Es ist sechs Uhr früh.
Morgendämmerung. Vor kurzem ist die "Weihnachtsbeleuchtung" auf dem
Boulevard erloschen und fast gleichzeitig damit haben sich in den Palmen im
Park die Vogelstimmen erhoben. Eine ganze Wolke aus Vogelgezwitscher liegt
darüber und tönt ins Hotelzimmer herein. Der Himmel ist schon
lichtblau und die Sterne sind verblasst.
Auf dem breiten Boulevard rauschen
nur wenige Autos. Bald wird es ein ohrenbetäubender Lärm sein. Heute
ist um halb acht Uhr Abreise. Es geht 500 km in den Süden.
Im
Bus. Unser neuer Reiseführer heißt Said, das bedeutet Felix bei uns,
sagt er. Er ist groß und schlank, mit Bart, und 55 Jahre alt, wie er
preisgibt. Said stellt uns nochmals den Fahrer vor, Hafid, einen bulligen Mann
mittleren Alters, der in den Fahrpausen mit einer Zigarette vor dem Bus steht,
und den Beifahrer Rachid. Letzterer ist ein magerer junger Mann mit
Schildmütze, zuständig für die Sauberkeit des Busses. Er hat
unsere Sachen, die im Bus liegen bleiben können, zu bewachen und steht
für diverse andere Dienst zur Verfügung, zum Beispiel sorgt er
dafür, dass während der Fahrt immer Flaschen mit Mineralwasser zur
Hand sind. Mohamed hat uns sofort nach unserer Ankunft davor gewarnt, anderes
Wasser als Mineralwasser zu trinken.
Said erklärt uns nun, dass wir
heute 500 Kilometer in den Süden fahren, es ist die längste
Busstrecke auf dieser Reise, die wir an einem Tag zu bewältigen haben. Wir
werden den Mittleren Atlas und den Hohen Atlas überqueren, bis zum
Antiatlas kommen und dabei zwei Pässe passieren, die um die 2000 Meter
hoch sind. Dann lehrt uns Said das Wort, das "Wacha" ausgesprochen wird. Es
heißt "Ok". Außerdem begrüßt er uns mit "Salem aleikum"
und lehrt uns als Antwort "Aleikum Salam".
Im Unterschied zu Mohamed lacht
Said und macht ab und zu einen Scherz, um die Stimmung aufzulockern. Ich
notiere mir, was er während der Fahrt erzählt.
Said sagt, der
höchste Berg Marokkos sei der Berg Toubkal im Hohen Atlas, 4165 Metern
Seehöhe, der sich in der Nähe von Marrakesch befindet. 500 Kilometer
Küste habe Marokko am Mittelmeer und 3000 Kilometer am Atlantik. 30
Prozent des Landes nehme die Sahara ein. Wahrscheinlich rechnet er das
Territorium Westsahara dazu, dessen politischer Status seit einem
Waffenstillstand 1991 zwischen Marokko und den Polisario, der ursprünglich
kommunistisch orientierten "Befreiungsfront" der Sahrauis (der Bevölkerung
der Westsahara) ungeklärt ist. Das von den Vereinten Nationen verlangte
Referendum über den endgültigen Status des 266 000 km2 großen
Gebietes mit zirka 400 000 Einwohnern wurde bisher noch nicht
durchgeführt. Die Polisario haben bereits 1976 die Demokratische Arabische
Republik Sahara ausgerufen, die Marokko aber nicht anerkennt. Marokko hat
seinerseits 1976 den Großteil des Gebietes annektiert. Die Vereinten
Nationen erkennen vor Abhaltung des Referendums weder die Annexion noch den
Staat Westsahara an.
Said und auch Mohamed haben dieses Kapitel je
erwähnt, und von uns hat auch niemand gefragt. Ich las im
Reiseführer, dass man dieses Thema mit Marokkanern vermeiden solle, wie
auch Kritik am Königshaus, an der Stellung der Frau, am Islam
Und
außerdem solle man nie sagen, man sei ohne Religion.
