Mein erster Eindruck von Casablanca um
Mitternacht: Viele Palmen. Ein wunderbares Gefühl, wir sind im Süden!
Dann das Hotel Idou Anfa, im Stadtzentrum, vier Sterne, eher schäbig,
doch sauber. Nur die Bettwäsche ist zerknittert, also wohl schon
benützt! Ich schlüpfte in meinen blauen Seidenschlafsack.
Stunden später. Wir waren schon in der Dachbar des Hotels und haben
das Meer der "casa blanca" gesehen. Casablanca, über vier Millionen
Einwohner, eine der größten Städte in ganz Afrika. Inmitten des
Häusermeers die große Moschee, umweht vom Morgennebel.
Das
ist die größte Sensation von Casablanca: Die Grande Mosquée
Hassan II. Sie wurde 1993 fertig gestellt. Sie soll 750 Millionen Euro gekostet
haben, immens viel Geld, und die Marokkaner wurden, hören wir, zu
freiwilligen "Geldgeschenken" an ihren König verpflichtet. 100 000
Gläubige finden im Innenraum und rund um die Moschee Platz. Angeblich ist
es die zweitgrößte Moschee in der islamischen Welt. Sie liegt direkt
am Meer. Der französische Architekt Michel Pinseau hat den Grund dem Meer
abgewonnen.
Während wir über den riesigen Platz auf die Moschee
zugehen, öffnet sich der Blick auf eine blaue weite Bucht. Ein
weißer Leuchtturm in der Ferne. Wieder wie in der Dachbar bin ich
überwältigt. Ich bin wirklich in dieser Stadt, deren Name so viele
Assoziationen weckt. Unhörbar sage ich mir vor: Ich bin in Casa blanca!
Ich bin in Casablanca!
Während die meisten Moscheen für
Ungläubige verschlossen sind, müssen wir hier während der
Führung nicht einmal unsere Haare mit einem Kopftuch bedecken! Aber
natürlich heißt es die Schuhe auszuziehen. Diese in der Hand folgen
wir dem einheimischen Führer staunend durch das gigantische Gebäude.
Über 2500 der besten Handwerker des Landes arbeiteten Tag und Nacht an der
Moschee. Mit Blumenmustern bemalte Decken aus Zedernholz, feinste
Stuckschnitzereien und ornamental geschmückte Majolikafliesen begegnen uns
auch später immer wieder in den marokkanischen Baukunstwerken, seien es
Moscheen, Mausoleen, Koranschulen oder Paläste. Auch einige der
Gaststätten, in denen wir einkehren, schließen an diese Tradition
der Raumgestaltung an.
Zum Schluss dürfen wir sogar die WC-Anlage des
Hamam (oder war es der rituelle Waschraum?) benützen, und zu unserem
Erstaunen dient sie sowohl für Männer wie für Frauen.
Als wir aus der Moschee kommen, hängt weißer Nebel über
allem. Auch das 200 Meter hohe Minarett taucht nur schemenhaft daraus auf. Meer
und Leuchtturm sind nicht mehr zu sehen.
Weiterfahrt im Bus. Viele
Frauen mit Kopftuch auf den Straßen, mit Kopftuch und bodenlangen
Gewändern. Unser marokkanischer Reiseleiter (von jetzt an "Mohamed "
genannt, wie er sich vorstellte) sagte aber: "Marokko ist anders" - was die
Stellung der Frauen angeht. Zum Beispiel baden die Frauen im Badeanzug,
antwortet er auf die diesbezügliche Frage.
Wir fahren durch "die neue
Stadt", la nouvelle ville. Sie wurde zur Zeit des französischen
Protektorates erbaut, zwischen 1912 und 1956. Wie ich im Reiseführer lese,
nach dem Vorbild von Marseille. Links ist ein Friedhof zu erkennen, mit Palmen.
"Es leben auch viele Christen hier", informiert uns Mohamed.
Rechts Slums.
Auf jedem der Dächer Satellitenschüsseln.
Dann geht es das Meer
entlang. Nebel, der sich farblich an die schneeweiße Stadt anpasst, auch
hier. Am Strand viele Baustellen. Ein Mc Donalds. Ein Tahiti Beach Club.
Wir steigen aus, ein kleiner Spaziergang auf der breiten Strandpromenade.
Ausgedehnte Badelandschaften mit Bassins und Terrassen voll Liegestühlen
sind vorgelagert. Der Atlantik selbst ist sicher zu heftig zum Schwimmen. Alles
fast menschenleer. Leider, leider, ist das Meer, das wir bei der Moschee Hassan
II kurz aufblitzen sahen, noch immer von dichtem Dunst verhangen.
