13. Februar 2005, Sonntag, Udaipur
Es ist halb neun Uhr früh. Die Sonne
scheint. Im ausgetrockneten See raufen Hunde.
Der derzeit nicht vorhandene
See geht auf das 15. Jahrhundert zurück, als ein Kaufmann aus Ärger
über die jährlichen Überschwemmungen während des Monsuns
einen Damm errichten ließ. "Durch das aufgestaute Wasser entstand der
Pichola-See, an dessen östlichem Ufer 200 Jahre später der aus
Chittorgarh vertriebene Udai Singh seine neue Hauptstadt Udaipur gründete
... Ähnlich wie der Palast wurde auch der See über die Jahrhunderte
von den verschiedenen Herrschern mehrfach erweitert und ist heute etwa 4 km
lang und 3 km breit. Genau lässt sich das nicht festlegen, da der See
äußerst flach ist und während der Trockenzeit bis auf die
Hälfte schrumpft."
Das ist die einzige Stelle in all den Lobliedern auf
"das Venedig des Ostens" und den "romantischesten Ort ganz Indiens", die auf
eine mögliche Reduzierung des Sees Bezug nimmt. Die Hälfte wäre
ja noch immer etwas...
"Udaipur - ein Stadtgebilde, das einer orientalischen
Filmfantasie entsprungen scheint..."
Ich kann nicht umhin,
enttäuscht zu sein.
André Heller war da, und mindestens drei
von den Burschen, die uns ihre Malschule zeigen wollten, fahren demnächst
zu ihm nach Austria, oder gar "nach Graz" - sagen sie. "He was in my school!"
"He saw my exhibition." "I like André Heller." "He liked my works"
...
Eine kleine Recherche im Internet bringt zutage, dass André
Heller 1991 gemeinsam mit Werner Herzog hier einen Film gedreht hat: "Jag
Mandir - Das exzentrische Privattheater des Maharadjah von Udaipur ", und dass
im selben Jahr vom Wiener Verlag Brandstätter ein Buch mit dem Titel
"Jagmandir - Traum als Wirklichkeit. Das exzentrische Privattheater des
Maharana von Udaipur" erschien.
Möglicherweise war André Heller
vor kurzem wieder da.
Wir machten unseren Antrittspaziergang über den
See bis zum Stadtpalast, und dort fing uns gleich ein geschickter
Verkäufer ein. Wir verbrachten viel Zeit in dem Stoffgeschäft,
kauften vier Schals, Hans lässt sich drei Hemden machen, ich einen Rock
samt Bluse und Schal in der Manier rajasthanischer Frauen und für mich und
meine Schwester zwei "Panjabi"-Gewänder - Bluse, Hose und Schal. Alles aus
Seide. Die rajasthanische Tracht in Dunkelrot mit Gold, die beiden Panjabis
grün und lila-blau mit den weißen Ringerln, die jetzt Mode sind.
Für meine Nichte einen Sari aus grünblauer Seide. Wir zahlten
über 12 000 Rupien, auch in Österreich nicht wenig Geld und hoffen
nun, dass die Sachen tatsächlich morgen Abend ins Hotel geliefert werden -
und auch passen!
Jetzt sitzen wir auf der Hotelveranda im Schatten, wenige
Meter über dem "See". Ein leichter Wind weht, es ist ein sehr angenehmes
Sommerwetter. Dass der See ausgetrocknet ist, bleibt mehr als ein
Wermuts"tropfen".
Es gelang mir nicht, eine Frau im Sari, die
Moped fährt, zu fotografieren. Bei Fortgehen sah ich eine im
dunkelgrünen und mit Glitzersteinen geschmückten Sari. Das wäre
ein Bild gewesen! Es ist jetzt drei Uhr. Wir haben nichts zu tun als zu
faulenzen.
Eine richtige Sonntagsnachmittag-Stimmung hat sich ausgebreitet.
Hans schläft. Durch das offene Fenster kommen die Kinderstimmen vom
"Seegrund": "Hallo Sir, Rupie". "Excuse me Sir, choklit".
14. Februar 2005, Montag, Udaipur
Es gibt nichts mehr Spottbilliges, wie vor zehn
Jahren in Nepal. Für die einheimische Bevölkerung ist das jedenfalls
eine positive Entwicklung.
Anscheinend herrscht auch hier erst seit zwei
Tagen schönes Wetter. Allerdings macht die Wärme fast mehr Probleme
als das kühle Wetter. Wohin mit den dicken Kleidungsstücken, wenn wir
reisen?
Auch die AC (äischi - Air Condition) in diesem Zimmer ist
kaputt - wie jene im Auto. Wir haben schon zwei Nächte geschwitzt.
Heute machten wir eine Stadtrundfahrt. Herr
Mihendra fuhr uns in einem weißen Ambassador-Auto. "Where you come from?"
"Ah, Austria, yes Vienna, André Heller". Laut Mihendra gibt es wenig
österreichische Touristen hier, hingegen viele Franzosen, Briten,
Americans, Germans, Italians und Spanish people.
"You like India?" "Many
people", sagte Hans. Das bestätigte er. Darum gebe es keine Arbeit.
Österreich mit seinen insgesamt rund acht Millionen Einwohnern ist da
besser dran, in Indien hat eine Stadt wie Delhi schon allein dreizehn Millionen
Einwohner! "Was ist die heißeste Temperatur in Österreich?" "Zirka
38 Grad. Ganz selten, alle paar Jahre, hat es auch über 40 Grad." "In
Udaipur 50 Grad. Wenn es so heiß ist, kann man am Tag gar nichts
arbeiten, erst am Abend".
Die erste Station unserer Stadtrundfahrt ist der
City Palace. Wir nehmen uns keinen guide, was zu sparsam ist. Zum
Glück sind guides in vielen Sprachen unterwegs, sodass man deren
Erklärungen mithören kann.
Der City Palace ist der
größte in Rajasthan, ein langgestreckter Repräsentationsbau,
der im Verlauf von vier Jahrhunderten zu dem wurde, was er heute ist. Noch
immer wohnt der Maharana dort, es gibt zwei Luxushotels in seinen Mauern.
Zugänglich für die Besucher ist nur das City Palace Museum.
Vor
allem kann man dort Miniaturmalerei im Mewar-Stil bewundern. Häufiges
Motiv auf den Gemälden ist die Schlacht von Haligath, bei der das
Lieblingspferd des Königs Udai Singh II, des Gründers von Udaipur,
starb, nicht ohne vorher noch seinen Herren gerettet zu haben.
Laut Reiseführer begann die Geschichte Udaipurs
begann mit der dritten und letzten Eroberung der Mewar-Hauptstadt Chittorgarh
durch den Mogulherrscher Akhbar 1568. Damals kamen 30 000 Menschen um. Am 21.
Juni 1576 standen sich Akhbar und der Sohn Udai Singhs, Pratap, bei Haldigathi,
48 km nördlich von Udaipur, gegenüber. Akhbar siegte, die Mewaris
gingen wegen ihrer tapferen Gegenwehr in die Geschichtsbücher ein. 1614
mußte Prataps Sohn Amar Singh I endgültig die Vorherrschaft der
Moguln anerkennen. Es folgte eine vergleichsweise friedliche Periode, in
welcher der Jagdish-Tempel erbaut wurde, dessen Turm wir von unserem Hotel aus
in der Stadtsilhouette erkennen können. Sha Jahans (Erbauer des Taj Mahal)
Sohn Aurangzeb, der von 1658 bis 1707 lebte, zerstörte auf seinen
Kriegszügen vieles an hinduistischer Kultur. Dessen Tod brachte den
endgültigen Niedergang der Mogul-Herrschaft. Aber 1818 mussten sich die
Mewari der britischen Oberhoheit beugen.
Nach der Zeit der großen Schlachten beginnen
auf den Gemälden die Jagddarstellungen zu überwiegen - Jagd auf
Tiger, Bären und Wildschweine. Die Miniaturgemälde bezeugen, wie die
Tiger, in die Enge getrieben von allen Seiten, unter anderem von Elefanten,
massenweise niedergestreckt wurden
Im Museum des Stadtpalastes erfährt
man auch, dass es der King von Udaipur war, der 1948 als erster Maharaja seine
Bereitsschaft zum Beitritt in die neue indische Union besiegelte. Dieser
Fürst war behindert, ein Lift wurde eingebaut, ein Rollstuhl wird
hergezeigt und auch ein Leibsessel.
Unsere zweite Station auf der Stadtrundfahrt ist
der Shree Jagdish-Tempel, der dem Gott Vishnu geweiht ist. Er wurde 1651
in rein indo-arischem Stil fertig gestellt.
Als wir den Tempel betreten, ist
es gerade zwölf Uhr, und es findet ein Opfer, ein Puja, statt, ins
Katholische übersetzt, eine Art Andacht. Ich Ignorantin weiß das
aber nicht. Die Glocken scheppern derartig laut, dass ich die Hände nicht
falten, sondern sie mir an die Ohren halten muss, was sicher unmöglich,
vielleicht sogar beleidigend ist. Überall wird man angebettelt, so auch
hier. Ein älterer Mann mit Bart steht plötzlich hinter Hans. "I
collect Euro-coins." Hans: "I collect them too." Das beeindruckte den Bettler.
"You are welcome", murmelt er und lässt von uns ab.
Am Fuße der
32 steilen Stufen saßen gestern und heute Frauen mit Körben voll
gelber und oranger Tagetesblüten, die für das Puja gedacht sind. "Ah,
Austria!" freute sich der einäugige Mann, der uns gestern an derselben
Stelle angesprochen hatte und uns auch heute wieder dringend den Besuch seiner
"exhibition" nahe legt. Alle malen hier Miniaturbilder, die wiederum alle an
die Touristen verklopft werden sollen.
