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"Krieg ist etwas Grauenhaftes.
Ich hab immer gesagt, wenn Frauen, Mütter und Bräute
wüßten, wie es den Männern da draußen geht, sie
würden niemanden hinauslassen. Es gäbe keinen Krieg!" Hansi
Nowotny, heute Schwester Johanna Jakob, hat den Krieg in Rußland zwei
Jahre lang in einem deutschen Lazarett miterlebt Ein wenig von den "vielen
interessanten Dingen", die sie am 28.9 1943 Vally Kittel berichtete,
läßt sie an einem heißen Sommernachmittag des Jahres 1986
für mich wieder in ihrem Gedächtnis aufsteigen. Rundherum Gärten
und Bauernhäuser - wir sind in Jesenwang, einer kleinen Gemeinde bei
München. Seit 1944 lebt Hansi Nowotny in Deutschland, weil sie damals in
Österreich keine Arbeit gefunden hat. Im Juni 1943
war sie nach neun Jahren aus Rußland zurückgekehrt. Nachdem sie in
der Zwischenzeit durch die Heirat mit einem deutschen Emigranten, der dann den
stalinistischen Säuberungsprozessen zum Opfer fiel, vorübergehend
Sowjetbürgerin geworden war, mußte sie nun als "Volksdeutsche"
wieder um die reichsdeutsche Staatsbürgerschaft einkommen.
Den Anstoß für das russische Abenteuer hatte
der Bruder
gegeben, der nach dem Februar-Aufstand von 1934 über die Tschechoslowakei
nach Charkow in die Ukraine emigriert war. Hansi folgte ihm, weil sie in Wien
stellenlos war, aber "eigentlich" nicht aus politischen Gründen. Sollte
sie damals eine Vorliebe für den Sozialismus á la Sowjetunion
gehabt haben, so verwandelte sich diese jedenfalls durch das Schicksal ihres
Mannes und seiner Familie ins Gegenteil. Als die Deutschen 1941 Charkow
einnahmen, meldete sie sich bei der Wehrmacht und zog als Schwester im
Feldlazarett der "Kleeblattdivision" durch die Ukraine, erlebte Vormarsch und
Rückschläge, schließlich die Flucht Richtung Heimat. Frau
Jakob: "Im Sommer 1943 hat schon jeder gewußt, was es geschlagen hat, man
konnt' sich's ja ausrechnen - nur, sagen durfte man es nicht!"
Das
Schicksal schien es zu diesem Zeitpunkt mit Toni Kittel gut zu meinen, denn die
Schwerhörigkeit und der Nervenschock, die er nach einem
Granatwerfereinschlag davongetragen hatte, ersparten ihm, den zermürbenden
Rückmarsch der Deutschen mitzumachen. Toni Kittel verbrachte die letzten
eineinhalb Jahre seiner Dienstzeit beim Militär "v.h." zur Verwendung in
der Heimat, zuerst in Mistelbach, wo sein Regiment beheimatet war, dann im
Lager Steinberg nördlich von Wien. Valerie: "Sie haben das
Erdölgebiet bewachen müssen." Allerdings
muß Toni sich Ende September 1944 neuerlich eine Erkrankung der Beine
zugezogen haben, denn am 19.12 schrieb er: "Mein Fuß heilt sehr
schön ... " In den Notizbüchern Vallys, die für die Periode
Herbst 1943 bis Frühjahr 1945 als Erinnerungsstützen herangezogen
worden sind, liest man von "Besuchen im Lazarett". Auch relativ häuftge
Besuche zu Hause und Urlaube scheinen auf. Im Februar landete Toni
schließlich wieder in Znaim, und der Kreis schließt sich.
Die Endphase des Krieges bedeuteten eineinhalb Jahre der Angst und der
Hoffnung, wobei die Angst Tag für Tag durch tatsächliche Vorkommnisse
genährt wurde, die Hoffnung aber nur als Wunschbild zum Durchhalten
diente. Da war einmal die Angst vor dem Starrsinn und
dem zunehmenden Wahnsinn der "eigenen" Seite, der nationalsozialistischen
Führungsgarnitur. Die von Toni Kittel so bewunderte Stadt
Breslau fiel
diesem Starrsinn zum Opfer. Hitler erklärte sie zur "Festung", ließ
Frauen und Kinder evakuieren und gab die Stadt dem Angriff preis.
