Wenn erst Friede ist  © 2005

POLEN - KOMMENTAR

Durch's Labyrinth


























Nervenzermürbende Ungewißheit für Valerie und ungeahnte Strapazen für Toni brachten die Monate April bis Juli 1941. Die "letzten Ereignisse" von denen Vally im Brief vom 8. April spricht, umschreiben die Eroberung Jugoslawiens mit dem Bombardement von Belgrad. Über die Pläne der deutschen Wehrmacht gab es in den folgenden Wochen wilde Gerüchte, die sich aber nur in bedrückende Ahnungen umwandelten. Die Feldpost durfte weder aus Adresse, Absender noch Inhalt den Herkunftsort erkennen lassen und wurde einer sogenannten "abwehrmäßigen Überprüfung" unterzogen. Auch mit einem ungeschickten Code (Worte wie "Krampfadern", "Stiefelknecht" usw. sollten Vally Auskunft geben, ob sich die Truppe in Ruhe, auf dem Marsch oder in Angriff befand) waren diese Bestimmungen nicht zu umgehen; außerdem verhüllten lange Intervalle zwischen den Briefen den Einblick in das Leben des Ehemannes. Die Soldaten waren über die militärischen Pläne womöglich schlechter informiert als die politisch bewußten Kreise in der Heimat. Kittels Kriegskamerad Franz Richter erinnert sich: "Es gab das größte Fama-Angebot darüber, wo es eigentlich hingehen sollte. Es herrschte eine dauernde Verdrängung im Untergrund der Wahrheit, daß es gegen die Sowjetunion geht."

Die Soldaten hatten während ihres Marsches durch Polen Gelegenheit, mit eigenen Augen die wahre Situation der Juden zu erkennen. In Wien versuchte Vallys Freundin Olga Zvacek zusammen mit ihrer Schwester Hedy im letzten Augenblick diesem Los zu entkommen. Bis zum Beginn des Russland-Feldzuges war eine Auswanderung über Spanien und Portugal in bescheidenem Ausmaß noch möglich. Am 7 August 1941 wurde dann über jüdische Männer zwischen dem 18. und dem 45. Lebensjahr ein Auswanderungsverbot verhängt und knapp darauf jede Auswanderung untersagt. Die letzten Emigranten verließen am 2. November 1941 Wien in Richtung Portugal. Auswanderung zuerst und Deportation nachher hatten sich von der Warte der herrschenden Nationalsozialisten aus als unzureichende Mittel erwiesen, um das Reich "judenrein" zu machen. Ab Spätsommer 1941 bereits beschäftigte man sich mit der Vorbereitung zum letzten Schritt - er hieß Ausrottung.
   Olgas und Hedy's Flucht gelang nicht mehr. Vally: "Sie haben dann die Ausreisebewilligung gehabt, aber sie wollten ohne Eltern nicht fahren und die haben nicht wegkönnen. Dann sind die zwei Mädeln also auch geblieben, weil sie die Eltern nicht zurücklassen wollten. Und auf einmal waren alle vier nicht mehr vorhanden, verschwunden, umgekommen in einem Konzentrationslager oder irgendwo."
   Auch der geschiedene Mann von Olga, Willi Zvacek, ein Genosse aus der Sozialdemokratischen Partei, überliefert diese Version. Dem Brief Vallys vom 18. Juni ist zu entnehmen, daß höchstwahrscheinlich eine Erkrankung der Mutter mit dem Entschluß, zu bleiben, in Zusammenhang stand.
   Olga war Handelsangestellte gewesen, Schwester Hedy Kindergärtnerin. Während der Zeit des Austrofaschisimus hatte Olga auf Grund des Doppelverdienergesetzes als Frau eines Gemeindeangestellten ihre Stelle verloren. Sie war, wie auch Hedy katholisch getauft; die Hochzeitszeremonie mit Willi am 5. August 1934 war in einer katholischen Kirche erfolgt. Zwischen 1934 und 1938 lernte Willi Zvacek in der Maturaschule seine zweite Frau Minnie kennen und lieben. Am 26. März 1938 ließen sich Olga und er, wie er betont, einvernehmlich scheiden. Zvacek versichert, die Trennung habe mit Rassismus nichts zu tun gehabt. Er überwies ein Drittel seines Einkommens an Olga. Bis zum Kriegsausbruch mit den USA arbeitete sie als Putzfrau bei in Wien ansässigen Amerikanern und verdiente sich so etwas Geld dazu. Hedy arbeitete nach Willis Erinnerung in der Israelitischen Kultusgemeinde. Die Schwestern und ihre Eltern durchwanderten den üblichen Leidensweg aus der angestammten über eine schlechte in eine noch schlechtere Behausung.
   Willi: "Die Olga hat mich immer gefragt: ' 'Was soll ich machen? Soll ich ausreisen?' Und ich hab gesagt: 'Die werden eine Weile wild sein und dann wird wieder Ruhe eintreten, da wird nichts sein. Hier kann ich für dich sorgen, woanders nicht.' Für mich wäre eine Ausreise nicht möglich gewesen. Ja, wenn die Minnie nicht gewesen wäre, wären wir vielleicht miteinander raus."

