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bei Jaipur

Rosen sind die Blumen der Moguln, indisch ist die Lotusblüte

Reisenotizen aus Rajasthan - mit Delhi, Agra und Mumbai

Teil 3

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13. Februar 2005, Sonntag, Udaipur

Es ist halb neun Uhr früh. Die Sonne scheint. Im ausgetrockneten See raufen Hunde.
Der derzeit nicht vorhandene See geht auf das 15. Jahrhundert zurück, als ein Kaufmann aus Ärger über die jährlichen Überschwemmungen während des Monsuns einen Damm errichten ließ. "Durch das aufgestaute Wasser entstand der Pichola-See, an dessen östlichem Ufer 200 Jahre später der aus Chittorgarh vertriebene Udai Singh seine neue Hauptstadt Udaipur gründete ... Ähnlich wie der Palast wurde auch der See über die Jahrhunderte von den verschiedenen Herrschern mehrfach erweitert und ist heute etwa 4 km lang und 3 km breit. Genau lässt sich das nicht festlegen, da der See äußerst flach ist und während der Trockenzeit bis auf die Hälfte schrumpft."

Das ist die einzige Stelle in all den Lobliedern auf "das Venedig des Ostens" und den "romantischesten Ort ganz Indiens", die auf eine mögliche Reduzierung des Sees Bezug nimmt. Die Hälfte wäre ja noch immer etwas...
"Udaipur - ein Stadtgebilde, das einer orientalischen Filmfantasie entsprungen scheint..."
  Ich kann nicht umhin, enttäuscht zu sein.

André Heller war da, und mindestens drei von den Burschen, die uns ihre Malschule zeigen wollten, fahren demnächst zu ihm nach Austria, oder gar "nach Graz" - sagen sie. "He was in my school!" "He saw my exhibition." "I like André Heller." "He liked my works" ...
Eine kleine Recherche im Internet bringt zutage, dass André Heller 1991 gemeinsam mit Werner Herzog hier einen Film gedreht hat: "Jag Mandir - Das exzentrische Privattheater des Maharadjah von Udaipur ", und dass im selben Jahr vom Wiener Verlag Brandstätter ein Buch mit dem Titel "Jagmandir - Traum als Wirklichkeit. Das exzentrische Privattheater des Maharana von Udaipur" erschien.
Möglicherweise war André Heller vor kurzem wieder da.

Wir machten unseren Antrittspaziergang über den See bis zum Stadtpalast, und dort fing uns gleich ein geschickter Verkäufer ein. Wir verbrachten viel Zeit in dem Stoffgeschäft, kauften vier Schals, Hans lässt sich drei Hemden machen, ich einen Rock samt Bluse und Schal in der Manier rajasthanischer Frauen und für mich und meine Schwester zwei "Panjabi"-Gewänder - Bluse, Hose und Schal. Alles aus Seide. Die rajasthanische Tracht in Dunkelrot mit Gold, die beiden Panjabis grün und lila-blau mit den weißen Ringerln, die jetzt Mode sind. Für meine Nichte einen Sari aus grünblauer Seide. Wir zahlten über 12 000 Rupien, auch in Österreich nicht wenig Geld und hoffen nun, dass die Sachen tatsächlich morgen Abend ins Hotel geliefert werden - und auch passen!
Jetzt sitzen wir auf der Hotelveranda im Schatten, wenige Meter über dem "See". Ein leichter Wind weht, es ist ein sehr angenehmes Sommerwetter. Dass der See ausgetrocknet ist, bleibt mehr als ein Wermuts"tropfen".

Es gelang mir nicht, eine Frau im Sari, die Moped fährt, zu fotografieren. Bei Fortgehen sah ich eine im dunkelgrünen und mit Glitzersteinen geschmückten Sari. Das wäre ein Bild gewesen! Es ist jetzt drei Uhr. Wir haben nichts zu tun als zu faulenzen.
Eine richtige Sonntagsnachmittag-Stimmung hat sich ausgebreitet. Hans schläft. Durch das offene Fenster kommen die Kinderstimmen vom "Seegrund": "Hallo Sir, Rupie". "Excuse me Sir, choklit".

 

14. Februar 2005, Montag, Udaipur

Es gibt nichts mehr Spottbilliges, wie vor zehn Jahren in Nepal. Für die einheimische Bevölkerung ist das jedenfalls eine positive Entwicklung.

Anscheinend herrscht auch hier erst seit zwei Tagen schönes Wetter. Allerdings macht die Wärme fast mehr Probleme als das kühle Wetter. Wohin mit den dicken Kleidungsstücken, wenn wir reisen?
Auch die AC (äischi - Air Condition) in diesem Zimmer ist kaputt - wie jene im Auto. Wir haben schon zwei Nächte geschwitzt.

Heute machten wir eine Stadtrundfahrt. Herr Mihendra fuhr uns in einem weißen Ambassador-Auto. "Where you come from?" "Ah, Austria, yes Vienna, André Heller". Laut Mihendra gibt es wenig österreichische Touristen hier, hingegen viele Franzosen, Briten, Americans, Germans, Italians und Spanish people.
"You like India?" "Many people", sagte Hans. Das bestätigte er. Darum gebe es keine Arbeit. Österreich mit seinen insgesamt rund acht Millionen Einwohnern ist da besser dran, in Indien hat eine Stadt wie Delhi schon allein dreizehn Millionen Einwohner! "Was ist die heißeste Temperatur in Österreich?" "Zirka 38 Grad. Ganz selten, alle paar Jahre, hat es auch über 40 Grad." "In Udaipur 50 Grad. Wenn es so heiß ist, kann man am Tag gar nichts arbeiten, erst am Abend".

Die erste Station unserer Stadtrundfahrt ist der City Palace. Wir nehmen uns keinen guide, was zu sparsam ist. Zum Glück sind guides in vielen Sprachen unterwegs, sodass man deren Erklärungen mithören kann.
Der City Palace ist der größte in Rajasthan, ein langgestreckter Repräsentationsbau, der im Verlauf von vier Jahrhunderten zu dem wurde, was er heute ist. Noch immer wohnt der Maharana dort, es gibt zwei Luxushotels in seinen Mauern. Zugänglich für die Besucher ist nur das City Palace Museum.
Vor allem kann man dort Miniaturmalerei im Mewar-Stil bewundern. Häufiges Motiv auf den Gemälden ist die Schlacht von Haligath, bei der das Lieblingspferd des Königs Udai Singh II, des Gründers von Udaipur, starb, nicht ohne vorher noch seinen Herren gerettet zu haben.

Laut Reiseführer begann die Geschichte Udaipurs begann mit der dritten und letzten Eroberung der Mewar-Hauptstadt Chittorgarh durch den Mogulherrscher Akhbar 1568. Damals kamen 30 000 Menschen um. Am 21. Juni 1576 standen sich Akhbar und der Sohn Udai Singhs, Pratap, bei Haldigathi, 48 km nördlich von Udaipur, gegenüber. Akhbar siegte, die Mewaris gingen wegen ihrer tapferen Gegenwehr in die Geschichtsbücher ein. 1614 mußte Prataps Sohn Amar Singh I endgültig die Vorherrschaft der Moguln anerkennen. Es folgte eine vergleichsweise friedliche Periode, in welcher der Jagdish-Tempel erbaut wurde, dessen Turm wir von unserem Hotel aus in der Stadtsilhouette erkennen können. Sha Jahans (Erbauer des Taj Mahal) Sohn Aurangzeb, der von 1658 bis 1707 lebte, zerstörte auf seinen Kriegszügen vieles an hinduistischer Kultur. Dessen Tod brachte den endgültigen Niedergang der Mogul-Herrschaft. Aber 1818 mussten sich die Mewari der britischen Oberhoheit beugen.

Nach der Zeit der großen Schlachten beginnen auf den Gemälden die Jagddarstellungen zu überwiegen - Jagd auf Tiger, Bären und Wildschweine. Die Miniaturgemälde bezeugen, wie die Tiger, in die Enge getrieben von allen Seiten, unter anderem von Elefanten, massenweise niedergestreckt wurden
Im Museum des Stadtpalastes erfährt man auch, dass es der King von Udaipur war, der 1948 als erster Maharaja seine Bereitsschaft zum Beitritt in die neue indische Union besiegelte. Dieser Fürst war behindert, ein Lift wurde eingebaut, ein Rollstuhl wird hergezeigt und auch ein Leibsessel.

Unsere zweite Station auf der Stadtrundfahrt ist der Shree Jagdish-Tempel, der dem Gott Vishnu geweiht ist. Er wurde 1651 in rein indo-arischem Stil fertig gestellt.
Als wir den Tempel betreten, ist es gerade zwölf Uhr, und es findet ein Opfer, ein Puja, statt, ins Katholische übersetzt, eine Art Andacht. Ich Ignorantin weiß das aber nicht. Die Glocken scheppern derartig laut, dass ich die Hände nicht falten, sondern sie mir an die Ohren halten muss, was sicher unmöglich, vielleicht sogar beleidigend ist. Überall wird man angebettelt, so auch hier. Ein älterer Mann mit Bart steht plötzlich hinter Hans. "I collect Euro-coins." Hans: "I collect them too." Das beeindruckte den Bettler. "You are welcome", murmelt er und lässt von uns ab.
Am Fuße der 32 steilen Stufen saßen gestern und heute Frauen mit Körben voll gelber und oranger Tagetesblüten, die für das Puja gedacht sind. "Ah, Austria!" freute sich der einäugige Mann, der uns gestern an derselben Stelle angesprochen hatte und uns auch heute wieder dringend den Besuch seiner "exhibition" nahe legt. Alle malen hier Miniaturbilder, die wiederum alle an die Touristen verklopft werden sollen.

