Wenn erst Friede ist  © 2005

BRIEFE HINTERLAND

Minsk, 31. August 1943

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Kommentar

Mein lieber kleiner Engel! Zuerst danke Gott, daß ich überhaupt noch am Leben bin. Ich glaube fest daran, daß Dein und mein Beten gehört wurde und Gott mir aus der größten Not geholfen hat. Ich wurde durch eine Fliegerbombe schweren Kalibers verschüttet, muß lange Zeit bewußtlos gewesen sein und kam erst zu mir, als der Russe bereits durch unseren Graben durchgebrochen war. Mühsam schleppte ich mich bis in ein Dorf, welches nicht in Brand geschossen war und wo ich von einem Sanitätswagen aufgenommen wurde. Zu schildern, was wir ertragen mußten an Feuer und Fliegerangriffen im Graben, ist bestimmt niemand imstande. Per Auto ging es nach Jelnja, von dort mit dem Lastzug nach Smolensk und dann mit dem Sanitätszug nach Minsk, wo ich mich jetzt befinde. Es ist aber auch hier alles überfüllt von Verwundeten, und wie es jetzt glücklicherweise heißt, sollen wir morgen per Bahn weiterfahren. In Smolensk war ich beim Ohrenspezialisten, und der stellte "beiderseits Detonationsschwerhörigkeit" fest, ein zweiter Facharzt schrieb auf meinen Papieren "Vertaubung beider Ohren".
Spatzilein, ich danke Gott, daß mir nicht mehr passiert ist, aber ich wäre sehr unglücklich, wenn wirklich keine Besserung eintreten würde. Momentan höre ich fast nichts. Hier gibt es ein Elend, Leute ohne Hände, ohne Füße, Kopf- und Bauchschüsse und überall Blut. Hast Du mich noch lieb, und hältst Du noch zu mir?


Ruth Linhart | Zeitgeschichte | Inhalt | Anmerkungen