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Soeben hat mir der
Briefträger Deinen Brief gebracht. Ich kann mit meinen Gedanken noch nicht
zurechtkommen über alles das, was Du mir schreibst, es ist mir so fremd,
Dich in einer solchen Umgebung zu wissen und unheimlich, ja wirklich unheimlich
Es ist mir alles fremd, auch ich selber und meine Tätigkeit, ich gehe
herum und tue alles, was ich muß, aber es ist mir wie im Traum. Du
schreibst, Du denkst über nichts mehr nach, das kann ich gut begreifen.
Mit der Zeit und wenn Du eingewöhnt bist, werden auch die Gedanken
zurückkommen Es wäre mir dann vor allem lieb und wichtig, wenn ich
von hier aus Deine Gedanken führen und lenken könnte, Dir von hier
aus Anregungen geben könnte, damit Du nicht so sehr auf andere Quellen
angewiesen seiest. Das will ich absolut nicht. lch kann mir denken, in welch
kleinem Kreis sich die Gedanken von Männern bewegen, die vielleicht schon
monatelang aus ihrem Privatleben herausgerissen sind und nur mehr den winzigen
Horizont der Front haben. Alle Mittel dagegen, die man anwendet, z. B.
Filmvorführungen, Vorträge, Unterhaltung, beschränkte
Lektüre usw. sind nur Ersatzmittel und können das wirkliche,
vielseitige Leben nicht ersetzen, da die meisten auch noch recht einseitig
sind. Lieber Spatz, Du bist jetzt an einem Punkt Deines Lebens angelangt,
der sehr entscheidend ist. Jetzt muß sich ein inneres Ziel vor Dir
auftun, Deine innere Erlebnisfähigkeit entwickelt werden. Alles, was man
äußerlich erlebt, hat nur insofern Wert, als man es innerlich
richtig verarbeiten kann. Ich weiß es und Du hast es oft gesagt,
daß Du nicht sehr gut geeignet bist, innerlich zu leben. Dein bisheriges
Leben hat es auch nicht notwendig gemacht, zu dieser verstärkten inneren
Erlebnisfähigkeit zu kommen. Du warst immer in einem abwechslungsvollen
Getriebe, warst nie einsam und allein, ich war immer bei Dir und konnte Dir
alles äußerliche Geschehen innerlich deuten, Du warst nie in Gefahr,
in Äußerlichkeiten aufzugehen, das konnte Dir an meiner Seite nicht
geschehen. Nun bist Du plötzlich ganz auf Dich gestellt, unter
Fremden, in eine Maschinerie eingeschaltet, die ganz auf äußerliches
Funktionieren abgestellt sein muß. Die Einseitigkeit und Langeweile des
Bunkerlebens kommt dazu. Der plötzlich in diese fremde Atmosphäre
hineingestellte Einzelmensch wird von diesem äußeren Ablauf des
Tageslebens überwältigt, er kann leicht seinen Geist aufgeben, wenn
er ohnehin nicht viel gehabt hat. Der Zusammenhang mit der weiten Welt ist
abgerissen, von zuhause kommen nur Nachrichten über alltägliche,
kleinliche Ereignisse, das Produkt von alledem wäre ein armseliger Mensch.
Nein, Du mußt Dir jetzt über verschiedene Fragen klar werden. Du
hast Deine Pflicht zu erfüllen, restlos. Wenn Du eine Arbeit hast, die
Dich freut, hast Du schon viel gewonnen. Zu Deinen Kameraden sei
freundschaftlich und zuvorkommend in äußeren, aber
zurückhaltend in allen außerdienstlichen Dingen. Dein Privatleben
und Deine Vergangenheit gehören einzig Dir allein. Denk an alles, was war
und was Du erlebt hast, was Du erhofft und erstrebt hast und wie weit und
schön die Welt ist und all die Kultur darin und laß Dich von der
Gegenwart nicht unterkriegen. Die Vergangenheit und die Zukunft bedeuten
eigentlich alles, die Gegenwart ist nichts. Du kannst Dich bestimmt ein
bißchen an mein Rezept halten, denn ich habe es durch einige Monate, seit
Du eingerückt bist, erprobt und ich sehe, um wieviel ich besser daran bin
als andere Frauen, die jetzt auch allein sind. Jedes unsinnige Gerücht
glauben sie und sind Stammkunden bei der Kartenaufschlägerin.
Unglücklich bin ich nur darüber, daß ich Dich in Gefahr
weiß. Ich selbst bin eigenartig ruhig oder es sieht nur so aus, zum
Unterschied von anderen Frauen, die dahingelebt haben und über die das
Ungliick so plötzlich hereinbrach, ohne daß sie genug darauf
vorbereitet waren. Uns und besonders mir war das Unglück seit langer,
langer Zeit gegenwärtig, ich spürte es voraus und daher hat sich auch
die Angst und Verzweiflung auf viel längere Zeiträume erstreckt. Mein
Unglück, unser Unglück, wird auch nicht aufhören, wo es für
viele andere wird aufzuhören scheinen. Aber dieser Zustand kann nicht
bezeichnet werden mit dem Begriff Fatalismus, sondern eher mit einer
Ausgeglichenheit, die sowohl über die vergänglichen als auch
über die unvergänglichen Dinge in der Welt Bescheid weiß. Alles
ist vergänglich und wandelbar, nur der Charakter und die Art der
Lebensanschauung ist unwandelbar. Und dann gibt es so viele Dinge, die das
innere Leben bereichern können, so viele, daß mir bang ist, ob mein
Leben lang genug dauern wird, um nur die von mir begehrtesten zu erreichen. Da
lese ich z. B. die Bücher von Senghofer. Da war ein Reisebuch über
Serbien. Es tut sich vor meinem Blick eine ganz und gar fremde Welt auf, Namen
werden lebendig, die man noch nie gehört hat und trotzdem ist dies alles
Geschichte und genauso hundert- und tausendjährig als die uns bekannte
deutsche oder italienische Geschichte. Weißt Du, das stelle ich mir
immer als das Schönste in unserer Zukunft vor: Wir bereisen irgendeine
Gegend oder ein Land, ich denke gar nicht an Außereuropa, da doch Europa
selbst so unerhört interessante Länder und Völker umfaßt,
Du fotografierst, filmst und zeichnest und ich besorge den kulturpolitischen
und sprachlichen Teil. Da ist Serbien und Bulgarien, oder Rumänien,
Rußland, Lettland, Litauen, Estland, Finnland, Schweden, Norwegen; ein
Lebensprogramm. Wenn erst Friede ist!! |