Ruth Linhart | Reisen | Fotos Delhi | Agra | Jaipur | Jaisalmer | Jodhpur | Udaipur | Mumbai
bei Jaipur

Rosen sind die Blumen der Moguln, indisch ist die Lotusblüte

Reisenotizen aus Rajasthan - mit Delhi, Agra und Mumbai

Teil 1


Die zehn Lebensregeln des Hinduismus:

1. Sich rein halten
2. Zufrieden sein
3. Freundlich und geduldig sein
4. Sich bilden
5. Sich ganz nach den Göttern richten
  6. Nicht zerstören und verletzen
7. Nicht lügen
8. Nicht stehlen
9. Andere nicht beneiden
10. Nicht unbeherrscht und gierig sein.

80 Prozent der indischen Bevölkerung sind Hindus.

 

1. Februar 2005, Dienstag, Moskau

Flughafen Sheremetyevo.
Draußen weiße Dämmerung. Oder ist das Licht hier den ganzen Tag so weiß-grau? Viel Schnee.
Ich fürchtete mich natürlich beim Fliegen. Auch in Wien schneite und stürmte es gerade, als wir abflogen.
Habe Tee bestellt. Aber ich bekam keinen Tee aus dem Samowar, wie ich es mir vorstellte, sondern heißes Wasser mit einem Teebeutel. Hier ist es so warm. Habe schon die Socken ausgezogen und den Schal weggelegt. Dieses trübe Gebäude wird toll aufgeheizt. Draußen hat es minus sieben Grad.

Ein Bursch aus Tirol fragte uns, wie sich der Transfer abspielt. "Ich kenne mich nicht aus." Die Transitpassagiere der Aeroflot nach Indien sind alle jung, insgesamt aber nicht mehr als sechs oder sieben Leute. Ältere Menschen fliegen wohl Nonstop mit der AUA oder mit der Lufthansa oder wenigstens mit den Emirate Airlines. Die Aeroflot bietet den weitaus billigsten Flug an.

Was man während des Fluges aus dem Flugzeug sah, war alles sehr weiß. Hans, der am Fenster saß, berichtete über Berge und Wälder. Er erkannte die Hohe Tatra.
"Der Pilot hat Sheremetyevo angeflogen wie ein betrunkener Helikopter", sagt Hans. Ich war vom vorhergehenden Geschaukel schon so genervt, dass ich darauf gar nicht besonders achtete.

Eine junge Blondine namens Andrea flog mit. Ein koreanisch - oder, meint Hans, tibetanisch - aussehender junger Mann hat sie heftig "angebraten". Sie tauschten ihre Vornamen aus. Er heißt Simon.
Gerade gingen Männer vorbei, die mit rollendem "R" von einem Dragomir sprachen.
Das Flughafengebäude dürfte sechseckig sein. Auf der Ebene im ersten Stock sind Bars oder Restaurants untergebracht. Man sitzt hier wie in einem Schanigarten und kann die Reisenden, die vorbeigehen, beobachten. Im Erdgeschoß sind die Gates und Geschäfte.
Alles ist in trübes gelbliches Licht getaucht. Es ist schon 17.15 Uhr, aber draußen noch immer nicht dunkel.

Was wird uns wohl in Delhi erwarten?

 

2. Februar 2005, Mittwoch, Delhi

(Mehr zu Delhi: http://destination-asien.de/indien/delhi.htm).

Ich habe hier das Gefühl, dauernd mit jemanden über etwas, das ich nicht will, verhandeln zu müssen. Der Connaught Place ist übrigens angeblich die beste Gegend Delhis. Und schaut total vergammelt aus.
Wir sitzen im Café United Coffeehouse, das "westlich" wirkt, rokokoartig, und entfernt an das Café Quadri oder Floriani in Venedig erinnert.

Ich sollte schlagwortartig aufschreiben, was heute war.
Unsere Ankunft in Delhi: Der erste Geruch vermittelt nicht das süße sehnsüchtige Indien, ist nicht dieser Duft aus Blumen und feucht heißer Luft, den ich in der Erinnerung aus meiner Kindheit mitgenommen habe. Scharf in die Nase beizend stinkt es nach verbranntem Teer und Asphalt. Im Hotelzimmer riecht es intensiv nach Mottenpulver.

Der Flug.
Die Maschinen nach Tokyo, Honkong und Seattle hatten viele Stunden Verspätung, und wir befürchteten schon das Ärgste. Aber unser Flugzeug flog fast pünktlich von Sheremetyevo ab - eine riesige Boeing 777. Und es schneite und schneite. Eine Enteisungsmaschine behandelte die Flügel des Flugzeugs vor dem Abflug. Ich nahm Psychopax und fragte mich, warum ich vergessen hatte, dass das Fliegen über Moskau im Winter mit Stress dieser Art verbunden ist. Die Landebahn wurde ständig freigeräumt, mit ganzen Kolonnen von Schneeräumgeräten. Sie fuhren in Fünfergruppen, sagt Hans, der auf unseren Reisen für die Technik zuständig ist.
Während des Fluges fürchtete ich mich ziemlich, obwohl der Pilot sehr ruhig flog. Aber immer wieder gab es kleine Turbulenzen. Und dann waren wir über Afghanistan, und ich dachte, wenn wir hier abstürzen, massakrieren uns die Stammesfürsten. Die Leute in Afghanistan haben die Russen sicher nicht in guter Erinnerung.
Vor Lahore in Pakistan macht der riesige Flieger plötzlich eine schnelle Linkskurve, die Positionslichter leuchteten auf, und gleich darauf sauste ein Flugzeug auf unserer Höhe an uns vorbei. Wir hatten den Eindruck, dass es sich um einen Düsenjäger, ein Militärflugzeug, handelte. Bei Lahore musste der Pilot einen ziemlichen Umweg machen, wie wir auf den Bildschirmen, die die Reiseroute nachzeichnen, erkennen konnten.
Das Flugzeug war voll Russen. Eine Gruppe hatte als Ziel Bangalore, daher vermuten wir, dass es sich um Computer-Fachkräfte handelt. Eine ältere Frau, die zu dieser Gruppe gehörte, suchte Kontakt mit einem indischen Kind. Das Kindchen wollte nicht auf dem Schoß seiner schwangeren Mama oder seines Papa sitzen und wanderte auch während des Starts zwischen den Sitzreihen herum. Die russische Tante herzte es, gab ihm Süßigkeiten und schließlich ein Parfumfläschchen mit Duftquaste. Um das Kind zu erfreuen, versprühte die Russin süßen schweren Duft. Nachdem die Flughöhe erreicht und die Leuchtschrift "Fasten seat belt" kurzfristig erloschen war, siedelte die indische Familie in den hinteren Teil des Flugzeugs um.

Bei der Ankunft in Delhi ging alles gut. Dank Reiseführern wußte ich ungefähr, was auf uns wartet. Passkontrolle, Koffer, Geldwechseln lief reibungslos und schnell ab. Der Beamte der Wechselstelle goß gerade heißes Wasser über ein Teesackerl und aß Chips. Es war zirka drei Uhr früh.
Beim Ausgang des Flughafengebäudes warteten, wie mir schien, unzählige Männer mit Namensschildern - Chauffeure der für den Transfer in die Stadt bestellten Autos. "Mrs. Ruth Linhart" auf einem der Schilder. Erleichterung. Der schmale Mann lächelte kurz und brachte uns zu einem weißen Ambassador-Auto. Auf dem Armaturenbrett des Wagens standen zwei überkreuzte kleine indische Fahnen, orange, weiß, grün, im weißen Mittelstreifen ein Rad .
Das Auto war von außen ganz schön, innen eher eine Kraxe. Der Fahrer schlürfte einige Male aus einem kleinen Sackerl etwas, das er dann ausspuckte. Zu dem Zweck machte er jedesmal die Autotür auf. Wahrscheinlich Betel.

Diese Fahrt zum Hotel durch das Dehli an der Grenze zwischen später Nacht und frühem Morgen war gespenstisch. Der beißende Teergeruch. Ein grauer Schleier in der Luft. Der Fahrer fuhr wie betrunken, immer rechts - obwohl in Indien links gefahren wird - oder auf zwei Fahrspuren zugleich. Ab und zu eine in Decken gehüllte Gestalt am Straßenrand. Schäbige Häuser.

Ja, dann blieb der Fahrer unvermutet stehen, auf einem der niedrigen Gebäude glänzten vier Sterne - das Hotel Alka. Das war also schon der Connaught Circus! Das ökonomische und touristische Zentrum der Stadt? Der Fahrer fragte hier nach dem Hotel Alka Annexe. Dort wirkte alles noch trister. Zuerst öffnete niemand auf das Klopfen an der Glasfront, doch dann stürzte ein junger Mann mit Schal über Mund und Nase zur Tür und ließ uns hinein - Gott sei Dank!
Das Hotel ist keinesfalls brandneu, wie im Reise Know-How-Führer "Rajasthan", Ausgabe 2005, beschrieben. Auch als "first class" würde ich es nicht einordnen. Es hat zwei Sterne und ist sauber. Das ist immerhin etwas. Aber es ist kalt in den Zimmern. Laut Reiseführer ist das Besondere an dem Hotel, dass es total mit AC - also Klimaanlage - versehen ist. Bei wenig Graden über Null nicht der dringendste Wunsch!
Es war schon sechs Uhr, als ich in den Schlafsack schlüpfte - wegen des grauen Leintuchs, der braunen Decken und der Kälte.
Kaum hatten wir uns hingelegt, begannen vor der Zimmertür Leute zu sprechen. Hans sagt, im Halbschlaf sei es ihm vorgekommen, als ob sie mühlviertlerisch gesprochen hätten. Um neun Uhr wieder auf.

Ich lehnte übrigens das erste Zimmer ab. Der junge Mann holte einen anderen Schlüssel und führte uns einen Stock höher in ein schlechteres Zimmer. Ich wollte ein Fenster ins Freie. Aber auch das Fenster dieses Zimmers geht nur auf den Gang hinaus. Zum Glück, wie wir in der Zwischenzeit wissen, schaut das Fenster nicht auf den Connaught Circus. Da könnte man keine Minute schlafen - wegen Autolärms und Gehupe.