Wir verlassen die Altstadt und fahren in die
Neustadt, die uns wie schon bei der Ankunft nicht anders vorkommt, als die
anderer Städte, die wir bisher gesehen haben: Verkehrschaos, Abgaswolken,
zwischen den Fahrzeugen Kühe. Am Straßenrand entlang gehen Frauen im
Sari, Panjabi oder rajasthanischem Rock mit Bluse und Schleier, viele mit
Lasten, sowie Männer, die meisten westlich gekleidet. Nur ganz selten
sieht man in der Stadt einen Mann im traditionellen indischen dhoti, einem
weißen Baumwolltuch, das um Unterleib und Beine gewickelt wird. Frauen
und Männer gehen meistens in einem gemächlichem Tempo und
benützen Gehsteige auch dann nicht, wenn es sie gibt - weil die zu
schmutzig sind oder von Handwerkern und Händlern verstellt. Neben der
Straße zieht sich oft eine "Schmutzzone" dahin, wie wir es zu nennen
begonnen haben, mit offenem Kanal und Verkaufsständen. Dahinter relativ
niedrige Häuser mit schwarzen Öffnungen, viele Geschäfte
beherbergend. Friseure und Schneider arbeiten vor den Hauseingängen. Wir
beobachten Frauen bei Schwerstarbeiten. Sie schleppen nicht nur Ziegel und
behauen Steine, sondern sie sind auch als Schmiedinnen tätig sind.
Während ein Mann das Schmiedeeisen hält, schlagen mehrere Frauen mit
dem Hammer rhythmisch zu. Hocken ist die bevorzugte Haltung bei allen
Tätigkeiten.
Der Chauffeur lässt uns vor dem
Ethnologischen Museum aussteigen, dem Bhartiya-Lok-Kala-Museum. "Es
vermittelt einen interessanten und umfangreichen Einblick in die
vielfältige Kultur Rajasthans. Gezeigt und auf englischen Begleittexten
gut erklärt werden Kleider, Gebrauchsgegenstände und
Musikinstrumente", steht im Reiseführer.
Wir bewundern vor allem Masken
und Bilder mit Darstellungen von Volksmärchen. Da gab es einmal einen
Mann, der rettete einer Kobra das Leben. Diese wollte ihr Recht, ihn zu
töten, trotzdem durchsetzen. Der Mann bat sie, vorher noch etwas erledigen
zu dürfen. Er wurde währenddessen in einen Kampf verwickelt und so
verletzt, dass kein Stück seines Körpers mehr heil war, nur mehr die
Zunge. Diese bot er der Schlange für ihren tötlichen Biss an, und sie
nahm das Angebot wahr. Wenn man seither den Namen dieses Mannes ausspricht, so
wirkt das als Zauberspruch gegen Kobras. Leider merkte ich mir den Namen nicht,
ich glaube, er fing mit "M" an.
Teju hat in dem Jain-Tempel in der
Wüste Thar, in dem eine Kobra wohnt, darauf hingewiesen, dass die Kobra im
Hinduismus als positives Wesen angebetet wird. Sie ist die Weltschlange Ananta,
auf der der Welterzeuger Vishnu ruht, ein Symbol göttlicher und
königlicher Weisheit (mehr dazu:
Wischnu,
Schlangenkult
).
Landesweit bekannt ist die Puppensammlung des Museums, und die Besucher
kommen in den Genuss einer kurzen Aufführung. Auch hier spielt eine
schwarze lange Schlange, wahrscheinlich eine Kobra, eine Hauptrolle - ein
Schlangenbeschwörer in Turban und langem Mantel lässt sie
beeindruckend tanzen.
Schließlich hielten wir beim
Saheliyon-ki-bari, dem "Haus der Freundinnen", einem im 18. Jahrhundert
angelegten Park mit Rosenbeeten, Lotusteichen und Wasserspielen. In diesem
Lustgarten trafen sich die Maharanas mit ihren Konkubinen. Jetzt beeindrucken
vor allem die herrlichen Bougainvilleas, die sich vor dem tiefblauen Himmel
heute besonders gut ausnehmen.
Hans kauft am Stand vor dem Park eine
Kokosnuss.
Ja, und dann stellte uns Fahrer Mihendra vor die
Wahl, in eine Silberwerkstätte oder eine Werkstätte für
Miniaturmalerei zu fahren. Wir hätten natürlich "Nein" sagen
können, aber weil wir Mihendra nicht enttäuschen wollten, weil wir
ein bisschen neugierig waren und wussten, dass wir der Miniaturmalerei bzw.
ihrem Erwerb doch nicht auskommen würden, wählten wir das zweite
Angebot.
Ziemlich am Rand der Stadt - Mahindra erklärte, dass reichere
Leute mit Vorliebe aus der engen schmutzigen Stadt hier heraus zögen -
erklärte uns ein gepflegter Enddreißiger die Feinheiten der
Miniaturmalerei. Er teilte uns sein Alter mit, weil er uns wissen ließ,
dass er nur mehr sieben, acht Jahre dieser Tätigkeiten nachgehen
könne. Nein, nicht nur die Augen würden schlecht, auch der Kopf sei
nicht mehr so gut, so konzentrationsfähig. Er habe Miniaturmalerei am
College studiert, heute interessierten sich nicht mehr viele junge Leute, die
Kunst studieren, dafür.
Die Gäste des Malerkollektivs werden in
einem Raum mit niederen Tischen empfangen. Die Kollegen seien Mittagessen,
sagte der Mann, der hinter einem der langen Tische am Boden saß und uns
als erstes diverse Rohmaterialien für die Naturfarben zeigte, Halbedel-
und Edelsteine. Blau zum Beispiel entsteht aus Lapislazuli. Farben und
Perspektive spielen bei der Miniaturmalerei eine besondere Rolle. Er zeigte uns
auch die hauchfeinen Pinsel, mit denen in winzigen Bewegungen das
vorgezeichnete Bild ausgefüllt wird. Ein anderer Miniaturmaler hat uns
gesagt, dass diese aus den Haaren lebendiger Streifenhörnchen sein
müssten. Unser Experte arbeitete gerade an einem relativ großen Bild
mit einem Lieblingsmotiv für die Touristen: der blaue Pichola-See, an
diesem liegend der weiße Stadtpalast und reitend der König mit
seinem Gefolge, dies in sehr bunten Farben. Ein anderes Motiv sind die Tiere
der diversen Königreiche Rajasthans. Aber die Zeichnungen beschränken
sich vorwiegend auf das Kamel, den Elefanten und den Pfau.
Nach der
Einführung wurde es ernst. Wir begaben uns in den Raum mit den Bildern.
Der Preis hängt davon ab, ob sie von einem Studenten oder einem Meister
und in wie vielen Tagen sie hergestellt worden sind. Wir erstanden nach langem
hin und her zwei kleinere, aber sehr hübsche Bilder mit dem Gott Shiva und
seiner Gemahlin Parvati - den Göttern, die für die eheliche Liebe
zuständig sind, sagte unser Informant. "Heute ist Valentinstag", wusste
er. "Schenken Sie sich doch gegenseitig ein Bild und die restlichen zwei des
Zyklus bringen Sie Freunden mit!" Solche und ähnliche Vorschläge
würzten das ganze Kaufgespräch. Wir nahmen schließlich zweimal
Shiva und Parvati in verschiedenen Positionen, eines in 31 Meisterstunden, das
zweite in 26 Meisterstunden hergestellt - was sage ich! Nicht um Stunden drehte
es sich, sondern um Tage. Wir haben den Verdacht, dass die Tagesarbeitszeit der
Meister sehr kurz gewesen sein muss.
Der Miniaturmeister erklärte uns, dass es
in Indien nur drei Jahreszeiten gibt: Winter, Sommer, Monsun. Die Farbe des
Winters sei blau, des Monsuns grün und des Sommers braun. Zahlreiche
Bilder gab es in diesen drei Farbvarianten.
Später kauften wir noch ein kleines Bild
mit drei Pfauen in der Wüste. Das Bildchen ist auf Plastik gemalt -
Miniaturbilder haben als Untergrund Seide, Elfenbein oder eben Plastik - und
erinnert mich an die Pfaue in der Wüste Thar.
Wir erwarben das Werk in
der "School", deren Vertreter uns jeweils abfangen, wenn wir das Hotel
verlassen. Die Malschule ist angeblich eine Studentenkooperative mit 35
beteiligten Familien, der wir durch unseren Kauf weiterhelfen.
Bei der
Präsentation der Bilder wurden wir wieder mit einer enormen Anzahl von
Werken und Kaufvorschlägen benebelt. Typisch ist auch, dass nach
abgeschlossenem Kauf noch während man im Geschäft steht, eine neue
Verkaufsattacke gestartet wird. Damit hatte aber noch niemand bei uns Erfolg.
Die Händler würden sicher viel mehr Geschäft machen, wenn sie
die potentiellen Käufer weniger bedrängen würden.
Unser Großauftrag bei Indian Handicrafts &
Indian Spices von Mohan Gurani und Shri Ganesh "inside City palace Udaipur",
die laut Visitenkarte ein Haus "of Embroidery, Marbles, Jewellery, Wooden Brass
& All kinds of Handicrafts & Textiles" sind, erwies sich als
"Hereinfaller". Das Paket mit unseren bestellten Sachen im Wert von zirka 4000
österreichischen Exschillingen wurde pünktlich heute Abend an der
Rezeption des Hotels abgegeben. Die Hemden von Hans sind zwar schlampig
genäht (z.B. fransige Knopflöcher und ziehende Nähte), aber sie
passen ihm. Verschnitten sind meine Blusen - Schultern und Ärmel zu eng,
und das obwohl sehr viel abgemessen und aufgeschrieben wurde. Das
Panjabi-Gewand für meine Schwester sollte an allen Nähten drei inches
breiter sein als meines. Ergebnis ist, dass meines mir zu eng ist und die Bluse
meiner Schwester mir gerade passt, aber die Hosen für beide zu eng sind.
Das rajasthanische Gewand aus prächtiger rot-goldener Seide passt
ebenfalls nicht, was die Bluse anlangt. Alle drei Schals sind unwahrscheinlich
schleißig gemacht, Stoffstücke einfach zusammengenäht, ohne
wenigstens die Nähte zu verendeln, sodass die Fransen überall weg
stehen. Nur der Sari für meine Nichte wurde ordentlich gebügelt. Bei
einem Sari ist wenigstens nichts zu verpatzen. Ich bin sehr froh, dass ich Hans
abgeraten habe, sich einen Wollanzug mit Gilet um 100 Euro nähen zu
lassen. Was hat man vom wertvollsten Stoff, wenn das Kleidungsstück
verschnitten ist!.
15. Februar 2005, Dienstag, Udaipur
Wir waren heute mit dem Rikschafahrer, der uns
schon tagelang belauert, im Hauptpostamt. Später kauften wir im
Palastbezirk Mitbringsel, Kettchen mit Carneol, Amethyst, Topas, Granaten und
anderen Edelsteinen. Für mich solche Ohrgehänge. Der Besitzer des
Geschäftes, ein älterer Herr, zog uns in seinen Laden hinein, bot uns
Tee an, als aber von seinem Mitarbeiter zwei Touristen angekarrt wurden, die
sich für Miniaturmalerei interessierten, ließ er uns einfach sitzen
und verschwand mit den Neuen in einem Hinterkämmerchen des
Geschäfts.
