernere Bewässerungssysteme
ein, aber im Tafilalet werden die Kanäle auch heute noch benützt. Die
Hügel entstehen, weil beim Bau der Kanäle in kurzen Abständen
Schächte gegraben werden, das ausgegrabene Erdreich bildet die Sandberge,
die ins Auge fallen. Die Schächte dienen als Einstiegstrichter für
Arbeiter. Ich bewege mich misstrauisch auf den Sandbergen und wittere
Einsturzgefahr, in der Reiseliteratur lese ich, mit Recht. Man soll sehr
vorsichtig sein, denn das Erdreich ist locker, und aus dem Inneren des
Schachtes gibt es ohne Hilfe von außen kein Entrinnen.
Bei einem
Fotostopp mit Kamel betont Said, dass wir es hier mit Dromedaren zu tun haben.
Kamele hätten zwei Höcker, die Tiere hier haben aber nur einen!
Said weist auch auf einen einsamen Punkt in der Wüstenweite und
berichtet, dass hier ein deutscher Architekt ein Haus gebaut habe, ganz mit der
Natur, ohne Strom.
Ein Problem im gesamten Gebiet ist die Versalzung
des Bodens, und Said berichtet von versuchten Maßnahmen dagegen, zum
Beispiel Pflanzungen von Bäumen, die aber oft nicht wachsen, weil es hier
zu hoch - über 1000 Meter - und zu heiß sei. Tinejdad heißt
der Ort, durch den wir nun fahren und die nächste größere Stadt
ist Tinehir. Der bedeutende Berber- Marktort des Sahara-Vorlandes mit zirka 15
000 Einwohnern liegt in einer vom Fluss Todrha bewässerten Oase, lese ich
im Reiseführer. Wir biegen hier in Richtung Todrha-Schlucht ab und bleiben
auf halber Höhe stehen.
Fast unwirklich schmiegt sich der orangefarbene
Ort in die Senke zwischen den orangefarbenen Bergen und an eine prächtige
Oase mit Palmengärten und grünen Feldern. An der Straße wachsen
wilde Kapern.
Said erzählt, dass durch den Todrha-Bach eine 80 km lange
Oase gespeist wird und dass hier vier Monate Schnee liege, zwei Monate davon
bis in die Oase.
Wenig später, schon in der Schlucht, rechts und links
der Palmen und Felder steigen orangerosa Felswände auf, werden wir zum
versprochenen Spaziergang aus dem Bus gelassen. Alle gehen mit, aber für
einige Reiseteilnehmer wird die kleine Flussüberquerung zum Problem. Auch
ich nehme gerne die Hand des jungen Berbers, der sich hier ein Bakschisch
verdient, als ich von Stein zu Stein balanciere. Dann fahren wir mit dem Bus
bis zu einer besonders engen Stelle, die Weiterfahrt scheint nur mit einem
Geländewagen möglich. Zwanzig Meter ist die Schlucht breit, die
Granitwände sind 200 bis 300 Meter hoch, ausgeprägt rosa, versetzt
mit leuchtend grünen Flecken, wenn sich irgendwo Vegetation anklammern
kann.
Wir kehren in einem großen Restaurant ein.
Bei der Weiterfahrt
unterhält uns Said mit einer Schilderung des Heiratsmarktes, der jedes
Jahr in einem Ort des Hohen Atlas abgehalten wird. Drei Tage dauert er. Am
ersten Tag treffen die "Jungs und Mädchen" aufeinander. Sie suchen
einander selbst aus. Ja, die Mädchen seien verschleiert, aber das passiere
mittels "Augensprache". Die Augen lächeln.
Bereits der zweite Tag
bringt den Ehevertrag. Für die Frauen muss ein Kaufpreis gezahlt werden.
In einigen Orten in Marokko gibt es Mobilstandesämter. Der Heiratsmarkt,
so Said, ist wie ein Supermarkt von Jungen und Mädchen.