"Was war für dich heute das Wichtigste?" frage ich Hans. Während ich schreibe, beobachtet er die anderen Gäste des United Coffeehouse. "Die Abspeisung des Bettlers mit zehn Rupien," sagt er. Eine wichtige Erfahrung: Es ist besser, einem Bettler gleich eine kleine Münze zu geben. Er entfernt sich dann. Gibt man ihm nichts, begleitet er einen so lange, und zwar auf Tuchfühlung, bis man in die Tasche greift.
"Das Schönste war die Viertelstunde Ruhe im Lakshmi-Narayan-Tempel." Das finde ich auch.
Beeindruckend waren die höllischen Fahrten mit den Motor- oder Autorikschas. "You take car or auto?" Mit dieser Frage umringen dich Taxi- und Rikscha-Chauffeure auf Schritt und Tritt.

Ein weiteres Erlebnis war das Büro des "Touristenfängers".
Ein schlanker junger Mann mit gefälligen Manieren erwartete uns schon, als wir um halb zehn Uhr zum Frühstück torkelten. "Have your breakfast first", sagte er großzügig. Als Hans ins Zimmer etwas holen ging, setzte er sich sofort zu mir. Ich verstand, er sei vom "Government of India". Er will uns nichts verkaufen, sagte er, sondern nur einen Stadtplan bringen und uns Diverses erklären. (Übrigens redet man mich hier mit "Madam" oder "Maam" an, Hans mit "Sir"). Mit seinem Angriff wartete er ab, bis wir gefrühstückt hatten. (Der Speiseraum im Alka Annexe ist angenehm, leider sind die Tischtücher fleckig!).
Dann setzte er sich wieder zu uns und wurde konkret. Schließlich zeigten wir Interesse für eine Rundfahrt durch Delhi, ja, wirklich erst morgen, mit Besichtigung aller Sehenswürdigkeiten, die er uns aufgezählt hatte. Wieviel? "Das kostet 800 Rupien. "Kommen Sie in mein Büro!" Dort könnten wir die Sache fixieren. Nachdem wir für heute kein Programm haben, stimmen wir zu. Vor der Hoteltür wartet der Fahrer mit einem Auto!
Vorher rufe ich noch Eco Adventures an, die Reiseagentur, die wir über Atlantis-Flugreisen in Wien kontaktierten. Alok Verma sagt, er werde um 15 Uhr, "after lunch", ins Hotel kommen, "with train tickets and hotel vouchers". Ich frage den jungen Mann in der Rezeption, wieviel das Telefonat kostet. Er lehnt eine Bezahlung mit Lächeln ab.

Wir fahren wild durch den wilden Delhi-Connaught-Gegend-Verkehr, biegen ab in eine Seitengasse. Das Büro der vom Government approbierten Reiseagentur ist winzig. Hier soll die vereinbarte Delhi-Rundfahrt auf einmal doppelt soviel kosten - 1600 Rupies! Wir beharren auf den 800 Rupien. Ein Euro ist rund 50 Rupien, das macht einen Preis von 16 Euro - ist nicht so sagenhaft billig, wie uns erzählt wurde, aber angemessen. Also gut, dann bekommen wir auch nur die Hälfte der Sehenswürdigkeiten: Das rote Fort, die Jamia Masjid-Moschee, India Gate, das Nationalmuseum, das Humayun-Mausoleum.
Der Reiseagent will uns auch überreden, alles Bisherige zu stornieren, denn er habe in Jaisalmer ein hübsches Hotel auf Lager, mit dem Auto könnten wir Rajasthan viel billiger bereisen als mit dem Zug etc. Aber wir lehnen ab. Mit Mühe eisen wir uns los, nachdem wir im Vorhinein die 800 Rupien für morgen bezahlt haben.

Vor meinen Augen steht ein gemütlicher Spaziergang zurück zum Hotel. Eine Illusion! Wir werden bedrängt von Taxichauffeuren, Bettlern, Leuten, die uns in ein Shopping Center führen oder Schuhe putzen wollen oder fragen, woher wir sind, was wir wollen, wohin wir fahren ... Dass wir keinen Schritt in Ruhe machen können, wurde uns von Indienreisenden prophezeit, aber die Wirklichkeit ist ärger als die Vorstellung. Wir haben auch keine Lust mehr, die Sternwarte, an der wir vorbeigehen, zu besuchen. Wir flüchten nur vor diesen Kletten.
Irgendwie kamen wir endlich wieder ins Hotel zurück und legten uns nieder. Wir haben doch ein arges Schlafmanko. Im Halbschlaf wieder Stimmen vor der Zimmertür.
Gegen zwei Uhr begaben wir uns in das schicke eiskalte Lokal des Hauses, um etwas zu essen. Eine Art Maharaja - aber es war nur der Türsteher des Hotels - öffnete uns jetzt die Türen
Überall massenweise Personal, das aus jungen Männern besteht. Etliche davon stehen nur herum, so der Türsteher mit dem Turban.
Frauen kommen arbeitend nicht vor. Nur als Bettlerinnen, ja, und auch Händlerinnen, die in den Arkaden und an den Säulen des Connaught Circus Stoffe oder Schmuck verkaufen.
Frauen sahen wir sonst bisher nur wenige, und diese als Touristinnen oder Konsumentinnen, also beim Einkauf. Ich bemerkte ein paar Mädchen in Jeans, aber die meisten tragen ein Gewand bestehend aus Hose, Überkleid und Schal. Viel weniger tragen Saris. Alle dazu Wolljacken. Die Männer gehen in Hemd und Hose. Etwas kühl für die Jahreszeit!

Der Connaught-Circus - "das pulsierende Herz der Stadt", wie im Baedeker steht, ist eine Ansammlung kreisrunder Straßen, gekreuzt von "radial roads". Sein richtiger Name ist heute Rajiv Gandhi Chowk. Früher muss er schön gewesen sein, Arkaden mit weißen Säulen ziehen sich rund um den Platz. Aber heute ist alles schmutzig, Bettler und Händler lungern herum.

Um halb vier Uhr kam Alok Verma von Eco Adventures. Er war trotz mehrmaliger Hinweise, dass wir im Alka Annexe wohnen, doch zuerst beim Hotel Alka eingekehrt.
Viel Gerede, schließlich Einigung, dass wir ihn morgen in seinem Büro aufsuchen, nach unserer city-tour. Und uns die Zugskarten Agra-Jaipur, Jaipur-Jaisalmer holen und die Rechnung per Visa card begleichen. Den Plan, von Agra nach Jaipur mit dem Zug zu fahren, geben wir auf, denn wir sind auf der "waiting-list" seit Wochen unverändert erst auf dem elften und zwölften Platz. Jedenfalls wird er uns in Jaipur einen "guy" beschaffen, der uns hilft, sagte Alok Verma. Denn auch bezüglich der Schlafwagenkarten Jaipur-Jaisalmer stehen wir auf der Warteliste. Und in Jaisalmer wird uns der Autochauffeur, der uns nach Udaipur fahren wird, am Abend vor der Abfahrt in unserem Hotel anrufen.
Der vormittägliche Touristenfänger sagte übrigens, dass sechs Tage Udaipur, das wir schon gebucht haben, zu lange seien, wir sollten lieber länger in Delhi bleiben.

Hans hat sich geduscht. In der Zwischenzeit sind wir nämlich ins Hotelzimmer zurückgekehrt. "Sehr wenig Wasser, und fast kalt", sagt er. Ich werde auf die Dusche verzichten.

Nach dem Gespräch mit Alok Verma fuhren wir mit einer Autorikscha zum Lakshmi Narayan-Tempel. Es war schon halb fünf Uhr nachmittags. Am Eingang mussten wir zuerst durch eine Sicherheitssperre, dann die Schuhe ausziehen und den Fotoapparat abgeben.
Der Lakshmi Narayan-Tempel wurde zwischen 1936 und 1939 erbaut. Mahatma Gandhi bestand darauf, dass auch Unberührbare hier beten dürfen. Etliche Ausländer, eine englische Gruppe in ärmellosen T-Shirts und Sandalen. Bunte Götterstatuen, Shiva und seine Gattin Parvati, Ganesha, aber am besten in Erinnerung ist mir der liebliche leuchtende Krishna. Der Aufpasser deutete uns, wir könnten ruhig näher kommen, weil wir uns schüchtern, weit entfernt von indischen Gläubigen, die ihr Anbetungszeremonial durchführten, aufhielten. Zum Tempel gehört ein großer Park mit exotischen Bäumen. Im Tempel Ruhe und Entspannung. Späte Sonne.
Vor dem Tempel neuerlich der Kampf gegen Bettler und Verkäufer, unter anderem von Schachspielen und Elefanten aus angeblichem Sandelholz. Wir gingen ein weites Stück zu Fuß. Wenn man es schafft, von den Orten wegzukommen, wo sich Bettler, Händler und Taxler akkumulieren - Sehenswürdigkeiten, Hotels - , bleibt man entlang der breiten Verkehrsadern relativ unbehelligt. Alles ist unsäglich staubig. Rechts und links des tobenden Verkehrs viele kleine Geschäfte in niedrigen Häusern. Massen von Menschen und noch mehr Autos unterwegs. Gegen sechs Uhr. Schließlich warfen wir das Handtuch und kletterten fürs letzte Stück Weges in ein Tuktuk.
Dann Flucht in die an Europa erinnernde Welt des United Coffeehouse.
Als wir von dort ins Hotel zurückgehen, packen die Händler unter den Arkaden des Connaught Place gerade ihre Sachen zusammen. Unter den Arkaden sind viele, zum Teil wunderschöne Geschäfte. Außerhalb der Arkaden Elend und Schmutz. Dabei ist das eine der besten Gegenden Delhis. Wie schaut es in den schlechteren Gegenden aus?
Auf "unserer" Seite des Connaught Circus ist alles schon dunkel. Rolläden zu. Gegen acht Uhr. Nur finstere Gestalten, ein Bettler mit ausgestreckter Hand. Ich bin froh, als wir in unser Hotel kommen, wenn auch das Zimmer kein Traumzimmer und das Bad kein Luxusbad ist.
Hans hat sich schon zum Schlafen hingelegt. Kalt ist es hier. Auch er schläft im Schlafsack.