Die Verfolgung der politischen Gegner wurde immer
hektischer, je größer ihre Zahl wurde. Im Februar 1945 führte
man im Reichsgau Wien die
Standgerichtsbarkeit
ein, und zwar, um "Pflichtvergessene für alle Straftaten, die die deutsche
Kampfkraft und Kampfentschlossenheit gefährden" zu bestrafen. Damit wollte
man in erster Linie dem zunehmenden Trend zum Desertieren entgegentreten.
Im Oktober des Vorjahres hatte man bereits den
Volkssturm
geschaffen. 16- bis 60jährige Männer sollten im letzten Aufgebot in
die verlorene Schlacht geworfen werden. Wer konnte, drückte sich davor.
Ernst Holzfeind trieb einen Arzt auf, der ihm sein Bein von oben bis unten in
Gips legte. Hilde Uhlir ergriff für ihren Mann die Initiative: "Ich bin
mit ihm hinein in das Gymnasium in der Astgasse, wo er sich zum Volkssturm
melden mußte. Ich hab ihm den Rucksack getragen. Dort haben sie zu mir
gesagt: ,Ja, was tun denn Sie da?' Ich hab gesagt: ' Mein Mann ist krank, ich
muß sehen, wo ich den Rucksack hinstellen kann.' Daraufhin wurde er zum
Arzt geschickt, und die Aufregung, alles hat mitgespielt ... auf jeden Fall war
seine Narbe von der Magenoperation rot entzündet, und sie haben ihn wieder
nach Hause geschickt." Die zweite Quelle der Angst waren
die Bombenangriffe
der westlichen Alliierten. Den ersten Bombenschock in Österreich erlitt
Wiener Neustadt Mitte August 1943, Valerie Kittel erwähnte den Angriff in
ihren Briefen. Der erste Angriff auf Wien ging Mitte April 1944 nieder.
Insgesamt erlebten die Wiener 101 Fliegeralarme und bebten unter 52
Bombardierungen. 8769 Menschen starben. Der erste
Angriff auf die Innere Stadt erfolgte an dem für Vally so
schicksalschweren 10. September 1944. Auch Vallys Freund Otto Kudernatsch
mußte dabei sein Leben lassen. "Er war ein absoluter Gegner der Nazi,
schon wegen seiner ersten Frau, die Jüdin war, sie ist gestorben, und weil
die Tochter Helli als Mischling allerhand Nachteile zu spüren hatte",
erzählt Valerie Kittel. "Otto hat jeden Luftangriff sozusagen
begrüßt, weil das für ihn ein Zeichen war, daß die
Nazi-Herrschaft bald einmal zu Ende gehen würde. Franzi, seine zweite
Frau, hat gesagt, daß er bei Bombenalarm immer am Fenster gestanden ist
und freudig erregt gesagt hat: 'Schau, da kommen schon wieder Flieger!'
Irgendwie ging in Wien das Gerücht um, man wird uns verschonen mit
Bombenangriffen. Kurz und gut, die Flieger sind gekommen. Helli ist schon
voraus in den Keller. Franzi ist noch bis zur Stiege des 4. Stockes gelaufen
und hat immer gerufen: 'Otto, Otto, komm endlich!' Währenddessen hat eine
Bombe das Haus getroffen, es ist eingestürzt, er mit hinunter, in den
Lichthof, dort hat man ihn nach Tagen gefunden. Seine Frau ist gerade beim
Beginn des Stiegenhauses im vierten Stock gestanden, das ganze Stiegenhaus ist
hinuntergefallen, und sie ist Stunden dort oben gesessen, bis man sie befreien
konnte. Im Mai 1945 hat sie ein Mädchen zur Welt gebracht; als Otto starb,
haben weder sie noch er gewußt, daß sie schwanger ist."
Nun ging es mit den Bombenangriffen erst richtig los.