Die Marokkaner
seien ein junges Volk, erzählt Said weiter, über 60 Prozent der
Bevölkerung sei unter 50 Jahren. Marokko habe 13 Häfen und 15
Flughäfen. Und nach der Unabhängigkeit habe man über 100
Stauseen erbaut. Der zweitgrößte Stausee von Afrika - nach dem
Nasser-Stausee in Ägypten - sei eine Stunde von Fès entfernt. Ein
Haupterwerb der Marokkaner sei die Landwirtschaft, und für die
Bewässerung spielten die Stauseen eine wichtige Rolle.
Wir
überqueren eine große Ebene mit Olivenplantagen. Auch einen
Golfplatz passieren wir. Vor uns taucht der Mittlere Atlas auf.
Said
erzählt uns nun auch, dass es zwischen Berbern, der sogenannten
Urbevölkerung, und den Arabern keine Probleme gebe. Aber die diversen
Berberstämme hätten Probleme untereinander. Es gebe verschiedene
Berberdialekte der Berber im Rif-Gebirge am Mittelmeer und im Hochatlas.
Standard sei die Berbersprache des Mittelatlas. Heute werde die Berbersprache
wieder gefördert und es werden TV- und Radiosendungen in der Berbersprache
ausgestrahlt. Im Süden überwiege der Anteil der Berber an der
Bevölkerung.
Langsam steigt die Straße an. Das Gebiet ist
bekannt für seine Apfelplantagen. Delizius nennt Said die Sorte, die hier
wächst. Von der Straße weg erstrecken sich Pinienwälder. Bald
kommen wir nach Imouzzèr-du-Kandar, eine Urlaubsstadt, die von den
Franzosen gegründet wurde. Auch Firmen und Administrationen hätten
hier Ferienhäuser.
Der Mittelatlas sei ein Wasserreservoir für
Marokko, erzählt Said weiter. Es gebe sehr viele Wildschweine hier und
weiße Trüffel. Hauptsächlich wachsen Steineichen hier.
An
einem schönen, heute an einem Wochentag stillen See in den Bergen, machen
wir eine kurze Rast. Hans nimmt ihn in Besitz, indem er wie überall an
Gewässern flache Steine auf der Oberfläche tanzen lässt. Auf
Deutsch übersetzt heißt dieser Lieblingssee von Said
"Möwensee". Er liegt 1300 Meter hoch. Im Umkreis von 50 Kilometern gebe es
hier mehr als 15 Seen.
Die Fahrt im Bus nützt Said, um uns ein
bisschen etwas über das Schulsystem zu erzählen. Schulpflicht
herrsche von sechs bis 14, 15 Jahren, und zwar für Buben und Mädchen.
Weil es in den Städten zu wenig Schulen gebe, werde der Unterricht
geteilt. Eine Gruppe geht von acht bis zehn Uhr, die zweite Gruppe von zehn bis
ein Uhr, die erste wieder von eins bis vier, und die zweite von vier bis sechs.
Deshalb sah ich also Kinder um zirka halb elf Uhr mit Schultaschen auf der
Straße. Im ersten Jahr ist der Unterricht auf Arabisch. Aber ab dem
zweiten Jahr ist die Unterrichtssprache den halben Tag Arabisch und den halben
Tag Französisch. 80 Prozent der Marokkaner sprechen Französisch. Vor
allem in der Wirtschaft und der Administration werde Französisch
verwendet. Mit 12 Jahren sei die Grundschule zu Ende, mit 18 Jahren mache man
das Abitur. Danach kommt die Universität. Said berichtet, dass seine
Tochter spanische Literatur studiere und dieses Jahr ihren Magister mache. Die
staatlichen Schulen kosten nichts. Man zahle nur eine Versicherung und den
Elternverein. Aber es gibt auch Privatschulen mit einem total anderen System
für die Mittelklasse und Reiche. Er habe vier Kinder und könne sich
nur die öffentliche Schule leisten. Privatschulen kosten zwischen 30 und
50 Euro monatlich, das Gymnasium bis 100 oder 120 Euro pro Monat.
Nun
fahren wir auf einem Hochplateau, auf dem im Winter sehr viel Schnee
fällt. Die Stadt Ifrane liegt 1600 Meter hoch. Hier habe es eine Schlacht
der Berber gegen die Franzosen gegeben. Ifrane sei die einzige Stadt in
Marokko, die das ganze Jahr grün sei. Natürlich gibt es auch hier
einen Königspalast. Kastanienbäume, aber vor allem Zedernwälder
bedecken die Bergkuppen. Zedern, berichtet Said, wachsen bis über 3000
Meter Seehöhe und werden 50 Meter und höher. Der älteste Baum
war 851 Jahre alt. Teer aus Zedern werde zum Schutz vor Skorpionen und
Schlangen verwendet.