Wären wir allein, wir würden hier sitzen bleiben, in einem der
Strandcafes, und warten, bis die Sonne wieder scheint und das Meer seine blaue
Farbe zurück gewinnt.
Casablanca ist eine industrielle Stadt, so
Mohamed. Mit dem Bus gleiten wir durch ein Viertel, in dem Reiche wohnen. "Ein
Quadratmeter Grund kostet 20 000 bis 25 000 DH - das sind zirka 2000 bis 2500
Euro."
Nur Einfamilienhäuser. Prächtige weiße Villen,
wunderbare Blumen. Hibiskushecken, Trompetenbäume, Bougainvilleas. Und
natürlich Palmen.
Jetzt Mittelschicht-Gegend, Büros.
Blühender Oleander. Elektronische Werbetafeln.
"In Marokko gibt es
zwei große Welten", sagt Mohamed: "Die Königsstädte, die wir
zuerst besichtigen. Nach dem dritten Tag sehen wir nur Landschaft."
Alles
ist arabisch und französisch angeschrieben, sehr dankenswert! Aber ich
habe kein Französisch-Wörterbuch mit!
"Französisch ist
Amtssprache. Die Kinder müssen Französisch in der Schule lernen."
Wir passieren moderne Hochhäuser mit viel Glas. In der Mitte der
Straße Ficus Benjamin- Bäume. Und Jacarandabäume mit lila
Blüten.
"Obwohl alles chaotisch ist, funktioniert alles. Alles
funktioniert nach dem Prinzip Inschallah, so Gott will", erklärt uns
Mohamed angesichts der turbulenten Straßenszenen.
Er lehrt uns "Guten
Morgen", "Sebah el kheir", wird aber ausgesprochen wie "Sabach il chia".
"Danke" heißt "chukran".
Jetzt scheint wieder die Sonne. Wir
fahren an einem Park vorbei. Häuserfronten im französischen Baustil,
weiß, mit kleinen Balkonen und schmiedeisernen Gittern. Schließlich
Place Mohammed V. mit Gerichtshof, Post und Nationalbank, die Gebäude alle
im kolonialen Stil. Fotostop.
Nun liegt zu unserer linken Seite die
Altstadt. Sie ist von einer roten Mauer umgeben. Wir fahren an ihr vorbei.
Bankomaten sehen wir, ein Gebäude von Maroc Telecom.
Pause
auf einem Markt. Mohamed sagt, wir sollen uns Brot und Käse kaufen, als
Mittagsjause. Unsere Reisebegleiterin und wir beschließen jedoch, eine
Kleinigkeit in einem Lokal zu essen. Wir bestaunen fotografierend die
Überfülle an Lebensmitteln, die hier geboten wird. Fische, Fleisch,
alle Gemüsesorten, die man sich denken kann, Olivenkörbe. (Gerade ist
Olivenernte, haben wir gehört). Obst, Blumen.
Wir kaufen zwei Bananen, das
ist alles. Die Bananen schmecken hier viel süßer als in Wien.
Der Reiseleiter, ein etwa 50jähriger schlanker Mann, trägt heute
das marokkanische Nationalgewand, die Djellabah, ein weißes Kleid mit
Kapuze. "Es soll mit der Hand genäht werden", sagt er. Vier bis fünf
Tage brauche man, um eine Djellabah zu nähen. "Einen Kaftan tragen nur die
Frauen und nur zu Hause". Außer Haus tragen auch die meisten Frauen das
lose lange Gewand mit der Kapuze.
Mohamed erklärt, dass der
Schleier hier für Frauen untypisch sei, wir sehen aber gerade
verschleierte Frauen. "Ältere Damen tragen ihn", so Mohamed. Zum Schutz
vor Grabschern.
"Bei uns Grabscher haben wir genug". Als Mohamed merkt,
dass wir etwas bestürzt sind, weil er das so leichthin sagt, fügt er
hinzu: "Nicht erlaubt, aber schon gewohnt."
Beim Hinausfahren aus
Casablanca passieren wir soziale Wohnsiedlungen.
Wir kommen zu einer
Autobahn-Mautstation. "Private PKWs zahlen bis Rabat 2,10 Euro:"
Die
Autobahn bringt uns in einiger Entfernung vom Meer, aber so nahe, dass wir es
noch manchmal blau aufleuchten sehen, nach Rabat, der ersten "Königsstadt"
auf unserer Reise und der heutigen Hauptstadt des Landes.