Nach diesem Einkauf spazierten wir an den Geschäften
vorbei durch eine Straße, in der wir bisher nicht waren. Wir kauften
einen winzigen silbernen Ganesha. Im Lokal mit der Dachterrasse gegenüber
vom Jagdish-Tempel Mittagsjause. Ja, und eine Reisetasche aus Stoff um 200
Rupien kauften wir auch noch. Das ist wirklich billig.
Zu Fuß zum Hotel zurück. Nachmittagsruhe.
Um 16 Uhr Abfahrt nach Nagada (ausgesprochen als Nagda) und Eklingji, zwei
Tempelanlagen in der Umgebung von Udaipur. Schöne Bergstrecke.
Hübsche Hügellandschaft. Man passiert den 784 Meter hohen
Chirwa-Ghata-Pass. An der Ausfahrt von Udaipur zahlreiche Marmorbetriebe oder
besser Steinmetze. Die Luft voll weißem Staub. Ich muss immer noch
husten. Große Reklametafeln für "Aravali Onyx".
Nagada
"Neben dem ältesten, nur noch in Ruinen
erhaltenen jainistischen Adbhutji Tempel steht ein Hindu-Tempelkomplex aus dem
11. Jh. mit dem geheimnisvollen Namen Sas Bahu (Schwiegermutter -
Schwiegertochter), der vor allem wegen seiner schönen Steinreliefs an den
Außenwänden gefällt" (Reise Know How-Führer).
Nagada
liegt malerisch inmitten einer sattgrünen Hügellandschaft, Palmen,
andere prächtige Bäume, Felder. Als wir ankamen, war fast niemand
dort. Wohltuende Stille. Später traf ein Bus mit einer deutschen
Reisegruppe ein. Ein alter Mann sprach uns an, ein Tempel-guide. Es ist doch
besser, etwas erklärt zu bekommen.
Hier soll eine Stadt gewesen sein,
die von einem Erdbeben (?) zerstört wurde. Die Reliefdarstellungen aus dem
Ramayana, dem Mahabaratha, von den drei Götterpaaren Vishnu und Lakshmi,
Shiva und Parvati und Brahma und Sarasvati, erotische Darstellungen. Alles in
Braun, aus Marmor. Viele der Reliefs haben zerstörte Gesichter oder
abgeschlagene Gliedmaßen, Spuren der islamischen Moguln, denen die
hindustische Kultur ein Dorn im Auge war.
Beim Zurückgehen zum Auto drapierten sich drei farbenfrohe
Mädchen ohne unser Ersuchen fotomäßig, eine Frau mit Kind trat
dazu. Ich fotografierte und Hans gab ihnen zehn Rupien. Das war ihnen zu wenig.
Aber sie lachten uns trotzdem an, als wir schon im Auto saßen.
Ausgesprochen hübsche Gesichter, wunderschöne Augen. Die Frau mit
Kind, wenige Jahre älter, wirkte verhärmt.
Diese Tempelanlage war
eine Oase des Friedens.
Eklingji
Der Tempel ist für Pilger und Touristen
erst nachmittags ab halb sechs Uhr geöffnet. Die Atmosphäre ist ganz
anders als in Nagada. Der Tempel liegt mitten in einem Ort. Man darf nicht
fotografieren und muss Schuhe UND Socken ausziehen. Der Tempel ist dem Gott
Shiva geweiht.
(Mehr zu Shiva:
).
" ... ein ursprünglich 754 erbauter Tempel, mit einem
schönen viergesichtigen Shiva-Bildnis aus schwarzem Marmor im
Allerheiligsten. In seiner heutigen Form entstand der von hohen Mauern
umschlossene weiße Marmortempel im 16. Jahrhundert. Eklingsjis besonderer
Reiz liegt in der pulsierenden religiösen Atmosphäre, die diesen Ort
auszeichnet." (Reise Know-How Rajasthan)
Wir betreten also den Tempel, der Fahrer wartet vor dem Tempel
auf uns. Ein junger Mann schließt sich uns ungefragt an und erklärt
viel. Es gebe hier 108 Tempel, sagt er. 108 ist eine heilige Zahl im
Hinduismus. Die schwarze Shivastatue wird gerade mit Sandelholzpaste gereinigt.
Ein zweiter Shiva in Eingangsnähe hat die Form eines Lingam, das ist ein
Phallussymbol. Wir haben zwei Tagetesketten gekauft und schenken sie dem
schwarzen Shiva, wie vor uns und nach uns die indischen PilgerInnen. Musik wird
gemacht. Wir sind die einzigen europäischen Touristen. Eine zu Herzen
gehende, total exotische Stimmung. Wir beobachten, wie die Shivastatue nach dem
Waschen in ein goldenes Tuch gehüllt und ihm eine goldene Kobra aufgesetzt
wird.
Der junge Mann erklärt uns noch sehr viel, zum Beispiel, dass die
Andacht - Puja - dreimal am Tag, früh, mittags und abends und da jeweils
viermal durchgeführt wird (Mehr zu
Puja:).
Dass dies der Tempel sei, in dem der Majarana von Udaipur jeden Montag
gemeinsam mit vielen Gläubigen dem Gott Shiva seine Ehrerbietung
darbringt. (Es ist daher nicht empfehlenswert, den Tempel am Montag zu
besuchen.) Dass der Elefantengott Ganesha in zwei Varianten vorkommt: Wendet
sich der Rüssel vom Betrachter aus nach rechts, so bringt er Glück in
materiellen Dingen. Zeigt der Rüssel nach links, fördert Ganesha
Wissen und Weisheit (mehr zu
Hinduismus,
Ganesha:).
Hier in
Eklingji gibt es Ganesha-Abbilder mit beidem. Der junge Mann zeigt uns die
Kräuter rund um den Tempel, zum Beispiel Basilikum, und dass im Mangobaum
zwei Pfaue sitzen. Auch hier gibt es an der Außenseite der Tempel
erotische Reliefs, aber niemals im Inneren, weil sie beim Beten ablenken
können.
Der selbst ernannte guide unterlässt es nicht, nach
unseren Kindern zu fragen, wundert sich, dass Hans schon zwei erwachsene
Söhne hat, schmeichelt mir, dass ich nicht wie 59 ausschaue und sagt, dass
er schon 27 sei, obwohl man ihn allgemein für 22 halte, dass er bereits
eine kleine Tochter habe, gerade geboren, und dass er nach Abschluss der Saison
im März nach Pondicherry, eine ehemalige französische Kolonie in
Südindien, gehen wolle, um dort Französisch zu lernen.
Er verlangt
fünf Euro für seine Führung und besteht auf den
Euro-Münzen. Hans will ihm weniger geben, ich bin milde, wahrscheinlich,
weil er mir ein Kompliment gemacht hat, und stecke ihm zwei Euro aus meiner
Geldtasche zu.
Zwischen halb sieben und sieben Uhr wird es hier dunkel. Der
guide bemerkte, dass ich auf die Uhr schaute, obwohl ich mich bemühte,
meinen Kopf dabei gar nicht zu bewegen. "You want to be back during the day?"
fragte er. Die Leute hier sind sehr sensibel in der Beobachtung der Menschen
rund um sie, scheint mir.
Für morgen überlegten wir einen
Ausflug zur hillstation von Mount Abu. Der Rezeptionist meinte, dass es auf der
Strecke nach Mount Abu eine Stelle gebe, an der Autos schon überfallen
worden seien. "Tribal people, much poverty in this area." Daher sollten wir
sehr früh abfahren und vor Sonnenuntergang wieder zurück sein. Wir
disponieren auf Chittorgarh um. Jetzt gerade rief der Rezeptionist an und
schlägt vor, dass wir übermorgen nach Mount Abu fahren. "Alles ganz
sicher!" Er gebe uns ein starkes Auto und einen jungen Fahrer mit. "I garantee
personally for your safety!" Wie kann er das?
Draußen singt seit
Stunden eine Männerstimme, wahrscheinlich Gebete.
Nach dem guten
Abendessen gingen wir die zwei Schritte zum Internet-Büro, wo auch
Andenken und anderes verkauft wird. Wir haben einige Emails bekommen und
beantworten sie.
16. Februar 2005, Mittwoch, Udaipur
Der heutige Ausflug fiel aus, weil mein "back"
so weh tat, dass ich kaum sitzen und Stiegen steigen konnte, eine Art
Hexenschuss.
Dafür bestellte ich eine Ayurveda-Massage. Das war sehr
fein. Die Frau kam ins Zimmer und kletterte auf dem Bett herum, ohne dass ihr
orangenfarbiger Sari im geringsten verrutschte. Sie massierte mir den ganzen
Körper mit viel Öl und kräftiger Hand. Hans saß derweil
auf der Matratze am "Balkon" und las "Das Mahabharata", neu erzählt von
Otto Abt. Ich habe das Buch schon gelesen, sehr nett und spannend
geschrieben.
Ich lag den ganzen Tag viel und las, und in der Zeit
der Siesta zwischen zwei und vier Uhr spazierten wir Richtung Palace. In diesen
Stunden haben sich auch Bettler, Händler und Taxler zur Ruhe
zurückgezogen und man bleibt verhältnismäßig ungeschoren
von aufdringlichen Angeboten. Wir besuchten eine Buchhandlung. Wieder zwei
nette junge Männer. Als der zweite, ein guide, uns vorschlug, sein
Malatelier zu besuchen, verabschiedeten wir uns schnell. Wir kauften drei
Musik-CDs, indische Schlager und "Sound of Desert". Bücher: "Rajmata
Gayatri Devi Enduring Grace" von Dharmendar Kanvar. Dieses Buch ist eine
boulevardmäßig aufgemachte Biographie der Maharani von Jaipur, einer
jetzt etwa achzigjährigen Dame, die "one of the most admired icons of
modern India" ist, wie ich im Umschlag lese. Das Buch, 2004 erschienen, gibt es
in der Originalausgabe mit Fotos, als Taschenbuchausgabe, fotokopiert, auf
Englisch, Deutsch und Französisch! Weiters den Roman "Untouchable" von
Mulk Raj Anand, zum ersten Mal 1935 erschienen und das Sachbuch "The
Invisibles. A Tale of the Eunuchs of India" von Zia Jaffrey, erstmals
erschienen 1988.
