Wenn erst Friede ist  © 2005

BRIEFE FRANKREICH

Westfront, 28. April 1940

Bild klickbar



Kommentar

Ein Kamerad, der nach Wien auf Urlaub fährt, wird so gut sein und diesen Brief mitnehmen, um ihn dort an Dich aufzugeben. Ich kann Dir deshalb ein bißchen mehr als sonst schreiben.
Zunächst will ich Dir noch von unserer Fahrt hierher einiges erzählen, die ja sehr abenteuerlich und mit lauter Rätselraten verbunden war. Da wir doch die ersten beim Zug waren, ich meine unsere Schreibstube, besetzten wir natürlich die besten Plätze. Wir waren in einem österreichischen Waggon, Nichtraucherabteil, zu viert. Erst etwas später kamen noch 2 Kameraden, die keine Plätze gefunden hatten, in unser Abteil. Wir fuhren also zu sechst. Dabei waren wir noch gut daran, denn die anderen mußten zu 7, 8 oder gar 9 fahren. Wir mußten daher alle sitzend schlafen, nur einige legten sich auf den öligen Boden.
Als der Zug sich um zirka 1 Uhr in Bewegung setzte, schlief der Großteil der Kameraden, welche keine Angehörigen bei sich hatten. Ich dachte dabei noch viel an Dich und besonders stark, als unser Zug durch Baumgarten fuhr. Ich darf überhaupt nicht allzuviel an die letzten Tage in Wien denken, sonst wird mir so schwer ums Herz und ich muß fürchterlich weinen.
In Passau bekamen wir Kaffee, sonst die ganze Reise nur Konserven (Fisch, Schmalz, Blutwurst). Jetzt begann das große Rätselraten, wohin es wohl gehen wird. Die einen meinten nach Frankreich, die anderen nach Darmstadt und wieder andere nach dem Norden. Du kannst Dir gar nicht vorstellen, was für eine Nervösität im Zug war und wie jede Richtungsänderung verfolgt wurde. Die Höhe erreichte wohl diese Fahrt in Worms, als es plötzlich hieß, es müssen alle Fenster geschlossen werden, da sonst geschossen wird. Es war eine unheimliche Ruhe im Zug, als wir die Rheinbrücke passierten und mit ihr die deutschen Flakgeschütze und Wachmannschaften. Als wir von Worms am Rhein wegfuhren und nach Kaiserslautern kamen, war wohl alles entschieden. Es blieb nur mehr die Westfront übrig.In langsamer Fahrt ging es jetzt bis Waldfischbach, wo wir ausstiegen und zu Fuß bis Clausen gingen. Hier wurde provisorisch Quartier bezogen. Unsere Kompanie schlief in einem Tanzsaal auf Holzwolle. Mir war dies zu schlecht und ich suchte mir ein Privatquartier. Nach kurzem Suchen war ich beim Friseur des Ortes zu Gast. Diese Ortschaft gehört noch zu den wenigen, die überhaupt noch bewohnt sind in diesem Gebiet. Abends war es ganz gruselig, als wir die französiscben Kanonendonner hörten und dazwiscben ewiges Maschinengewehrgeknatter. Die meisten Soldaten waren im Gasthaus und total besoffen. Icb war nur stiller Beobachter und tat nicht mit.
Unser Zug trieb es besonders arg, wir hatten ja aucb das Akkordeon und machten mächtig Stimmung. Um 23 Uhr war Schluß und ich ging in mein Quartier. Der Herr war noch auf und wartete auf mich. Er bot mir noch Kaffee, Butter und Wurst mit Weißbrot an. Die Leute waren überhaupt derartig nett, daß es gar nicht zum Glauben war, noch dazu, wo doch tagtäglich dort Militär durchzieht oder übernachtet.
Ich habe sehr gut geschlafen und stand erst um 8 Uhr auf. Vormittags hatten wir auch für die Scbreibstube ein nettes Privatzimmer. Arbeit gab es genug und es war scbon 15 Uhr, bevor wir fertig waren. Auf einmal kam unser Rittmeister und teilte uns mit, daß wir in einer halben Stunde marschbereit sein müssen. Ein anderer Hauptmann hielt eine kurze Ansprache an uns und begrüßte uns im Namen des neuen Regimentchefs von I. R. 482 und teilte mit, daß wir stolz darauf sein können, zu diesem Regiment zu kommen, denn dieses kämpft in den vordersten Linien des Westwalls und im Vorfeld. Wir waren alle furchtbar deprimiert. Bald kamen ganze Kolonnen von Lastautos, wir wurden verladen und fort ging's. Über Pirmasens direkt hinaus zu den Bunkern. Dabei war ein unheimlicher Kanonenlärm. Ich hatte Angst. Als das Auto auf einsamer Straße hielt, stieg ein Feldwebel mit mir allein aus und meine Kameraden fuhren weiter. Auf meine ängstliche Frage, wo denn hier ein Geschäftszimmer sei, sagte er mir, das werden Sie gleich sehen. Durch eine kleine Tür kamen wir in das Innere des sogenannten B-Werkes. Es ist in diesem Abschnitt einer der größten Bunker. Ich traute meinen Augen kaum, als wir nach Passieren einiger Panzertüren und Irrgänge in einem wirklichen Büroraum standen.
Ich wurde allen meinen Vorgesetzten vorgestellt, auch dem Bataillons- Kommandeur. Jeder reichte mir freundschaftlich die Hand und versicherte mir, daß es mir hier, natürlich bei Eignung, gut gehen werde. Ich bezog darauf mein Schlaflager, das wieder einen Stock tiefer war. Die Besatzungsmannschaft sind fast lauter Ostmarkler und icb hatte mich bald mit meinen neuen Kameraden angefreundet. Es sind auch einige Wiener darunter. Wenn ich Zeicbenarbeit habe, sitze ich meistens allein im Verbandszimmer (Ärztezimmer), ansonsten bin ich oben im Geschäftszimmer. Die Arbeit ist interessant und wenig.
Sonntag gibt es an der Front keinen, und wenn wir nach Pirmasens wollen, brauchen wir einen Urlaubsschein. Die Stadt ist ja geräumt. Gerade nur die wichtigsten Betriebe funktionieren wie: Brauerei, Bäcker, Bad, Gastwirtschaften und Kino. Samstag durfte ich mit dem Meldefahrer nach Pirmasens fahren und diese Gelegenheit benutzte ich gleich, um ein warmes Bad zu nehmen. Es ist übrigens ein fabelhaft modernes Bad. Überhaupt die Gegend ist sehr schön, nur ist sie jetzt verschandelt.
Momentan ist Mittagspause und ich sitze vorm Bunker im Sonnenschein. Wie ich erfahren habe, bekommen die meisten Leute nach 4 Monaten zirka 14 Tage Urlaub. Das wäre Anfang Juni.
Du kannst meinem Kollegen einen Brief mitgeben, wenn er wieder zurückkommt. Versiegle halt den Brief und schreibe viele schöne Sachen.


Ruth Linhart | Zeitgeschichte | Inhalt | Anmerkungen