Wenn erst Friede ist  © 2005

BRIEFE ZNAIM

Wien, 30. März 1940

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Kommentar

Nun ist schon wieder eine Woche zu Ende, eine Woche, die so schön begonnen hat, weil Du zu Hause warst.
Am Donnerstag abend nach dem Kurs war ich wieder bei Frau Stärk, auch Hans, Eder und Deli waren dort und noch eine Dame, eine Bekannte von Frau Stärk. Es wurde wieder sehr schon musiziert, meist Schubertlieder, die mir sehr gut gefallen haben. Nachher las Eder zwei kurze Aufsatze von K. Kraus und auch Eugen einen Aufsatz von K. Kraus. Daran knüpfte sich eine sehr lebhafte interessante Debatte über Theater und Schriftsteller und Sprache und die anwesende Dame, obwohl sehr bescheiden und anspruchslos aussehend, entpuppte sich als sehr temperamentvolle gute Sprecherin. Sie war, wie sie erzählte, selbst Schauspielerin und die Witwe nach einem Schauspieler.
Freitag abend (also gestem) war ich mit Herma in der Oper. Die Karten verschaffte mir meine Freundin Grete, von der ich die Kleider habe. Es gab Figaros Hochzeit mit Adele Kern als Susanne und Schöffler (den wir als Don Juan gesehen haben, erinnerst Du Dich, der uns so gefallen hat?) als Figaro.
Heute hat mich Minnie Schüller angerufen und sich von mir telefonisch verabschiedet. Leider habe ich am Telefon nur sehr schlecht verstehen können und dann hat sie so rasch und konfus gesprochen, daß ich leider keine Ahnung habe, wohin sie morgen fährt. Sie erzählte mir etwas von einer Krankenkassenstelle in Posen, dann sagte sie wieder etwas von Hamburg und Danzig und daß sie immer herumfahren muß und 320 Rm bekommt.
Was hast Du die ganze Woche gemacht? Soviel Schach gespielt und in Deinen Fotobüchem studiert, daß Du kein bißchen Zeit gehabt hast, an mich zu denken? Ich denke sehr viel an Dich und besonders gem an die Osterfeiertage, an denen ich mich in jeder Beziehung so wohl gefühlt habe und wunschlos glücklich war wie schon lange nicht. Denkst Du auch an unseren Urlaub am 1. Mai, wenn Du für ganz nach Hause kommst?


Ruth Linhart | Zeitgeschichte | Inhalt | Anmerkungen