Wir verlassen die Altstadt und fahren in die Neustadt, die uns wie schon bei der Ankunft nicht anders vorkommt, als die anderer Städte, die wir bisher gesehen haben: Verkehrschaos, Abgaswolken, zwischen den Fahrzeugen Kühe. Am Straßenrand entlang gehen Frauen im Sari, Panjabi oder rajasthanischem Rock mit Bluse und Schleier, viele mit Lasten, sowie Männer, die meisten westlich gekleidet. Nur ganz selten sieht man in der Stadt einen Mann im traditionellen indischen dhoti, einem weißen Baumwolltuch, das um Unterleib und Beine gewickelt wird. Frauen und Männer gehen meistens in einem gemächlichem Tempo und benützen Gehsteige auch dann nicht, wenn es sie gibt - weil die zu schmutzig sind oder von Handwerkern und Händlern verstellt. Neben der Straße zieht sich oft eine "Schmutzzone" dahin, wie wir es zu nennen begonnen haben, mit offenem Kanal und Verkaufsständen. Dahinter relativ niedrige Häuser mit schwarzen Öffnungen, viele Geschäfte beherbergend. Friseure und Schneider arbeiten vor den Hauseingängen. Wir beobachten Frauen bei Schwerstarbeiten. Sie schleppen nicht nur Ziegel und behauen Steine, sondern sie sind auch als Schmiedinnen tätig sind. Während ein Mann das Schmiedeeisen hält, schlagen mehrere Frauen mit dem Hammer rhythmisch zu. Hocken ist die bevorzugte Haltung bei allen Tätigkeiten.

Der Chauffeur lässt uns vor dem Ethnologischen Museum aussteigen, dem Bhartiya-Lok-Kala-Museum. "Es vermittelt einen interessanten und umfangreichen Einblick in die vielfältige Kultur Rajasthans. Gezeigt und auf englischen Begleittexten gut erklärt werden Kleider, Gebrauchsgegenstände und Musikinstrumente", steht im Reiseführer.
Wir bewundern vor allem Masken und Bilder mit Darstellungen von Volksmärchen. Da gab es einmal einen Mann, der rettete einer Kobra das Leben. Diese wollte ihr Recht, ihn zu töten, trotzdem durchsetzen. Der Mann bat sie, vorher noch etwas erledigen zu dürfen. Er wurde währenddessen in einen Kampf verwickelt und so verletzt, dass kein Stück seines Körpers mehr heil war, nur mehr die Zunge. Diese bot er der Schlange für ihren tötlichen Biss an, und sie nahm das Angebot wahr. Wenn man seither den Namen dieses Mannes ausspricht, so wirkt das als Zauberspruch gegen Kobras. Leider merkte ich mir den Namen nicht, ich glaube, er fing mit "M" an.
Teju hat in dem Jain-Tempel in der Wüste Thar, in dem eine Kobra wohnt, darauf hingewiesen, dass die Kobra im Hinduismus als positives Wesen angebetet wird. Sie ist die Weltschlange Ananta, auf der der Welterzeuger Vishnu ruht, ein Symbol göttlicher und königlicher Weisheit (mehr dazu: WischnuSchlangenkult ).
Landesweit bekannt ist die Puppensammlung des Museums, und die Besucher kommen in den Genuss einer kurzen Aufführung. Auch hier spielt eine schwarze lange Schlange, wahrscheinlich eine Kobra, eine Hauptrolle - ein Schlangenbeschwörer in Turban und langem Mantel lässt sie beeindruckend tanzen.

Schließlich hielten wir beim Saheliyon-ki-bari, dem "Haus der Freundinnen", einem im 18. Jahrhundert angelegten Park mit Rosenbeeten, Lotusteichen und Wasserspielen. In diesem Lustgarten trafen sich die Maharanas mit ihren Konkubinen. Jetzt beeindrucken vor allem die herrlichen Bougainvilleas, die sich vor dem tiefblauen Himmel heute besonders gut ausnehmen.
Hans kauft am Stand vor dem Park eine Kokosnuss.

Ja, und dann stellte uns Fahrer Mihendra vor die Wahl, in eine Silberwerkstätte oder eine Werkstätte für Miniaturmalerei zu fahren. Wir hätten natürlich "Nein" sagen können, aber weil wir Mihendra nicht enttäuschen wollten, weil wir ein bisschen neugierig waren und wussten, dass wir der Miniaturmalerei bzw. ihrem Erwerb doch nicht auskommen würden, wählten wir das zweite Angebot.
Ziemlich am Rand der Stadt - Mahindra erklärte, dass reichere Leute mit Vorliebe aus der engen schmutzigen Stadt hier heraus zögen - erklärte uns ein gepflegter Enddreißiger die Feinheiten der Miniaturmalerei. Er teilte uns sein Alter mit, weil er uns wissen ließ, dass er nur mehr sieben, acht Jahre dieser Tätigkeiten nachgehen könne. Nein, nicht nur die Augen würden schlecht, auch der Kopf sei nicht mehr so gut, so konzentrationsfähig. Er habe Miniaturmalerei am College studiert, heute interessierten sich nicht mehr viele junge Leute, die Kunst studieren, dafür.
Die Gäste des Malerkollektivs werden in einem Raum mit niederen Tischen empfangen. Die Kollegen seien Mittagessen, sagte der Mann, der hinter einem der langen Tische am Boden saß und uns als erstes diverse Rohmaterialien für die Naturfarben zeigte, Halbedel- und Edelsteine. Blau zum Beispiel entsteht aus Lapislazuli. Farben und Perspektive spielen bei der Miniaturmalerei eine besondere Rolle. Er zeigte uns auch die hauchfeinen Pinsel, mit denen in winzigen Bewegungen das vorgezeichnete Bild ausgefüllt wird. Ein anderer Miniaturmaler hat uns gesagt, dass diese aus den Haaren lebendiger Streifenhörnchen sein müssten. Unser Experte arbeitete gerade an einem relativ großen Bild mit einem Lieblingsmotiv für die Touristen: der blaue Pichola-See, an diesem liegend der weiße Stadtpalast und reitend der König mit seinem Gefolge, dies in sehr bunten Farben. Ein anderes Motiv sind die Tiere der diversen Königreiche Rajasthans. Aber die Zeichnungen beschränken sich vorwiegend auf das Kamel, den Elefanten und den Pfau.
Nach der Einführung wurde es ernst. Wir begaben uns in den Raum mit den Bildern. Der Preis hängt davon ab, ob sie von einem Studenten oder einem Meister und in wie vielen Tagen sie hergestellt worden sind. Wir erstanden nach langem hin und her zwei kleinere, aber sehr hübsche Bilder mit dem Gott Shiva und seiner Gemahlin Parvati - den Göttern, die für die eheliche Liebe zuständig sind, sagte unser Informant. "Heute ist Valentinstag", wusste er. "Schenken Sie sich doch gegenseitig ein Bild und die restlichen zwei des Zyklus bringen Sie Freunden mit!" Solche und ähnliche Vorschläge würzten das ganze Kaufgespräch. Wir nahmen schließlich zweimal Shiva und Parvati in verschiedenen Positionen, eines in 31 Meisterstunden, das zweite in 26 Meisterstunden hergestellt - was sage ich! Nicht um Stunden drehte es sich, sondern um Tage. Wir haben den Verdacht, dass die Tagesarbeitszeit der Meister sehr kurz gewesen sein muss.

Der Miniaturmeister erklärte uns, dass es in Indien nur drei Jahreszeiten gibt: Winter, Sommer, Monsun. Die Farbe des Winters sei blau, des Monsuns grün und des Sommers braun. Zahlreiche Bilder gab es in diesen drei Farbvarianten.

Später kauften wir noch ein kleines Bild mit drei Pfauen in der Wüste. Das Bildchen ist auf Plastik gemalt - Miniaturbilder haben als Untergrund Seide, Elfenbein oder eben Plastik - und erinnert mich an die Pfaue in der Wüste Thar.
Wir erwarben das Werk in der "School", deren Vertreter uns jeweils abfangen, wenn wir das Hotel verlassen. Die Malschule ist angeblich eine Studentenkooperative mit 35 beteiligten Familien, der wir durch unseren Kauf weiterhelfen.
Bei der Präsentation der Bilder wurden wir wieder mit einer enormen Anzahl von Werken und Kaufvorschlägen benebelt. Typisch ist auch, dass nach abgeschlossenem Kauf noch während man im Geschäft steht, eine neue Verkaufsattacke gestartet wird. Damit hatte aber noch niemand bei uns Erfolg. Die Händler würden sicher viel mehr Geschäft machen, wenn sie die potentiellen Käufer weniger bedrängen würden.

Unser Großauftrag bei Indian Handicrafts & Indian Spices von Mohan Gurani und Shri Ganesh "inside City palace Udaipur", die laut Visitenkarte ein Haus "of Embroidery, Marbles, Jewellery, Wooden Brass & All kinds of Handicrafts & Textiles" sind, erwies sich als "Hereinfaller". Das Paket mit unseren bestellten Sachen im Wert von zirka 4000 österreichischen Exschillingen wurde pünktlich heute Abend an der Rezeption des Hotels abgegeben. Die Hemden von Hans sind zwar schlampig genäht (z.B. fransige Knopflöcher und ziehende Nähte), aber sie passen ihm. Verschnitten sind meine Blusen - Schultern und Ärmel zu eng, und das obwohl sehr viel abgemessen und aufgeschrieben wurde. Das Panjabi-Gewand für meine Schwester sollte an allen Nähten drei inches breiter sein als meines. Ergebnis ist, dass meines mir zu eng ist und die Bluse meiner Schwester mir gerade passt, aber die Hosen für beide zu eng sind. Das rajasthanische Gewand aus prächtiger rot-goldener Seide passt ebenfalls nicht, was die Bluse anlangt. Alle drei Schals sind unwahrscheinlich schleißig gemacht, Stoffstücke einfach zusammengenäht, ohne wenigstens die Nähte zu verendeln, sodass die Fransen überall weg stehen. Nur der Sari für meine Nichte wurde ordentlich gebügelt. Bei einem Sari ist wenigstens nichts zu verpatzen. Ich bin sehr froh, dass ich Hans abgeraten habe, sich einen Wollanzug mit Gilet um 100 Euro nähen zu lassen. Was hat man vom wertvollsten Stoff, wenn das Kleidungsstück verschnitten ist!.

