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Du siehst, meine Vorahnungen
haben sich bewahrheitet, denn ich kam in N. nicht mehr dazu, diesen
angefangenen Brief fertig zu schreiben. Ich mußte innerhalb einer Stunde
meine Sachen packen und wurde dazu bestimmt, per Rad mit noch drei Kameraden
auf Vorkommando (Quartiersuche) der Truppe vorauszufahren. Was wir diese 8 Tage
alles erlebten und durchmachen mußten, das läßt sich schwer
beschreiben und hoffentlich kommt bald die Zeit, wo ich Dir meine ganzen
Erlebnisse selbst erzählen kann. Wir waren der Truppe immer einen Tag
voraus, d. h. die Truppe marschierte zeitlich früh weg und kam im Laufe
des Spätnachmittags in ihre Unterkünfte. Wir wiesen die Truppe ein,
die Offz. in ihre Privatquartiere, die Mannschaft in ihre
Massenunterkünfte und die Pferde in die Ställe. War dies geschehen,
so fuhren wir gleich mit unseren Rädern los und fuhren noch die ganze
Marschstrecke für den nächsten Tag. Nachdem die Straßen in
einem unvorstellbaren Zustand sind und es die ganze Zeit ununterbrochen regnet,
so kannst Du Dir ungefähr vorstellen, in welcher Verfassung wir in einem
solchen Kaff (Dorf) ankamen. Total naß, ausgefroren und hungrig. Da
wir Selbstverpfleger sind, mußten wir uns um ein Nachtmahl umschauen, zu
später Stunde und weit und breit natürlich meistens kein Gasthaus und
erst wenn dies geschehen war, in irgendeinem Winkel ein Lager für unsere
müden Knochen. Nächsten Tag hatten wir dann alle Hände voll zu
tun, um für zirka 100 Mann und 30 Pferde in den elendesten Dörfern
Unterkünfte zu beschaffen. War dies geschehen, so kam auch schon die
Truppe und der Tango fing von vorne an. Jetzt sind wir wieder in Ruhe und
wie es heißt, für längere Zeit. Wir stecken jetzt mitten im
Generalgouvernement und haben nur zirka 60km zur neuen russischen Grenze bei
Sanok a/Jan. Ich habe Dir jeweils, von den größeren Städten,
Karten geschickt und obwohl dieselben immer in Eile geschrieben waren, so hoffe
ich doch, daß Du über meinen jeweiligen Aufenthaltsort informiert
gewesen bist. Es ist nämlich auf das strengste verboten, Ansichtskarten zu
schreiben und Briefmarken zu verwenden. Da aber morgen der kleine Richter von
der Schreibstube auf Urlaub nach Wien fährt, so benütze ich diese
Gelegenheit, um Dir Genaueres zu schreiben und habe deswegen auch die richtigen
Ortsbezeichnungen eingesetzt. Unser Nest heißt also Osjek und befindet
sich zirka 13km südlich Jaslo. Seit 14 Tagen regnet es ununterbrochen und
das Dorf versinkt schier im Dreck Ich weiß, Du kannst diesen
Ausdruck nicht leiden, aber soviel Schmutz habe ich noch nie auf
Dorfstraßen gesehen. Ich schlafe in einem Massenquartier in einer
Schule, auf einem Strohsack. Es ist ein sehr kleines Schulzimmer und wir hausen
dort 22 Mann samt Gepäck darin. Die Unordnung ist kolossal. Im ganzen
schlafen 46 Mann in der Schule und wir haben nur eine Schüssel zum
Waschen. Gasthaus gibt es keines und zum Essen nicht viel. Wir sind also
zur Gänze auf die Feldküche angewiesen, in der es jeden Tag nur
Eintopf gibt und manchmal Suppe. Da wir überhaupt nichts Eßbares zu
kaufen bekommen, ist auch das Brot sehr knapp und der Hunger groß. Seit
