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Ein Kamerad, der nach Wien auf
Urlaub fährt, wird so gut sein und diesen Brief mitnehmen, um ihn dort an
Dich aufzugeben. Ich kann Dir deshalb ein bißchen mehr als sonst
schreiben. Zunächst will ich Dir noch von unserer Fahrt hierher
einiges erzählen, die ja sehr abenteuerlich und mit lauter
Rätselraten verbunden war. Da wir doch die ersten beim Zug waren, ich
meine unsere Schreibstube, besetzten wir natürlich die besten Plätze.
Wir waren in einem österreichischen Waggon, Nichtraucherabteil, zu viert.
Erst etwas später kamen noch 2 Kameraden, die keine Plätze gefunden
hatten, in unser Abteil. Wir fuhren also zu sechst. Dabei waren wir noch gut
daran, denn die anderen mußten zu 7, 8 oder gar 9 fahren. Wir
mußten daher alle sitzend schlafen, nur einige legten sich auf den
öligen Boden. Als der Zug sich um zirka 1 Uhr in Bewegung setzte,
schlief der Großteil der Kameraden, welche keine Angehörigen bei
sich hatten. Ich dachte dabei noch viel an Dich und besonders stark, als unser
Zug durch Baumgarten fuhr. Ich darf überhaupt nicht allzuviel an die
letzten Tage in Wien denken, sonst wird mir so schwer ums Herz und ich
muß fürchterlich weinen. In Passau bekamen wir Kaffee, sonst die
ganze Reise nur Konserven (Fisch, Schmalz, Blutwurst). Jetzt begann das
große Rätselraten, wohin es wohl gehen wird. Die einen meinten nach
Frankreich, die anderen nach Darmstadt und wieder andere nach dem Norden. Du
kannst Dir gar nicht vorstellen, was für eine Nervösität im Zug
war und wie jede Richtungsänderung verfolgt wurde. Die Höhe erreichte
wohl diese Fahrt in Worms, als es plötzlich hieß, es müssen
alle Fenster geschlossen werden, da sonst geschossen wird. Es war eine
unheimliche Ruhe im Zug, als wir die Rheinbrücke passierten und mit ihr
die deutschen Flakgeschütze und
Wachmannschaften. Als wir von Worms am Rhein wegfuhren und nach Kaiserslautern
kamen, war wohl alles entschieden. Es blieb nur mehr die Westfront
übrig.In langsamer Fahrt ging es jetzt bis Waldfischbach, wo wir
ausstiegen und zu Fuß bis Clausen gingen. Hier wurde provisorisch
Quartier bezogen. Unsere Kompanie schlief in einem Tanzsaal auf Holzwolle. Mir
war dies zu schlecht und ich suchte mir ein Privatquartier. Nach kurzem Suchen
war ich beim Friseur des Ortes zu Gast. Diese Ortschaft gehört noch zu den
wenigen, die überhaupt noch bewohnt sind in diesem Gebiet. Abends war es
ganz gruselig, als wir die französiscben Kanonendonner hörten und
dazwiscben ewiges Maschinengewehrgeknatter. Die meisten Soldaten waren im
Gasthaus und total besoffen. Icb war nur stiller Beobachter und tat nicht mit.
Unser Zug trieb es besonders arg, wir hatten ja aucb das Akkordeon und
machten mächtig Stimmung. Um 23 Uhr war Schluß und ich ging in mein
Quartier. Der Herr war noch auf und wartete auf mich. Er bot mir noch Kaffee,
Butter und Wurst mit Weißbrot an. Die Leute waren überhaupt derartig
nett, daß es gar nicht zum Glauben war, noch dazu, wo doch
tagtäglich dort Militär durchzieht oder übernachtet. Ich
habe sehr gut geschlafen und stand erst um 8 Uhr auf. Vormittags hatten wir
auch für die Scbreibstube ein nettes Privatzimmer. Arbeit gab es genug und
es war scbon 15 Uhr, bevor wir fertig waren. Auf einmal kam unser Rittmeister
und teilte uns mit, daß wir in einer halben Stunde marschbereit sein
müssen. Ein anderer Hauptmann hielt eine kurze Ansprache an uns und
begrüßte uns im Namen des neuen Regimentchefs von
I. R. 482 und
teilte mit, daß wir stolz darauf sein können, zu diesem Regiment zu
kommen, denn dieses kämpft in den vordersten Linien des Westwalls und im
Vorfeld. Wir waren alle furchtbar deprimiert. Bald kamen ganze Kolonnen von
Lastautos, wir wurden verladen und fort ging's. Über Pirmasens direkt
hinaus zu den Bunkern. Dabei war ein unheimlicher Kanonenlärm. Ich hatte
Angst. Als das Auto auf einsamer Straße hielt, stieg ein Feldwebel mit
mir allein aus und meine Kameraden fuhren weiter. Auf meine ängstliche
Frage, wo denn hier ein Geschäftszimmer sei, sagte er mir, das werden Sie
gleich sehen. Durch eine kleine Tür kamen wir in das Innere des
sogenannten B-Werkes. Es ist in diesem Abschnitt einer der größten
Bunker. Ich traute meinen Augen kaum, als wir nach Passieren einiger
Panzertüren und Irrgänge in einem wirklichen Büroraum standen.
Ich wurde allen meinen Vorgesetzten vorgestellt, auch dem Bataillons-
Kommandeur. Jeder reichte mir freundschaftlich die Hand und versicherte mir,
daß es mir hier, natürlich bei Eignung, gut gehen werde. Ich bezog
darauf mein Schlaflager, das wieder einen Stock tiefer war. Die
Besatzungsmannschaft sind fast lauter Ostmarkler und icb hatte mich bald mit
meinen neuen Kameraden angefreundet. Es sind auch einige Wiener darunter. Wenn
ich Zeicbenarbeit habe, sitze ich meistens allein im Verbandszimmer
(Ärztezimmer), ansonsten bin ich oben im Geschäftszimmer. Die Arbeit
ist interessant und wenig. Sonntag gibt es an der Front keinen, und wenn
wir nach Pirmasens wollen, brauchen wir einen Urlaubsschein. Die Stadt ist ja
geräumt. Gerade nur die wichtigsten Betriebe funktionieren wie: Brauerei,
Bäcker, Bad, Gastwirtschaften und Kino. Samstag durfte ich mit dem
Meldefahrer nach Pirmasens fahren und diese Gelegenheit benutzte ich gleich, um
ein warmes Bad zu nehmen. Es ist übrigens ein fabelhaft modernes Bad.
Überhaupt die Gegend ist sehr schön, nur ist sie jetzt verschandelt.
Momentan ist Mittagspause und ich sitze vorm Bunker im Sonnenschein. Wie
ich erfahren habe, bekommen die meisten Leute nach 4 Monaten zirka 14 Tage
Urlaub. Das wäre Anfang Juni. Du kannst meinem Kollegen einen Brief
mitgeben, wenn er wieder zurückkommt. Versiegle halt den Brief und
schreibe viele schöne Sachen. |