Zuvor noch
Rast an einer Autobahnstation. Mohamed hat sich vom Markt ein gebratenes
Hühnchen mitgenommen und der hiesige Wirt teilt es für ihn, den
Chauffeur und den Busbegleiter. Wir verziehen uns nicht, wie er es
wünscht, in den Park hinter den kleinen Gaststätten, sondern eifern
dem mitreisenden Ehepaar B. nach und bestellen uns eine Tagine mit Gemüse
und Fleisch. Dieses Essen ist typisch marokkanisch. Es wird in einem runden,
aus gebranntem Lehm gefertigten Gefäß portionsweise über dem
offenen Feuer geschmort. Der Teller ist mit einem kegelförmigen Deckel,
der das Typische dieses Gefäßes ist, bedeckt. Wir sitzen auf einer
schattigen Terrasse und freuen uns über diesen einheimischen Genuss. Auch
der Kaffee schmeckt stark und gut.
Rabat ist seit 1912 Hauptstadt von
Marokko. Seit in diesem Jahr die Protektoratsverträge mit Frankreich in
Kraft traten. Mit seiner Schwesterstadt Salé gemeinsam hat es eine
Bevölkerung von 1,5 Millionen Menschen. Die beiden Städte werden vom
Fluss Qued Bou Regreg getrennt, der hier in den Atlantik mündet.
Wir
fahren durch ein Viertel mit Ministerien. Der Palastbezirk ist von einer roten
Mauer umgeben. Auf dem weiten Platz vor dem Königspalast verlassen wir den
Bus. Wir spazieren zum Eingangstor des Palais Royal, der Hauptresidenz des
jungen Königs Mohamed VI, der vor zehn Jahren seinem Vater Hassan II auf
den Thron gefolgt ist. Alle zwei Stunden lösen sich hier die
königlichen Palastwachen ab, aber das fällt nicht in die
Viertelstunde, in der wir hier verweilen. Mohamed berichtet uns, dass der
König derzeit in Agadir sei und dass er, wie sein Vater, immer mit einer
Begleitung von 2000 bis 3000 Menschen reise. Ich überlege, wie so viele
Leute auf einmal befördert werden können!
Anschließend
fahren wir mit dem Bus zur Meriniden-Grabstätte Chellah, wo es auch
römische Fundamente der antiken Siedlungsstätte Sala gibt. Die
Türme sieht man vom Königspalast aus. In der überaus
wechselhaften Geschichte Marokkos waren die Meriniden, die zum Nomadenstamm der
Zenata-Berber gehörten, vom 13. bis zum Anfang des 16. Jahrhunderts von
Bedeutung. Ab 1269 beherrschte beherrschten sie das gesamte Land und machten
Fès zu ihrer Hauptstadt.
Diese Grabstätte und Ruinen einer
Medrese gruppieren sich malerisch an einem Abhang in Richtung Fluss mit Blick
auf die am Hügel gegenüber liegende Stadt Salé. Der halb
verwilderte Park gleicht einem botanischen Garten mit südlichem Pflanzen-
und Blütenreichtum. Die weißen Glocken der Engelstrompeten,
knallblaue Prachtwinden, tiefrote Hibiskusblüten, goldene
Wandelröschen und viele andere Pflanzen, auch Orangenbäume!
Auf
dem Minarett ein Storchennest samt Störchen als malerisches Fotomotiv. Und
am Boden allüberall Katzen und wieder Katzen, die überraschend gut
aussehen, keineswegs die abgemagerten Katzen von Orientreisen früherer
Jahrzehnte.
"Jetzt ist die Zeit, in der die Störche von Europa nach
Marokko kommen.", hat uns Mohamed informiert, und tatsächlich flattern
viele durch den wunderschönen blauen Himmel.
Als wir zum Bus
zurückgehen, ein malerisches Bild: Vor uns der blaue Fluss, jenseits davon
die weiße Stadt Salé und darüber spannt sich der
durchsichtige Himmel. "Unwirklich schön", sagt Hans.
Dann fahren
wir in Richtung Mausoleum Mohamed V.
Unser Bus steht im Stau bei der
Französischen Schule. Stau, weil die Eltern die Kinder gerade von der
Ecole Francaise "André Chénier" abholen. "Sicher alles Kinder von
reichen Leuten", sagt Mohamed. Nach dem Abschluss studieren viele der
Schüler und Schülerinnen in Frankreich. Mütter und Väter
eilen mit ihren Sprösslingen auf dem Gehsteig oder sitzen in ihren Autos.