wir hier im Generalgouvemernent sind, bekommen wir Zloty ausbezahlt und zwar um
50% mehr. Es gilt dies als Teuerungszulage. Es ist hier wahnsinnig teuer und
solange wir am Marsch waren und etwas zu kaufen bekommen haben, habe ich sehr
viel Geld angebracht. Jetzt, hoffe ich, wird mir wieder alles bleiben, da ja
gar keine Möglichkeit besteht, etwas auszugeben. Geld brauchst Du mir also
nicht zu schicken. Vielleicht kann mir Mutter wieder einen Striezel
backen und schicken, er geht bestimmt nicht kaputt, oder gib Richter ein
Packerl mit, wenn er wieder von Wien wegfährt. Ich hoffe aber, daß
die Post in einigen Tagen wieder normal funktioniert und die Briefe und Pakete
in einigen Tagen bei mir sind. Ich lege auch noch übriggebliebene
Lebensmittelkarten bei, ich kann sie hier nicht verwenden und Du wirst Dich
bestimmt sehr darüber freuen. Ich gebe Richter auch noch einen Karton mit
Schmutzwäsche. Ich lege auch 2 Filme bei. Otto soll sie
sorgfältig entwickeln und für mich je einen Abzug machen. Da
in letzter Zeit immer Regenwetter war, habe ich eigentlich sehr wenig
fotografiert. Die Bilder sind hauptsächlich noch vom Münsterberger
Abschied. Ich lege Dir deswegen auch einige farbige Karten bei, damit Du
siehst, was für interressante Menschen wir kennengelernt haben. Es ist das
Volk der Giralen, ein Bergvolk am Fuße der Beskiden. Sonst leben hier nur
Juden und zwar die ärmsten der Armen. In Nowy-Sacz (Neu-Sandez) von zirka
30.000 Einwohnern 18.000 Juden. Sie tragen Armbinden mit dem Zionstern, wohnen
in Löchern und sind wahnsinnig schmutzig. Sie laufen frei herum und werden
von den Arbeitsämtern zu allen möglichen Arbeiten herangezogen. Jetzt
hauptsächlichst vom Militär zum Reinigen der Kasernen, Herbeischaffen
von Heu und Stroh und Holzhacken. Die Gegend war mitunter herrlich.
Speziell als wir im Tal des Dunajec gingen, weil die Straßen zu steil zum
Fahren waren und wir immer die Beskiden und die Tatra vor uns hatten. Es war
manchesmal wie in der Steiermark, dann wieder wie in Tirol oder Vorarlberg.
Unsere Leute sind schon alle sehr müde. Du mußt bedenken,
daß wir seit 15. März fast ununterbrochen am Marsch sind, seit
Wischau. Ich seit 3. April, auch eine ganz schöne Zeit. Auch sehr viele
Pferde konnten den weiten Weg nicht aushalten und mußten ausgespannt
werden. Die nächste Zeit soll nur mit putzen und flicken, waschen und
reparieren ausgefüllt werden. Eine sehr erfreuliche Nachricht ist seit der
Ankunft bei uns hier eingetroffen. Es gibt wieder Urlaub. Und zwar 14 Tage und
2 Reisetage. Wenn es Dir also recht ist, so komme ich zu meinem Geburtstag nach
Wien. Ich bin sehr unglücklich, daß Dein Herzenswunsch nicht
gleich in Erfüllung gegangen ist. Aber wenn das so kompliziert ist, warum
hast Du Dich nicht früher erkundigt? Ich habe auch immer geglaubt, das ist
das Einfachste, was es nur gibt, noch dazu, wo es der Fall gewesen ist, als wir
es gar nicht wollten und wir alle möglichen Schutzmaßnahmen
getroffen haben. Aber es wird schon noch klappen. Du weißt doch, Dir
zuliebe mache ich alles. Jetzt geht aber sowohl die Kerze als auch die
Tinte aus und ich hätte noch soviel zu schreiben. |