Meine Laune bessert sich zusehends.
Der Rezeptionist hat
nach der Massage angerufen und gefragt, wie sie war, dass er personally der
Masseurin gesagt hat, sie solle besonders auf meinen Rücken achten, und ob
ich sie morgen wieder bestellen möchte, was ich verneinte.
17. Februar 2005, Donnerstag, auf der Fahrt nach
Chittorgarh
(Mehr zu
Chittorgarh:)
Opiumfelder, weiße Mohnblumen. Zuckerrohr, Senf,
Weizen. "Das ist die Autobahn Delhi-Bombay", sagt Mahindra, heute wieder unser
Chaufeur. Der Himmel und die Luft sind grau.
Gerade haben wir einen
umgefallenen Lastwagen auf der anderen Fahrbahn passiert. "Maybe very fast
drive", vermutet Mahindra.
Auch Ochsenkarren benützen die
Autobahn.
Wir fahren an Dörfern vorbei und an vereinzelten
Bauernhäusern, wie schon auf anderen Überlandfahrten.
Den
Mittelstreifen schmücken hier blühende Kakteen.
Mahindra fragt: "Foto?" Und bleibt für Hans
stehen, der die Opiumfelder aufnimmt. "Nice memory", vermutet Mahindra. Auf die
Frage, was mit dem Opium passiert, antwortet er, dass Opium gegessen
würde. "Das wird also nur für den Eigenbedarf gepflanzt?" "No, they
sell it."
Wir passieren eine noch nicht in Betrieb befindliche
Mautstation.
Unser Ambassador car rattert bei siebzig Stundenkilometer
bereits so, dass die Zähne klappern. Schneller kann er nicht fahren. Ist
dies das "strong new vehicle", das unser Rezeptionist versprochen hat?
Ein
Traktor ist uns soeben auf unserer Fahrbahnseite entgegengekommen. In
Österreich würde man diese Erscheinung "Geisterfahrer"
nennen.
Jetzt führt die Autobahn mitten durch einen Ort.
Wieder ein
Ochsenfuhrwerk auf der Autobahn.
Wir fahren über den ersten Fluss, der
Wasser führt. Ist das der Gambhiri aus dem Roman "Krishnas Schatten" von
Kiran Nagarkar?
Jetzt ist es abends, Udaipur.
Der letzte Abend in Udaipur. Der Ausflug heute
war schön, ein bisschen anstrengend auch. Fünf Stunden in der
Ratterkiste. Wie schon gesagt, fuhr das Auto maximal siebzig Stundenkilometer,
Büffel wurden auch auf die Autobahn getrieben, und immer wieder kam uns
ein Fahrzeug auf unserer Seite entgegen. Der Fahrer hatte die ganze Zeit das
Fenster offen, das nervte mich etwas.
So, jetzt waren wir essen und emailen und bei
der Rezeption, um für morgen das Nötige zu besprechen. Der
Rezeptionist sagte, er werde alles in seinen Kräften Stehende tun, um uns
bis zur Abreise um 16 Uhr im Zimmer zu lassen. "Because I like you both very
much." Das ist doch nett!!
In Wien herrscht Grippe und Schnee. Hier war es
heute viel kühler als an den Vortagen. Es gab wieder ein Feuerwerk,
gestern Richtung See, heute Richtung City Palace.
Nun kurz zum Bericht über den heutigen Tag.
Wir fuhren
um 9.30 Uhr ab. Die Strecke nach Chittorgarh ist 112 Kilometer lang. Der
Großteil der Strecke war ganz flach. Erst bei Chittorgarh tauchen wieder
Hügel auf. Chittor liegt in den Aravalli-Bergen.
Nach Chittor wollte
ich wegen des oben genannten Romans "Krishnas Schatten" von Kiran Nagarkar. Er
handelt von den Mewar-Königen, ihren Gattinnen und ihren Schlachten. Die
alte Stadt Chittor liegt auf einem langgestreckten Felsen. Fast alle
Häuser sind zerstört, aber die Ruinen einiger Paläste sowie der
restaurierte Siegesturm und der Ruhmesturm erinnern an die tragische Geschichte
dieser Stadt.
Im Reise Know How-Führer Rajasthan steht zu
lesen: "Wie kein anderer Ort repräsentiert die sich 150 Meter aus der
Ebene erhebende Festungsanlage von Chittorgarh die von Heldentum und Kampfesmut
geprägte Geschichte Rajasthans. Nirgends scheint die Vergangenheit so nah
wie in ihren Palästen, Tempeln und Siegestürmen. Dass dabei gerade
dieser Ort nicht etwa durch ruhmreiche Siege, sondern durch vernichtende
Niederlagen in die Geschichtsbücher eingegangen ist, wirft ein
bezeichnendes Licht sowohl auf die von achthundertjähriger Fremdherrschaft
geprägte Geschichte Nordindiens als auch auf das Selbstverständnis
der Rajputen, für die die Erhaltung ihrer Ehre letztlich immer mehr
bedeutete als der Tod."
Die Anfänge von Chittorgarh sollen in die Zeit
des Mahabharata - also vor Christus - zurückgehen. Historisch nachweisbar
ist eine Besiedlung seit dem achten Jahrhundert, und zwar durch den Ahnherren
der Herrscherfamilie der Sisodias von Mewar. Diese kämpften im 15. und 16.
Jahrhundert so tapfer gegen die islamischen Invasoren aus dem Norden, dass
unser heutiger guide noch stolz darauf ist.
Der ältere Herr, der uns in Chittorgarh
führt, weist darauf hin, dass die Kings of Mewar sich den Moguln nicht
unterwarfen und mit ihnen keine Kompromisse eingingen wie die anderen
Fürsten Rajasthans. Die Männer kämpften in den diversen
Schlachten, auch wenn sie aussichtslos waren. Die Frauen suchten den Freitod
auf dem Scheiterhaufen. Dieser Ritus wird Jauhar genannt und begegnete uns auch
in den anderen besuchten Städten, unter anderem in Jaisalmer.
Wenn ich
es recht verstehe, so gab es in einem Zeitraum von zirka 150 Jahren drei
große Schlachten, bei denen jeweils die Sisodias und ihre Leute grausam
geschlagen wurden, zuletzt von den Truppen Akhbars 1568. Der Herrscher Udai
Singh scheint zu diesem Zeitpunkt frühzeitig geflohen zu sein, er
gründete Udaipur als neue Hauptstadt "und führte von dort aus den
Widerstand der stolzen Sisodias von Mewar gegen die islamischen Invasoren"
Wir besuchen die Ruinen des Palastes von Padmini,
der Gattin des Herrschers, die der Sultan von Delhi so begehrt haben soll, dass
er ihretwegen Chittorgarh stürmte. Unser Führer verdeutlicht uns
gestisch - sein Englisch ist wieder schwer verständlich - dass die Haut
ihres Halses so zart war, dass man das Wasser durchrinnen sah, wenn sie trank.
Und wir gingen am Palast von Mirabai vorbei, die den Gott Krishna mehr liebte
als ihren Mann und die in dem Roman "Krishnas Schatten" eine Hauptrolle
einnimmt. Der Himmel bildete inzwischen einen blitzblauen Hintergrund zu den
leeren Fensteroffnungen der Ruinen und den beiden schön renovierten
Türmen von Chittorgarh.
Unser guide - so hatte ich den Eindruck - wollte
uns, die wir drei Stunden angereist waren - möglichst schnell durch
Chittorgarh schleusen, da wahrscheinlich seine fast hundertjährige Mutter,
die er betreut, auf ihn wartete. Auch seine Mutter war guide, erzählt er.
An ihrer Hand habe er schon Königin Elisabeth von Großbritannien
hier in Chittorgarh begrüßt. Außerdem hielt er von den
Geschichten mit Padmini und Mirabai nicht allzu viel, was vom exakten
historischen Standpunkt her verständlich ist.
Ich hätte gerne mehr
und geruhsamere Zeit in Chittorgarh verbracht, denn es herrscht eine
schöne ruhige Atmosphäre in dieser kleinen Stadt. Heute wohnen noch
6000 Leute auf dem Gelände der Festung, sagte der Führer, früher
seien es 70 000 gewesen. Hans hat die Einwohnerzahl 700 000 gehört.
Unser Führer hatte eindeutig eine Aversion
gegen die Moguln und auch gegen den Islam. Außer dem geschichtlich
verifizierten Ruinenpalast Padminis steht in einem sehr gepflegten Garten
inmitten eines Sees ein Wasserschlösschen, von dem aus der Sultan von
Delhi mit dem Spiegelbild seiner Angebeteten hingehalten worden sein soll.
Diese Geschichte kann nicht stimmen, da das Gebäude erst lange nach
Padminis Tod erbaut wurde. Ich wollte aber trotzdem gerne den Rosengarten
durchstreifen. "Bei uns ist jetzt Winter und Schnee und hier blühen die
Rosen", versuchte ich dem Führer meine Gründe zu erklären, denn
er wurde ungehalten. Aber damit kam ich nicht an. "Rosen sind die Blumen der
Moguln, Rosen sind islamisch, nicht indisch", antwortete er unwirsch. "Indisch
ist die Lotusblüte."
Hans und mich nannte er "Maharana" und "Maharani".
Er fragte, ob wir den Unterschied zwischen Maharana und Maharaja kennen.
"Nein." Vage verstand ich, dass Maharana etwas mit Tapferkeit und
Größe und damit zu tun habe, dass die Sisodias sich den Moguln nicht
unterwarfen. "Also ein Name, den nur die Herrscher von Udaipur bzw. Mewar
verdienen."
Als ich auf die Toilette musste, führte er mich
zu einem kleinen Teehaus. Das hieß, dass wir dort auch Tee trinken
sollten. Unser guide freute sich, weil ich im Unterschied zu Hans den Tee mit
Milch gemischt, also auf indische Weise, trinken wollte. Dass ich ihn nach der
Schlacht von Haldigathi fragte, gefiel ihm noch mehr. "Auch viele Inder kennen
diesen Namen nicht", wunderte er sich.
Nach der Führung erzwang ich mir noch eine
halbe Stunde Zeit, in der ich mit Hans allein zurück zu Padminis Palast
wanderte. Anschließend führte uns Mahindra in das Hotel Pratap
Palace zu einer Jause.
