Wenn erst Friede ist  © 2005

BRIEFE POLEN

Osjek b. Jaslo, 27. April 1941

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Kommentar

Du siehst, meine Vorahnungen haben sich bewahrheitet, denn ich kam in N. nicht mehr dazu, diesen angefangenen Brief fertig zu schreiben. Ich mußte innerhalb einer Stunde meine Sachen packen und wurde dazu bestimmt, per Rad mit noch drei Kameraden auf Vorkommando (Quartiersuche) der Truppe vorauszufahren. Was wir diese 8 Tage alles erlebten und durchmachen mußten, das läßt sich schwer beschreiben und hoffentlich kommt bald die Zeit, wo ich Dir meine ganzen Erlebnisse selbst erzählen kann.
Wir waren der Truppe immer einen Tag voraus, d. h. die Truppe marschierte zeitlich früh weg und kam im Laufe des Spätnachmittags in ihre Unterkünfte. Wir wiesen die Truppe ein, die Offz. in ihre Privatquartiere, die Mannschaft in ihre Massenunterkünfte und die Pferde in die Ställe. War dies geschehen, so fuhren wir gleich mit unseren Rädern los und fuhren noch die ganze Marschstrecke für den nächsten Tag. Nachdem die Straßen in einem unvorstellbaren Zustand sind und es die ganze Zeit ununterbrochen regnet, so kannst Du Dir ungefähr vorstellen, in welcher Verfassung wir in einem solchen Kaff (Dorf) ankamen.
Total naß, ausgefroren und hungrig. Da wir Selbstverpfleger sind, mußten wir uns um ein Nachtmahl umschauen, zu später Stunde und weit und breit natürlich meistens kein Gasthaus und erst wenn dies geschehen war, in irgendeinem Winkel ein Lager für unsere müden Knochen. Nächsten Tag hatten wir dann alle Hände voll zu tun, um für zirka 100 Mann und 30 Pferde in den elendesten Dörfern Unterkünfte zu beschaffen. War dies geschehen, so kam auch schon die Truppe und der Tango fing von vorne an.
Jetzt sind wir wieder in Ruhe und wie es heißt, für längere Zeit. Wir stecken jetzt mitten im Generalgouvernement und haben nur zirka 60km zur neuen russischen Grenze bei Sanok a/Jan. Ich habe Dir jeweils, von den größeren Städten, Karten geschickt und obwohl dieselben immer in Eile geschrieben waren, so hoffe ich doch, daß Du über meinen jeweiligen Aufenthaltsort informiert gewesen bist. Es ist nämlich auf das strengste verboten, Ansichtskarten zu schreiben und Briefmarken zu verwenden. Da aber morgen der kleine Richter von der Schreibstube auf Urlaub nach Wien fährt, so benütze ich diese Gelegenheit, um Dir Genaueres zu schreiben und habe deswegen auch die richtigen Ortsbezeichnungen eingesetzt. Unser Nest heißt also Osjek und befindet sich zirka 13km südlich Jaslo. Seit 14 Tagen regnet es ununterbrochen und das Dorf versinkt schier im Dreck Ich weiß, Du kannst diesen Ausdruck nicht leiden, aber soviel Schmutz habe ich noch nie auf Dorfstraßen gesehen.
Ich schlafe in einem Massenquartier in einer Schule, auf einem Strohsack. Es ist ein sehr kleines Schulzimmer und wir hausen dort 22 Mann samt Gepäck darin. Die Unordnung ist kolossal. Im ganzen schlafen 46 Mann in der Schule und wir haben nur eine Schüssel zum Waschen. Gasthaus gibt es keines und zum Essen nicht viel.
Wir sind also zur Gänze auf die Feldküche angewiesen, in der es jeden Tag nur Eintopf gibt und manchmal Suppe. Da wir überhaupt nichts Eßbares zu kaufen bekommen, ist auch das Brot sehr knapp und der Hunger groß. Seit wir hier im Generalgouvemernent sind, bekommen wir Zloty ausbezahlt und zwar um 50% mehr. Es gilt dies als Teuerungszulage. Es ist hier wahnsinnig teuer und solange wir am Marsch waren und etwas zu kaufen bekommen haben, habe ich sehr viel Geld angebracht. Jetzt, hoffe ich, wird mir wieder alles bleiben, da ja gar keine Möglichkeit besteht, etwas auszugeben. Geld brauchst Du mir also nicht zu schicken. Vielleicht kann mir Mutter wieder einen Striezel backen und schicken, er geht bestimmt nicht kaputt, oder gib Richter ein Packerl mit, wenn er wieder von Wien wegfährt. Ich hoffe aber, daß die Post in einigen Tagen wieder normal funktioniert und die Briefe und Pakete in einigen Tagen bei mir sind. Ich lege auch noch übriggebliebene Lebensmittelkarten bei, ich kann sie hier nicht verwenden und Du wirst Dich bestimmt sehr darüber freuen. Ich gebe Richter auch noch einen Karton mit Schmutzwäsche. Ich lege auch 2 Filme bei. Otto soll sie sorgfältig entwickeln und für mich je einen Abzug machen. Da in letzter Zeit immer Regenwetter war, habe ich eigentlich sehr wenig fotografiert. Die Bilder sind hauptsächlich noch vom Münsterberger Abschied. Ich lege Dir deswegen auch einige farbige Karten bei, damit Du siehst, was für interressante Menschen wir kennengelernt haben. Es ist das Volk der Giralen, ein Bergvolk am Fuße der Beskiden. Sonst leben hier nur Juden und zwar die ärmsten der Armen. In Nowy-Sacz (Neu-Sandez) von zirka 30.000 Einwohnern 18.000 Juden. Sie tragen Armbinden mit dem Zionstern, wohnen in Löchern und sind wahnsinnig schmutzig. Sie laufen frei herum und werden von den Arbeitsämtern zu allen möglichen Arbeiten herangezogen. Jetzt hauptsächlichst vom Militär zum Reinigen der Kasernen, Herbeischaffen von Heu und Stroh und Holzhacken.
Die Gegend war mitunter herrlich. Speziell als wir im Tal des Dunajec gingen, weil die Straßen zu steil zum Fahren waren und wir immer die Beskiden und die Tatra vor uns hatten. Es war manchesmal wie in der Steiermark, dann wieder wie in Tirol oder Vorarlberg.