 

3. Februar 2005, Donnerstag, Delhi

Wieder im United Coffeehouse.
Heute Aufstehen, Frühstück. Die Palette des Angebotenen ist breit. Hans aß eine Käseomelette, ich nur Toast mit Tee. Außer uns frühstückte ein indisches Ehepaar mit Mutter. Sie tranken große Gläser Milch und bestellten Chapati und Gemüse, soweit ich das wahrnehmen konnte.
Unser Fahrer für die Stadtrundfahrt kam mit einer halben Stunde Verspätung.
Wir wünschen uns als erste Station das Büro von Eco Adventures im noblen Stadtteil Chanakyapuri. Die Gegend dort heißt "Diplomatic Enclave". Wir erhalten das Zugticket nach Agra. Alok Verma verschafft uns ein besseres Hotel in Jaipur zu billigerem Preis und ein deluxe-Zimmer in Jodhpur, ebenfalls billiger, als ich es per Telefon von Wien aus erworben habe. Wir verbringen eineinhalb Stunden in dem winzigen Büro mit vielen Angestellten und PCs. Alok Verma gibt sein Bestes. 581 Dollars zahlten wir letztendlich für die Hotels in Jaipur und Jodhpur, den Transfer vom Flughafen Delhi, zwei Zugsfahrten, davon eine im Superexpress nach Agra und eine zwölfstündige im Schlafwagen nach Jaisalmer sowie die Autofahrt von dort nach Udaipur. Gemessen an den Ratschlägen im Reiseführer ist das sehr viel, aber ich bin beruhigt. Hans und mir fehlt die Energie, billigere Angebote einzuholen.
Nun geht es zu den Stationen unserer Stadtrundfahrt: Humayun´s Mausoleum, India Gate, Jause bei Nirula´s, Raj Ghat mit Mahatma Ghandis Grabstätte und das Red Fort von außen, da man seit einem Bobenanschlag nicht mehr hinein darf sowie in der Ferne die Türme von Indiens größter Moschee, Jamia Masjid.
Zurück zum Hotel. Spaziergang ins United Coffeehouse. Hans bekam um 250 Rupien (Wucherpreis!) die Schuhe geputzt. Eine Bettlerin kriegte von Hans einen Euro.

Besondere Eindrücke:
Ghandi-Gedenkstätte am Raj Ghat.
Sehr schöne Stimmung. Großer Park Richtung Yamuna-Fluss, der ausgetrocknet sein soll. Hier alles grün, viele bunte Blumen, prächtige Dalien und Tulpen. Bei dem großen schwarzen Marmorblock, der Ghandis Grabstein ist, Berge von duftenden Tagetes, Räucherstäbchen, eine brennende Fackel, vielleicht brennt sie immer. Viele Leute, Frauen in bunten Gewändern, auch Ausländer und Ausländerinnen. Keine Bettler. Keine Autos. Nachmittagssonne, blauer Himmel. In der Ferne die Silhouette von Delhi.
Im Park beobachten wir verschiedene Vögel und Streifenhörnchen.
Gestern sahen wir beim Lakshmi Narayan-Tempel grüngelbe papageienartige Vögel. Heute sahen wir solche beim Grabmal des Humayun, das dessen Frau für ihn errichten ließ. Auch bei diesem wunderschönen Gebäude aus dem 16. Jahrhundert , dem "Prototyp der Mogul-Mausoleen", herrschte eine stille angenehme Atmosphäre, völlig im Gegensatz zu der bedrängenden Hektik vor der Eintrittskasse. Zu Gedenkstätten und Sehenswürdigkeiten haben Bettler und Händler keinen Zutritt. Das bedeutet nicht, dass man gar nicht belästigt wird. Mit der Eintrittskarte, die für Inder sehr billig ist, schwindeln sich auch Leute herein, die plötzlich ungefragt dicht an einen herangerückt mit leiser Stimme anfangen, Erklärungen abzugeben oder anbieten, Erinnerungsfotos zu machen, wofür sie sich dann nicht scheuen, einen beträchtlichen Obulus zu verlangen.

Der Chauffeur, der uns fuhr, war ein symathischer Mann. Er bedrängte uns mit nichts, lenkte ruhig und fragte nur ab und zu etwas, zum Beispiel, ob wir Kinder hätten. Ich wollte ihn zurückfragen, traute mich aber nicht. Auch dieser Fahrer hatte vom Autofahren - das nehmen wir an - bzw. von den Abgasen einen brochitischen Husten. Er fragte uns, ob bei uns ebensoviel Verkehr sei. Nein, wirklich nicht! Nach Old Delhi wollte er nicht. "Zu viel Verkehr, zu enge Straßen, zu viele Leute." Wir drängten ihn nicht dorthin. Einerseits hätte ich die Atmosphäre des alten Delhi gerne erlebt, aber gegen Abend waren auch wir schon müde, und vor allem hatten wir einen Horror vor allzu großem Wirbel und bedrängendem Körperkontakt.
In Delhi herrscht wirklich ein wahnsinniger Verkehr. Die PKWs, Motorräder, Auto-Rikschas und Fahrrad-Rikschas, die Busse, Lastautos und Fahrräder fahren kreuz und quer, es wird unaufhörlich gehupt und oft gebremst. Ich glaube, ich habe gelesen, dass es nirgends so rücksichtsvolle Fahrer gibt wie in Indien. Es ist schwer zu beschreiben, dieses sich auf wunderbare Weise immer wieder wie von selbst regelnde Chaos. Man sah auch viele Mopeds mit mehreren Leute darauf - eines mit vier Personen: der Fahrer, vor ihm ein kleines Mädchen, hinter ihm ein junges Mädchen, ganz hinten die Mutter (wahrscheinlich). Alle drei weiblichen Wesen waren in leuchtend bunte Saris gehüllt.

Ein anderes "romantisches Bild" ist uns von der Malcha Marg in Erinnerung, dem Platz vor dem Büro von Eco Adventures: Eine Frau im orangeroten Sari trägt einen Turm Ziegeln auf dem Kopf - eine Bauarbeiterin mit der Haltung einer Königin.

Hier im United Coffeehouse sitzen auf den weichen roten Polstern links zwei Herren, beide recht mollig, wohlhabend wirkend, elegant, Sikhs mit Turban auf dem Kopf. Auf der anderen Seite sitzen drei Herren. Sie reden nicht Englisch. Aber sie streuen oft englische Brocken ein.

Das Büro von Eco Adventures war eng. Wandschirme waren aufgestellt. Eine Menge Leute, auch drei Frauen. Einmal ging die Tür einer engen Koje auf, heraus trat ein Herr im Anzug und Turban, wahrscheinlich der Chef.

Wir sahen heute auch einen Sikh-Tempel mit goldener Kuppel und in der Ferne einen weißen Jain-Tempel.

Den ganzen Tag Preisverhandlungen. Sie enden im für den Verkäufer günstigen Fall mit dessen Behauptung: "I be happy, you be happy." Der teure Schuhputzer sagte, dass er sehr berühmt sei. Er heißt Babu. Mit ihm handelte Hans nicht.

Nach jedem Essen bringt der Kellner ein Tablett mit Fenchel und winzigen Stückchen Kandiszucker. Ich nehme an, das soll einen angenehmen Nachgeschmack erzeugen.

 

4. Februar 2005, Freitag, im Zug nach Agra

Der Zug heißt Shatbadi-Express - ein indischer Prestige-Zug. Draußen ist es um halb sieben Uhr früh noch stockfinster. Wir sind vor zirka einer halben Stunde abgefahren.
Das Innere des Zugs ist in Blau gehalten. Aus dem Lautsprecher bekommen wir auf Hindi und Englisch zahlreiche Informationen, die ich aber schlecht verstehe. Jetzt Musik. "Ein Morgen-Raga", sagt Hans.
Wir erhielten bereits eine Zeitung, eine Flasche Wasser, ein Kännchen mit Tee und etwas zum Essen! Das alles um sicher nicht mehr als 20 Dollar (zu zweit). Inklusive natürlich die reservierte Fahrt. Am Bahnsteig hingen wirklich Listen mit Namen und Alter der Fahrgäste. Die meisten Angaben in der hier üblichen Schrift Devanagari, die Daten der "weißen Riesen" in lateinischen Buchstaben.
Neben uns sitzt ein Chemiker. Ich habe seinen Platz. Hans und ich wurden nämlich von der Reservierung getrennt, wahrscheinlich aus moralischen Gründen - Geschlechtertrennung. Dass wir verheiratet sind, ist unseren verschiedenen Namen ja nicht zu entnehmen. Der Chemiker deutete uns höflich, dass ich natürlich sitzen bleiben könne. Dass er Chemiker ist, wissen wir, weil er Hans seine Visitenkarte gab und mit ihm ein Gespräch versuchte.

Es war eigenartig, den Bahnhof von New Delhi zu betreten. Ich bin doch schon viele Jahre in Indien "armchair"-Zug gefahren, zum Beispiel mit Royston Ellis und seinem Ratgeber "India by Rail" oder erst unlängst mit Anita Nair, die in ihrem Roman "Das Salz der drei Mere" eine Zugsfahrt von Bangalore nach Kanyakumari schildert. Ich habe diese Bücher gelesen und mir die indischen Bahnhöfe und Züge vorgestellt. Und nun klettere ich vor der New Delhi Railway Station aus dem Taxi und dieses virtuelle Abenteuer wird Wirklichkeit! Während ich über die paar nicht sehr sauberen Stufen zur Abfahrtshalle hinaufsteige, bin ich innerlich bewegter, als man in dieser wenig schönen Umgebung erwarten würde.
Vor dem Bahnhof stehen Reihen und Reihen schwarzer Autos. Vielleicht Taxis? Und viele Leute mit Decken über Kopf und Schultern. Übernachten sie hier oder warten sie hier auf Kunden - oder beides? Die ganze Szene in graubraune Nachtstimmung gehüllt. Im Bahnhof registriere ich kaum, dass Leute auf dem Boden liegen und schlafen und Bettler uns belästigen. Einige andere ausländische Touristen gehen wie wir auf dem Bahnsteig auf und ab. Wie aufgeblasene Luftballone wirken sie gegen die zierlichen Inder, und alle in Sommerkleidung bei maximal fünf Grad!

