|
Gestern nachmittag war ich auf
einen Sprung bei Lola, Gott sei Dank gab es da wenigstens keine neuen
unangenehmen Nachrichten, es genügt die fortdauernde Aussichtslosigkeit.
Dann erzählte mir ein Kollege über den Fall
Anny J. Ihr
Rechtsanwalt ist - da sie bereits verurteilt wurde - zu einer Geldstrafe - zum
Personalchef in die Mariahilferstraße gegangen, urn zu hören, was
man gegen sie zu tun beabsichtigt. Leider war die Auskunft so negativ,
daß sie sich entschloß, ihr Dienstverhältnis einvernehmlich
mit 31. d. M. zu lösen. Sie will überhaupt weg aus Wien und irgendwo
zu Verwandten. Es dürfte auch das beste für sie sein, denn nach allem
zu schließen, hatte sie hier kein ruhiges Leben mehr. Heute ruft mich
die Grete von der
Plankengasse an, sie wolle dringend mit mir sprechen -so dringend, daß
ich sie morgen früh um 1/2 7 Uhr auf der Ringstraße treffen soll, da
irgend etwas bei ihr los ist. Sie sagte mir nur das eine Wort: Kriminalpolizei.
Da doch ihr Mann am Sonntag bereits nach Warschau gefahren ist und sie nun
allein dasteht, will ich ihr meine Anteilnahme nicht vorenthalten, ob ich ihr
raten kann, weiß ich nicht und bezweifle es auch. Außerdem will
ich morgen nachmittag zu
Hilde gehen,
da ich die ganze vorige Woche nicht dort war. Und so geht das weiter Tag
für Tag, ich bin beinahe gänzlich verzweifelt. Soll ich mich von den
Leuten zurückziehen, um nicht selbst in etwas hineinzukommen, aber es hat
für mich beinahe den Anschein, als ware überhaupt niemand mehr von
"oben gesehen" einwandfrei. Mein Gott, ich bekomme schön langsam einen
Verfolgungswahn. Heute nacht hat es zum erstenmal stark hier in Wien geschneit,
als es hell wurde, sah man, daß alles in tiefstes Weiß
eingehüllt war. Du fragst, warum ich nicht öfters in Konzerte oder
Theater gehe? Ehrlich gesagt, ich habe nicht große Lust dazu. Erstens
gehe ich lieber mit Dir als allein und zweitens jetzt im Krieg in ein Theater
zu gehen, erscheint mir nicht das Richtige. Ich muß immer an die Menschen
denken, die so sehr durch die Folgen des Krieges getroffen sind, daß ich
das Herz nicht habe, mich vergnügen zu wollen. Wenn ich so allein bin
und mir alles so trostlos erscheint und ich einen um den anderen aus unserem
Bekanntenkreis sehe, wie er dahingeht und alles so bitter ist, nehme ich mir
immer vor, stark zu bleiben, Spatzili, ich muß Dich ein bißchen aus
Deiner Weltverlorenheit aufwecken, sei mir nicht böse, Du mußt mir
ein bißchen mehr beistehen mit Deinem Trost und Deiner Aufmunterung und
mit Deinem Rat. |