 

15. Februar 2005, Dienstag, Udaipur

Wir waren heute mit dem Rikschafahrer, der uns schon tagelang belauert, im Hauptpostamt. Später kauften wir im Palastbezirk Mitbringsel, Kettchen mit Carneol, Amethyst, Topas, Granaten und anderen Edelsteinen. Für mich solche Ohrgehänge. Der Besitzer des Geschäftes, ein älterer Herr, zog uns in seinen Laden hinein, bot uns Tee an, als aber von seinem Mitarbeiter zwei Touristen angekarrt wurden, die sich für Miniaturmalerei interessierten, ließ er uns einfach sitzen und verschwand mit den Neuen in einem Hinterkämmerchen des Geschäfts.
Nach diesem Einkauf spazierten wir an den Geschäften vorbei durch eine Straße, in der wir bisher nicht waren. Wir kauften einen winzigen silbernen Ganesha. Im Lokal mit der Dachterrasse gegenüber vom Jagdish-Tempel Mittagsjause. Ja, und eine Reisetasche aus Stoff um 200 Rupien kauften wir auch noch. Das ist wirklich billig.

Zu Fuß zum Hotel zurück. Nachmittagsruhe. Um 16 Uhr Abfahrt nach Nagada (ausgesprochen als Nagda) und Eklingji, zwei Tempelanlagen in der Umgebung von Udaipur. Schöne Bergstrecke. Hübsche Hügellandschaft. Man passiert den 784 Meter hohen Chirwa-Ghata-Pass. An der Ausfahrt von Udaipur zahlreiche Marmorbetriebe oder besser Steinmetze. Die Luft voll weißem Staub. Ich muss immer noch husten. Große Reklametafeln für "Aravali Onyx".

 

Nagada
"Neben dem ältesten, nur noch in Ruinen erhaltenen jainistischen Adbhutji Tempel steht ein Hindu-Tempelkomplex aus dem 11. Jh. mit dem geheimnisvollen Namen Sas Bahu (Schwiegermutter - Schwiegertochter), der vor allem wegen seiner schönen Steinreliefs an den Außenwänden gefällt" (Reise Know How-Führer).
Nagada liegt malerisch inmitten einer sattgrünen Hügellandschaft, Palmen, andere prächtige Bäume, Felder. Als wir ankamen, war fast niemand dort. Wohltuende Stille. Später traf ein Bus mit einer deutschen Reisegruppe ein. Ein alter Mann sprach uns an, ein Tempel-guide. Es ist doch besser, etwas erklärt zu bekommen.
Hier soll eine Stadt gewesen sein, die von einem Erdbeben (?) zerstört wurde. Die Reliefdarstellungen aus dem Ramayana, dem Mahabaratha, von den drei Götterpaaren Vishnu und Lakshmi, Shiva und Parvati und Brahma und Sarasvati, erotische Darstellungen. Alles in Braun, aus Marmor. Viele der Reliefs haben zerstörte Gesichter oder abgeschlagene Gliedmaßen, Spuren der islamischen Moguln, denen die hindustische Kultur ein Dorn im Auge war.

Beim Zurückgehen zum Auto drapierten sich drei farbenfrohe Mädchen ohne unser Ersuchen fotomäßig, eine Frau mit Kind trat dazu. Ich fotografierte und Hans gab ihnen zehn Rupien. Das war ihnen zu wenig. Aber sie lachten uns trotzdem an, als wir schon im Auto saßen. Ausgesprochen hübsche Gesichter, wunderschöne Augen. Die Frau mit Kind, wenige Jahre älter, wirkte verhärmt.
Diese Tempelanlage war eine Oase des Friedens.

 

Eklingji
Der Tempel ist für Pilger und Touristen erst nachmittags ab halb sechs Uhr geöffnet. Die Atmosphäre ist ganz anders als in Nagada. Der Tempel liegt mitten in einem Ort. Man darf nicht fotografieren und muss Schuhe UND Socken ausziehen. Der Tempel ist dem Gott Shiva geweiht.
(Mehr zu Shiva: ).

" ... ein ursprünglich 754 erbauter Tempel, mit einem schönen viergesichtigen Shiva-Bildnis aus schwarzem Marmor im Allerheiligsten. In seiner heutigen Form entstand der von hohen Mauern umschlossene weiße Marmortempel im 16. Jahrhundert. Eklingsjis besonderer Reiz liegt in der pulsierenden religiösen Atmosphäre, die diesen Ort auszeichnet." (Reise Know-How Rajasthan)

Wir betreten also den Tempel, der Fahrer wartet vor dem Tempel auf uns. Ein junger Mann schließt sich uns ungefragt an und erklärt viel. Es gebe hier 108 Tempel, sagt er. 108 ist eine heilige Zahl im Hinduismus. Die schwarze Shivastatue wird gerade mit Sandelholzpaste gereinigt. Ein zweiter Shiva in Eingangsnähe hat die Form eines Lingam, das ist ein Phallussymbol. Wir haben zwei Tagetesketten gekauft und schenken sie dem schwarzen Shiva, wie vor uns und nach uns die indischen PilgerInnen. Musik wird gemacht. Wir sind die einzigen europäischen Touristen. Eine zu Herzen gehende, total exotische Stimmung. Wir beobachten, wie die Shivastatue nach dem Waschen in ein goldenes Tuch gehüllt und ihm eine goldene Kobra aufgesetzt wird.
Der junge Mann erklärt uns noch sehr viel, zum Beispiel, dass die Andacht - Puja - dreimal am Tag, früh, mittags und abends und da jeweils viermal durchgeführt wird (Mehr zu Puja:).
Dass dies der Tempel sei, in dem der Majarana von Udaipur jeden Montag gemeinsam mit vielen Gläubigen dem Gott Shiva seine Ehrerbietung darbringt. (Es ist daher nicht empfehlenswert, den Tempel am Montag zu besuchen.) Dass der Elefantengott Ganesha in zwei Varianten vorkommt: Wendet sich der Rüssel vom Betrachter aus nach rechts, so bringt er Glück in materiellen Dingen. Zeigt der Rüssel nach links, fördert Ganesha Wissen und Weisheit (mehr zu Hinduismus, Ganesha:).
Hier in Eklingji gibt es Ganesha-Abbilder mit beidem. Der junge Mann zeigt uns die Kräuter rund um den Tempel, zum Beispiel Basilikum, und dass im Mangobaum zwei Pfaue sitzen. Auch hier gibt es an der Außenseite der Tempel erotische Reliefs, aber niemals im Inneren, weil sie beim Beten ablenken können.
Der selbst ernannte guide unterlässt es nicht, nach unseren Kindern zu fragen, wundert sich, dass Hans schon zwei erwachsene Söhne hat, schmeichelt mir, dass ich nicht wie 59 ausschaue und sagt, dass er schon 27 sei, obwohl man ihn allgemein für 22 halte, dass er bereits eine kleine Tochter habe, gerade geboren, und dass er nach Abschluss der Saison im März nach Pondicherry, eine ehemalige französische Kolonie in Südindien, gehen wolle, um dort Französisch zu lernen.
Er verlangt fünf Euro für seine Führung und besteht auf den Euro-Münzen. Hans will ihm weniger geben, ich bin milde, wahrscheinlich, weil er mir ein Kompliment gemacht hat, und stecke ihm zwei Euro aus meiner Geldtasche zu.
Zwischen halb sieben und sieben Uhr wird es hier dunkel. Der guide bemerkte, dass ich auf die Uhr schaute, obwohl ich mich bemühte, meinen Kopf dabei gar nicht zu bewegen. "You want to be back during the day?" fragte er. Die Leute hier sind sehr sensibel in der Beobachtung der Menschen rund um sie, scheint mir.

Für morgen überlegten wir einen Ausflug zur hillstation von Mount Abu. Der Rezeptionist meinte, dass es auf der Strecke nach Mount Abu eine Stelle gebe, an der Autos schon überfallen worden seien. "Tribal people, much poverty in this area." Daher sollten wir sehr früh abfahren und vor Sonnenuntergang wieder zurück sein. Wir disponieren auf Chittorgarh um. Jetzt gerade rief der Rezeptionist an und schlägt vor, dass wir übermorgen nach Mount Abu fahren. "Alles ganz sicher!" Er gebe uns ein starkes Auto und einen jungen Fahrer mit. "I garantee personally for your safety!" Wie kann er das?
Draußen singt seit Stunden eine Männerstimme, wahrscheinlich Gebete.
Nach dem guten Abendessen gingen wir die zwei Schritte zum Internet-Büro, wo auch Andenken und anderes verkauft wird. Wir haben einige Emails bekommen und beantworten sie.

 

16. Februar 2005, Mittwoch, Udaipur

Der heutige Ausflug fiel aus, weil mein "back" so weh tat, dass ich kaum sitzen und Stiegen steigen konnte, eine Art Hexenschuss.
Dafür bestellte ich eine Ayurveda-Massage. Das war sehr fein. Die Frau kam ins Zimmer und kletterte auf dem Bett herum, ohne dass ihr orangenfarbiger Sari im geringsten verrutschte. Sie massierte mir den ganzen Körper mit viel Öl und kräftiger Hand. Hans saß derweil auf der Matratze am "Balkon" und las "Das Mahabharata", neu erzählt von Otto Abt. Ich habe das Buch schon gelesen, sehr nett und spannend geschrieben.

Ich lag den ganzen Tag viel und las, und in der Zeit der Siesta zwischen zwei und vier Uhr spazierten wir Richtung Palace. In diesen Stunden haben sich auch Bettler, Händler und Taxler zur Ruhe zurückgezogen und man bleibt verhältnismäßig ungeschoren von aufdringlichen Angeboten. Wir besuchten eine Buchhandlung. Wieder zwei nette junge Männer. Als der zweite, ein guide, uns vorschlug, sein Malatelier zu besuchen, verabschiedeten wir uns schnell. Wir kauften drei Musik-CDs, indische Schlager und "Sound of Desert". Bücher: "Rajmata Gayatri Devi Enduring Grace" von Dharmendar Kanvar. Dieses Buch ist eine boulevardmäßig aufgemachte Biographie der Maharani von Jaipur, einer jetzt etwa achzigjährigen Dame, die "one of the most admired icons of modern India" ist, wie ich im Umschlag lese. Das Buch, 2004 erschienen, gibt es in der Originalausgabe mit Fotos, als Taschenbuchausgabe, fotokopiert, auf Englisch, Deutsch und Französisch! Weiters den Roman "Untouchable" von Mulk Raj Anand, zum ersten Mal 1935 erschienen und das Sachbuch "The Invisibles. A Tale of the Eunuchs of India" von Zia Jaffrey, erstmals erschienen 1988.
Meine Laune bessert sich zusehends.
Der Rezeptionist hat nach der Massage angerufen und gefragt, wie sie war, dass er personally der Masseurin gesagt hat, sie solle besonders auf meinen Rücken achten, und ob ich sie morgen wieder bestellen möchte, was ich verneinte.