Unseren Wagon bevölkern schicke junge Männer in Lederjacken, mit Laptop und Handy. Der Zug hält nur zwei-dreimal bis zu seinem Ziel Bhopal. Bis dorthin braucht er acht Stunden
"Bei jeder zweiten Sitzbank gibt es Strom für einen Laptop", registriert Hans. Es ist sehr gut geheizt.

(Übrigens gibt es eine arge politische Zuspitzung in NEPAL. Der König hat am 1. Februar 2005 das Parlament ausgeschaltet und die Macht an sich gerissen. Die Opposition wurde unter Hausarrest gestellt oder ist untergetaucht.)

Jetzt rast der Zug .....

 

Agra

(Mehr zu Agra: http://en.wikipedia.org/wiki/Agra)

Abends. Wir sind sehr mitgenommen von unserem Ausflug nach Fatehpur Sikri.

Aber noch ein Wort zum Hotel Alka Annexe in Delhi.
Jede Nacht läutete bis spät - sehr spät - das Telefon, das auf einer Art Anrichte in der Nähe unserer Zimmertür stand. Das Personal wohnte offensichtlich auf unserem Stockwerk. Es herrschte ständig lautes Gerede, ein Kommen und Gehen, auch noch weit nach Mitternacht. Vorgestern war es besonders arg. Ich machte die Tür auf und sagte zu dem jungen Mann, der erstaunt herschaute, er soll bitte leiser sein. Tatsächlich murmelten die Leute dann nur mehr, aber es änderte nichts daran, dass bis zwei Uhr oder später, kaum war man am Einschlafen, das Telefon schrillte. Manchmal ging niemand daran, das war besonders arg, denn dann läutete es sehr lange.
Gestern kam als Pointe dazu, dass, als wir schon im Bett lagen, plötzlich ein Mann mit klagender Stimme sagte: "Da bleib ich auf keinen Fall!" Und: "Was mach i denn da?" Dann bemerkte er lautstark: "There is ja nothing for the clothes!" Österreicher im Zimmer neben uns! Wahrscheinlich haben sie auch die tolle Besprechung des Hotels im Reise Know How gelesen. Der Mann verschwand in die unteren Gefilde des Hotels. Nach einer Weile kam er zurück und sagte zu seiner Frau (vermuten wir), dass kein anderes Zimmer frei sei. Er kam dann nochmals auf den Gang und beschwerte sich, dass das Wasser "open" sei, also die Mineralwasserflasche nicht mit Originalverschluss, worauf man in Indien besonders achten muss. Er tat mir leid. Wir waren auch nicht begeistert über das Zimmer, als wir um fünf Uhr früh ankamen.
In der Nacht hörten wir stundenlang seltsame Geräusche, wie eine ferne Schießerei.

Übrigens wollte man uns vier statt drei Nächte verrechnen! Und außerdem behauptete der Mann an der Rezeption, wir hätten das heutige Frühstück nicht bezahlt. Aber wir haben die Rechnung aufgehoben.
In der Früh klappte alles: Frühstück um dreiviertel fünf Uhr, ein Service, das man bei uns nicht erwarten kann. Hier antwortete man auf meine diesbezügliche Frage: "Why not?" Das Taxi fuhr um fünf Uhr vor. Genau 48 Stunden nach unserer Ankunft verließen wird das Hotel Alka "Annexi" wieder (so wird das Wort hier ausgesprochen).

Nun zu Agra.
Heute kam es uns vor, als wollte man das Blut aus uns "herausneppen".
Das Hotel Taj View ist schön, aber nach dem Ausflug nach Fatehpur Sikri war ich so geladen, dass ich die Hausverwaltung anrief und bat, die Kopfkissen frisch zu beziehen. Die Überzüge waren nicht sauber, und da wir uns in einem teuren Fünfstern-Hotel befinden, dachte ich, das könnten wir ruhig verlangen. Das Personal kam zu dritt an, der Verantwortliche inspizierte die Überzüge, sah die Flecken und befahl: "Neu überziehen!" Er erging sich in Entschuldigungen und sandte uns Obst und Mineralwasser.

Was ist heute alles passiert?
Die Zugsfahrt. Die Ankunft in Agra. Kaum waren wir ausgestiegen, wurden wir wie von einer Stromschnelle mitgerissen. Wir landeten beim Schalter für "prepaid" Taxis, 120 Rupien bis zu unserem Hotel. Der Chauffeur ließ einen Mann mitfahren, der uns mitteilte (was wir schon wussten), dass das Taj Mahal heute, am Freitag, geschlossen sei. Er wollte uns unbedingt zu einer alternativen Autotour in Agra überreden. Dass wir müde seien, beeindruckte ihn nicht. "You take a shower and I wait!". Er ging mit ins Hotel und verlangte sogar unsere Zimmernummer, die wir ihm nicht gaben. Dafür überreichte er uns seine Telefonnummer, die wir aber nicht benützten.

Wir atmeten auf, als wir in unserem Zimmer endlich allein waren. Das Hotel Taj View, sehr schön, sehr geschmackvoll eingerichtet. "Wenn der Frühnebel weggeht, sehen Sie aus dem Fenster das Taj Mahal", sagte der Kofferträger. Und es war tatsächlich so. Die weißen Kuppeln tauchen auf wie ein Phantom. Unglaublich, dass es das echte Taj Mahal sein soll! Glücksgefühl.
Schade ist nur, dass durch das Zimmer von der Air Condition her ein allzu kühler Wind weht.
Wir tranken Kaffee und spazierten im Garten. Endlich ein entspanntes Gefühl auf dieser Reise.

Fatehpur Sikri
Auf zwölf Uhr bestellten wir ein Taxi nach Fatehpur Sikri, eine "Geisterstadt", 40 km südwestlich von Agra, die der Mogul-Herrscher Akhbar als seine Hauptstadt erbaute. Akhbar war ursprünglich hergekommen, um bei einem hier lebenden Heiligen um die Geburt eines Sohnes zu bitten. Dieser Wunsch ging in Erfüllung.
1571 begannen die Bauarbeiten. Aber schon 15 Jahre später verließen Akhbar und sein Hofstaat Fatehpur Sikri. Unter anderem war von Anfang an die Wasserversorgung ein Problem.
Die Taxifahrt zu dem touristischen Highlight war nervtötend.
Wir kamen uns auf dieser Straße, durch die der Verkehr tobte und unser Taxifahrer mittendrin, vor, als ob wir direkt in einen Indienfilm versetzt worden wären. Unzählige Fotomotive schossen an uns vorbei. Wir fotografierten aber überhaupt nicht. Was sahen wir alles? Rikschas mit Frauen in bunten Saris oder beladen mit unzähligen Personen oder mit Lasten, Motorräder, Mopeds, alle möglichen Vehikel voller Leute sowie Tiere jeder Art. In Delhi gab es keine Kühe in den Straßen, aber hier wimmelt es von heiligen Kühen. Weiters Schweine, magere Pferde, Esel. Und die armen zerrupften kranken Tanzbären am Straßenrand. Unser Fahrer fuhr vor, Lastern, Bussen, PKWs, Rikschas und Radfahrern entgegen. Immer ein Ausweichen im letzten Augenblick. Wir wurden Zeugen von drei Unfällen. Ein Lastwagen mit Achsbruch auf der gegenüber liegenden Straßenseite war richtig in die Knie gegangen. Auch einen kaputten PKW sichteten wir. Irgendwo konnte man nicht weiter, eine Kolonne hatte sich gebildet, wegen eines Unfalles. Umweg über Brücken, die zum Einbrechen aussahen und auf total staubigen Straßen. Ich dachte, unser Auto fällt auseinander, so sehr rumpelte es. Die 40 km Strecke führte zuerst durch die Stadt, dann über Land, alles war grün rechts und links, aber was da wuchs, weiß ich nicht. Dörfer, Lehmhütten, Strohdächer, Schafe.
Dann das Ärgste, der "guide". Ohne guide gehe es nicht in Fatehpur Sikri, das sei zu groß, sagte der Fahrer. Es wäre natürlich gegangen, sogar viel besser. Aber wir kamen dem guide nicht aus. Wir mußten den guide mitnehmen, den unser Fahrer zusteigen ließ. Statt 85 Rupien, wie im Reiseführer angegeben, verlangte er 200.