Am dritten Tag
kauft man ein für die Hochzeit und beginnt die Hochzeitsfeierlichkeiten,
die wiederum drei Tage dauern. Am ersten Tag feiern Freunde und Familie, am
zweiten Tag nur die Frauen, am dritten Tag nur die Männer.
Said
bemerkt nebenbei, dass das Gästezimmer das teuerste Zimmer in jedem
marokkanischen Haus sei.
Es ist schon Nachmittag und vor uns liegt die
Fahrt über die "Straße der 1000 Kasbahs" - Kasbahs sind die
romantisch in die Landschaft gesetzten Wohn- und Speicherburgen - nach
Ouarzazate.
Die großartige Landschaft, durch die wir an diesem
späten Nachmittag gleiten, kann ich nicht mehr fotografieren, denn von
einem Foto zum nächsten hat mein Sony-Apparat seinen Geist aufgegeben! Im
Süden erstrecken sich dunkle, braune und anthrazitfarbene Ketten von
Berggipfeln, der Antiatlas. Von der Straße bis dorthin eine flache,
ockerfärbige Gegend.
Ab und zu oasenartige Plantagen, Grünstreifen,
grüne Flecken. Ebenerdige Bauernhäuser - in Marokko könne man
ebenerdig ohne Baugenehmigung bauen, sagt Said - in der Farbe der Gegend, ohne
Fenster, ein Auto steht daneben. Jetzt zweigt eine Straße zu den Bergen
im Süden ab - Silber und Quecksilber werden dort gefördert ,
höre ich Said von vorne im Bus. Nun kommt eine völlig kahle riesige
rötlichbraune Ebene, die sich zwischen Antiatlas im Süden und Hohem
Atlas im Norden wölbt. In der späten Sonne funkeln neben der
Straße Nylonsackerln, Plastikflaschen und Scherben. Mist, der aber die
Illusion von Bergkristallen oder Diamanten aufkommen lassen könnte.
Von Boulmane-du-Dadès an begleitet uns der Fluss Dadès. Diese
Stadt wird "Rosenstadt" genannt. 400 ha Rosen wurden gepflanzt, es gibt ein
Rosenfest und das Rosenwasser sei berühmt. Der Prophet habe Rosenwasser
immer für seine Augen benützt, so Said.
Viele Häuser haben hier
eine Art Zinnen am Dach, zum Schutz gegen den bösen Blick und gegen
Augenkrankheiten, erklärt Said. Die Fenstergitter im ersten Stock und im
Parterre dienten zum Schutz für Kinder, damit sie nicht hinausfallen. Said
sagt auch, dass in dieser Gegend viele Frauen außer Haus ganz
verschleiert seien und nur ein Auge zum Sehen frei ließen. Ich erblicke
aber aus dem Bus nur Frauen mit freiem Gesicht.
Die nächste Stadt
heißt El-Kelaa-des-Mogouna, ebenfalls eine Rosenstadt. Das Licht ist
wunderbar. Am Himmel schweben jetzt ein paar Wölkchen. Als wir zwei Zelte
passieren, glaubt Said, dass hier für jemanden, der aus Mekka zurück
gekehrt ist, ein Fest veranstaltet wird. Eines der Zelte sei für die
Frauen, eines für die Männer.
Am Straßenrand wachsen oft
schilfartige Gewächse, Pfahlrohr, Said nennt sie "Berberbambus".
Jetzt
in der Dämmerung sind die Berge lila Ketten rechts und links am Horizont,
dazwischen die gerundete Erdoberfläche mit Steinwüste bedeckt. In der
Mitte all dessen die Straße, auf der wir brausen. Prächtiger
Sonnenuntergang. Als im rosablauen Abendhimmel die schwarzen Silhouetten von
Palmen auftauchen, werfen wir im Bus uns ungläubige Blicke zu. "Wie im
Kino. Unwirklich schön
.!" Wie auf Vereinbarung knipsen alle ihre
Leselampe aus.