Vallys Notizbuch verzeichnete bald auch die Sensation, wenn einmal kein Alarm
sie in der Nacht aufschreckte. Am 21. 2. 1945 liest man
dort: "Schwerster Luftangriff auf Wien. Fast alle Bezirke, auch der 13. und 14.
Zu Fuß nach Hause. Abends kein Licht. Herma bei mir im Bett geschlafen."
Der 14. Bezirk, früher Hietzing, ab 1938 Penzing, Vallys Heimatbezirk,
blieb ansonsten von Bomben weitgehend verschont. Die Folgen der Bombenangriffe
bedeuteten ein Chaos im alltäglichen und öffentlichen Leben:
Straßenbahnen konnten nicht mehr fahren, Strom fiel aus, die
Wasserleitungen waren kaputt. Man mußte weite Strecken zu Fuß
gehen, Wasser in Kübeln von noch vorhandenen Brunnen holen, und die
Hauptsorge bestand bald nur mehr darin, einen wirklich sicheren Bunker zu
finden. Am 12. März bekamen nicht nur die Oper und das Volkstheater,
sondern auch Vallys Büro in der Wipplingerstraße einen schweren
Treffer ab. Die nächsten Tage standen für Vally im Zeichen von
"Aufräumungsarbeiten im Büro". Die dritte Angst
schließlich galt den Russen, die aus dem Osten unaufhaltsam vordrangen.
Die Volksdeutschen, die zum Teil erst unter den Nazi in die östlichen
Länder umgesiedelt worden waren, flohen nach Österreich
(natürlich auch ins Altreich), die Wiener flohen nach dem Westen. Valerie
Kittel und ihre Familie blieben in Wien. Auch die Uhlirs blieben. Hilde Uhlir
schildert: "In den letzten Kriegstagen hab ich meinen Mann nicht
hinausgelassen, weil ich immer Angst gehabt hab, sie holen ihn doch noch
einmal. Und eines Tages, mittags, ich hab grad Geschirr gewaschen, kommt meine
Nachbarin: ' Wir haben den Volkssturm hergekriegt! Sie sollen die Siedlung
verteidigen! So ein Blödsinn. Wenn die unsere Siedlung verteidigen, werden
wir alle erschossen.' Meine Nachbarin sagte, sie und mehrere andere Frauen
hätten vor, zu den Leuten zu gehen. Ich bin mit. An der Ecke, wo der
Friedhof beginnt, da war der Volkssturm. Lauter ältere Männer mit
Handgranaten. Wir waren ungefähr 40 Frauen aus der Siedlung. Wir haben
ihnen solange zugeredet, bis sie die Munition liegen lassen haben und
verschwunden sind nach Hause. Über die letzten Kriegstage liest
man in Vallys Notizbuch: 4. 4.: Letzter Tag im Büro. 5. 4.: Ganzen
Tag Keller eingerichtet. Liegestühle geholt, Herr K. elektrischen Ofen
installiert. 6. 4.: Ganzen Tag zuhause bei Eltern und im Keller; Radio,
Stehlampe und Kocher installiert, Karten gespielt, 2 Briefe geschrieben und
durch Soldaten expediert. Fabriken geplündert. Nicht beteiligt. 7. 4.:
Vormittag bei Mutter, Sprengung bei Eisenbahnbrücken, Eintreffen der
Panzerspitzen ½ 9 Uhr abends. Alle im Keller geschlafen. 8. 4.:
Russen auf der Linzerstraße. 16. 4.: Fini Benesch bei mir, Wahl in
den Arbeiterrat. Fini Benesch (Seboth), die Bürokollegin, holte Vally
Kittel sofort nach dem Kriegsende in Wien in ihre Dienststelle in der
Krankenkasse. Hilde Uhlir: "1945, wie der Krieg aus war, ist mein Mann zu
Fuß durch die Stadt gegangen, hat sich von den leitenden Beamten den
Schlüssel für die Krankenkasse geholt und hat überall in Wien
frühere Mitarbeiter zusammengetrommelt. Eine davon war auch die Frau
Kittel. " Am 17. April 1945 notierte Valerie: "Erster Tag im Büro.
Ernennung zum Abteilungsleiter. " |