Fatehpur Sikri WÄRE sehr imposant. So, gejagt vom Führer, von Kindern und Erwachsenen, die alle von uns etwas wollten, war es schrecklich. Widerlich. Sehr wenig westliche Touristen, darum stürzte man sich wahrscheinlich umso mehr auf uns. Zum Schluss sichteten wir einen Rotel-Bus voll deutscher Indienreisender.
Irgendwann mußte ich aufs Klo. Es gibt kein öffentliches WC, zumindest führte mich unser guide zu keinem. Sondern auf eine Abfallhalde. Das war wirklich unbeschreiblich. Leute gingen auf dem Trampelpfad quer durch den Mist an mir vorbei und schauten neugierig. Der Führer wartete mit dem Rücken zu mir gewendet, bis ich fertig war. Hans blieb innerhalb der Moschee, die letzendlich das einzige war, was wir sahen - an sich wunderbar, aber eben nur "an sich".
Hans durfte nicht mit zu der Müllhalde, weil das Stück Stoff, das wir dem Heiligen von Fatehpur Sikri opfern sollten, nicht beschmutzt werden durfte.
"Wollen Sie, dass Ihre Wünsche in Erfüllung gehen?" hatte der guide uns gefragt. "Natürlich", sagten wir arglos. "Dann kaufen Sie hier einen Stoff und opfern ihn im Marmormausoleum des Heiligen Shaikh Salim Chisti." Das ist derjenige, der Akhbar zu seinem Sohn verholfen hat. Es gab Stoffe um 100, 200 und mehr Rupien. "Welchen Sie kaufen wollen, das müssen Sie in Ihrem Herzen entscheiden!"
Dieser Fremdenführer war unsympathisch. Er beschmierte uns ununterbrochen mit falschen Komplimenten und war gleichzeitig mehr als offensichtlich darauf aus, so viele Rupien aus uns herauszuquetschen wie möglich. Obwohl wir das mittlerweile geschlossene Mausoleum gar nicht unbedingt besuchen wollten, warteten wir, bis es wieder öffnete, da wir den Stoff opfern mussten. Ich durchschaute den Sinn dieses Stoffkaufs und dieser Opferung nicht, weder den religiösen Sinn noch den vordergründigen finanziellen. Denn erstens verstand ich das fragmentarische Englisch des Führers kaum, und zweitens war ich voll beschäftigt, all die Ansichtskarten, Ketten und anderen unnötigen Dinge abzuwehren, die wir nach Ansicht der Leute hier kaufen sollten.
Während der Opferung des Stoffes kam ganz kurz ein bisschen echtes Gefühl auf. Die Fenster dieses Mausoleums wie Spitzengeflecht aus Marmor. Das Halbdunkel. Kerzen. Schimmernde Farben und Gold. Die Leute, die offensichtlich von Herzen ihre Stoffe übereinander breiteten und betende Gebärden machten. Unser guide, der uns hier hereingedrängt hatte, wo wir fehl am Platz waren, flüsterte uns zu: "Den Stoff mit der rechten Hand hinlegen." Die linke Hand ist ja schmutzig nach Ansicht der Inder, die sich mit Wasser und linker Hand den Hintern auswischen. Da wir so etwas nicht machen, hätte ich ruhig den Stoff in meiner linken Hand behalten können - ich bin nun einmal Linkshänderin!
Bevor wir wussten wie uns geschah, waren wir jetzt bei Bekannten oder Verwandten des guides, die in Marmor Elefanten und anderes schnitzten. Es gab keine Widerrede, wir mussten ein, zwei solche Dinge kaufen, obwohl ich mich am Anfang der Reise absolut nicht mit Gegenständen aus Stein belasten wollte. Und die waren nicht billig. Ein winziger Kerzenleuchter kostete zehn Euro, nur zum Beispiel.
Die eigentliche Palastanlage sahen wir gar nicht mehr bzw. nur von außen, denn wir brachen die Führung ab. Wir waren von Menschen eingezwängt, deren einziges Ziel es war, in großer Hektik so viel Cash wie möglich aus uns herauszupressen. Es gab keine Möglichkeit, all das Schöne in Ruhe anzusehen ...

Endlich zurück im Hotelzimmer. Und heute kein Schritt mehr hinaus. Essen werden wir wohl oder übel auch hier im Nobelrestaurant des Hauses. Der Fahrer fragte uns, als er uns hier ablieferte: "Were you content with my driving?"

 

5. Februar 2005, Samstag, Agra

Gestern nachts drang plötzlich Höllenlärm durch die Fenster. War das indische Schlagermusik? Eine Disko-Party? Das Ereignis entpuppte sich als Hochzeitszug mit Sängern, Bläsern, Trommeln, taghellen Lichtern. Hans vermutet, dass der erste beleuchtete Wagen ein Stromaggregat war. Am Ende der Prozession eine rotierende Lichterscheibe. Und aus der Lautsprecheranlage Lieder. Auf einem Foto, das Hans machte, ist bei Vergrößerung ein bunter Reiter auf einem weißen Pferd erspähbar. Das war sicher der Bräutigam, der mit seinen Freunden und Verwandten auf dem Weg zum Haus seiner Braut war.
Der Zug blieb immer wieder stehen und spielte sein Musikprogramm ab. Dann marschierte er zwanzig Meter weiter. Hans, der mit seiner Kamera das Ganze vom Fenster aus dokumentierte, berichtete, dass eine riesige Papierlaterne angezündet wurde und diese brennend über das Hotel schwebte. Ich war nicht gerade beruhigt.
Wir schliefen trotzdem gut. Das Rauschen und Hupen der Autos auf der Straße vor dem Hotel wirkte wie ein Wiegenlied.

Die Buskarten nach Jaipur, die uns die Rezeption besorgen will, sind noch nicht da. "Heute um zirka 15 Uhr. Wenn Sie zurückkommen, sind sie da. No worry."
In "The Times of India", der Zeitung, die in der Früh an der Türklinke hängt, las ich, dass bei Kabul ein Passagierflugzeug im Schneesturm abgestürzt ist.
Hans sagt gerade: "Es ist schon nett, ein Vogel zu sein", und beneidet die Taube, die ohne Problem von unserem Fenstersims in die Tiefe entschwebt.
Heute erscheint wieder in der Ferne als weiße Fata Morgana - aber es ist echt! - das Taj Mahal. Der Himmel ist blau, Spuren des Morgennebels hängen noch in der Luft. Wir haben den Ehrgeiz, die ein, zwei Kilometer bis zum Taj Mahal zu Fuß zu gehen. Ob uns das gelingen wird?

Abends, im Restaurant des Taj View.
Hier gibt es einen Affen namens Salman, eine große Meerkatze. Wir haben beobachtet, wie Salman an einer langen Kette spazieren geführt wird und seiner Aufgabe nachkommt, fremde Affen aus dem Areal des Hotelgartens zu vertreiben.
Vom Garten her hören wir jetzt die Stimmen des Kathakali-Puppentheaters, das dort aufgebaut ist. Gestern abend sahen wir eine Szene davon, eine Maharani im Glitzerkleid tanzte zu Lauten, die von einem quietschenden Gummiball zu kommen schienen. Ich wundere mich, dass hier Kathakali-Theater aufgeführt wird, das ist doch in Südindien beheimatet.

Heute war der Tag des Taj Mahal, erbaut in 22 Jahren, fertiggestellt 1653, in Auftrag gegeben vom Mogul-Herrscher Shah Jahan in Erinnerung an seine Lieblingsfrau Mumtaz Mahal. Ein großes Erlebnis. Es ist zum Weinen schön.
Der Besuch kostete viel, 750 Rupien pro ausländischer Person und 50 Rupien für das Aufbewahren des "mobile", das man ebenso wie Lebensmittel und Waffen nicht mitnehmen durfte. Aber dafür war man fast ungestört von "offers", die verboten sind. Wir genossen den herrlichen Garten und das schöne schneeweiße Gebäude drei, vier Stunden lang.
Dazu die bunte Kleidung der indischen Touristinnen. Wunderbar. Der Himmel war blau, erst am Nachmittag stieg Dunst auf, und später wurde es ganz grau, aber da waren wir nicht mehr dort.
Am Eingang des Taj Mahal regte ich mich aber auf, als Soldatinnen mir meine Handtasche bis in den letzten Winkel durchstöberten. Frauen und Männer hatten sich getrennt zur Leibesvisitation anzustellen. "It is my duty", sagte die Frau zu mir. Man hat, wohl berechtigt, Angst vor Anschlägen.

Als die weißen Kuppeln aus dem dunklen Torbogen des Eingangsgebäudes auftauchten, verschwand mein Zorn nachhaltig.

Jetzt kommt die Suppe für Hans. Sie heißt Mulligatawny.

Am Nachmittag waren wir im Agra Fort. "Während das Taj Mahal den Höhepunkt muslimischer Baukunst in Indien darstellt, repräsentiert das nur zwei Kilometer südlich in einer Biegung des Yamuna gelegene Fort wie kaum ein zweites Bauwerk die uneingeschränkte Machtfülle der Mogulherrscher im 16. und 17. Jahrhundert" (Reise Know How-Führer). Akhbar, "der bedeutendste aller Mogulherrscher" begann in der Mitte des 16. Jahrhunderts mit dem Bau des Forts. Shah Jahan, Enkel des Akhbar, vergrößerte den Luxus der Palastanlage noch ins heute Unvorstellbare. Sein Sohn Aurangzeb setzte ihn u.a. wegen seiner Verschwendungssucht ab und stellte ihn hier unter Hausarrest. So konnte er die acht Jahre bis zu seinem Tod das Taj Mahal nur mehr von den Terrassen und Türmen des Agra Fort aus betrachten.


Zwischen dem Besuch des Taj Mahal und des Agra Fort Rast im Café und Garten des Hotels. Eine reizende Kellnerin im dunkelblauen Sari bemühte sich besonders um uns. Alle Mitglieder des Personals fragen in nicht sehr langen Abständen, ob man eh zufrieden sei. Gestern tauchte auch ein gewisser R... auf, der unser Zimmer betreut, und bat uns, vor der Abfahrt einen Fragebogen im Zimmer zu seinen Gunsten auszufüllen.

In der Früh, als wir ins Taj wollten, wendeten wir uns zuerst in die schmale schmutzige Gasse gegenüber dem Hotel, die in direkter Linie dorthin führen muss. Kühe, Frauen mit Lasten auf dem Kopf, ein offener Kanal. Wir gingen keine zwanzig Meter, da riefen uns Leute nach: "Closed area, closed area...". Hans wäre weiter gegangen, mir war es unangenehm. Kaum wieder auf der Hauptstraße, klaubte uns ein weißhaariger Rikschamann auf, und der hing mit seinem Fahrrad wie eine Klette an uns - bis zum Abend. Bei der Fahrt mit der Fahrradrikscha erlebt man das ganze Chaos und die Luftverpestung noch unmittelbarer als mit dem Auto.

Gerade bietet sich am Nachbartisch ein Zauberer und Astrologe an. Hier im Hotel wird unermüdlich für unsere Unterhaltung gesorgt. Ein Sitar-Spieler spielt im Hintergrund.

Wir zahlten schon wieder viel zu viel - für ein marmornes Döschen mit eingelegten Edelsteinen, in der Art der Einlegearbeiten im Taj Mahal. Dass die 500 Rupien zu viel sind, haben wir gemerkt, als uns der Kollege des Verkäufers an der Kasse Geld herausgeben wollte, und der andere ihm deutete, dass es für uns kein Rückgeld gibt. Erstaunter Gesichtsausdruck.

Der Rikscha-Opa verlangte 15 Rupien für die Fahrt zum Taj Mahal. Hans gab ihm 50 Rupien. Das war schlecht. Als er uns vom Agra Fort heimbrachte, wollte er 200! Dabei gingen wir teilweise zu Fuß, weil der alte Herr uns bergauf nicht befördern konnte. Er schleppte uns zu dem teuren Marmorgeschäft und wollte uns unbedingt in das Geschäft seines Onkels und in ein Kleidergeschäft bugsieren. Glücklicherweise begann es zu regnen, und wir nahmen einen abrupten Abschied. Er blieb mit tief unglücklichem Gesicht zurück.