Als ab September 1941 der Judenstern befohlen wurde, trug Olga ihn nicht, wie sich Alois Piperger erinnert. Willi berichtet von Rendezvous mit Olga beim Maria-Theresien-Denkmal, bei denen sie sich eine Aktentasche vor den Judenstern hielt.
   Nach dem Ausbruch des Rußland-Krieges muß das Leben für die jüdische Bevölkerung zusehends unerträglicher geworden sein. Der Judenstern war nur eine Schikane von vielen, zum Bespiel:
   23. 10. 1941: Den Juden ist verboten, die städtischen Autobusse, Landkraftwagen oder Postkraftwagen zu benützen. Die Benutzung des 40iger-Wagens der Straßenbahn ist verboten. Juden dürfen nicht über den Morzinplatz gehen, es sei denn, daß sie im dienstlichen Auftrag oder auf Grund einer Vorladung das Gebäude der Geheimen Staatspolizei betreten müssen.
   26. 12. 1941: Juden ist mit sofortiger Wirkung die Benützung öffentlicher Fernsprechstellen verboten.
   10. 4. 1942: Sämtliche Personen, die im Sinne des § 5 der ersten Verordnung zum Reichsbürgergesetz Juden sind oder als Juden gelten, haben auf der Aussenseite der Eingangstür ihrer Wohnung einen Judenstern anzubringen. (Es folgen Details über Farbe, Art und Weise und Ort der Anbringung, insgesamt acht ausführliche Punkte!)
   24. 4. 1942: Juden dürfen beginnend mit 1. Mai 1942 die öffentlichen Verkehrsmittel ihrer Wohngemeinde nur auf Grund einer polizeilichen Erlaubnisbescheinigung benützen.
Juden ist mit sofortiger Wirkung die Benützung von Warteräumen, Wirtschaften und sonstigen Einrichtungen sämtlicher Verkehrsbetriebe verboten.
   8. 5. 1942: Sämtliche Wiener Parkanlagen werden aufgezählt, die Juden ab nun nicht mehr betreten dürfen. Auch das gesamte Gebiet des Wienerwaldes, des Bisamberges und der Freudenau wird für Juden als Ausflugsgebiet verboten.
   12. 6. 1942: Juden ist die Inanspruchnahme von Friseuren verboten.
   16. 7. 1942: Juden ist das Entlehnen von Büchern aus öffentlichen oder privaten Leihbüchereien untersagt. Das gilt auch für Juden, die zum Tragen des Kennzeichens nicht verpflichtet sind (andere hielten sich zu diesem Zeitpunkt höchstens nur mehr im Untergrund in Wien auf!).