Das Gebiet ist ein Paradies für Schafe, erfahren
wir, und tatsächlich sehen wir aus dem Bus viele viele Schafherden. Die
Schafe haben die Farbe der Landschaft. Die nomadische Bevölkerung sei mit
den Schafen immer dorthin gezogen, wo es Wasser und Nahrung für die Tiere
gab. Das Land gehöre dem Staat und die Schafe können überall
grasen.
Nun sind wir schon fast auf 2000 Meter und haben auch eine
Wintersportstation hinter uns gelassen.
Said kommt wieder auf die
Hauptertragszweige Marokkos zurück. Marokko besitzt etwa zwei Drittel der
Weltreserven an Phosphat, und das Land ist der weltweit größte
Phosphatexporteur. Das lese ich im Reiseführer, ebenso wie die Tatsache,
dass die wichtigen Abbaugebiete in der West-Sahara liegen. Außerdem
vermutet man dort Vorkommen von Erdöl und Erdgas. Weiters werden in
Marokko Kupfer, Kobalt, Magnesium, Silber und Quecksilber abgebaut, sagt Said,
und ein bisschen Gold.
Wir sitzen sehr gemütlich im Bus, denn wir sind
nur zwanzig, und jeder und jede hat eine Sitzbank für sich allein.
Während ich auf die vorbei gleitende Landschaft schaue und oft nicht ganz
verstehe, was Said vorne sagt, horche ich nun auf, denn er spricht von der
Klitorisbeschneidung. "Die gibt es in Marokko nicht", sagt er. Buben
würden aber zwischen ein und drei Jahren aus hygienischen Gründen
beschnitten.
Derzeit bewegen wir uns auf einem Hochplateau auf 1900
Meter Seehöhe, es ist begrenzt von grün bewachsenen noch höheren
Bergen. Schwarz-weiß gefleckte Kühe weiden, Schafherden. Neben der
Straße ein Esel. Said erklärt, dass die Besitzer dieser
alleinstehenden Esel Bauern seien, die auf ihren Tieren bis zur Straße
reiten, dann per Bus oder Taxi einkaufen fahren. Viele LKWs mit Äpfeln
begegnen uns. Gerade ist Apfelernte. Die Stadt Midelt habe angefangen, vor 25
Jahren Äpfel zu züchten, mittels eines Bewässerungssystems mit
Tropfen. Um diese Jahreszeit feiere man Apfelfeste und "Miss Apfel" wird
gewählt. Es sei eine Kultur geworden in Marokko, Miss Dattel, Miss
Mandarine oder Miss Mandel zu küren. Die Missen seien Mädchen
zwischen 17 und 25 Jahren.
Der erste Pass unserer Reise, der Col du
Zad, 2178 Meter Hoch. Natürlich ein Fotostop.
Später bittet Said,
dass wir beim Mittagessen Futter für wilde Hunde mitnehmen, Hunde
würden von LKW-Fahrern und Busfahrern gefüttert. Und das, obwohl
Hunde im Islam als unrein gesehen werden. "Man glaubt, wenn ein Hund im Haus
ist, kommen keine Engel", verstehe ich, Hans meint, es handle sich um Enkel.
Weiter geht unsere Fahrt auf einem Hochplateau. Sehr karge Landschaft. Ab
und zu Häuser, die fensterlose niedrige Kuben aus Ziegeln sind. Wir
passieren die Stadt Zeida.
Mittagessen in einer Kasbah, einer Art Burg.