"Zu Hause" im Hotel Lake Pichola fragte uns einer der
Kellner, der uns oft bedient, nach unserem Ausflug. Er erzählte, dass er
in einem Dorf Richtung Chittor wohne und dass er einmal die Woche nach Hause
fahre. Sonst wohne er hier in der Nähe des Hotels.
18. Februar 2005, Freitag, Udaipur
Last morning in Udaipur.
Heute ist full house
hier. Einige Reisegruppen. Unmengen von Rucksäcken und Reisetaschen lagen
in der Rezeption aufeinander gestappelt. Als wir zum Frühstück
gingen, erschien Mr. Singh, der Besitzer, im Nachthemd auf seiner privaten
Terrasse. "Mr. and Mrs. Ruth - oh, you are leaving today. Have you liked your
room?" Und er lässt sich vielmals bedanken dafür, dass wir unser
Zimmer die ganzen sechs Tage nicht wechseln mussten.
Wir haben bis zwölf Uhr nichts zu tun als zu
packen. So setzen wir setzen uns nochmals aufs Dach in die weißen
Korbstühle. Die Sonne scheint. Aber es ist relativ kühl. Wir
beobachten das Leben im ausgetrockneten See. Die Kühe, die geruhsam
herumschlendern. Die Büffel, von denen sich ab und zu einer in eines der
noch vorhandenen Wasserlöcher versenkt. Das Kamel und seinen Besitzer, der
herumzieht auf der Suche nach potentiellen Reitern. Die zwei prächtig
bemalten Elefanten, die gegenüber am Gangaur Ghat stehen. Wir wissen
nicht, worauf sie warten. Ein paar Bewohner Udaipurs durchschreiten den
Seeboden mit energischem Schritten. Touristen spazieren durch, in
auffälligen Gegensatz zu den mit Stoff bedeckten Indern und Inderinnen
zeigen sie nackte Schultern und Beine. Kinder rennen ihnen bettelnd nach bis
sie auf der anderen Seite des Sees angelangt sind. Ab und zu fährt ein
Auto durch, Riesenstaubwolken aufwirbelnd, oder ein Motorrad oder ein Traktor.
Eine Frau mit Korb auf dem Kopf geht suchend durch den See. "Sie will sicher
Kuhfladen sammeln", vermutet Hans.
Hans hat übrigens auf dem Dach des
Hotels Paneele für eine Solarheizung entdeckt.
Später am Flugplatz.
Heute waren wir noch beim Monsoon Palace und fuhren zu diesem Zweck durch einen
Wildpark mit fünf, sechs Leoparden - nach Angaben unseres Chauffeurs. Wir
bekamen sie natürlich nicht zu Gesicht.
Jetzt befinden wir uns am
Maharana Pratap Airport Udaipur und haben schon eingecheckt. Wir fliegen aber
erst in eineinhalb Stunden. Auch eine deutsche Reisegruppe wartet hier.
19. Februar 2005, Samstag, Mumbai/Bombay
(Mehr zu Mumbai:
http://de.wikipedia.org/wiki/Mumbai).
Gestern ist schon so ferne. Udaipur - was taten
wir dort?
Am Vormittag rief mich der Rezeptionist im Zimmer an - er wollte
ausdrücklich mich sprechen - und nahm wieder Bezug auf einen
"recommendation letter", von dem er schon vorgestern gesprochen hatte. Ich
solle das blaue Briefpapier im Zimmer dafür verwenden. Er betonte
neuerlich, was er alles für mich getan habe, und dass er erreicht habe,
dass wir ohne zusätzliche Zahlung bis fünf Uhr im Zimmer bleiben
dürfen.
Gut, ich schrieb also einen kurzen Brief, dass alle im Hotel
freundlich waren und speziell der registration desk helpful gewesen sei. Er
schärfte mir ein, dass ich ihm diesen Brief nicht an der Rezeption
übergeben solle. Ich bat ihn also telephonisch, zum Zimmer zu kommen, um
den Brief zu holen. "May I come in?" Er las vor mir den Brief durch, bedankte
sich, steckte erfreut die 500 Rupien ein, die ich ihm übergab und sagte:
"Will you forever remember me?" Ich war verdutzt und sagte: "Of course."
Anschließend führte uns Mihendra zum
Monsoon-Palace, der abenteuerlich auf einen 900 Meter hohen Felsen
hingebaut ist. Er war Quartier des Fürsten während der Regenzeit. Der
Blick auf die dann hellgrüne hügelige Landschaft muss wirklich
traumhaft sein. Für den Winter diente der Stadtpalast und für den
Sommer das heutige Lake Palace Hotel als Unterkunft des Maharana.
Der Palast
wurde erst Ende des 19. Jahrhunderts nach Plänen eines englischen
Architekten erbaut, war dann vierzig, fünfzig Jahre unbewohnt und
schließlich schenkte der König ihn "seinem geliebten Volk".
Eine halsbrecherische Straße windet sich durch
das Wildtierreservat bis zum Palast hinauf. Als uns eine Autorikscha begegnete,
meinte Mihendra: "Very dangerous to go by riksha, many accidents." Gut, dass
wir der täglichen Aufforderung der Rikschas vor dem Hotel, mit ihnen den
Monsoon Palace zu besuchen, nicht Folge geleistet hatten!
In dem Palast, der
schon reichlich abgebröckelt aussieht, ist nichts drin, außer einer
ebenfalls vom Zahn der Zeit schon angenagten Ausstellung über die
Naturparks in Mewar. Aber allein die Platzierung des Gebäudes und der
Blick von dort sind spektakulär. Unter anderem sieht man inmitten des
winterlichen Braun auch einen Fleck grüner Felder. Ein Haus dort unten
gehöre dem Besitzer des Lake Pichola-Hotels. Hier werde das Gemüse
für das Hotel gezogen.
Die Berge schroff und trocken. Mahindra
behauptete, der See sei noch nie so ausgetrocknet gewesen wie heuer. Aber
bereits seit Anfang der neunziger Jahre habe es immer weniger ausgiebige
Monsun-Regen gegeben.
Im Hotel zurück gönnten wir uns
nochmals ein gemütliches Essen auf der Hotelveranda, mit Kingfisher und
einem buttered chicken. Hans aß wie immer in Indien vegetarisch. Habe ich
schon geschrieben, dass die Speisekarten in "veg" und "non veg" unterteilt
sind, also in vegetarisch und nicht vegetarisch? Und dass die kulinarische
Phantasie der indischen Köche sehr ausgeprägt ist? Das Essen ist auf
dieser Reise eines der positivsten Kapitel!
Flug Udaipur Mumbai. Hans sagt, der Jet
Air-Flieger sei eine Turboprop-Maschine mit zwei Propeller-Triebwerken gewesen,
ein angejahrtes Flugzeug. Es war sehr schmal und lang und hatte die Flügel
oberhalb des Rumpfes. Ein Schulterdecker. Ich nahm jedenfalls irgendwann ein
paar Tropfen Psychopax zu mir. Dabei ging alles gut. Als wir glücklich in
Mumbai gelandet waren, folgte die nächste Aufregung.
Obwohl bestellt, erwartete uns kein
Transfer-Auto. Unzählige Männer standen mit ihren weißen
Namensschildern am Ausgang der Ankunftshalle, aber unsere Namen fehlten. Die
Taxifahrer umdrängten uns so aggressiv wie in den Reiseführern
beschrieben.
Ein Polizist gibt Ratschläge, wie wir uns verhalten
sollen. Dort bei der blauen Tafel, wo sich offensichtlich die Taxis mit
Genehmigung befinden, schreibt ein weiterer Polizist unsere Namen und den
unseres Hotels und die Autonummer des Taxis auf. Auch ich soll mir diese
notieren und tue es. Währenddessen reißen mehrere Männer unsere
Gepäckstücke an sich. Ich steige nicht ein, bevor ich mich nicht
selbst überzeuge, dass sie im Auto sind.
Kaum losgefahren, das
heißt, kaum aus Sicht der Flughafenpolizisten, bleibt unser Taxler stehen
und ruft uns zu: "Der Motor ist kaputt." Um Gottes Willen! Wir befinden uns im
Dunklen, unter einer Autobahn, wie mir scheint. Hier finden wir nie mehr ein
Taxi! Stimmt nicht. Es steht schon neben uns. Unser Koffer wird auf den
Vordersitz geworfen, ich schreibe mir schnell die Nummer auf, dann brausen wir
los. Mir ist nun ziemlich unheimlich zumute, und ich sitze starr und schweigend
neben Hans. Diverse schreckliche Geschichten, die ich in meinem Bekanntenkreis
gehört habe, kreisen in meinem Kopf. Es ist elf Uhr nachts in Bombay. Wir
kennen uns in dieser riesigen Stadt mit 13 Millionen Einwohnern überhaupt
nicht aus. Wenn uns der Chauffeur nicht zum Hotel fährt, sondern ausraubt
oder noch Schlimmeres - wir könnten uns nicht dagegen wehren.
Aber der
Chauffeur fährt, wenn auch vielleicht auf Umwegen, letztlich zum Hotel
Fariyas Colaba. Das Zimmer hier passt auch. Also ist dieses Abenteuer gut
überstanden. Bleibt nur noch der Heimflug!
Übrigens hat nach dem
Frühstück im Hotelzimmer das Telefon geläutet. Mr. Linhart wurde
verlangt und zwar von der Agentur, die für den Transfer vom Flughafen
hätte sorgen sollen. Als ich erklärte, dass ich alles organsiert
hätte, entschuldigte sich der Mann bei mir, dass die Sache nicht geklappt
habe. "Can I now speak your husband"? "Why?" "Because of the financial
problem!" Aber auch diese Sache mußte er mit mit klären.
Bereitwillig sagte er zu, den Betrag für den Transfer auf meine Konto
zurück zu überweisen.
Jetzt ist es elf Uhr nachts. Seit Stunden singen in der Umgebung
irgendwelche Gruppen. Es klingt immer ähnlich. Ist das eine religiöse
Veranstaltung oder ein Pop-Konzert? Wir wissen es nicht.
Beim
Frühstück stellten wir fest, dass eine ganze Gruppe weiterer
Österreicher und Österreicherinnen in diesem Hotel wohnen. Da ich das
Hotel im Internet gebucht habe und nicht etwa im Österreichischen
Verkehrsbüro wundert mich das.