   Um die Vernichtung der Juden keinesfalls mit dem Pflichtgefühl gegenüber den staatlichen Gesetzen in Konflikt zu bringen, erging am 25. 11. 1941 die elfte Verordnung zum Reichsbürgergesetz:
   Ein Jude, der seinen persöhnlichen Aufenthalt im Ausland hat, kann nicht deutscher Staatsangehöriger sein. Der gewöhnliche Aufenthalt im Ausland ist dann gegeben, wenn sich ein Jude im Ausland unter Umständen aufhält, die erkennen lassen, daß er dort nicht nur vorübergehend weilt. Das Vermögen des Juden, der die deutsche Staatsangehörigkeit auf Grund dieser Verordnung verliert, verfällt mit dem Verlust der Staatsangehörigkeit dem Reich.
   Auf diese Art vermied man, daß ein anderer Staat Nachforschungen über die Deportierten anstellen konnte, und erlangte die juristische Rechtfertigung, jüdischen Besitz zu konfiszieren.

Wie reagierten die Menschen um Valerie Kittel, die keine Nationalsozialisten, sondern deren Gegner waren und bei ihren Freunden zwischen Juden und Nichtjuden bisher nicht unterschieden hatten, auf die Verbrechen an diesen jüdischen Freunden?
   Vallys frühere Bürokollegin, Anny Jonak, schrieb am 23. 2. 1941 aus Prag:
   "Was Du über H. R. schreibst, scheint mit dem übereinzustimmen, was man hier hört. Arme Menschen!"
   A r m e  M e n s c h e n ! Und damit weggeschoben?
   Viele der damals schweigenden Gegner des Regimes sagen heute, so wie Alois Piperger, daß man verzweifelt mit geballten Fäusten in den Taschen die Tage hingebracht habe.
   Mit geballten Fäusten in den Taschen wegschaute?
   Franz Senghofer erinnert sich, daß man geglaubt habe, man müsse einfach durch den Faschismus hindurch. Aber gehen Faschismus und Wegsehen von der Vernichtung hunderttausender Menschen logisch Hand in Hand?
   Ich fragte Franz Senghofer: "Der Antisemitismus war ein wichtiger Bestandteil der NS-Ideologie. Wie standen Sie dazu?"
   Senghofer: "Naja, was soll ich sagen. Da war eine bestimmte Zeit, wie es für Juden noch nicht so gefährlich war und wo man noch absolut bedenkenlos Kontakte mit ihnen haben konnte. Wie es dann kritisch geworden ist, sind die meisten von ihnen weggegangen. Natürlich hab ich viele jüdische Genossen gehabt"
   Frage: "War das nicht schrecklich, daß die alle weggehen mußten?"
   Senghofer: "Schauen Sie, es ist für die Juden sehr schmerzlich gewesen!" (Es ist für die Juden sehr schmerzlich gewesen!)
   Senghofer weiter: "Natürlich, wie man gehört hat, einen Danneberg haben sie erwischt und er ist im KZ zugrundegegangen und die Käthe Leichter ist zugrundegegangen..."
   Frage: "Hat man das gehört?"
   Senghofer: "Naja, es sind auch Leute wieder aus dem KZ entlassen worden, weil sie von einem Betrieb als Spezialist auf irgendeinem Gebiet angefordert worden sind. Man hat das dann schon erfahren. Die Leute, die sagen, sie haben nie etwas davon gehört, die haben, wenn das stimmt, keine Ahnung vom Wesen des Nationalsozialismus gehabt. Wir haben doch gewußt, was in Deutschland getrieben worden ist mit den Leuten, wie sie zu Tode geschunden worden sind, geprügelt. Das konnte man wissen. Aber was konnte man machen? Nichts. Warten, bis die Gelegenheit kommt. Überleben."