 

17. Februar 2005, Donnerstag, auf der Fahrt nach Chittorgarh

(Mehr zu Chittorgarh:)
Opiumfelder, weiße Mohnblumen. Zuckerrohr, Senf, Weizen. "Das ist die Autobahn Delhi-Bombay", sagt Mahindra, heute wieder unser Chaufeur. Der Himmel und die Luft sind grau.
Gerade haben wir einen umgefallenen Lastwagen auf der anderen Fahrbahn passiert. "Maybe very fast drive", vermutet Mahindra.
Auch Ochsenkarren benützen die Autobahn.
Wir fahren an Dörfern vorbei und an vereinzelten Bauernhäusern, wie schon auf anderen Überlandfahrten.
Den Mittelstreifen schmücken hier blühende Kakteen.

Mahindra fragt: "Foto?" Und bleibt für Hans stehen, der die Opiumfelder aufnimmt. "Nice memory", vermutet Mahindra. Auf die Frage, was mit dem Opium passiert, antwortet er, dass Opium gegessen würde. "Das wird also nur für den Eigenbedarf gepflanzt?" "No, they sell it."

Wir passieren eine noch nicht in Betrieb befindliche Mautstation.
Unser Ambassador car rattert bei siebzig Stundenkilometer bereits so, dass die Zähne klappern. Schneller kann er nicht fahren. Ist dies das "strong new vehicle", das unser Rezeptionist versprochen hat?
Ein Traktor ist uns soeben auf unserer Fahrbahnseite entgegengekommen. In Österreich würde man diese Erscheinung "Geisterfahrer" nennen.
Jetzt führt die Autobahn mitten durch einen Ort.
Wieder ein Ochsenfuhrwerk auf der Autobahn.
Wir fahren über den ersten Fluss, der Wasser führt. Ist das der Gambhiri aus dem Roman "Krishnas Schatten" von Kiran Nagarkar?

Jetzt ist es abends, Udaipur.

Der letzte Abend in Udaipur. Der Ausflug heute war schön, ein bisschen anstrengend auch. Fünf Stunden in der Ratterkiste. Wie schon gesagt, fuhr das Auto maximal siebzig Stundenkilometer, Büffel wurden auch auf die Autobahn getrieben, und immer wieder kam uns ein Fahrzeug auf unserer Seite entgegen. Der Fahrer hatte die ganze Zeit das Fenster offen, das nervte mich etwas.

So, jetzt waren wir essen und emailen und bei der Rezeption, um für morgen das Nötige zu besprechen. Der Rezeptionist sagte, er werde alles in seinen Kräften Stehende tun, um uns bis zur Abreise um 16 Uhr im Zimmer zu lassen. "Because I like you both very much." Das ist doch nett!!
In Wien herrscht Grippe und Schnee. Hier war es heute viel kühler als an den Vortagen. Es gab wieder ein Feuerwerk, gestern Richtung See, heute Richtung City Palace.

Nun kurz zum Bericht über den heutigen Tag.
Wir fuhren um 9.30 Uhr ab. Die Strecke nach Chittorgarh ist 112 Kilometer lang. Der Großteil der Strecke war ganz flach. Erst bei Chittorgarh tauchen wieder Hügel auf. Chittor liegt in den Aravalli-Bergen.
Nach Chittor wollte ich wegen des oben genannten Romans "Krishnas Schatten" von Kiran Nagarkar. Er handelt von den Mewar-Königen, ihren Gattinnen und ihren Schlachten. Die alte Stadt Chittor liegt auf einem langgestreckten Felsen. Fast alle Häuser sind zerstört, aber die Ruinen einiger Paläste sowie der restaurierte Siegesturm und der Ruhmesturm erinnern an die tragische Geschichte dieser Stadt.

Im Reise Know How-Führer Rajasthan steht zu lesen: "Wie kein anderer Ort repräsentiert die sich 150 Meter aus der Ebene erhebende Festungsanlage von Chittorgarh die von Heldentum und Kampfesmut geprägte Geschichte Rajasthans. Nirgends scheint die Vergangenheit so nah wie in ihren Palästen, Tempeln und Siegestürmen. Dass dabei gerade dieser Ort nicht etwa durch ruhmreiche Siege, sondern durch vernichtende Niederlagen in die Geschichtsbücher eingegangen ist, wirft ein bezeichnendes Licht sowohl auf die von achthundertjähriger Fremdherrschaft geprägte Geschichte Nordindiens als auch auf das Selbstverständnis der Rajputen, für die die Erhaltung ihrer Ehre letztlich immer mehr bedeutete als der Tod."
Die Anfänge von Chittorgarh sollen in die Zeit des Mahabharata - also vor Christus - zurückgehen. Historisch nachweisbar ist eine Besiedlung seit dem achten Jahrhundert, und zwar durch den Ahnherren der Herrscherfamilie der Sisodias von Mewar. Diese kämpften im 15. und 16. Jahrhundert so tapfer gegen die islamischen Invasoren aus dem Norden, dass unser heutiger guide noch stolz darauf ist.

Der ältere Herr, der uns in Chittorgarh führt, weist darauf hin, dass die Kings of Mewar sich den Moguln nicht unterwarfen und mit ihnen keine Kompromisse eingingen wie die anderen Fürsten Rajasthans. Die Männer kämpften in den diversen Schlachten, auch wenn sie aussichtslos waren. Die Frauen suchten den Freitod auf dem Scheiterhaufen. Dieser Ritus wird Jauhar genannt und begegnete uns auch in den anderen besuchten Städten, unter anderem in Jaisalmer.
Wenn ich es recht verstehe, so gab es in einem Zeitraum von zirka 150 Jahren drei große Schlachten, bei denen jeweils die Sisodias und ihre Leute grausam geschlagen wurden, zuletzt von den Truppen Akhbars 1568. Der Herrscher Udai Singh scheint zu diesem Zeitpunkt frühzeitig geflohen zu sein, er gründete Udaipur als neue Hauptstadt "und führte von dort aus den Widerstand der stolzen Sisodias von Mewar gegen die islamischen Invasoren"

Wir besuchen die Ruinen des Palastes von Padmini, der Gattin des Herrschers, die der Sultan von Delhi so begehrt haben soll, dass er ihretwegen Chittorgarh stürmte. Unser Führer verdeutlicht uns gestisch - sein Englisch ist wieder schwer verständlich - dass die Haut ihres Halses so zart war, dass man das Wasser durchrinnen sah, wenn sie trank. Und wir gingen am Palast von Mirabai vorbei, die den Gott Krishna mehr liebte als ihren Mann und die in dem Roman "Krishnas Schatten" eine Hauptrolle einnimmt. Der Himmel bildete inzwischen einen blitzblauen Hintergrund zu den leeren Fensteroffnungen der Ruinen und den beiden schön renovierten Türmen von Chittorgarh.

Unser guide - so hatte ich den Eindruck - wollte uns, die wir drei Stunden angereist waren - möglichst schnell durch Chittorgarh schleusen, da wahrscheinlich seine fast hundertjährige Mutter, die er betreut, auf ihn wartete. Auch seine Mutter war guide, erzählt er. An ihrer Hand habe er schon Königin Elisabeth von Großbritannien hier in Chittorgarh begrüßt. Außerdem hielt er von den Geschichten mit Padmini und Mirabai nicht allzu viel, was vom exakten historischen Standpunkt her verständlich ist.
Ich hätte gerne mehr und geruhsamere Zeit in Chittorgarh verbracht, denn es herrscht eine schöne ruhige Atmosphäre in dieser kleinen Stadt. Heute wohnen noch 6000 Leute auf dem Gelände der Festung, sagte der Führer, früher seien es 70 000 gewesen. Hans hat die Einwohnerzahl 700 000 gehört.

Unser Führer hatte eindeutig eine Aversion gegen die Moguln und auch gegen den Islam. Außer dem geschichtlich verifizierten Ruinenpalast Padminis steht in einem sehr gepflegten Garten inmitten eines Sees ein Wasserschlösschen, von dem aus der Sultan von Delhi mit dem Spiegelbild seiner Angebeteten hingehalten worden sein soll. Diese Geschichte kann nicht stimmen, da das Gebäude erst lange nach Padminis Tod erbaut wurde. Ich wollte aber trotzdem gerne den Rosengarten durchstreifen. "Bei uns ist jetzt Winter und Schnee und hier blühen die Rosen", versuchte ich dem Führer meine Gründe zu erklären, denn er wurde ungehalten. Aber damit kam ich nicht an. "Rosen sind die Blumen der Moguln, Rosen sind islamisch, nicht indisch", antwortete er unwirsch. "Indisch ist die Lotusblüte."
Hans und mich nannte er "Maharana" und "Maharani". Er fragte, ob wir den Unterschied zwischen Maharana und Maharaja kennen. "Nein." Vage verstand ich, dass Maharana etwas mit Tapferkeit und Größe und damit zu tun habe, dass die Sisodias sich den Moguln nicht unterwarfen. "Also ein Name, den nur die Herrscher von Udaipur bzw. Mewar verdienen."

Als ich auf die Toilette musste, führte er mich zu einem kleinen Teehaus. Das hieß, dass wir dort auch Tee trinken sollten. Unser guide freute sich, weil ich im Unterschied zu Hans den Tee mit Milch gemischt, also auf indische Weise, trinken wollte. Dass ich ihn nach der Schlacht von Haldigathi fragte, gefiel ihm noch mehr. "Auch viele Inder kennen diesen Namen nicht", wunderte er sich.

Nach der Führung erzwang ich mir noch eine halbe Stunde Zeit, in der ich mit Hans allein zurück zu Padminis Palast wanderte. Anschließend führte uns Mahindra in das Hotel Pratap Palace zu einer Jause.
"Zu Hause" im Hotel Lake Pichola fragte uns einer der Kellner, der uns oft bedient, nach unserem Ausflug. Er erzählte, dass er in einem Dorf Richtung Chittor wohne und dass er einmal die Woche nach Hause fahre. Sonst wohne er hier in der Nähe des Hotels.