Wieder schöne Innenräume, geflieste bunte Wände, Innenhöfe,
Polstersofas. Die Toilette steht auch auf Japanisch angeschrieben. Und schon
kommt ein Bus mit Japanern angefahren. Die Preise sind überall
landesunüblich hoch, wie ich vermute. Nicht viel billiger als bei uns. Und
bei jedem Toilettenbesuch, auch in Restaurants, ist ein Bakschisch für die
Kloverantwortliche fällig. Es sind fast immer junge Frauen mit Kopftuch
und langem Kleid, manchmal hat ein Mann diese Position inne.
Wir befinden
uns in der Stadt Midelt, 1450 Meter hoch gelegen, inmitten einer heißen
wüstenähnlichen gelbbraunen Landschaft. Vor kurzem hat ein Gewitter
bewirkt, dass der Fluss die Brücke niederriß. Eine Umleitung
führt über staubige trockene Straßen ohne Asphalt.
Weiterfahrt. Aufstieg zum Hohen Atlas. An den Straßen wachsen
Menthol, Rosmarin, Thymian und ein Gras, das Said "Halva" nennt und die Erosion
hintan hält. Die Strecke ist nun sehr kurvig und Hafid fährt ziemlich
schneidig. Weihrauchbäume, Tujenbäume, Schafe, am Straßenrand
Kinder, die Honig in Cola-Flaschen verkaufen. "Ein Kilo kostet bis 50 Dirham",
so Said. Außerdem sagt er, dass die Kinder der Nomaden, die hier leben,
oft nicht zur Schule gehen. "Aber jetzt gibt es schon Mobilschulen".
Der
nächste Pass, N´zala heißt er. Dann Zypressenaufforstungen
gegen die Erosion.
Bergketten und Ebenen, Bergketten und Ebenen,
Olivenhaine. Noch keine Palmen, denn die gibt es erst unter 1200 Metern,
erfahren wir. Derzeit bewegen wir uns auf 1300 Metern.
Nun taucht der Fluss
Ziz auf, der uns bis Erfoud begleitet und nach dem auch die wunderschöne
Oase heißt. Vorerst aber noch wüstenhafte heftige Landschaft mit
schroffen Feldswänden und Berge mit flachen Kuppen, die den blauen Fluss
begleiten. Darüber blauer Himmel. Am Tunnel der Legionäre steigen wir
aus, um die spektakuläre Gegend zu bewundern. Überall, wo wir
anhalten, lösen sich sofort einige Kinder aus der Landschaft und eilen
herbei.
Hier bieten sie uns Kamele an, geflochten aus Palmenblättern (?).
Wir kaufen natürlich eines von einem hübschen Buben.
Weiter geht
die Fahrt, durch die schroffen roten Felsen der Ziz-Schlucht, vorbei an einem
traumartig in der gelben Wüste leuchtenden blauen Stausee - eine einsame
Palme steht im Wasser.
Wir erreichen Er-Rachidia, eine rosa Stadt in der
Wüste. Said erklärt, dass alle Städte im Süden in Ocker
gehalten seien, statt in Weiß, wobei ich die Bezeichnung "Ocker" nicht
verstehe, denn tatsächlich ist die Farbe ein deutliches Rosa. Said bringt
den Begriff des "Ksar" ins Spiel und erklärt, das seien Wohngebiete einer
Familie, die im Laufe der Zeit sehr groß werden können und mit einer
Mauer umgeben sind. In Wikipedia lese ich, dass man als Ksar traditionelle
befestigte Siedlungen der Berber bezeichnet, die oft an den traditionellen
Karawanenstraßen durch die Sahara liegen und als Wohnsiedlung,
Handelsposten und religiöses Zentrum dienen. Sie werden von
Verteidigungsmauern umschlossen.
Die Hälfte der Einwohner von
Er-Rachidia seien beim Militär, sagt Said. Die Gegend sei touristisch noch
nicht sehr "exploitiert", aber man bemühe sich, Fremdenverkehr auch
hierher zu bringen. Den internationalen Flughafen von Er-Rachidia hätten
die Saudis erbaut, die zur Jagd anreisen, mit allem Drum und Dran, sogar mit
eigenen Toiletten. Es ist alles hier, in dieser Stadt, wir passieren eine
Krankenhaus, ein Fussballstadium, eine Agrikulturschule. Die kleinen Taxis sind
blau, die großen, Mercedes, fassen sieben Personen.