Die Buskarten waren übrigens nachmittags wirklich an der Rezeption. Hundert Rupien kostet die zirka 300 Kilometer weite Fahrt nach Jaipur pro Person. Zusätzlich zahlten wir zweihundert Rupien fürs Besorgen.
Immer wieder fällt kurz der Strom aus. Nach einer Minute wird es wieder hell. Hans meint, dass sich bei starken Stromschwankungen automatisch ein hoteleigenes Notstromaggregat einschaltet.

 

6. Februar 2005, Sonntag, Im Autobus von Agra nach Jaipur

Noch zirka 160 Kilometer bis zu unserem Ziel.
Vor uns fährt ein kleiner weißer Suzuki, auf dessen Rückscheibe steht "Jain", ich nehme an, ein Bekenntnis zur Religion des Fahrers *. Er ließ es nicht zu, dass unser deluxe-Bus von der Silverline ihn überholte.
Wir befinden uns auf einem "national highway", was man angesichts der Breite und des Lebens auf und an der Straße nicht unbedingt vermuten würde. Rechts und links der Straße Bäume und Felder. Viele Laster, Busse, Traktoren, Auto-Rikschas, Fahrräder, Mopeds, Motorräder und Kleinlaster.

Die Grenze zwischen den Bundesstaaten Uttar Pradesh und Rajasthan ist mit einem Transparent und einer Ziegelsäule am Straßenrand gekennzeichnet, auf der "Rajasthan" steht.
Aus der Einleitung des Lonely planet-Reiseführers Rajasthan:
"Rajasthan, the land of Kings, truly embodies all the fairy-tale notions that this name evokes. This is the home of the Rajputs, the ruling warrior clans who controlled this part of India for over 1000 years. The three Rajput clans claim descent from the sun, the moon and the flames of a sacrificial fire, and their highly evolved code of chivalry and honour is akin to that of the medieval European knights. Fiercely independent and renowned for their valour and pride, the preferred to die an honourable death than to suffer the ignominy of capture. When defeat was inevitable, this translated into occasions of grim mass suicide known as jauhaur, in which hundreds of women hurled themselves onto funeral pyres, while their men rode out to face certain death at the hands of the enemy.
The Rajputs entrenched themselves in this harsh desert land in enormous forts such as Chittorgarh, Jodhpur and Jaisalmer. Many of their sumptuous palaces are now open to visitors, offering a glimpse into the decadence of the princes´ lives in their last glory days of the 19th and early 20th centuries.
Modern Rajasthan is fiercly proud of its feudal heritage, but is has left the state one of the poorest in India, cursed also by its harsh environment, where drought regularly threatens the livelihoods of ordinary people.

The majority of Rajasthanis still live a hard life in dry, dusty villages, but they fill their daily lives with colour. Canary yellows, emerald greens, vivid purples, electric blues and splashes of brilliant reds and oranges - the effect is dazzling, and you´ ll experience it everywhere: in a sea of bright turbans on a crowded bus; a group of village women huddled around a stall in a busy bazar; or even in the middle of the desert, as a lone iridescent-pink turbaned villager leads a sleepy-eyed camel home across the parched plains ...."
(Mehr zu Rajasthan:
http://de.wikipedia.org/wiki/Rajasthan)  

Jaipur

(mehr zu Jaipur)

Abends. Roof-top-restaurant im Hotel Mansingh-Palace. Die Kellner machten uns auf den city-view aufmerksam. Aber wir sehen im Dunkel nur Lichter und wissen nicht, um welche Gebäude es sich handelt. Ziemliche laute englische Popmusik. Bekannte Schnulzen seien das, sagt Hans. Der gerade singende Interpret heiße Mark Knopfler. Es gab auch "Rosanna" und "Every move you make ..."
Wir wurden bei der Speisenauswahl äußerst beflissen beraten. Ich will ja immer wissen, welches Gericht nicht scharf, sprich "mild" ist.
Das Hotel ist anscheinend neu, aber im kolonialen Stil erbaut, mit viel Marmor, Rieseneingangshalle und vielen Ventilatoren. "Not as good as the Taj view", sagte der Mann in der Früh in Agra, der uns in die Feinheiten der Busfahrt nach Jaipur einweihte und einen ihm bekannten Rikschafahrer in Jaipur kontaktierte, er solle uns abholen. "Der Mann war in Österreich und kann Deutsch."
Das passierte beim Hotel Sakura, wie im Reise Know How-Führer beschrieben. Der Herr, vielleicht der Besitzer des eher bescheidenen Hotels, ließ mich dort aufs Klo gehen. In dem Lokal, in dem wir auf die Abfahrt unseres Silbervogels warteten, aßen und tranken eine Runde junge Franzosen und ein älteres Ehepaar. Da sie nicht mitfuhren, wohnten sie wohl dort. Die Speisen sahen übrigens nicht übel aus, und der indische Tee - mit Milch gemischt und süß - war gut und sehr billig, ich glaube, 5 Rupien.

In der Früh Abschied vom Taj Mahal. Es tröpfelte wieder, wie am Abend. Ein Regen der sich in Nichts auflöst und die Staubwolken auf der Straße nicht vermindert. Wider Erwarten trat das Taj Mahal vor unserer Abfahrt aus dem Morgennebel. Freude.
Mit dem Taxi zum Bus. Der deluxe-Bus war ordentlich für indische Begriffe. Im Kofferraum leicht Platz für unseren Koffer (er ist so groß, dass ich befürchtete, er könnte nicht untergebracht werden). Fünf Stunden rumpelten wir unter lautem Gehupe und Geratter über den Highway bis Jaipur.

Einmal hielten wir zum "Austreten" am Straßenrand. Da neben den Männern auch zwei Inderinnen ihren Sari hoben, machte ich es ihnen nach. Später pausierten wir bei einer Raststation mit Bougainvilleas. Man kriegte Tee um sechs Rupien. Ich habe gelesen, dass die Busse einfach weiterfahren, ohne besondere Zeichen zu geben, darum war ich etwas nervös. "Du bist wie ein Hendel herumgelaufen", sagt Hans. Tatsächlich sprang aber ein junger Mann in den Bus, als wir schon abgefahren waren und auf die Landstraße einbogen.

Es gäbe Unzähliges zu beschreiben über diese Fahrt. Ich habe den Eindruck, dass die Szenen, die wir aus dem Autofenster beobachten, viel mehr vom "richtigen" Indien zeigen als die Einblicke in die rajasthanische Geschichte und die prächtigen Paläste. Der Highway war eine ganz normale Straße, manchmal sogar mit Mittelstreifen. Sobald wir nach Rajasthan kamen, wurde die Straße plötzlich besser. "Aber nur ungefähr eine Strecke von zehn Kilometern", sagt Hans.

Ich trinke als "Desert" Masala-Tee, der hier besonders "spicy" schmeckt. Im ganzen großen Lokal sitzen noch vier andere Leute. Die meisten sind Gruppenreisende, und die speisen anscheinend im Parterre. Außerdem essen wir immer ziemlich früh für indische Verhältnisse.

Also, die Straßen - voll mit aufgeplusterten Lastern, Kleinklastern angefüllt mit aufrecht stehenden Leuten, PKWs, Bussen - und auch mit von Kamelen gezogenen Fahrzeugen. Das Vorfahren bei Gegenverkehr ist hier eine besonders entwickelte Kunst.
Rechts und links der Straße Orte. Lehmhütten, Ziegelhütten. Viel Dreck. Leute im Dreck. Tiere im Dreck. Die Orte bzw. ihre Behausungen und Läden Kraut und Rüben durcheinander. Manchmal Märkte. Manchmal größere Gehöfte, Büffel, Ziegen, Kühe, Kamele. Die Büffel sind im Gegensatz zu vielen Kühen anscheinend immer Privatbesitz.
Dann eine lange Strecke mit Ziegelbrennereien. Die roten fertig gebrannten Ziegel und die ungebrannten Lehmziegel. Offensichtlich werden die an Ort und Stelle aus dem vorhandenen Lehm geformt. Dutzende Brennöfen mit jeweils vierkantigem Schlot von 25 Metern Höhe als weiße schmale Obeliske in der Landschaft. Das war ungefähr in der Mitte der Strecke.
Später längere Zeit eine Töpferei nach der anderen: Shiva-Statuen, viel Durchbrochenes, wie die Marmorschnitzereien in den Tempeln und Moscheen. Gefäße aller Arten, Brunnen.

Sobald wir in Rajasthan waren, sahen wir Frauen, die den Schleier, der ein Bestandteil ihrer Kleidung ist, über ihr Gesicht gezogen hatten. Am Straßenrand saßen viele Frauen verschleiert oder hinten auf den Ladeflächen der kleinen Lastwägen. Auch in unseren Bus stieg eine junge Frau ein, sie trug ein Kind am Arm, die ihren gelben Schleier so drapiert hatte, dass er ihr Gesicht verdeckte. Aber nicht alle Frauen sind verschleiert. Wie weit ist das Purdah-System in Rajasthan noch vorhanden?
In Agra im Garten des Taj Mahal kamen mir die indischen Frauen im Sari, verglichen mit den arabischen bzw. auffällig muslimisch gekleideten im Tschador, sehr frei vor. Offener körpernaher Umgang mit ihren Männern. Die leuchtenden Farben, die Saris, die am Hals und Bauch Haut frei lassen. Ab und zu waren sogar Frauen und Männer zu sehen, die sich zärtlich berührten oder gar den Arm umeinander legten. Doch in Rajasthan scheint es noch strenger zuzugehen.

Grauslich ist schon vieles - die Spuckerei, die Scheiße - menschliche!!! - und die Klos, deren Boden immer patschnass ist. Es steht jeweils ein Kännchen für das Wasser parat, mit dem der Hintern - ich frage mich wie - ausgespült wird. Sogar in der public toilet des Taj Mahal gab es nur ein Klo mit überschwemmten Boden.

Bis gegen Ende der Fahrt blieb es immer grün rechts und links der Straße, Bäume wuchsen, Laubbäume, Eschen, Akazien, Weidenarten.
Je näher wir gegen Jaipur kamen, desto mehr Felsenhügel tauchten auf, und es wurde neben der Straße immer trockener und gelber.