Unser Besichtigungsprogramm begann damit, dass wir
am Meer entlang in Richtung Gateway of India marschierten. Wir wohnen wirklich
sehr zentral und nach fünf Minuten waren wir schon beim berühmtesten
Hotel von Mumbai, dem
Hotel Taj Mahal, das gegenüber des Gateway of
India liegt. Zuerst sahen wir uns im dortigen Buchgeschäft Nalanda um und
kauften einige Ansichtskarten. Dann tranken wir Capucchino mit Blick auf den
Garten und Swimming Pool. Sehr feudal. "Mehr brauche ich eigentlich in Bombay
nicht", sagte ich zu Hans. Ich kenne das Hotel aus Antonio Tabucchis Buch
"Indisches Nachtstück". Danach verbrachten wir zwei Stunden im
Chhatrapati Shivaji Maharaj Vastu Sangrahalaya (Formerly known as: The
Prince of Wales Museum of Western India). Den Grundstein dazu legte der
spätere König George V., als er 1905 Indien besuchte. Entworfen wurde
es von englischen Architekten im "indo-sarazenischen Stil".
Den Audioguide bekamen wir hier ohne Übergabe
des Passes oder der Visa card, und eine gewisse Claudia erklärte
anschaulich die schönsten Stücke des Hauses bzw. jene, welche der
Direktorin des Museums am besten gefallen. Wir bewunderten die herrlichen
Skulpturen, Werke aus dem zweiten vorchristlichen bis zum 14. Jahrhundert,
vorwiegend hinduistische Götter und Göttinnen. Eines davon ist ein
Torso und stellt Durga dar, den Büffel tötend. Wahrscheinlich handelt
es sich um die Geschichte über den fürchterlichen
Büffel-Dämonen Mahisha, der durch das Universum lief und alles
zerstörte, was seinen Weg versperrte. Alle Götter versuchten
vergeblich, ihn zu stoppen. Schließlich griff Parvati, in ihrer Form als
Muttergöttin oder Durga, den Dämonen auf einem Löwen reitend an,
denn nur eine Frau konnte das Ungeheuer töten. (Mehr zu Durga:
http://en.wikipedia.org/wiki/Durga_Puja).
Im ersten Stock des Museums befindet sich eine
wunderschöne Sammlung von Miniaturmalerei. Hans hat etliche Bilder
fotografiert. Die nepalesisch-tibetanische Abteilung und die ostasiatische
besuchten wir nur kurz. Die übrigen Abteilungen ließen wir aus.
Nachher gingen wir essen, und zwar ins "Bombay
Blue" - nach kurzem Besuch eines indischen Restaurants, in dem wir ohne
Speisekarte zurande hätten kommen müssen. Das "Bombay Blue" ist ein
schickes neues Restaurant mit chinesisch aussehender Türsteherin, es war
ganz voll, außer uns keine Ausländer. Die Speisekarte bot Indisches
und Internationales. Hans wählte Spagetthi, ich Pizza. Bier, Tee, Wasser.
Indische Damen am Nebentisch aßen eine Speise aus Eis und Schokolade, die
am Tisch flambiert wurde und einen so betörenden Duft verströmte,
dass Hans sie auch bestellte.
Anschließend wanderten wir die Mahatma Gandhi
Marg hinauf bis zum Viktoria Terminus respektive heute
Chatrapati Shivaji
Station. Entsetzlicher Lärm, hunderttausend Leute, die Gehsteige voll
Händlern, tausend Taxis und andere zum Teil sehr schöne Autos, und
alle hupen. Breite Straßen, prächtige Kolonialbauten. Aber der
Lärm und die Menschenmassen bewirkten, dass ich fast durchdrehte. Den
Besuch der Altstadt schwänzten wir nicht nur in Delhi, sondern nun auch
hier. Von der Railway Station aus flüchteten wir mit dem Taxi zum
Marine Drive bzw. richtiger zur Netaji Subhashchandra Road.
Früher nannte man den Marine Drive
"Halsband der Königin", "wegen der funkelnden Lichterkette, die schon beim
nächtlichen Anflug auf Bombay sichtbar ist."(Baedeker Indien). Marine
Drive ist eine sechsspurige Küstenstraße, die sich an eine weite
Bucht, die so genannte Back Bay, schmiegt. An sich eine herrliche Bucht, ein
schöner Küstenboulevard, aber renovierungsbedürftig. Zerrupfte
Palmen, der halbe Gehsteig ungepflastert, daher bei jedem Windstoß ein
Sandangriff auf Augen und Haare.
Viele junge Leute, vor allem Männer,
saßen auf der niederen Mauer, welche den Boulevard von den Wellenbrechern
abtrennt, in der Sonne und schauten auf das Arabische Meer hinaus. Die
Wasseroberfläche schimmerte in der Sonne grau.
Wir spazierten Richtung
Stadtzentrum - obwohl auch Marine Drive angesichts der überquellenden
Stadtgröße Bombays noch zum Zentrum gehört - bis zur Madame
Cama Road, wobei ich nicht weiß, wer Madame Cama war oder ist. Wir
passierten den Maidan, die große Grünfläche inmitten der Stadt,
die typisch ist für ehemalige englische Kolonien. Der Maidan erstreckt
sich parallel zum Marine Drive fast die ganze Länge der Halbinsel
hinunter, die das Zentrum Mumbais bildet. Wir kamen zum ehemaligen Wellington
Circle (jetzt SP Mukherji Chowk) vor dem Prince of Wales Museum zurück.
Von hier durch die mit Geschäften und Verkaufsständen und sich
drängenden Leuten übervolle Bhagat Singh Road (früher Colaba
Causeway genannt) bis zum Hotel.
Ein vage ins Auge gefasster Kinobesuch musste
ausfallen. Ich wusch mir die Haare und gegen acht Uhr gingen wir ins
Hotelrestaurant essen. Live-Künstler, ein Sänger und eine
Sängerin, boten "alte Hadern", wie Hans die Musiknummern nannte. Wir
aßen gut, indisch diesmal, und viel zu viel. Der Spaziergang über
den Pool des Hauses, an dem ebenfalls Leute saßen, aßen und
tranken, konnte das nicht wettmachen.
Ich fragte schon dreimal in der
Rezeption, ob wir Montag bis zur Abfahrt in der Nacht im Zimmer bleiben
könnten - hier gegen Entgelt natürlich. "Das können wir Ihnen
erst Montag früh sagen", ist die stereotype Antwort.
Die Bettler und Bettlerinnen habe ich nicht
beschrieben. Eine Frau verfolgte uns mit Kind am Arm und wollte "choklit". Wir
hatten keine.
Beinstümpfe, Armstümpfe, am Boden kriechende
Menschen ... "Nein, Hans, ich will wirklich keinen Ausflug in einen Slum
machen."
Aber trotzdem - ja, Schmutz, Staub, lästige
Händler, aufdringliche Taxler, penetrante Bettler gibt es auch hier in
Bombay oder Mumbai. (Ich weiß nicht, wie man politisch korrekt sagt, die
Einheimischen sprechen offenbar selbst noch oft von Bombay.) Aber alles ist
etwas erträglicher als in den bisher besuchten Städten. Man kann
sogar manchmal eine Viertelstunde gehen, ohne angeredet zu werden. Hans ist
außerdem angenehm berührt, weil es zumindest im Stadtzentrum keine
offenen Kanäle gibt. Kühe haben wir übrigens auch noch keine
gesehen.
20. Februar 2005, Sonntag, Mumbai/Bombay
Sonntag, nach zwei Uhr. Wir sind wie
abgeschlaffte Fliegen ins Hotelzimmer zurückgekehrt. Dabei haben wir erst
den Gateway of India besucht und eine Jause im Hotel Taj Mahal zu uns genommen,
also sehr wenig Aktivitäten hinter uns. Ich glaube, es ist heißer
als gestern. Wir wollen aber unbedingt noch zum Malabar Hill und zu den Hanging
Gardens. Von der Lektüre der "Mitternachtskinder" - oder war es "Des
Mauren letzter Seufzer" oder beider Bücher - von Salman Rushdie ist ein
vages Bild von Bombay im Gedächtnis geblieben, in dem die Worte Malabar
Hill, Hanging Gardens, Marine Drive und Türme des Schweigens eine Rolle
spielen. Mir scheint, der Hauptantrieb dieser Indienreise ist der Wunsch,
Bilder aus Büchern zu Wirklichkeit zu machen.
Viel später, halb zehn Uhr nachts. Alles
erledigt, auch gegessen. Ich glaube, ich habe zugenommen in Indien. Jeden Tag
ein fettes "garlic nan" zum Essen! Viel schwarzer Tee mit Milch und Zucker,
Toast mit Butter und Marmelade, Gemüse- und Hühnchen in sämigen
Joghurt-Saucen. Sogar Bier trinke ich hier. Und der köstliche Masala Tee
mit Milch und viel Zucker. Er schmeckt nach Pfeffer und Zimt.
Es kracht immer wieder, und auch heute
ertönte stundenlang das Gesang eines Vorsängers, die Menge
wiederholte Melodie und Worte. Vielleicht findet am Wochenende ein Fest statt,
an dem die ganze Stadt teilnimmt, oder in der Nähe befindet sich eine
Arena oder ein Stadion oder ein großer Platz, auf dem sich viele Leute
versammeln. Ich hatte nicht Lust, dem nachzugehen, was ja möglich gewesen
wäre.
Hans hielt jedenfalls das Gesang für hinduistisch, ich eher
für moslemisch. Es hat etwas Fanatisches an sich, und möglicherweise
grundlos schreibe ich das eher den Moslems zu. Auch löste es in mir schon
wieder die "Angstmaschine" aus. Viele fanatische Leute und die Folgen ... Aber
nun scheint die Veranstaltung zu Ende zu sein. Auf der Straße vor unserem
Hotel ist alles unverändert, ein paar Taxis warten auf Gäste, der
Türsteher in Maharaja Robe plaudert mit jemandem. In den Bäumen
raschelt der Wind.
Wir haben wieder festgestellt, dass die Leute,
mit denen wir es zu tun haben, auf die kleinste nicht verbale Regung reagieren.
Hans stellte im Restaurant die Kerze weg, weil sie plötzlich rauchte.
Sofort war der Kellner da und platzierte sie außerhalb der Reichweite
seiner Nase. Ich bemühte mich, ohne dass es jemand merken sollte, meine
Zähne von den Fleischresten zu reinigen. Ein Behälter mit
Zahnstochern erschien vor mir auf dem Tisch.