 

18. Februar 2005, Freitag, Udaipur

Last morning in Udaipur.
Heute ist full house hier. Einige Reisegruppen. Unmengen von Rucksäcken und Reisetaschen lagen in der Rezeption aufeinander gestappelt. Als wir zum Frühstück gingen, erschien Mr. Singh, der Besitzer, im Nachthemd auf seiner privaten Terrasse. "Mr. and Mrs. Ruth - oh, you are leaving today. Have you liked your room?" Und er lässt sich vielmals bedanken dafür, dass wir unser Zimmer die ganzen sechs Tage nicht wechseln mussten.

Wir haben bis zwölf Uhr nichts zu tun als zu packen. So setzen wir setzen uns nochmals aufs Dach in die weißen Korbstühle. Die Sonne scheint. Aber es ist relativ kühl. Wir beobachten das Leben im ausgetrockneten See. Die Kühe, die geruhsam herumschlendern. Die Büffel, von denen sich ab und zu einer in eines der noch vorhandenen Wasserlöcher versenkt. Das Kamel und seinen Besitzer, der herumzieht auf der Suche nach potentiellen Reitern. Die zwei prächtig bemalten Elefanten, die gegenüber am Gangaur Ghat stehen. Wir wissen nicht, worauf sie warten. Ein paar Bewohner Udaipurs durchschreiten den Seeboden mit energischem Schritten. Touristen spazieren durch, in auffälligen Gegensatz zu den mit Stoff bedeckten Indern und Inderinnen zeigen sie nackte Schultern und Beine. Kinder rennen ihnen bettelnd nach bis sie auf der anderen Seite des Sees angelangt sind. Ab und zu fährt ein Auto durch, Riesenstaubwolken aufwirbelnd, oder ein Motorrad oder ein Traktor. Eine Frau mit Korb auf dem Kopf geht suchend durch den See. "Sie will sicher Kuhfladen sammeln", vermutet Hans.
Hans hat übrigens auf dem Dach des Hotels Paneele für eine Solarheizung entdeckt.

Später am Flugplatz. Heute waren wir noch beim Monsoon Palace und fuhren zu diesem Zweck durch einen Wildpark mit fünf, sechs Leoparden - nach Angaben unseres Chauffeurs. Wir bekamen sie natürlich nicht zu Gesicht.
Jetzt befinden wir uns am Maharana Pratap Airport Udaipur und haben schon eingecheckt. Wir fliegen aber erst in eineinhalb Stunden. Auch eine deutsche Reisegruppe wartet hier.

 

19. Februar 2005, Samstag, Mumbai/Bombay

(Mehr zu Mumbai: http://de.wikipedia.org/wiki/Mumbai).

Gestern ist schon so ferne. Udaipur - was taten wir dort?
Am Vormittag rief mich der Rezeptionist im Zimmer an - er wollte ausdrücklich mich sprechen - und nahm wieder Bezug auf einen "recommendation letter", von dem er schon vorgestern gesprochen hatte. Ich solle das blaue Briefpapier im Zimmer dafür verwenden. Er betonte neuerlich, was er alles für mich getan habe, und dass er erreicht habe, dass wir ohne zusätzliche Zahlung bis fünf Uhr im Zimmer bleiben dürfen.
Gut, ich schrieb also einen kurzen Brief, dass alle im Hotel freundlich waren und speziell der registration desk helpful gewesen sei. Er schärfte mir ein, dass ich ihm diesen Brief nicht an der Rezeption übergeben solle. Ich bat ihn also telephonisch, zum Zimmer zu kommen, um den Brief zu holen. "May I come in?" Er las vor mir den Brief durch, bedankte sich, steckte erfreut die 500 Rupien ein, die ich ihm übergab und sagte: "Will you forever remember me?" Ich war verdutzt und sagte: "Of course."

Anschließend führte uns Mihendra zum Monsoon-Palace, der abenteuerlich auf einen 900 Meter hohen Felsen hingebaut ist. Er war Quartier des Fürsten während der Regenzeit. Der Blick auf die dann hellgrüne hügelige Landschaft muss wirklich traumhaft sein. Für den Winter diente der Stadtpalast und für den Sommer das heutige Lake Palace Hotel als Unterkunft des Maharana.
Der Palast wurde erst Ende des 19. Jahrhunderts nach Plänen eines englischen Architekten erbaut, war dann vierzig, fünfzig Jahre unbewohnt und schließlich schenkte der König ihn "seinem geliebten Volk".

Eine halsbrecherische Straße windet sich durch das Wildtierreservat bis zum Palast hinauf. Als uns eine Autorikscha begegnete, meinte Mihendra: "Very dangerous to go by riksha, many accidents." Gut, dass wir der täglichen Aufforderung der Rikschas vor dem Hotel, mit ihnen den Monsoon Palace zu besuchen, nicht Folge geleistet hatten!
In dem Palast, der schon reichlich abgebröckelt aussieht, ist nichts drin, außer einer ebenfalls vom Zahn der Zeit schon angenagten Ausstellung über die Naturparks in Mewar. Aber allein die Platzierung des Gebäudes und der Blick von dort sind spektakulär. Unter anderem sieht man inmitten des winterlichen Braun auch einen Fleck grüner Felder. Ein Haus dort unten gehöre dem Besitzer des Lake Pichola-Hotels. Hier werde das Gemüse für das Hotel gezogen.
Die Berge schroff und trocken. Mahindra behauptete, der See sei noch nie so ausgetrocknet gewesen wie heuer. Aber bereits seit Anfang der neunziger Jahre habe es immer weniger ausgiebige Monsun-Regen gegeben.

Im Hotel zurück gönnten wir uns nochmals ein gemütliches Essen auf der Hotelveranda, mit Kingfisher und einem buttered chicken. Hans aß wie immer in Indien vegetarisch. Habe ich schon geschrieben, dass die Speisekarten in "veg" und "non veg" unterteilt sind, also in vegetarisch und nicht vegetarisch? Und dass die kulinarische Phantasie der indischen Köche sehr ausgeprägt ist? Das Essen ist auf dieser Reise eines der positivsten Kapitel!

Flug Udaipur Mumbai. Hans sagt, der Jet Air-Flieger sei eine Turboprop-Maschine mit zwei Propeller-Triebwerken gewesen, ein angejahrtes Flugzeug. Es war sehr schmal und lang und hatte die Flügel oberhalb des Rumpfes. Ein Schulterdecker. Ich nahm jedenfalls irgendwann ein paar Tropfen Psychopax zu mir. Dabei ging alles gut. Als wir glücklich in Mumbai gelandet waren, folgte die nächste Aufregung.

Obwohl bestellt, erwartete uns kein Transfer-Auto. Unzählige Männer standen mit ihren weißen Namensschildern am Ausgang der Ankunftshalle, aber unsere Namen fehlten. Die Taxifahrer umdrängten uns so aggressiv wie in den Reiseführern beschrieben.
Ein Polizist gibt Ratschläge, wie wir uns verhalten sollen. Dort bei der blauen Tafel, wo sich offensichtlich die Taxis mit Genehmigung befinden, schreibt ein weiterer Polizist unsere Namen und den unseres Hotels und die Autonummer des Taxis auf. Auch ich soll mir diese notieren und tue es. Währenddessen reißen mehrere Männer unsere Gepäckstücke an sich. Ich steige nicht ein, bevor ich mich nicht selbst überzeuge, dass sie im Auto sind.
Kaum losgefahren, das heißt, kaum aus Sicht der Flughafenpolizisten, bleibt unser Taxler stehen und ruft uns zu: "Der Motor ist kaputt." Um Gottes Willen! Wir befinden uns im Dunklen, unter einer Autobahn, wie mir scheint. Hier finden wir nie mehr ein Taxi! Stimmt nicht. Es steht schon neben uns. Unser Koffer wird auf den Vordersitz geworfen, ich schreibe mir schnell die Nummer auf, dann brausen wir los. Mir ist nun ziemlich unheimlich zumute, und ich sitze starr und schweigend neben Hans. Diverse schreckliche Geschichten, die ich in meinem Bekanntenkreis gehört habe, kreisen in meinem Kopf. Es ist elf Uhr nachts in Bombay. Wir kennen uns in dieser riesigen Stadt mit 13 Millionen Einwohnern überhaupt nicht aus. Wenn uns der Chauffeur nicht zum Hotel fährt, sondern ausraubt oder noch Schlimmeres - wir könnten uns nicht dagegen wehren.
Aber der Chauffeur fährt, wenn auch vielleicht auf Umwegen, letztlich zum Hotel Fariyas Colaba. Das Zimmer hier passt auch. Also ist dieses Abenteuer gut überstanden. Bleibt nur noch der Heimflug!
Übrigens hat nach dem Frühstück im Hotelzimmer das Telefon geläutet. Mr. Linhart wurde verlangt und zwar von der Agentur, die für den Transfer vom Flughafen hätte sorgen sollen. Als ich erklärte, dass ich alles organsiert hätte, entschuldigte sich der Mann bei mir, dass die Sache nicht geklappt habe. "Can I now speak your husband"? "Why?" "Because of the financial problem!" Aber auch diese Sache mußte er mit mit klären. Bereitwillig sagte er zu, den Betrag für den Transfer auf meine Konto zurück zu überweisen.

Jetzt ist es elf Uhr nachts. Seit Stunden singen in der Umgebung irgendwelche Gruppen. Es klingt immer ähnlich. Ist das eine religiöse Veranstaltung oder ein Pop-Konzert? Wir wissen es nicht.
Beim Frühstück stellten wir fest, dass eine ganze Gruppe weiterer Österreicher und Österreicherinnen in diesem Hotel wohnen. Da ich das Hotel im Internet gebucht habe und nicht etwa im Österreichischen Verkehrsbüro wundert mich das.

Unser Besichtigungsprogramm begann damit, dass wir am Meer entlang in Richtung Gateway of India marschierten. Wir wohnen wirklich sehr zentral und nach fünf Minuten waren wir schon beim berühmtesten Hotel von Mumbai, dem Hotel Taj Mahal, das gegenüber des Gateway of India liegt. Zuerst sahen wir uns im dortigen Buchgeschäft Nalanda um und kauften einige Ansichtskarten. Dann tranken wir Capucchino mit Blick auf den Garten und Swimming Pool. Sehr feudal. "Mehr brauche ich eigentlich in Bombay nicht", sagte ich zu Hans. Ich kenne das Hotel aus Antonio Tabucchis Buch "Indisches Nachtstück". Danach verbrachten wir zwei Stunden im Chhatrapati Shivaji Maharaj Vastu Sangrahalaya (Formerly known as: The Prince of Wales Museum of Western India). Den Grundstein dazu legte der spätere König George V., als er 1905 Indien besuchte. Entworfen wurde es von englischen Architekten im "indo-sarazenischen Stil".