An den Nebentisch hat sich jetzt eine Runde Inder hingesetzt, sechs Herren, eine junge Frau.

Noch zur Fahrt: Schweine gab es auch an den Straßenrändern, Schafe und Ziegen in Herden. Alle freilaufend.
Kamele hauptsächlich als Zugtiere. Hans hat an den Kamelen Zeichen mit Zickzacklinien beobachtet.
Weitere Eindrücke:

Ein Zwiebellastwagen von 4,50 Meter Höhe. Vorne steht drauf "Goods carrier, national permit".
Obst- und Gemüsemärkte, dunkelrote Wurzeln, vielleicht Süßkartoffeln?, weiße Rettiche, mehr grüne als orangefarbene Orangen.
Einmal hielten wir vor einem unbewohnt scheinenden Haus an, vor dem ein Baum mit vielen Affen stand. Der Begleiter des Busses - ein pockennarbiger spuckender älterer Herr mit Brille und beiger Wolljacke - leerte die Hälfte der Früchte seines Obstsackerls für die Tiere aus dem Fenster.

Der Umgang mit Tieren scheint hier ganz anders zu sein als bei uns, wohlwollend, gleichberechtigt. "Bei uns werden sie als Nahrungsmittel gesehen, hier eher als Kollegen", sagt Hans. Auf der Fahrt nach Fatehpur Sikri beobachteten wir, wie ein Bursch neben der Straße mit Wasser aus einer Lache liebevoll einen Büffel wusch. Im Straßenverkehr haben Tiere immer Vorrang.

Ein Esel mit schwerer Ziegellast. Bei den Ziegeleien gab es lauter gleichartige Traktoren der Marke Massey-Ferguson, beobachtete Hans. Ein Modell, das bei uns in den Siebzigerjahren ausgelaufen ist, aber vielleicht hier in Lizenz produziert wird.
Ich sah in den Ziegeleien viele zweirädrige Karren mit Gummireifen im Einsatz, die von Kamelen gezogen wurden.
Viele viele Menschen und Tiere trugen große Lasten, die Frauen am Kopf. Und es gab auch überbreite aufgebauschte Ballen auf Fuhrwerken, vier, fünf Meter hoch und breit. Was das war, wissen wir nicht. Wahrscheinlich irgendetwas Landwirtschaftliches.

Nun zu Jaipur.
Als wir nach Jaipur einfuhren, machte die Stadt streckenweise einen sauberen, aufgeräumten Eindruck, vor allem in der Gegend des Nobelhotels Rambagh-Palace, einem ehemaligen Palast des Maharajas von Jaipur.
Ankunft zwischen drei und vier Uhr nachmittags. Verkehrschaos. Es war heiß im Bus, draußen angenehme Wärme. Am Busbahnhof wurden wir wirklich vom Kollegen des älteren Herren im Hotel Sakura erwartet. "John aus Österreich?" lachte uns der kleine, ein bißchen korpulente Mann an und führte uns vorbei an den uns bedrängenden Taxilenkern zu seinem Tuktuk. Er hatte ein schönes frisches Hemd an. Wir preßten unseren Riesenkoffer in seine Autorikscha. Der Mann konnte wirklich Deutsch und war nett. Aber wir nahmen sein Angebot, für heute oder morgen noch eine Fahrt auszumachen, trotzdem nicht an. Wir wollten nicht sofort wieder etwas vereinbaren. Er blieb enttäuscht an den Eingangsstufen des Hotel Mansingh Palace zurück.

Wir bezogen das Hotel. Dusche und Tee mit Toast. Dann wieder hinaus. Geplant war ein kleiner Spaziergang in die Altstadt - wie im Reise Know How-Führer empfohlen. Aber das Gelände ist dafür viel zu weitläufig. Nach einer Weile Herumirrens bestiegen wir eine Fahhradrikscha. Ein junger Mann, der sich mit uns furchtbar plagte, lenkte das Rad. Ich beschloss, dass dies meine letzte Fahrt mit einer Fahrrad-Rikscha war. Es scheint mir einfach unmenschlich, mich von einem anderen Menschen mit so viel Mühe befördern zu lassen. Auch wenn dieser Mensch damit seinen Lebensunterhalt verdient.
Nun irrten wir durch ziemlich schmutzige Gassen, von Palästen oder schönen Bürgerhäusern nichts zu sehen. Schließlich benützten wir ein Tuktuk, um endlich dorthin zu kommen, wohin wir wollten.

Der Palast der Winde oder Hawa Mahal steht an einer vom Verkehr tosenden breiten Straße. Gegenüber ist ein Markt. Wir fotographierten uns gegenseitig vor dem Hawa Mahal, ich freute mich, die berühmte rosenrote Ansicht mit eigenen Augen zu betrachten, diese potemkinsche Mauer, hinter der die Gattinnen des Königs ohne gesehen zu werden das bunte Treiben der Stadt verfolgen konnten. Außerdem kaufte ich zwei Pashmina-Schals aus Kaschmir. Eigentlich wollte ich nur den einen um 300 Rupien, den der Händler auf dem Gehsteig so vor mir ausbreitete, dass ich stehen bleiben musste. Aber Hans unterstützte den Geschäftsbesitzer in seinem Bemühen, mir mehrere aufzuschwatzen. Wir saßen längere Zeit in dem kleinen Geschäft, kriegten Tee und der Händler faltete tausend Schals auseinander, sodass ich mich verpflichtet fühlte, zumindest zwei zu nehmen, und auch das war dem Händler noch lange nicht genug.

Per Autorikscha zum Hotel zurück. Ich rief in Jaisalmer an, Herr Ujjwal, der Chef der Adventure Travel Agency, kommt uns mit dem Jeep vom Bahnhof abholen (soferne wir mit dem Zug ankommen, es ist ja noch ungewiß, ob wir Bahnkarten bekommen). Er gab mir seine Autonummer. Wir dürfen nur in den Jeep mit dieser Nummer einsteigen. Er ist scheinbar ziemlich besorgt, dass wir ihm von seinen Konkurrenten abspenstig gemacht werden!
Dann besuchte uns in der Hotel-Lobby der Abgesandte von Eco Adventures, Mr. Singh, ein höflicher junger Mann, der unsere Zugskarte rekonfirmieren und uns zum Zug bringen soll.
Hoffentlich klappt die Sache mit dem Zug!

 

7. Februar 2005, Montag, Jaipur

Es ist gegen elf Uhr vormittags. Wir sitzen bzw. liegen auf unserem Bett. Vom Nachbargebäude dröhnt ein Generator. Wir wohnen über dem Eingang - ständig ein Kommen und Wegfahren von Autos und Bussen.

Wir haben bereits beim RTDC-Büro ein Ticket um je 100 Rupien für eine sechsstündige Stadtrundfahrt gekauft. (RTDC - Rajasthan Tourism Development Centre). Die Sonne scheint. Am Tag ist es warm.
Im Frühstückssaal waren viele Franzosen, am Nachbartisch saßen Österreicher.
Das Hotel hat sehr hohe Räume, viel grauen Marmor und in der riesigen Lobby Blattpflanzen in Töpfen. Das Frühstückszimmer ist rattanartig möbliert. Die Kellner sind bemüht und sausen mit Tee-, Kaffee- und Milchkannen in der Hand herum. Ich bekam hot water für meinen Käsepappeltee. An einem Tisch in der Nähe ein alleinstehender Mann, der fleißig Tagebuch schrieb. Ebenfalls in unserer Nähe der allein reisende Herr, der indisch aussieht und gestern nach uns ankam. Er fährt von hier aus weiter nach Jodhpur, erklärte er dem Kofferträger. Die Teppiche auf dem grauen Marmor unseres Zimmers erinnern mich an zu Hause.
Nach dem Frühstück überquerten wir die lebensgefährliche Straßenkreuzung zur RTDC-Agengy, um dort die Buskarten zu erstehen. Ganze Pulks von Fahrrädern, Tuktuks und Autos, die von allen Seiten herbeischießen. In der Mitte der Kreuzung eine Erhöhung. Auf dieser Verkehrsinsel lagern Kühe und Bettler oder Obdachlose. Kühe - bei der offiziellen Reiseagentur des Staates Rajasthan standen plötzlich drei vor uns, braun, schwarz und weiß.

 

8. Februar 2005, Dienstag, im Zug zwischen Jaipur und Jaisalmer

Wie ein hupendes Kamel schaukelt der Zug zwischen Jaipur und Jaisalmer durch die Wüste Thar.
Seit Jodhpur hupt der Zug soviel wie der Autobus von Agra nach Jaipur.
Auf der einen Seite des Zuges wird bewässert - das Land ist grüngelb. Auf der anderen Seite Sand, Wüste. Doch jetzt ist das Grüne schon vorbei. Ab und zu taucht so eine grüne Insel auf.
In unserem Abteil befindet sich eine junge Frau mit Kind, ihr Mann und auf dem obersten Bett ein weiterer Mann. Das Kindchen schlief sehr brav und schaut jetzt dauernd zu uns her.
Draußen wächst etwas, das Raps sein könnte.

Gestern Jaipur.

Wir machten die Stadtrundfahrt. Sie begann zirka um zwölf Uhr, und wir stiegen gegen halb sechs Uhr aus dem Bus und fuhren mit einer Autorikscha zu unserem Hotel zurück
Die Stadtrundfahrt kostete 100 Rupien. Einer der vielen jungen Inder, die gut ausschauen, aber schlecht verständliches Englisch sprechen, begleitete uns, sodass wir, obwohl die Führung auf Englisch war, vieles nicht verstanden. Hauptsächlich InderInnen nahmen teil. Zwei junge Frauen in Jeans, sie redeten Englisch miteinander, Freundinnen wahrscheinlich. Als der Australier (?) sie ewas fragte, schaute die Frau im weißen Pullover mit unfreundlichem Gesichtsausdruck weg, die andere antwortete ihm lebhaft und lächelnd. Mir fiel ein, dass es leicht mißverstanden wird, wenn ein Mann hier eine fremde Frau anspricht. Familien mit kleinen Kindern waren dabei, mit Müttern oder Schwiegermüttern. Eine junge Frau in wunderschönem dunkelblauen Sari, darüber eine Lederjacke. Sie und ihr Mann hielten dauernd Händchen - was eigentlich gar nicht vorkommen soll. Vielleicht war es die Hochzeitsreise? Ich hatte jedenfalls den Eindruck, sie seien sehr verliebt ineinander. Vom Ausland waren zwei koreanische Mädchen, ein japanischer Bursch und ein großer Blonder mit blauen Augen, den wir als Australier etikettierten, mit.