Unsere Leute sind schon alle sehr müde. Du mußt bedenken, daß wir seit 15. März fast ununterbrochen am Marsch sind, seit Wischau. Ich seit 3. April, auch eine ganz schöne Zeit. Auch sehr viele Pferde konnten den weiten Weg nicht aushalten und mußten ausgespannt werden. Die nächste Zeit soll nur mit putzen und flicken, waschen und reparieren ausgefüllt werden. Eine sehr erfreuliche Nachricht ist seit der Ankunft bei uns hier eingetroffen. Es gibt wieder Urlaub. Und zwar 14 Tage und 2 Reisetage. Wenn es Dir also recht ist, so komme ich zu meinem Geburtstag nach Wien.
Ich bin sehr unglücklich, daß Dein Herzenswunsch nicht gleich in Erfüllung gegangen ist. Aber wenn das so kompliziert ist, warum hast Du Dich nicht früher erkundigt? Ich habe auch immer geglaubt, das ist das Einfachste, was es nur gibt, noch dazu, wo es der Fall gewesen ist, als wir es gar nicht wollten und wir alle möglichen Schutzmaßnahmen getroffen haben. Aber es wird schon noch klappen. Du weißt doch, Dir zuliebe mache ich alles.
Jetzt geht aber sowohl die Kerze als auch die Tinte aus und ich hätte noch soviel zu schreiben.


Ruth Linhart | Zeitgeschichte | Inhalt | Anmerkungen