   Willi Zvacek sagt: "Die Olga zu verstecken, das wäre eine Eventualität gewesen. Aber die Minnie, meine zweite Frau, hätte das nicht erlaubt. Man hat ja aber auch nicht geahnt, was kommt. Man hat an Umsiedlung geglaubt. Ja, aussiedeln, Trottoir putzen, quälen, prügeln, das hat man alles gewußt. Gut, hat man sich gesagt, das ist eine Quälerei, das geht vorüber. Natürlich hat einen das empört. Die Wiener haben das so aufgenommen wie ein Gewitter Man hat gewußt, wer mit Juden verkehrt, kann ins KZ kommen, könnte irgendwie Unannehmlichkeiten haben. Und daher hat man sich vorsichtig zurückgezogen. Aber nicht alle. Ich habe meine Frau - die Olga - immer besucht."
   Von der Verschleppung Olgas und ihrer Familie erfährt er durch eine Bekannte, die gegenüber von Olga wohnte. "Die hat gesehen, wie sie einmal in der Früh mit Koffern weg sind."
   Willi und Olga hatten vereinbart, im Falle einer Trennung sich nach dem Krieg auf irgendeine Weise Nachricht zu geben. "Das hat sie insofern eingehalten, als dann, wie eine Sortierung war - sie sind nach Riga oder sonstwohin gebracht worden -, die zwei Mädeln, die Olga und die Hedy, sich auf die Seite der Eltern gestellt und einer Freundin aufgetragen haben, darüber in Wien Nachricht zu geben. Die Frau ist nach dem Krieg zurückgekommen und hat uns das erzählt und uns grüßen lassen. Das ist die letzte Nachricht, die ich hab.
   Im 45er Jahr hab ich eine Zeitungsnotiz gefunden, daß eine Gruppe Wiener Juden irgendwo in Lettland auf einem Gut in eine Scheune gesperrt wurde. Dann haben sie die in geschlossene Autos verladen, mit Bänken drin und die Autogase hineingeleitet während der Fahrt. Zurückgekommen sind nur die Kleider. Das wäre eine Möglichkeit, wie es gewesen sein kann."

Es gab einen linken Antisemitismus, ebenso wie ein jüdischer Antisemitismus in Diskussion ist. Diese Problematik soll hier aber nicht besprochen werden. Die Frage ist lediglich, warum und wie es Freunde und sogar Verwandte fertigbrachten mit geducktem Kopf der Verfolgung von Freunden und Verwandten zuzusehen - oder wegzusehen. Vorurteile, ins Positive verkehrt, gibt es auch bei Vallys Bekannten: "Die Juden sind besonders intelligent", "besonders sexuell auf Draht", "der schaute typisch jüdisch aus"... Bemerkungen, die Juden absondern, die es ermöglichen, ihr Schicksal wegzruschieben, sich umzudrehen. Arme Menschen - aber eben a n d e r e Menschen!
   "Ohne Hitler gäbe es keine Juden mehr", behauptet Willi Zvacek und hat sich nicht versprochen, sondern meint damit, zumindest die assimilierungswilligen Juden wären längst sowohl in ihrem wie auch im Bewußtsein der übrigen Österreicher in der Bevölkerung aufgegangen. Er schiebt die Schuld, daß Juden ohne Aufschrei, Revolte, wirksamen Widerstand der Mitbürger abgesondert und gequält werden konnten, damit Adolf Hitler zu. Man könnte es auch umgekehrt sehen: Man hat damals in Österreich, auch in nicht-antisemitischen Kreisen, die "Andersartigkeit" der Juden "entdeckt" und sie für den eigenen Schutz und die Beruhigung des eigenen Gewissens eingesetzt. Man hat sie als wohl arme, aber andere Menschen deklariert und war froh, daß das Gewitter über ihnen und nicht über einem selbst niederging. Hätte man die geballten Fäuste gezeigt, der Empörung in Solidaritätsakten Ausdruck gegeben, dann wäre Hitler seine Vernichtungsarbeit schwer geworden. Es gibt zumindest ein Beispiel dafür: Dänemark. Als die deutschen Besatzer planten, den Judenstern in Dänemark einzuführen, sagte man ihnen, als erster werde ihn sich der König anstecken. Hannah Arendt schreibt in ihrem Buch "Eichmann in Jerusalem": "Dieses einzige uns bekannte Beispiel von offenem Widerstand einer Bevölkerung scheint zu zeigen, daß die Nazis, die solchem Widerstand begegneten, nicht nur opportunistisch nachgaben, sondern gewissermaßen ihre Meinung änderten... Sie waren auf prinzipiellen Widerstand gestoßen, und ihre Härte schmolz wie Butter an der Sonne."