Den Audioguide bekamen wir hier ohne Übergabe des Passes oder der Visa card, und eine gewisse Claudia erklärte anschaulich die schönsten Stücke des Hauses bzw. jene, welche der Direktorin des Museums am besten gefallen. Wir bewunderten die herrlichen Skulpturen, Werke aus dem zweiten vorchristlichen bis zum 14. Jahrhundert, vorwiegend hinduistische Götter und Göttinnen. Eines davon ist ein Torso und stellt Durga dar, den Büffel tötend. Wahrscheinlich handelt es sich um die Geschichte über den fürchterlichen Büffel-Dämonen Mahisha, der durch das Universum lief und alles zerstörte, was seinen Weg versperrte. Alle Götter versuchten vergeblich, ihn zu stoppen. Schließlich griff Parvati, in ihrer Form als Muttergöttin oder Durga, den Dämonen auf einem Löwen reitend an, denn nur eine Frau konnte das Ungeheuer töten. (Mehr zu Durga: http://en.wikipedia.org/wiki/Durga_Puja).

Im ersten Stock des Museums befindet sich eine wunderschöne Sammlung von Miniaturmalerei. Hans hat etliche Bilder fotografiert. Die nepalesisch-tibetanische Abteilung und die ostasiatische besuchten wir nur kurz. Die übrigen Abteilungen ließen wir aus.

Nachher gingen wir essen, und zwar ins "Bombay Blue" - nach kurzem Besuch eines indischen Restaurants, in dem wir ohne Speisekarte zurande hätten kommen müssen. Das "Bombay Blue" ist ein schickes neues Restaurant mit chinesisch aussehender Türsteherin, es war ganz voll, außer uns keine Ausländer. Die Speisekarte bot Indisches und Internationales. Hans wählte Spagetthi, ich Pizza. Bier, Tee, Wasser. Indische Damen am Nebentisch aßen eine Speise aus Eis und Schokolade, die am Tisch flambiert wurde und einen so betörenden Duft verströmte, dass Hans sie auch bestellte.

Anschließend wanderten wir die Mahatma Gandhi Marg hinauf bis zum Viktoria Terminus respektive heute Chatrapati Shivaji Station. Entsetzlicher Lärm, hunderttausend Leute, die Gehsteige voll Händlern, tausend Taxis und andere zum Teil sehr schöne Autos, und alle hupen. Breite Straßen, prächtige Kolonialbauten. Aber der Lärm und die Menschenmassen bewirkten, dass ich fast durchdrehte. Den Besuch der Altstadt schwänzten wir nicht nur in Delhi, sondern nun auch hier. Von der Railway Station aus flüchteten wir mit dem Taxi zum Marine Drive bzw. richtiger zur Netaji Subhashchandra Road.

Früher nannte man den Marine Drive "Halsband der Königin", "wegen der funkelnden Lichterkette, die schon beim nächtlichen Anflug auf Bombay sichtbar ist."(Baedeker Indien). Marine Drive ist eine sechsspurige Küstenstraße, die sich an eine weite Bucht, die so genannte Back Bay, schmiegt. An sich eine herrliche Bucht, ein schöner Küstenboulevard, aber renovierungsbedürftig. Zerrupfte Palmen, der halbe Gehsteig ungepflastert, daher bei jedem Windstoß ein Sandangriff auf Augen und Haare.
Viele junge Leute, vor allem Männer, saßen auf der niederen Mauer, welche den Boulevard von den Wellenbrechern abtrennt, in der Sonne und schauten auf das Arabische Meer hinaus. Die Wasseroberfläche schimmerte in der Sonne grau.
Wir spazierten Richtung Stadtzentrum - obwohl auch Marine Drive angesichts der überquellenden Stadtgröße Bombays noch zum Zentrum gehört - bis zur Madame Cama Road, wobei ich nicht weiß, wer Madame Cama war oder ist. Wir passierten den Maidan, die große Grünfläche inmitten der Stadt, die typisch ist für ehemalige englische Kolonien. Der Maidan erstreckt sich parallel zum Marine Drive fast die ganze Länge der Halbinsel hinunter, die das Zentrum Mumbais bildet. Wir kamen zum ehemaligen Wellington Circle (jetzt SP Mukherji Chowk) vor dem Prince of Wales Museum zurück. Von hier durch die mit Geschäften und Verkaufsständen und sich drängenden Leuten übervolle Bhagat Singh Road (früher Colaba Causeway genannt) bis zum Hotel.

Ein vage ins Auge gefasster Kinobesuch musste ausfallen. Ich wusch mir die Haare und gegen acht Uhr gingen wir ins Hotelrestaurant essen. Live-Künstler, ein Sänger und eine Sängerin, boten "alte Hadern", wie Hans die Musiknummern nannte. Wir aßen gut, indisch diesmal, und viel zu viel. Der Spaziergang über den Pool des Hauses, an dem ebenfalls Leute saßen, aßen und tranken, konnte das nicht wettmachen.
Ich fragte schon dreimal in der Rezeption, ob wir Montag bis zur Abfahrt in der Nacht im Zimmer bleiben könnten - hier gegen Entgelt natürlich. "Das können wir Ihnen erst Montag früh sagen", ist die stereotype Antwort.

Die Bettler und Bettlerinnen habe ich nicht beschrieben. Eine Frau verfolgte uns mit Kind am Arm und wollte "choklit". Wir hatten keine.
Beinstümpfe, Armstümpfe, am Boden kriechende Menschen ... "Nein, Hans, ich will wirklich keinen Ausflug in einen Slum machen."

Aber trotzdem - ja, Schmutz, Staub, lästige Händler, aufdringliche Taxler, penetrante Bettler gibt es auch hier in Bombay oder Mumbai. (Ich weiß nicht, wie man politisch korrekt sagt, die Einheimischen sprechen offenbar selbst noch oft von Bombay.) Aber alles ist etwas erträglicher als in den bisher besuchten Städten. Man kann sogar manchmal eine Viertelstunde gehen, ohne angeredet zu werden. Hans ist außerdem angenehm berührt, weil es zumindest im Stadtzentrum keine offenen Kanäle gibt. Kühe haben wir übrigens auch noch keine gesehen.

 

20. Februar 2005, Sonntag, Mumbai/Bombay

Sonntag, nach zwei Uhr. Wir sind wie abgeschlaffte Fliegen ins Hotelzimmer zurückgekehrt. Dabei haben wir erst den Gateway of India besucht und eine Jause im Hotel Taj Mahal zu uns genommen, also sehr wenig Aktivitäten hinter uns. Ich glaube, es ist heißer als gestern. Wir wollen aber unbedingt noch zum Malabar Hill und zu den Hanging Gardens. Von der Lektüre der "Mitternachtskinder" - oder war es "Des Mauren letzter Seufzer" oder beider Bücher - von Salman Rushdie ist ein vages Bild von Bombay im Gedächtnis geblieben, in dem die Worte Malabar Hill, Hanging Gardens, Marine Drive und Türme des Schweigens eine Rolle spielen. Mir scheint, der Hauptantrieb dieser Indienreise ist der Wunsch, Bilder aus Büchern zu Wirklichkeit zu machen.

Viel später, halb zehn Uhr nachts. Alles erledigt, auch gegessen. Ich glaube, ich habe zugenommen in Indien. Jeden Tag ein fettes "garlic nan" zum Essen! Viel schwarzer Tee mit Milch und Zucker, Toast mit Butter und Marmelade, Gemüse- und Hühnchen in sämigen Joghurt-Saucen. Sogar Bier trinke ich hier. Und der köstliche Masala Tee mit Milch und viel Zucker. Er schmeckt nach Pfeffer und Zimt.

Es kracht immer wieder, und auch heute ertönte stundenlang das Gesang eines Vorsängers, die Menge wiederholte Melodie und Worte. Vielleicht findet am Wochenende ein Fest statt, an dem die ganze Stadt teilnimmt, oder in der Nähe befindet sich eine Arena oder ein Stadion oder ein großer Platz, auf dem sich viele Leute versammeln. Ich hatte nicht Lust, dem nachzugehen, was ja möglich gewesen wäre.
Hans hielt jedenfalls das Gesang für hinduistisch, ich eher für moslemisch. Es hat etwas Fanatisches an sich, und möglicherweise grundlos schreibe ich das eher den Moslems zu. Auch löste es in mir schon wieder die "Angstmaschine" aus. Viele fanatische Leute und die Folgen ... Aber nun scheint die Veranstaltung zu Ende zu sein. Auf der Straße vor unserem Hotel ist alles unverändert, ein paar Taxis warten auf Gäste, der Türsteher in Maharaja Robe plaudert mit jemandem. In den Bäumen raschelt der Wind.

Wir haben wieder festgestellt, dass die Leute, mit denen wir es zu tun haben, auf die kleinste nicht verbale Regung reagieren. Hans stellte im Restaurant die Kerze weg, weil sie plötzlich rauchte. Sofort war der Kellner da und platzierte sie außerhalb der Reichweite seiner Nase. Ich bemühte mich, ohne dass es jemand merken sollte, meine Zähne von den Fleischresten zu reinigen. Ein Behälter mit Zahnstochern erschien vor mir auf dem Tisch.

Der heutige Tag:
Frühstück zirka um neun Uhr. Noch mehr Österreicherinnen als gestern im Restaurant. Hans vermutet, dass ein österreichischer Pornofilm hier gedreht wird. Ich deute die Gäste weniger spektakulär und könnte mir vorstellen, dass die jungen Frauen, die einen Teil der Gruppe ausmachen, für einen Werbefilm hierher geflogen wurden. Sie zeigen sehr viel nackte Haut her und mich wundert, dass sie im kühlen Äishi- (AC)-Klima des Restaurants nicht frieren. Ich jedenfalls habe meine Wolljacke umgehängt. Bei der Gruppe sind auch einige junge Männer in yuppie-outfit und einige ältere Damen zwischen 45 und 55, sehr seriös gekleidet. Dass sie alle zur Begleitung unseres Bundespräsidenten gehören, der derzeit mit großer Delegation in Indien ist und auch Bombay besuchen wird, halten wir für eher unwahrscheinlich.
Nach dem Frühstück fahren wir in den achten Stock, wo sich der PC befindet, auf dem man internetten kann. Die letzten Emails aus Indien.

