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Gestern abend waren Minnie, Dr.
Melas und Kollege Samt hier auf Besuch.
Ich hatte zum Nachtmahl Erdäpfelgulasch gemacht und eine kleine Dose
Büchsenfleisch dazugemischt. Nachher gab es Brötchen mit Sardinen,
und Minnie hatte noch 10 dkg Wurst dazu gestiftet. Ein paar Bäckereien und
die 2 Literflasche Chianti bildeten den Abschluß. Es war wirklich sehr
nett und angeregt, wir spielten Schallplatten, es wurde auch ein bißchen,
nicht sehr viel, getanzt. Der Wein, von dem ich natürlich gar nichts
getrunken habe, hat bald seine Wirkung getan, aber es blieb bis zum
Abschluß alles in sehr anständigen und vertretbaren Grenzen.
Minnie und ich saßen links und rechts von Dr. Melas, wobei er uns
sehr brüderlich in seine Arme nahm, und wir haben uns sehr bequem an ihn
angeschmiegt und in dieser Stellung Schallplatten gehört, allerlei
Erinnerungen ausgetauscht, Witze erzählt und alle möglichen
Tagesereignisse besprochen. Nach der Melodie von
"Lamberts
Nachtlokal" tanzte Melas mit Minnie einen sehr gelungenen Figurentanz, wo
man in die Hände und auf die Schenkel klatschen muß, und das war
sehr hübsch zum Ansehen. Kollege Samt hat mich besonders aufs Korn
genommen, denn er kennt mich jetzt an die 15 Jahre und hatte, wie er gestern
erklärt hat, immer eine ganz besondere und ihm eigentlich merkwürdig
vorkommende Hochachtung für mich gehabt, und diese hat sich nun
verstärkt auch noch durch den gestrigen Abend. Er ist ein grosser
Frauenfreund und Frauenkenner, eine Art Don Juan, aber ich bin ihm doch ein
Rätsel. Nun, damit muß er sich zufriedengeben, ich bin und bleibe
eben, was ich bin, nüchtern gegen Blödeleien, aber wirklich
hingerissen und begeistert von Dingen, die mein inneres Leben und meine Ideale
berühren. Wenn man den Dr. Melas kennt und durchschaut, sowie ich ihn
jetzt durchschaue, kann man ganz gut mit ihm auskommen und wird einen Umgang
mit ihm anregend und vielleicht auch ein bißchen pikant finden. Er ist
der geborene Routinier, aber von zwei Trieben scheinbar ganz besessen: Von
Erotik und Musik. Punkto Erotik läßt er mich ganz kalt, punkto Musik
bin ich viel zu ungebildet, um mit ihm mitzukönnen. Die arme Minnie
tut mir leid. Mir ist schon einigemale im Kurs aufgefallen, daß sie so
besonders schlecht und verändert aussieht. Auch gestern fühlte sie
sich zuerst gar nicht wohl. Als aber dann die Gäste kamen, vergaß
sie alle Beschwerden, trank reichlich und rauchte Zigaretten und gab sich so,
als wäre sie pumperlgesund. Als die beiden Männer um ¾ 12 Uhr
weggingen, blieb sie bei mir über Nacht, und da klappte sie ganz zusammen.
Ich bin sehr besorgt um sie, denn sie scheint ernstlich krank zu sein. Die paar
Jahre, wo sie allein in Berlin lebte, ohne ordentliches Essen, angewiesen auf
das magere, gänzlich fettlose Essen aus Gemeinschaftsküchen, dabei
überarbeitet, da sie ständig abends Nebenbeschäftigungen
ausübte, z.B. Maschinschreiben und Steuerbuchhaltung, das rächt sich
jetzt eben. Sie ist im Grund genommen ein wirklich armer, armer Mensch, bei
diesen Familienverhältnissen, und ich fürchte, sie wird ein trauriges
Ende nehmen. Man kann es aus diesem Grunde vielleicht verstehen, daß sie
so lebenshungrig ist, denn in ihrem Fall sind es vielleicht wirklich nur noch
ein paar Jahre, und dann ist es aus mit ihr. Mir ist ihr unruhiger
Gemütszustand manchmal ganz begreiflich. |