Der heutige Tag:
Frühstück zirka um neun Uhr. Noch
mehr Österreicherinnen als gestern im Restaurant. Hans vermutet, dass ein
österreichischer Pornofilm hier gedreht wird. Ich deute die Gäste
weniger spektakulär und könnte mir vorstellen, dass die jungen
Frauen, die einen Teil der Gruppe ausmachen, für einen Werbefilm hierher
geflogen wurden. Sie zeigen sehr viel nackte Haut her und mich wundert, dass
sie im kühlen Äishi- (AC)-Klima des Restaurants nicht frieren. Ich
jedenfalls habe meine Wolljacke umgehängt. Bei der Gruppe sind auch einige
junge Männer in yuppie-outfit und einige ältere Damen zwischen 45 und
55, sehr seriös gekleidet. Dass sie alle zur Begleitung unseres
Bundespräsidenten gehören, der derzeit mit großer Delegation in
Indien ist und auch Bombay besuchen wird, halten wir für eher
unwahrscheinlich.
Nach dem Frühstück fahren wir in den achten
Stock, wo sich der PC befindet, auf dem man internetten kann. Die letzten
Emails aus Indien.
Anschließend wieder am Meer entlang zum
Gateway of India, der wohl bekanntesten Sehenswürdigkeit Bombays.
Sehr ähnlich dem Gate of India in New Delhi. Der Triumphbogen geht
zurück auf einen Indien-Besuch von König Georg V. und seiner Frau
Mary im Jahr 1911. Offiziell wurde er 1924 eröffnet. Vor dem Gateway
wimmelte es von Leuten, und es gab eine in Bombay ungewohnte Attacke von
Händlern, Schuhputzern und Taxifahrern. Besonders in Mode sind anscheinend
gerade riesige flaschenförmige Luftballons. Wer kauft so etwas? Weiters
wollten eine Unmenge Mönche mir ihr Willkommenstika auf die Stirne
drücken, dem entkam ich aber jedes Mal. Die Abfahrtsstelle der Schiffe
nach Elefanta-Island, die wir eigentlich recherchieren wollten, fanden wir
nicht. Eine Menge kleinerer und größerer Schiffe ankert rund um den
Gateway of India, aber wohin und wann die wohin fuhren, war nirgends zu
eruieren. So fotografierten wir abseits der Menge auf einer beblumten
Grünfläche ein Denkmal für Swami Vivekananda und ein anderes
für Chhatrapati Shivaji. Der erstere ist ein hinduistischer Mönch und
Philosoph gewesen, er lebte von 1863 bis 1902 und erwarb sich große
Verdienste als Vermittler der westlichen und östlichen Geisteswelten
(mehr:
www.ramakrishna.org).
Der zweite, nach dem sowohl der Zentralbahnhof wie auch der Flughafen benannt
ist, lebte von 1630 bis 1680 und war der Gründer des Maratha-Kaiserreichs
in West-Indien (mehr zu
Chhatrapati
Shivaji).
Plötzlich fühlte ich mich nicht sehr wohl,
wir suchten das Hotel Taj Mahal auf. Dort fuhren wir in das oberste Stockwerk,
denn laut Baedeker hat man von der dortigen Bar eine hervorragende Sicht auf
die Stadt. Es gibt aber nur ein Restaurant, und dieses war geschlossen. Also
wieder ins Café, es war schon Mittag, das Lokal füllte sich mit
InderInnen und AusländerInnen, die hier ein Brunch mit Freunden oder
Bekannten zu sich nahmen. Wir aßen Sandwichs und tranken Kaffee. Dass wir
dafür 1300 Rupien zahlten, ist einsamer Rekord, und dass wir angesichts
der vielen armen Leute so prassten, erfüllt mich mit einem unangenehmen
Gefühl.
Im Taj Mahal sind anscheinend Schweizer Wochen. Die
Serviererinnen trugen dirndlartige Gewänder, auf den Tischen standen
kleine Schweizer Fahnen.
Nach der Rast im Hotel fuhren wir mit dem Taxi
zu den Hanging Gardens. Der Taxifahrer trug ein weißes
gehäkeltes Häubchen. Ich glaube, das deutet daraufhin, dass er Muslim
ist.
Die Hanging Gardens, 1881 angelegt, sind ein sehr schöner Park mit
Blumen und zu Tieren beschnittenen Hecken. Eigentlich heißen die
Gärten Pherzeshah Mehta Gardens. Sie breiten sich oberhalb von
Behältern, die als Wasserreservoir für Bombay dienen, aus. Über
die Straße und den Hügel hinab liegt der Kamala Nehru Park, von dem
aus man einen sehr schönen Blick auf den Marine Drive, die Back Bay und
das ganze südliche Bombay hat. Er wurde 1952 angelegt und nach der Ehefrau
von Jawaharlal Nehru benannt, der von 1947 bis 1964 der erste
Ministerpräsident des unabhängigen Indien und der Vater von Indira
Gandhi war.
Jetzt, am Sonntag nachmittag spazierten viele indische Paare
und Familien in den beiden Parks, lagerten auf den Wiesen oder saßen auf
den Bänken, machten Fotos voneinander, und kleine Kinder mit ihren
Müttern, aber auch Vätern, drängten sich zu den
Spielplätzen. Besondere Attraktion für die Kleinen war ein riesiger
Stiefel, in den man eine Treppe hinaufsteigen konnte. War da nicht eine
Rutsche, auf der sie herunterrutschten? Anscheinend bezieht sich der Stiefel
auf einen bekannten Kinderreim, in dem der Schuh einer alten Frau
vorkommt.
Die Babies werden sehr oft von den jungen Vätern getragen.
Kinderwägen benützt man hier anscheinend nicht, wir bemerkten keinen
einzigen.
Ich kann mich kaum satt sehen an den schönen Frauen in ihren
prächtigen farbenfrohen Gewändern. In ihren Saris schauen alle Frauen
aus, als ob sie auf einen Ball gehen würden. Die langen Zöpfe, oft so
dick wie ein Handgelenk, erfüllen mich mit Bewunderung - und ein bisschen
Neid.
Wir fotografierten - ich hoffe diskret - die eine oder andere Familie,
das eine oder andere Paar. Plötzlich ließen sich rechts und links
neben uns junge Männer nieder, und andere machten ein Foto von der Szene -
ebenfalls nicht um Erlaubnis fragend. Ich konnte mich nicht aufregen!
Im
bunten Bild der Frauen mit leuchtenden Saris und zur Schau gestellten
glänzenden Haarfülle wirkten Musliminnen im Tschador wie dunkle
Unheilsvögel. Ihr schwarzes Gewand bedeckte alles außer die
Gesichter. Im Gegensatz dazu wirken die übrigen Inderinnen sehr frei, wie
ich schon früher geschrieben habe, in ihrer Art, sich zu bewegen und auch
im Kontakt mit ihren Partnern. Männer fotografierten ihre Frauen, und
Paare umarmten sich oder kuschelten sich aneinander. Dasselbe Bild bot sich
heute übrigens auch am Marine Drive.
Malabar Hill, auf dem die
Grünanlagen liegen, ist die Gegend der Reichen, "eine bevorzugte Gegend
der High Society" steht im Baedeker. Die hielt sich jedoch in den Parkanlagen
eher nicht auf. Man sollte von hier aus auch die berühmten Türme des
Schweigens sehen, wo die Religionsgemeinschaft der Parsen ihre Toten bestattet,
aber wir konnten sie nicht entdecken.
Mit dem Taxi wollten wir noch bis zum Malabar
point oder Raj Bhavan vordringen, wo der frühere britische Regierungssitz,
der nun Residenz des Gouverneurs (oder Bürgermeisters?) ist, liegt. Doch
wir waren nicht imstande, unseren Wunsch dem Taxifahrer, diesmal ein junger
Bursch, verständlich zu machen. So ließen wir uns nach Chowpatty,
dem Strand von Mumbai, der einem Teil des Marine Drive vorgelagert ist,
führen. Von dort gingen wir zu Fuß zum Hotel zurück. Fünf
Kilometer, meint Hans.
Irgendwo am Marine Drive jagten mit Stöcken
bewaffnete Polizisten eine Menge junger Burschen, Buben und Männer. Ich
wäre fast in diese Szene hineingeraten. Plötzlich befand ich mich
zwischen der flüchtenden Menge und den anrückenden Polizisten. Aber
ich fühlte mich nicht betroffen und gelangte heil zu Hans, der mich wegen
meiner Sorglosigkeit schimpfte - etwas, zu dem ich ihm sehr selten Anlass gebe!
Warum heute so viele Polizisten am Marine Drive postiert waren, erfuhren wir
nicht.
Im Hotel Marine Plaza, ganz im Jugendstil eingerichtet, benützte
ich die schöne Toilette. Hans fotografierte in der Zwischenzeit von unten
den Pool aus Glas, der im Dach über der Lobby des Hotels eingelassen
ist.
Eigentlich wollten wir, wie im Reiseführer empfohlen, den
Sonnenuntergang anschauen und setzten uns zu diesem Zweck auf die Mauer zum
Meer, wie viele, viele andere auch. Aber leider sind wir nicht
unauffällig, und bald gesellten sich neugierige Burschen zu uns. Wir zogen
ab.
Im Hotel wusch ich mir wieder die Haare. Hans
sagt, der Dreck hier in der Luft wirke wie ein Haarfestiger. Jedenfalls werden
die Haare von einem Tag auf den anderen struppig wie Stroh. Dann essen. Wieder
Live-Musik, garlic nan und Masala Tee. Hier bekommen wir jedes Mal nach dem
Essen ein Schüsselchen mit heißem Wasser und Zitronenscheibe, um die
Hände zu reinigen. Eigentlich soll das ja in Indien überall gang und
gebe sein. Aber vielleicht doch nur, wenn man mit den Händen isst. Wir
waren übrigens nie in einer Umgebung, in der mit den Händen gegessen
wurde. Auch die Männer in der Wüste benützten Löffel.
Wieder Bettler. Hans gab einer leprösen
Frau, die uns schon im Taxi angebettelt hatten, beim Zurückgehen ein paar
Rupien. Schrecklich, wenn plötzlich im Autofenster ein Armstumpf erscheint
oder ein entstelltes Gesicht oder auch nur der Kopf eines total verschmutzten
kleinen Kindes. Ich denke, es ist sehr schlecht, davon angewidert zu sein. Aber
ich will das alles nicht sehen. Das ist nicht die richtige Haltung! Meistens
ist der Widerwille stärker als das Mitleid. Hans sagte mir schon einmal:
"Du bist wie die Frau Hitt!" Frau Hitt hat einer Bettlerin mit ihren Kindern
Steine angeboten und wurde daraufhin selbst zum Stein - eine Zacke in der
Nordkette bei Innsbruck. Zum Glück hat Hans fast immer Kleingeld in der
Hosentasche, das er verteilt.