In der ganzen
Gegend kommen sehr viele Schlangen und Skorpione vor, erzählt Said auch.
Die Blaue Quelle von Meski, eine in der Karte eingezeichnete
Sehenswürdigkeit, lassen wir links liegen, wohl aus Zeitgründen, denn
wir sollten um vier Uhr in Erfoud sein, um rechtzeitig unser
Wüstenerlebnis zu starten.
Einen Halt muss es aber noch geben, bei der
Oase von Ziz. Ich habe noch nie eine Oase gesehen. Sattgrün und breit
windet sie sich durch ein orangerotes Felsental. Wir sehen von oben die
Palmwipfel. Dattelpalmen. Gerade ist Dattelernte. 43 Arten von Datteln kenne
man, so Said. Aber auch Feigen, Aprikosen und Pfirsiche wachsen in der Oase,
wenn auch kleiner als sonstwo. Die sattgrüne Vegetation, zwischen den
Palmen leuchten auch Felder herauf, wird von niedrigen rosa Häusern
begleitet. Auf den Dächern trocknen Früchte, die wir nicht erkennen
können. An den Ufern des Flusses blühende Tamarisken.
Als wir
wieder einsteigen, fahren wir an der Oase entlang, rechts aus dem Busfenster
Wüste und Berge. Bald tauchen die Hotels und Palmen von Erfoud auf, einem
Ort, der von den Franzosen als Militärgarnison gegründet wurde und
ein Zentrum des Tafilalet ist, wie die Oasenlandschaft heißt.
Das
Gebiet des Tafilalet umfasst 30 Kilometer in Nord-Süd-Richtung und 5 bis
15 km in Ost-West-Richtung und ist eine der historisch bedeutendsten Regionen
von Marokko. 757 nach Chr., vor Fès, wurde hier das sagenhafte
Sijilmassa gegründet, die alte Hauptstadt des Tafilalet. Diese Stadt wurde
eines der wichtigsten Zentren des Karawanenhandels. Besonders der Sklavenhandel
mit Timbuktu war bedeutsam. Das Tafilalet ist auch das Stammland der Alaouiten,
der bis heute herrschenden Dynastie. Sie eroberten ab der Mitte des 17.
Jahrhundert ganz Marokko. Im 19. Jahrhundert verlor der Transsahara-Handel
seine Bedeutung und damit das Tafilalet seine wirtschaftliche Bedeutung. Der
Widerstand gegen die Franzosen war hier besonders groß. Heute, lese ich
im Reiseführer weiter, ist die Region von Landflucht betroffen. Die
Bevölkerung nimmt dramatisch ab, die Flüsse führen immer weniger
Wasser, die Brunnen versalzen, Versandung droht. Mit Tourismus versucht man,
die einst blühende Gegend wieder zu beleben.
Später, nachts,
dieser Tag war wunderschön. Die landschaftlichen Schönheiten
steigerten sich, je mehr wir in den Süden kamen. Am schönsten war das
Wüstenerlebnis. Wir erreichten gegen halb fünf Uhr das Hotel Palms
Club und hatten es schon sehr eilig, denn die Sonne geht nun einmal vor sechs
Uhr unter. Und wir sollten den Sonnenuntergang auf den Wüstenbergen des
Erg Chebbi erleben, einem der Dünengebiete der nördlichen Sahara, an
der Marokko nur einen geringen Anteil hat. Die vier Landrover warteten schon,
und junge Berber mit Turbanen und langem Gewand, die sich Tuaregs nannten,
versuchten uns, während wir wartend im Auto saßen, bunte Schals zu
verkaufen. Bei mir hatten sie Erfolg. Ich kaufte nach einem lustigen
Handelsgespräch einen dunkelblauen "Tuareg-Schal" um 25 Dirham.