Wir passierten wieder den Palast der Winde (Hawa Mahal). "Das 1799 von Maharaja Pratap Singh II errichtete fünfstöckige, mit 953 Nischen und Fenstern versehene Bauwerk diente einzig und allein dazu, den Haremsdamen den Ausblick auf die pompösen Festzüge zu ermöglichen, ohne selbst gesehen zu werden. Damit ist der Palast der Winde wohl das beste Symbol für den verschwenderischen Lebensstil der Rajputenfürsten. Ein Luftschloss im wahrsten Sinne des Wortes mit seinen winddurchzogenen Erkern und Balkonen ..."

Dann besichtigten wir das Jantar Mantar oder Freiluftobservatorium, zwischen 1728 und 1734 errichtet, und den city palace, in dem immer noch der Maharaja mit seiner Gattin wohnt, samt den dort befindlichen relativ uninteressanten Museen - Waffen, Kleidung, Kunst.
Beim Verlassen des city palace gingen wir an einem Schlangenbeschwörer vorbei. Eine kleine Jause konnten wir an Straßenstandeln erstehen. Wir tranken den indischen Milchtee aus winzigen Plastikbechern. Von der vergründeten schwarzen Kanne, aus der er gegossen wurde, ließ ich meinen Blick so schnell wie möglich woanders hin schweifen. Hans aß ein Samoza, eine Art gefülltes Brötchen.

Dann ging es zur Palastanlage von Amber.
Das war sehr toll. Nicht mit Elefanten (400 Rupien), sondern per Jeep (20 Rupien) ließen wir uns mehrere hundert Meter zu dem Fort hinaufbefördern. Amber war über sechs Jahrhunderte die Hauptstadt, bevor Jaipur im 18. Jahrhundert Residenz des Reiches wurde.

Vielleicht sollte ich hier einfügen, dass zum ehemaligen Rajputana zweiundzwanzig Fürstentümer gehörten, "viele derer Adeligen heute in Armut leben, während andere, wie die Thakurs oder Rawals noch immer ein Leben von verschwenderischer Pracht führen. Nachdem Indien im Jahre 1947 unabhängig wurde, schlossen sich die zweiundzwanzig Familien der indischen Union an und gaben damit ihre Unabhängigkeit auf. Ein paar Jahrzehnte später wurden sie gezwungen, auch ihre Privilegien aufzugeben. Eine Epoche des Pomps und des Gepränges und der verschwenderischen Feiern war zu Ende gegangen.
Die Prinzen aber existieren noch" (zitiert aus Rajasthan, Lustre Press Roli Books, 1997)

Amber: Sehr einsam und entlegen, inmitten von unwirtlichen Hügeln, aber wunderschöne Rajputen- Architektur. Belgische Spiegeldecken, bunte Einlegearbeiten, wunderbare Reliefs, Gärten, durchleuchtendes Glas, filigranes Spitzenmauerwerk.
Wenn ein gewisser Maharaja zu einer seiner drei Mahananis kam, begrüßte sie ihn aus einem kleinen Fenster mit Blumen, die auf ihn herunterschwebten.
In dieser Palastanlage gingen wir herum, hinauf, hinunter, durch enge Gänge. Grandiose Ausblicke auf die Aravalli-Berge. Ein Restaurant des RTDC, das nicht in Betrieb war. Fast übersehbare Postkartenverkäufer.

Wir sind darauf gekommen, dass es nützt, zu sagen: "Maybe later". "I am Salman, remember, Salman", rufen die Buben mit den Postkarten uns ihre Namen nach. Hans fühlt sich verpflichtet, am Rückweg sein Versprechen wahr zu machen, aber oft sind die Burschen nicht mehr zu sehen, bzw. eine andere Partie ist im Dienst.
Vor der Abfahrt von Amber wurden wir in ein riesiges Handwerkskunst-Zentrum geschleust. Wir kauften nichts. Während wir beim Bus auf die anderen warteten, drängten sich ein bettelndes Mädchen und ein kleiner Bub heran, beide schmutzverkrustet. Eine der indischen Frauen öffnete ihre Vorratsdose und gab dem Mädchen ein Stück Brot. Das reichte, damit die Kinder abzogen. Ich bemerkte, dass das Mäderl, das unter der Schmutzschicht bildhübsch war, in Pantoffeln dahinstolperte, die für eine erwachsene Frau gedacht waren. Komischerweise gab mir gerade das einen Stich ins Herz.

Nebenan (wir sind im Zug) wickelt der Papa das Kindchen, während die Mama, eine schöne füllige Frau, zuschaut.

Diese Widersprüche: Viele Leute scheinen so gut zu leben wie wir, und dann dieser Bruch zu den Bettlern, zu Leuten, die total arm sind. Auch die Inder schauen weg oder speisen die Armen mit einem kleinen Almosen ab.
Etwas anderes: Die Leute sind sauber, ich denke an das Hotel Alka Annexe in Delhi, an die Burschen, die vom Morgen bis Abend Stiegen und Geländer, die Glasfront und den Boden säuberten - und gleichzeitig dieser Dreck auf der Straße. Am Connaught Place in Delhi erinnerte ein großes Transparent die Leute daran, sauber zu sein: "We are proud of a clean Delhi", hieß es sinngemäß, und alles, was man unterlassen sollte, wie Spucken auf die Straße, war aufgelistet. In Agra Straßenschilder: "Green Agra - Clean Agra". Man hat nicht den Eindruck, dass diese öffentlichen Aufrufe zur Sauberkeit außerhalb des privaten Bereichs fruchten.
Ein Zugspassagier hat gerade die Alufolie vom Frühstücksomelett einfach vor die Tür des Zugabteils geworfen. Dabei hängt dort ein großer Mistkübel, aber der Abfall kullert am Boden herum. Die Fahrgäste marschieren einer nach dem anderen mit der Zahnbürste und putzen sich mit Eifer die Zähne, aber das Wasser, mit dem sie das machen, ist total verseucht. Und diese Klos! Wie es am Klo aussieht, darauf möchte ich gar nicht eingehen.

Bei der Rückfahrt von Amber machten wir noch einen Fotostop beim Sommerschloss des Maharajas, das mitten im einem See auf dem Wasser schwebt.
Den Lakshmi-Narayan-Tempel in Jaipur besichtigten wir nicht mehr. Er soll wie das Taj Mahal aussehen. Wir waren nervös wegen unserer ungesicherten Zugsfahrt, verließen die Touristengruppe und fuhren mit einem Tuktuk ins Hotel. Tee mit Toast, Anruf von Alok Verma aus Delhi. "Die Zugskarten sind nicht confirmed. What shall we do?" Ich beginne, meine alternativen Überlegungen auszubreiten. "Bevor wir zu sehr ins Detail gehen - das war nur ein Scherz! Wir bekommen die Zugskarten!" Ich bedanke mich viele Male. Später ruft Mr. Singh an und bestätigt diesen Tatbestand. "Um elf Uhr in der Hotel-Lobby!" Wieder Dankesworte meinerseits.
Duschen, ich wasche meine Haare, wir essen im Dachrestaurant und anschließend zahlen wir. Die Rezeptionistin in Sari und Blazer fragt erschreckt, warum wir mitten in der Nacht auschecken: "Hat es Probleme gegeben?" Wie im Hotel Taj View wird uns auch hier ein questionnaire, ein Fragenbogen, vorgelegt: "Wie zufrieden sind Sie mit ....?"

Der Bahnhof von Jaipur heißt Jaipur Junction.
Ein Träger schwingt unseren 25 kg schweren Koffer auf seinen Kopf. Dann warten wir am Bahnsteig. Es wird Mitternacht. Der Zug rollt mit zirka einer halben Stunde Verspätung ein. Unser Begleiter, der nicht mit uns im Taxi, sondern mit dem Motorrad zum Bahnhof gekommen ist, harrt mit uns aus. Ich bemerke, dass er in Sandalen gefahren ist, aber ich glaube, dass er einen Helm trug. Der Zug, der aus Delhi kommt, hält nur kurz. Mr. Singh sucht unser Abteil und findet es. Der Koffer wird hinein platziert. Ein Mann, der im Bett von Hans liegt, wird von Mr. Singh aufgescheucht, es ist der Vater des Kindchens. Warum er nicht in seinem Bett lag, ist mir nicht klar. Ich darf, wie erhofft, aufgrund meines Alters unten liegen. Man muss ja bei der Bahnkartenbestellung, die über Computer läuft, vom Namen über die Passnummer bis zum Geschlecht und eben auch zum Alter alles angeben, und die Betten werden dann nach dem Alter verteilt. Die Mama mit Baby ist ebenfalls auf dem untersten der drei Betten ihrer Seite untergekommen. Auf meinem Bett liegt ein nasser Polster und eine nasse Decke. Vielleicht hatte das Kindchen hineingewischelt. Ich schleudere die Sachen auf eines der oberen freien Betten und wische das Plastik mit Klopapier trocken. Ansonsten ist es sauber und ich fühlte mich relativ wohl. Die Abteile mit jeweils sechs Betten sind ohne Türe, und entlang des Ganges gibt es jeweils zwei weitere Betten übereinander. Ich habe den Eindruck, dass der Wagon von sehr vielen Menschen aller Altersstufen bevölkert ist. Anzumerken ist vielleicht noch, dass es gut ist, auf diese Zugsfahrt Proviant mitzunehmen, Wasser und auch etwas zum Essen, denn es gab nur einmal Gelegenheit, von einem zugestiegenen Händler ein Omelett in Alufolie zu kaufen. Ich aß meines nicht, denn es war schon ganz kalt. Hans hatte Hunger und verdrückte es.


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Ruth Linhart | Reisen | Anfang | Fotos Email: ruth.linhart(a)chello.at