21. Februar 2005, Montag, Mumbai/Bombay
Montag hat alles geschlossen, das Prince of
Wales Museum, die Jehangir-Gallery, die National Gallery und auch Elefanta
Island! Das letztere steht in keinem Reiseführer.
Beim Eingang des Taj Mahal-Hotels fiel uns eine Art
Tafel aus gelben und roten Tagetesblüten auf - sicher 2,5 mal 3 Meter
groß. Wir beginnen die Schrift zu entziffern: "The Taj Mahal Palace and
Tower Mumbai welcomes H.E. Heinz Fischer, President of the Republic of Austria
and Mrs. Margit Fischer."
Wir fotografieren die Tafel und warten eine Weile,
es ist 10.15 Uhr, und ein weißer Mercedes mit indischem und
österreichischen Fähnchen steht vor der Hoteltür. Aber Heinz
Fischer und seine Gattin kommen nicht. Die Türsteher-Maharajas schauen
unauffällig immer wieder in unsere Richtung, und so spazieren wir weiter
zum Haupteingang des Hotels. Wir nehmen wieder einen Kaffee und suchen nochmals
die Buchhandlung auf. Gerade, als Hans und ich uns vor der Auslage unterhalten,
hören wir ein Rauschen. Ich drehe mich um. Heinz Fischer, Margit Fischer
und eine größere Gruppe von Menschen drehen auch gerade den Kopf zu
uns her, wahrscheinlich wegen unseres österreichischen Deutsch. Aber das
dauert nur eine Sekunde. Dann sind sie ums Eck verschwunden. Wie wir
später an der Tafel neben dem Lift lesen konnten, gab es
indisch-österreichische Gespräche und "the chief minister of
Salzburg" (Landeshauptfrau Gabi Burgstaller) lud zum Lunch ein.
Auch
Präsident Fischer verbrachte heute seinen letzten Tag der
sechstägigen Indieneise in Mumbai. Die Welt ist klein - oder aber das
Wegenetz der Touristen in Indien und in dieser großen Stadt.
In der Buchhandlung Nalanda kaufte ich zwei
Bücher über indische Frauen: Von Anees Jung "Beyond the Courtyard",
erschienen 2003, und von Rinki Bhattacharya herausgegeben "Behind Closed Dors -
Domestic Violence in India", erschienen 2004. Auch zwei indische
Kochbücher erstand ich. Da alles Kulturelle geschlossen war und wir auch
nicht nach Elefanta Island fahren konnten, verwirklichten wir ein anderes
Vorhaben und gingen ins Kino. "Chehraa" hieß der Film. "Overall,
Chehraa isn't worth it. It is a waste of time", steht in einer
Internet-Kritik (mehr:
http://www.rediff.com/movies/2005/feb/18chehra.htm
)
Hans hat seinen Kollegen Peter angerufen. Der
sagt: "Wien versinkt im Schnee."
24. Februar 2005, Wien
Wieder daheim. Es schneit noch immer oder schon
wieder. Ich habe die CD mit indischen Schlagern aufgelegt, um etwas Farbe ins
Wiener Grau-Weiß zu bringen.
Nachtrag zu Indien:
Am 21. Februar, am Montag, waren wir also
zuerst im Taj Mahal, tranken dort Kaffee und aßen Cookies, begegneten
dann tatsächlich unserem Bundespräsidenten und kauften
Bücher.
Anschließend Kinobesuch von 12.30 bis 15.30 Uhr. Ein
großer Kinosaal. Über uns wedelten viele Ventilatoren und brachten
Zugluft in den Raum. Schütteres Publikum. Eher mehr Männer, aber
direkt vor uns saßen zwei Frauen, die zusammen gekommen waren. Zuerst
Werbung.
Dann eine Vorschau zum Film "Little Terrorist". Diese mit
englischen Untertiteln. Schauplatz ist die indisch-pakistanische Grenze. Eine
Grenze, die nicht überschritten werden darf, wie früher in Europa der
Eiserne Vorhang. Buben spielen mit einem Ball, der fällt durch das
Drahtgitter des Grenzzaunes. Einer der Buben kriecht durch, um ihn zu holen. Da
ertönt eine heftige Detonation. Polizei oder Soldaten sind sofort zur
Stelle, um den Urheber dieses Anschlags zu erwischen. Der Bub muss sich
verstecken. Ein Lehrer, der mit dem Fahrrad vorbeikommt, nimmt ihn mit zu sich
nach Hause. Er und seine Tochter verstecken ihn, schneiden ihm die Haare, und
bei einer Militärkontrolle kommt er als sprachbehinderter Bruder durch.
Nachts begleiten ihn der Lehrer und seine Tochter dort über die Grenze, wo
man von den Wachtürmen keinen Einblick hat. Die Mutter drischt den Buben,
weil er die Haare abrasiert hat. Ende der Vorschau.
Danach erschien auf der
Leinwand die Aufforderung, aufzustehen, weil die indische Hymne gespielt
würde. Wir standen folgsam auf.
Dann der Hauptfilm "Chehraa". Was das Wort bedeutet, wissen wir
nicht. Die Heldin hieß Megha. Diese Megha war anfangs ein emanzipiertes
Mädchen. Der Film beginnt damit, dass Megha das Auto eines Taxlers
zerdrischt, der sie angemacht hat. "Let me be me" hieß der erste Song,
denn in Bollywood-Manier wurden immer wieder Lieder und Tänze eingestreut.
Das Mädchen studierte Psychiatrie. Zuerst sah alles ganz gut aus, dann
wurde man in die Kindheit Meghas zurückgeführt und der Ernst begann.
Meghas Mutter wurde vom Vater so gequält, dass er sie in den Wahnsinn
trieb. Irgendwann ersticht Meha diesen Vater. Megha hat eine sehr netten
Studienkollegen namens Aakash, die beiden lieben einander. Aber nach dem Mord
am Vater ist eine Pause, ich überprüfe die hiesige Toilette, und
danach ist es fünf Jahre später. Aakash ist schon Arzt. Megha hat
einen reichen Typen aus Dubai geheiratet, der rauschgiftsüchtig ist. Megha
ist selbst psychisch krank geworden. Es geht nun weiter darum, dass Aakash
Megha retten will vor diesen üblen Dubai-Typen. Das Rettungsspiel zieht
sich endlos hin, die zwei kommen nie wirklich zusammen. Das Ganze ist in Hindi
oder Marathi, immer wieder unterspickt mit ein paar englischen Brocken. Zum
Beispiel stöhnt Aakash: "I love you Megha." Megha ist nun nicht mehr so
freigiebig mit ihrer Haut wie im ersten Teil. Erstaunlich ist, dass es in allen
Musiknummern von ziemlich freizügig angezogenen Mädchen nur so
wimmelt, obwohl es in Indien ansonsten unüblich ist, Busen und Beine zu
zeigen. Megha trägt auch nie einen Sari. Am Schluss hätte Aakash
Meghas Mann erschießen sollen, tut es aber nicht, und Megha stürzt
sich aus dem Fenster eines Dubai-Wolkenkratzers. Der Film endet mit dem
Hinweis: "Some love-stories end like this."
Anfangs glaubt man, es handle
sich um einen Emanzipationsfilm, am Ende erweist er sich aber eigentlich als
das Gegenteil.
Dann ließ Hans sich ein letztes Mal um 200
Rupien die Schuhe putzen. Der Bub schnappte das Geld und lief davon, obwohl ein
weiterer Kunde schon wartete. Wir kehrten ins Hotel zurück. Packen, ruhen.
In der Abenddämmerung nochmals zum Colaba Causeway, ein Bad in der Menge.
Von einem Mann im schwarzen Kaftan und Häkelhäubchen kaufte ich zwei
Blusen mit Glitzersteinen um 400 Rupien.
Ein Höhepunkt ist noch das
letzte Abendessen: Murg Fariyas, Nan mit garlic, Masala-tea. Der Kellner fragt
uns, wie es uns geschmeckt hat und ob wir mit dem Service im Hotel Fariyas
zufrieden waren. Wir loben alles. Um zehn Uhr brechen wir mit dem hotel car zum
Flughafen auf. Der Chauffeur fährt mörderisch, zum Beispiel auf der
Autobahn gegen die Richtung (aber nicht nur er!), über Sperrlinien, bei
roten Ampeln. Es sei so viel Polizei auf den Straßen, erklärt er
uns, weil der President of Austria ebenfalls um diese Zeit zum Flughafen
fahre.
Am Flughafen geht alles glatt. Eine Gruppe
junger Frauen drängt sich beim Einchecken vor. Alle übrigen
Passagiere sitzen bereits fast eine Stunde im Flugzeug, als sie endlich
zusteigen. Sie benützen die Business-class. Mit beträchtlicher
Verspätung erheben wir uns um halb drei Uhr nachts endlich in die
Lüfte. Die Tupolev TU 214 verfügt nicht über die kleinen
Monitore, auf denen man die Route des Fliegers verfolgen kann, sodass wir nicht
wissen, wann wir Pakistan, Afghanistan und das Pamir-Gebirge überqueren.
Die Hälfte der acht Stunden Flugzeit bebt die Tupolev unter Turbulenzen.
Immer wieder durchzuckt das Flugzeug ein Ruck, als ob es in der Luft einknicken
würde. Hans spricht von Flugkorrekturen. Wir erreichen Moskau aber
unbeschadet. Die Sonne scheint. Eiskristalle auf den Fenstern des Busses, der
uns zum Transfer bringt. Es hat minus 18 Grad. Auch in Wien empfangen uns
Sonne, Schnee und Eis.
Hans will einen "offenen Brief an die Inder" ins
Internet stellen mit hundert Fragen, die ihm auf dieser Reise eingefallen sind.
Ich nehme mir vor, beim nächsten Mal in
Indien den Bettlern mehr zu geben. Denn immer, wenn es Nacht wird, bohrt mir
die kleine Bettlerin aus Mumbai, die Hans so lange verfolgte, bis er ihr eine
zweite Münze gab, ihren dunklen Blick in die Seele.