Anschließend wieder am Meer entlang zum Gateway of India, der wohl bekanntesten Sehenswürdigkeit Bombays. Sehr ähnlich dem Gate of India in New Delhi. Der Triumphbogen geht zurück auf einen Indien-Besuch von König Georg V. und seiner Frau Mary im Jahr 1911. Offiziell wurde er 1924 eröffnet. Vor dem Gateway wimmelte es von Leuten, und es gab eine in Bombay ungewohnte Attacke von Händlern, Schuhputzern und Taxifahrern. Besonders in Mode sind anscheinend gerade riesige flaschenförmige Luftballons. Wer kauft so etwas? Weiters wollten eine Unmenge Mönche mir ihr Willkommenstika auf die Stirne drücken, dem entkam ich aber jedes Mal. Die Abfahrtsstelle der Schiffe nach Elefanta-Island, die wir eigentlich recherchieren wollten, fanden wir nicht. Eine Menge kleinerer und größerer Schiffe ankert rund um den Gateway of India, aber wohin und wann die wohin fuhren, war nirgends zu eruieren. So fotografierten wir abseits der Menge auf einer beblumten Grünfläche ein Denkmal für Swami Vivekananda und ein anderes für Chhatrapati Shivaji. Der erstere ist ein hinduistischer Mönch und Philosoph gewesen, er lebte von 1863 bis 1902 und erwarb sich große Verdienste als Vermittler der westlichen und östlichen Geisteswelten (mehr: www.ramakrishna.org). Der zweite, nach dem sowohl der Zentralbahnhof wie auch der Flughafen benannt ist, lebte von 1630 bis 1680 und war der Gründer des Maratha-Kaiserreichs in West-Indien (mehr zu Chhatrapati Shivaji).

Plötzlich fühlte ich mich nicht sehr wohl, wir suchten das Hotel Taj Mahal auf. Dort fuhren wir in das oberste Stockwerk, denn laut Baedeker hat man von der dortigen Bar eine hervorragende Sicht auf die Stadt. Es gibt aber nur ein Restaurant, und dieses war geschlossen. Also wieder ins Café, es war schon Mittag, das Lokal füllte sich mit InderInnen und AusländerInnen, die hier ein Brunch mit Freunden oder Bekannten zu sich nahmen. Wir aßen Sandwichs und tranken Kaffee. Dass wir dafür 1300 Rupien zahlten, ist einsamer Rekord, und dass wir angesichts der vielen armen Leute so prassten, erfüllt mich mit einem unangenehmen Gefühl.
Im Taj Mahal sind anscheinend Schweizer Wochen. Die Serviererinnen trugen dirndlartige Gewänder, auf den Tischen standen kleine Schweizer Fahnen.

Nach der Rast im Hotel fuhren wir mit dem Taxi zu den Hanging Gardens. Der Taxifahrer trug ein weißes gehäkeltes Häubchen. Ich glaube, das deutet daraufhin, dass er Muslim ist.
Die Hanging Gardens, 1881 angelegt, sind ein sehr schöner Park mit Blumen und zu Tieren beschnittenen Hecken. Eigentlich heißen die Gärten Pherzeshah Mehta Gardens. Sie breiten sich oberhalb von Behältern, die als Wasserreservoir für Bombay dienen, aus. Über die Straße und den Hügel hinab liegt der Kamala Nehru Park, von dem aus man einen sehr schönen Blick auf den Marine Drive, die Back Bay und das ganze südliche Bombay hat. Er wurde 1952 angelegt und nach der Ehefrau von Jawaharlal Nehru benannt, der von 1947 bis 1964 der erste Ministerpräsident des unabhängigen Indien und der Vater von Indira Gandhi war.
Jetzt, am Sonntag nachmittag spazierten viele indische Paare und Familien in den beiden Parks, lagerten auf den Wiesen oder saßen auf den Bänken, machten Fotos voneinander, und kleine Kinder mit ihren Müttern, aber auch Vätern, drängten sich zu den Spielplätzen. Besondere Attraktion für die Kleinen war ein riesiger Stiefel, in den man eine Treppe hinaufsteigen konnte. War da nicht eine Rutsche, auf der sie herunterrutschten? Anscheinend bezieht sich der Stiefel auf einen bekannten Kinderreim, in dem der Schuh einer alten Frau vorkommt.
Die Babies werden sehr oft von den jungen Vätern getragen. Kinderwägen benützt man hier anscheinend nicht, wir bemerkten keinen einzigen.
Ich kann mich kaum satt sehen an den schönen Frauen in ihren prächtigen farbenfrohen Gewändern. In ihren Saris schauen alle Frauen aus, als ob sie auf einen Ball gehen würden. Die langen Zöpfe, oft so dick wie ein Handgelenk, erfüllen mich mit Bewunderung - und ein bisschen Neid.
Wir fotografierten - ich hoffe diskret - die eine oder andere Familie, das eine oder andere Paar. Plötzlich ließen sich rechts und links neben uns junge Männer nieder, und andere machten ein Foto von der Szene - ebenfalls nicht um Erlaubnis fragend. Ich konnte mich nicht aufregen!
Im bunten Bild der Frauen mit leuchtenden Saris und zur Schau gestellten glänzenden Haarfülle wirkten Musliminnen im Tschador wie dunkle Unheilsvögel. Ihr schwarzes Gewand bedeckte alles außer die Gesichter. Im Gegensatz dazu wirken die übrigen Inderinnen sehr frei, wie ich schon früher geschrieben habe, in ihrer Art, sich zu bewegen und auch im Kontakt mit ihren Partnern. Männer fotografierten ihre Frauen, und Paare umarmten sich oder kuschelten sich aneinander. Dasselbe Bild bot sich heute übrigens auch am Marine Drive.

Malabar Hill, auf dem die Grünanlagen liegen, ist die Gegend der Reichen, "eine bevorzugte Gegend der High Society" steht im Baedeker. Die hielt sich jedoch in den Parkanlagen eher nicht auf. Man sollte von hier aus auch die berühmten Türme des Schweigens sehen, wo die Religionsgemeinschaft der Parsen ihre Toten bestattet, aber wir konnten sie nicht entdecken.

Mit dem Taxi wollten wir noch bis zum Malabar point oder Raj Bhavan vordringen, wo der frühere britische Regierungssitz, der nun Residenz des Gouverneurs (oder Bürgermeisters?) ist, liegt. Doch wir waren nicht imstande, unseren Wunsch dem Taxifahrer, diesmal ein junger Bursch, verständlich zu machen. So ließen wir uns nach Chowpatty, dem Strand von Mumbai, der einem Teil des Marine Drive vorgelagert ist, führen. Von dort gingen wir zu Fuß zum Hotel zurück. Fünf Kilometer, meint Hans.

Irgendwo am Marine Drive jagten mit Stöcken bewaffnete Polizisten eine Menge junger Burschen, Buben und Männer. Ich wäre fast in diese Szene hineingeraten. Plötzlich befand ich mich zwischen der flüchtenden Menge und den anrückenden Polizisten. Aber ich fühlte mich nicht betroffen und gelangte heil zu Hans, der mich wegen meiner Sorglosigkeit schimpfte - etwas, zu dem ich ihm sehr selten Anlass gebe! Warum heute so viele Polizisten am Marine Drive postiert waren, erfuhren wir nicht.
Im Hotel Marine Plaza, ganz im Jugendstil eingerichtet, benützte ich die schöne Toilette. Hans fotografierte in der Zwischenzeit von unten den Pool aus Glas, der im Dach über der Lobby des Hotels eingelassen ist.
Eigentlich wollten wir, wie im Reiseführer empfohlen, den Sonnenuntergang anschauen und setzten uns zu diesem Zweck auf die Mauer zum Meer, wie viele, viele andere auch. Aber leider sind wir nicht unauffällig, und bald gesellten sich neugierige Burschen zu uns. Wir zogen ab.

Im Hotel wusch ich mir wieder die Haare. Hans sagt, der Dreck hier in der Luft wirke wie ein Haarfestiger. Jedenfalls werden die Haare von einem Tag auf den anderen struppig wie Stroh. Dann essen. Wieder Live-Musik, garlic nan und Masala Tee. Hier bekommen wir jedes Mal nach dem Essen ein Schüsselchen mit heißem Wasser und Zitronenscheibe, um die Hände zu reinigen. Eigentlich soll das ja in Indien überall gang und gebe sein. Aber vielleicht doch nur, wenn man mit den Händen isst. Wir waren übrigens nie in einer Umgebung, in der mit den Händen gegessen wurde. Auch die Männer in der Wüste benützten Löffel.

Wieder Bettler. Hans gab einer leprösen Frau, die uns schon im Taxi angebettelt hatten, beim Zurückgehen ein paar Rupien. Schrecklich, wenn plötzlich im Autofenster ein Armstumpf erscheint oder ein entstelltes Gesicht oder auch nur der Kopf eines total verschmutzten kleinen Kindes. Ich denke, es ist sehr schlecht, davon angewidert zu sein. Aber ich will das alles nicht sehen. Das ist nicht die richtige Haltung! Meistens ist der Widerwille stärker als das Mitleid. Hans sagte mir schon einmal: "Du bist wie die Frau Hitt!" Frau Hitt hat einer Bettlerin mit ihren Kindern Steine angeboten und wurde daraufhin selbst zum Stein - eine Zacke in der Nordkette bei Innsbruck. Zum Glück hat Hans fast immer Kleingeld in der Hosentasche, das er verteilt.

 

21. Februar 2005, Montag, Mumbai/Bombay

Montag hat alles geschlossen, das Prince of Wales Museum, die Jehangir-Gallery, die National Gallery und auch Elefanta Island! Das letztere steht in keinem Reiseführer.