An die Schwägerin Herma schrieb Toni Kittel am 20. Juli 1941 ausführlicher als an Vally über die Ereignisse nach dem Überfall Rußlands: "Wir hatten das besondere Glück, gleich am ersten Tag eingesetzt zu werden, und zwar an einer sehr stark befestigten Linie. Unser Bataillon war eines der vordersten und bekam nachmittags schon heftiges Artilleriefeuer. Der Beschuß war so arg, daß die Luft total verpestet war und zu Nies- und Tränenreiz reichte, die logische Folge war, daß Gasalarm gegeben wurde und wir stundenlang mit der Gasmaske im Gefecht lagen. Die vordersten Kompanien hatten ohne schwere Waffen Bunker zu stürmen, und das Ergebnis von einigen Stunden waren zwölf Tote und zirka 40 Verletzte. Unser Bataillon wurde dann, da es die wenigsten Verluste hatte, einer anderen Einheit unterstellt und an einer anderen Stelle eingesetzt. Wir hatten von da an riesige Marschleistungen zu vollbringen und 60 km Tagesleistung war das normale. Ich kann ruhig behaupten, daß ich vom 22. bis 30. Juni nicht eine Stunde geschlafen habe."
   Wie er auch seiner Frau schilderte, bekam er fürchterliche Schmerzen in den Beinen. Die Ärzte konstatierten "Phlegmone". "Eine rasch fortschreitende diffuse Entzündung, die zu eitriger Einschmelzung der Haut und Gewebszerstörung führt und meist durch eine Stabilo- oder Streptokokkeninfektion ausgelöst wird", liest Valerie Kittel aus einem Ärztebuch vor. Damals machte sie sich wegen der Erkrankung ihres Mannes wenig Sorgen, sondern spürte "riesige Erleichterung", weil er von der russischen Front wegkam.
   Bis Ende des Jahres 1941 ist der Briefwechsel spärlich. Im Notizbuch hat Vally notiert, daß sie im September mit Toni für einige Tage in die Wachau gefahren ist. An den folgenden Wochenenden besuchte sie ihn häufig bei seiner Einheit in Mistelbach, wo er bis Dezember seinen Militärdienst leistete.
   Am 20. dieses Monats schrieb sie ins Notizbuch: "Toni um 12.55 Uhr mich im Büro angerufen! Am 21. nach Eisenstadt gefahren, abends zurück." Das war der Abschied - für lange Zeit.
   Aus einem Brief von Dr. Alfred Zankl an Toni mit Datum 16. November 1941 lässt sich die Situation ermessen, in die Anton Kittel hineinfuhr:
   "Diesmal hast Du bestimmt berechtigten Anlaß zu meutern, weil ich Deine Briefe so lange nicht beantwortete. Aber glaub mir, es kostet Überwindung, den 'Pfeif-drauf' Standpunkt, auf dem wir ausnahmslos alle schon angelangt sind, zu unterdrücken. Man zieht uns immer tiefer in dieses scheußliche Land hinein, ein wirkliches Ausspannen scheint es für uns überhaupt nicht mehr zu geben. Momentan haben wir zwar einige Ruhetage in einem kleinen, scheußlichen Kaff südlich von Orel - rechne Dir einmal aus, wieviele km wir in der Zwischenzeit schon wieder zurückgelegt haben - aber auch diese Ruhepause datiert nur bis 22. 11., dann geht's schon wieder weiter, diesmal hoffentlich wirklich an unser endgültiges Endziel, den Don! Dort wollen wir dann Winterquartier beziehen! Liebliche Aussichten, gelt! Dabei herrschen aber hier jetzt schon richtige Wintertemperaturen - zwischen - 10° und - 20° - an ein Aufsitzen während der Märsche ist also nicht mehr zu denken, man muß, ob man will oder nicht, der Kälte wegen unbedingt alles marschieren!"
   Anfang Oktober hatten die Deutschen die zirka 400 km südlich von Moskau liegende Stadt Orel erobert; die Russen gingen am 17. November zur Gegenoffensive über. Der deutsche Sturmangriff auf Moskau endete vor Weihnachten in der russischen Kälte. Der Rückzug setzte im Grunde genommen bereits damals ein. Die "Sieger von Frankreich" hatten sich zu "in Lumpen gehüllten Gespenstern" gewandelt, "die im Schneesturm durch weisse Ebenen wankten".


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