Auch Frauen sehe ich an den Lenkrädern. Unter den Müttern viele, die
westlich gekleidet sind und die Haare frei tragen. Eine schöne schwarze
Frau wagt sogar ein T-Shirt mit Spagettiträgern.
Wir kommen nur im
Schritttempo voran, passieren die Englische Botschaft, die nächste Schule,
ebenfalls eine Privatschule, wenn auch eine marokkanische. Mohamed sagt zu, uns
irgendwann einmal etwas über das marokkanische Schulsystem zu
erzählen.
Das Mausoleum für Mohamed V, den ersten König des
unabhängigen Marokko ab 1956, in dem auch Hassan II begraben ist, blendet
wenig überraschend durch große Pracht, vor allem die Decke
begeistert uns. In unmittelbarer Nachbarschaft befindet sich der Hassan-Turm,
nach dessen Vorbild auch die Minarette der Moscheen von Marrakesch und Sevilla
erbaut wurden. Der Turm gehört zu einer unvollendeten Moschee aus dem 12.
Jahrhundert, die auch durch einen Wald an Säulenstümpfen angedeutet
ist. Übrigens hat uns Mohamed erzählt, dass in Marokko die Minarette
viereckig sind, nicht rund wie in den übrigen islamischen Ländern.
Wir wandern bis zum Abhang, um den schönen Blick auf Fluss und
Salé zu erhaschen. Alles ist in goldenes Spätnachmittagslicht
getaucht.
Im Bus kündigt Mohamed an, dass wir nun zur Kasbah des
Oudaias fahren, die die Altstadt, die Medina überragt, und dort
marokkanischen Pfefferminztee trinken können, der sehr stark
gesüßt wird. "Die Marokkaner konsumieren 36 bis 40 Kilogramm Zucker
im Jahr". (Ich weiß nicht, wie viel die Österreicher konsumieren! Im
Internet finde ich nur einen Beitrag aus dem Jahr 1951, damals konsumierten wir
24 Kilogramm Zucker).
Eine für unsere Gruppenreise ungewöhnlich
lange halbe Stunde gewährt uns Mohamed im Café Maure, das auf einer
Terrasse der Kasbah schon zwischen 1915 und 1918 erbaut wurde. Wir sitzen vor
unserem picksüßen Tee mit den Pfefferminzblättern und verlieren
uns in der romantischen Umgebung, Flussmündung, über die kleine Boote
schiffen, von hellblau bis rosa changierender Abendhimmel. Und zwischen den
alten Bauten wieder die exotische Blütenpracht.
Danach steigen wir
durch die engen Gassen der Kasbah, die eine Art Burganlage ist, hinauf und zum
Bus zurück.
Das Hotel Rihab macht einen schlechten ersten
Eindruck auf mich, weil das Zimmer nicht gut geputzt ist. Allerdings ist das
Frühstück am folgenden Morgen das beste auf unserer Reise!
Nach dem Essen, zu dem wir gemeinsam mit dem Ehepaar B. eine Flasche
marokkanischen Rotwein trinken, sitzen wir mit 15 anderen Österreichern
unserer Gruppe auf der mondbeschienenen Terrasse und trinken Schnaps, den eine
der Reiseteilnehmerinnen in einem Duty Free Shop am Flughafen Frankfurt gekauft
hatte. Zu diesem Zweck annektieren unsere Mitreisenden alle Sessel und auch
alle Gläser der Bar. Französische Gäste zeigten deutlich ihren
Ärger!
In der Nacht schrecke ich wegen großen Gepolters
auf. Vom Fenster aus sehe ich, dass neben dem kleinen Platz mit den zwei Palmen
ein Müllwagen mit laufendem Motor dröhnt, zwei Müllmänner,
mindestens ebenso gut wie in Wien ausstaffiert, leeren einige große
Müllcontainer in rasender Eile mitten auf dem Platz auf die Straße
und sammeln dann wieder einen Teil des Drecks ein, um ihn in den Müllwagen
zu schütten. Auf der Straße einige Gestalten, Männer und Frauen
in langen Gewändern, die sich am Müll betätigen. Der
Müllwagen braust davon, nachdem alle Container so behandelt wurden, die
Leute beschäftigen sich noch auf der Straße. Ich rätsle, was da
vor sich geht. Erst am nächsten Morgen erfasse ich, dass wahrscheinlich
arme Leute sich auf diese Weise an dem Teil des Mülls bedienen
können, der noch nützlich für sie ist.