Beim Eingang des Taj Mahal-Hotels fiel uns eine Art Tafel aus gelben und roten Tagetesblüten auf - sicher 2,5 mal 3 Meter groß. Wir beginnen die Schrift zu entziffern: "The Taj Mahal Palace and Tower Mumbai welcomes H.E. Heinz Fischer, President of the Republic of Austria and Mrs. Margit Fischer."
Wir fotografieren die Tafel und warten eine Weile, es ist 10.15 Uhr, und ein weißer Mercedes mit indischem und österreichischen Fähnchen steht vor der Hoteltür. Aber Heinz Fischer und seine Gattin kommen nicht. Die Türsteher-Maharajas schauen unauffällig immer wieder in unsere Richtung, und so spazieren wir weiter zum Haupteingang des Hotels. Wir nehmen wieder einen Kaffee und suchen nochmals die Buchhandlung auf. Gerade, als Hans und ich uns vor der Auslage unterhalten, hören wir ein Rauschen. Ich drehe mich um. Heinz Fischer, Margit Fischer und eine größere Gruppe von Menschen drehen auch gerade den Kopf zu uns her, wahrscheinlich wegen unseres österreichischen Deutsch. Aber das dauert nur eine Sekunde. Dann sind sie ums Eck verschwunden. Wie wir später an der Tafel neben dem Lift lesen konnten, gab es indisch-österreichische Gespräche und "the chief minister of Salzburg" (Landeshauptfrau Gabi Burgstaller) lud zum Lunch ein.
Auch Präsident Fischer verbrachte heute seinen letzten Tag der sechstägigen Indieneise in Mumbai. Die Welt ist klein - oder aber das Wegenetz der Touristen in Indien und in dieser großen Stadt.

In der Buchhandlung Nalanda kaufte ich zwei Bücher über indische Frauen: Von Anees Jung "Beyond the Courtyard", erschienen 2003, und von Rinki Bhattacharya herausgegeben "Behind Closed Dors - Domestic Violence in India", erschienen 2004. Auch zwei indische Kochbücher erstand ich. Da alles Kulturelle geschlossen war und wir auch nicht nach Elefanta Island fahren konnten, verwirklichten wir ein anderes Vorhaben und gingen ins Kino. "Chehraa" hieß der Film. "Overall, Chehraa isn't worth it. It is a waste of time", steht in einer Internet-Kritik (mehr: http://www.rediff.com/movies/2005/feb/18chehra.htm )

Hans hat seinen Kollegen Peter angerufen. Der sagt: "Wien versinkt im Schnee."

 

24. Februar 2005, Wien

Wieder daheim. Es schneit noch immer oder schon wieder. Ich habe die CD mit indischen Schlagern aufgelegt, um etwas Farbe ins Wiener Grau-Weiß zu bringen.

Nachtrag zu Indien:
Am 21. Februar, am Montag, waren wir also zuerst im Taj Mahal, tranken dort Kaffee und aßen Cookies, begegneten dann tatsächlich unserem Bundespräsidenten und kauften Bücher.
Anschließend Kinobesuch von 12.30 bis 15.30 Uhr. Ein großer Kinosaal. Über uns wedelten viele Ventilatoren und brachten Zugluft in den Raum. Schütteres Publikum. Eher mehr Männer, aber direkt vor uns saßen zwei Frauen, die zusammen gekommen waren. Zuerst Werbung.
Dann eine Vorschau zum Film "Little Terrorist". Diese mit englischen Untertiteln. Schauplatz ist die indisch-pakistanische Grenze. Eine Grenze, die nicht überschritten werden darf, wie früher in Europa der Eiserne Vorhang. Buben spielen mit einem Ball, der fällt durch das Drahtgitter des Grenzzaunes. Einer der Buben kriecht durch, um ihn zu holen. Da ertönt eine heftige Detonation. Polizei oder Soldaten sind sofort zur Stelle, um den Urheber dieses Anschlags zu erwischen. Der Bub muss sich verstecken. Ein Lehrer, der mit dem Fahrrad vorbeikommt, nimmt ihn mit zu sich nach Hause. Er und seine Tochter verstecken ihn, schneiden ihm die Haare, und bei einer Militärkontrolle kommt er als sprachbehinderter Bruder durch. Nachts begleiten ihn der Lehrer und seine Tochter dort über die Grenze, wo man von den Wachtürmen keinen Einblick hat. Die Mutter drischt den Buben, weil er die Haare abrasiert hat. Ende der Vorschau.
Danach erschien auf der Leinwand die Aufforderung, aufzustehen, weil die indische Hymne gespielt würde. Wir standen folgsam auf.

Dann der Hauptfilm "Chehraa". Was das Wort bedeutet, wissen wir nicht. Die Heldin hieß Megha. Diese Megha war anfangs ein emanzipiertes Mädchen. Der Film beginnt damit, dass Megha das Auto eines Taxlers zerdrischt, der sie angemacht hat. "Let me be me" hieß der erste Song, denn in Bollywood-Manier wurden immer wieder Lieder und Tänze eingestreut. Das Mädchen studierte Psychiatrie. Zuerst sah alles ganz gut aus, dann wurde man in die Kindheit Meghas zurückgeführt und der Ernst begann. Meghas Mutter wurde vom Vater so gequält, dass er sie in den Wahnsinn trieb. Irgendwann ersticht Meha diesen Vater. Megha hat eine sehr netten Studienkollegen namens Aakash, die beiden lieben einander. Aber nach dem Mord am Vater ist eine Pause, ich überprüfe die hiesige Toilette, und danach ist es fünf Jahre später. Aakash ist schon Arzt. Megha hat einen reichen Typen aus Dubai geheiratet, der rauschgiftsüchtig ist. Megha ist selbst psychisch krank geworden. Es geht nun weiter darum, dass Aakash Megha retten will vor diesen üblen Dubai-Typen. Das Rettungsspiel zieht sich endlos hin, die zwei kommen nie wirklich zusammen. Das Ganze ist in Hindi oder Marathi, immer wieder unterspickt mit ein paar englischen Brocken. Zum Beispiel stöhnt Aakash: "I love you Megha." Megha ist nun nicht mehr so freigiebig mit ihrer Haut wie im ersten Teil. Erstaunlich ist, dass es in allen Musiknummern von ziemlich freizügig angezogenen Mädchen nur so wimmelt, obwohl es in Indien ansonsten unüblich ist, Busen und Beine zu zeigen. Megha trägt auch nie einen Sari. Am Schluss hätte Aakash Meghas Mann erschießen sollen, tut es aber nicht, und Megha stürzt sich aus dem Fenster eines Dubai-Wolkenkratzers. Der Film endet mit dem Hinweis: "Some love-stories end like this."
Anfangs glaubt man, es handle sich um einen Emanzipationsfilm, am Ende erweist er sich aber eigentlich als das Gegenteil.

Dann ließ Hans sich ein letztes Mal um 200 Rupien die Schuhe putzen. Der Bub schnappte das Geld und lief davon, obwohl ein weiterer Kunde schon wartete. Wir kehrten ins Hotel zurück. Packen, ruhen. In der Abenddämmerung nochmals zum Colaba Causeway, ein Bad in der Menge. Von einem Mann im schwarzen Kaftan und Häkelhäubchen kaufte ich zwei Blusen mit Glitzersteinen um 400 Rupien.
Ein Höhepunkt ist noch das letzte Abendessen: Murg Fariyas, Nan mit garlic, Masala-tea. Der Kellner fragt uns, wie es uns geschmeckt hat und ob wir mit dem Service im Hotel Fariyas zufrieden waren. Wir loben alles. Um zehn Uhr brechen wir mit dem hotel car zum Flughafen auf. Der Chauffeur fährt mörderisch, zum Beispiel auf der Autobahn gegen die Richtung (aber nicht nur er!), über Sperrlinien, bei roten Ampeln. Es sei so viel Polizei auf den Straßen, erklärt er uns, weil der President of Austria ebenfalls um diese Zeit zum Flughafen fahre.

Am Flughafen geht alles glatt. Eine Gruppe junger Frauen drängt sich beim Einchecken vor. Alle übrigen Passagiere sitzen bereits fast eine Stunde im Flugzeug, als sie endlich zusteigen. Sie benützen die Business-class. Mit beträchtlicher Verspätung erheben wir uns um halb drei Uhr nachts endlich in die Lüfte. Die Tupolev TU 214 verfügt nicht über die kleinen Monitore, auf denen man die Route des Fliegers verfolgen kann, sodass wir nicht wissen, wann wir Pakistan, Afghanistan und das Pamir-Gebirge überqueren. Die Hälfte der acht Stunden Flugzeit bebt die Tupolev unter Turbulenzen. Immer wieder durchzuckt das Flugzeug ein Ruck, als ob es in der Luft einknicken würde. Hans spricht von Flugkorrekturen. Wir erreichen Moskau aber unbeschadet. Die Sonne scheint. Eiskristalle auf den Fenstern des Busses, der uns zum Transfer bringt. Es hat minus 18 Grad. Auch in Wien empfangen uns Sonne, Schnee und Eis.

Hans will einen "offenen Brief an die Inder" ins Internet stellen mit hundert Fragen, die ihm auf dieser Reise eingefallen sind.

Ich nehme mir vor, beim nächsten Mal in Indien den Bettlern mehr zu geben. Denn immer, wenn es Nacht wird, bohrt mir die kleine Bettlerin aus Mumbai, die Hans so lange verfolgte, bis er ihr eine zweite Münze gab, ihren dunklen Blick in die Seele.





 

Literatur und Hinweise

Zitate und Angaben über die Sehenswürdigkeiten stammen, wenn nicht anders angegeben, aus
Martin und Thomas Birkmeier, Reise Know-How Rajasthan mit Delhi und Agra, Reise Know-How-Verlag, Bielefeld, 4. Auflage 2005

Die Angaben über Bombay/Mumbai stammen aus dem
Baedeker Indien, 2. Auflage 2000

Weitere Zitate aus:
Edda und Michael Neumann-Adrian, Olaf Krüger, Zeit für Indien, Econ Ullstein List Verlag GmbH, München, 2002

Monique Choy, Sarina Singh, Rajasthan, includes Delhi and Agra, Lonely Planet Publications, Victoria, Australia, 2002

Demographische Daten zu Indien: http://www.ipicture.de/daten/demographie_indien.html

Zu den Religionen Indiens:http://destination-asien.de/indien/religion.htm


Ruth Linhart | Reisen | Anfang | Fotos Email: ruth.linhart(a)chello.at