Auch
am Lenkrad saß ein sehr junger Mann in Turban und langem Kleid. Es ging
los. Die erste Hürde war eine Furt über den Fluss Ziz, über die
kniehoch das Wasser brauste. Die Landrover vor uns manövrierten sich schon
hin- und herschlitternd durch. Auf der rechten Seite stürzte die Flut in
ein Gewässer mit uns unbekannter Tiefe. Unser junger Mann lenkte unseren
Landrover so geschickt durch das Hindernis, dass wir applaudierten. Aber die
Rückfahrt, in der Nacht!?
Weiter ein Stück Asphaltstraße,
dann in die gelbe Wüste hinein. Pistenfahrt und im schnellstmöglichen
Tempo, denn die Sonne stand schon bedenklich nahe dem Horizont. Wir und unsere
Reisegefährten flogen nur so durch das Auto. (Von Angurten war keine
Rede). Statt einer Stunde wie angekündigt, brauchten wir so nur eine halbe
Stunde bis zu den rötlich chanchierenden Dünenbergen vor dem
hellblauen Spätnachmittagshimmel. Wie in einem Traum oder im Kino.
Lawrence von Arabien soll in den marokkanischen Dünen gedreht worden sein.
Schon von weitem sahen wir vor den Dünen ein burgartiges Gebäude
(dort könne man einen Kaffee trinken, so Said, der auch mit von der Partie
war) und etwa 20 Landrover aufgefädelt, deren Insassen denselben Wunsch
hatten wie wir und die schon per bereit stehender Kamele die Sandrücken
erklommen hatten. Fast alle Reisegefährten ließen sich von den
Kameltreibern zu einem Ritt bewegen. Wir und wenige andere machten uns zu
Fuß auf den Weg. Aber nur kurz allein. Denn nach wenigen Schritten
stürzten hinter dem nächsten Dünenrücken fünf, sechs
junge Männer in der traditionellen Tracht hervor. Zwei von ihnen waren
für uns zuständig. Wie alle der jungen Männer, die man hier auf
uns ansetzte, waren sie hübsch und manierlich und bedrängten uns
nicht allzu sehr - aber sie ließen uns auch nie allein, bevor wir nicht
zu unserem Auto zurückkehrten. Sie zeigten uns den Weg und versuchten zu
plaudern, fotografierten uns in den Dünen und wollten abschließend
natürlich irgendetwas verkaufen. Als wir ihnen ohne Handel einige Euro in
die Hand drückten, waren sie verstimmt.
Bei der Ankunft stand die
Sonne knapp über dem Horizont. Sie ging schon unter, als wir noch auf
halber Höhe der zirka 150 Meter hohen Dünen waren. Der
Sonnenuntergang war aber nicht das Spektakulärste. Die nachfolgenden
Farbspiele, die Weite, die Stille, die waren das Erlebnis. Wenn auch objektiv
gesehen vielleicht nur ein winziger Zipfel der Sahara, so reichten die
Dünenberge doch bis zum Horizont, der Himmel verfärbte sich rosa und
lila und orange und gelb und auch die ineinander übergehenden Ketten der
Sandberge tauchten in diese Farben. Hans war noch dazu begeistert von der
trockenen Luft, alle seine Nasen- und Bronchienprobleme waren verflogen. Wir
kletterten bis zu unseren ReisegenossInnen, die per Kamel schon vor uns auf der
höchsten Stelle angekommen waren und genossen das kurze Schnuppern an der
Wüstenschönheit in vollen Zügen.
Ein weiterer Höhepunkt
erwartete uns auf der Rückfahrt. Es war bereits vollkommene Nacht. Said
ließ unsere vier Landrover anhalten, um den Sternenhimmel über der
Wüste zu bewundern. Die Milchstraße wand sich breit und glitzernd
über den schwarzen Nachthimmel, alle Sternbilder blinkten zum Greifen
klar. Stille unsererseits wäre jetzt angebracht gewesen, um die Stille in
den Weiten um und über uns zu genießen - mit 20 Reisekollegen aber
leider ein unerfüllbarer Wunsch. "Wir fahren sowieso nochmals und
länger in die Wüste", diesen Beschluss hatten wir längst
gefasst.
Auch die letzte Hürde, die Fahrt durch die Furt,
überstanden wir lebend!