Wenn erst Friede ist  © 2005

BRIEFE FRANKREICH

Wien, 25. Juni 1940

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Kommentar

Gestem nacht habe ich geträumt, so, als ob Dir etwas geschehen wäre, Du kannst Dir vorstellen, wie ich aufgewacht bin, den ganzen Tag kam ich von dem Traum nicht los.
Was jetzt auf der Welt vorgeht, weiß ich überhaupt nicht, da ich wirklich keine Zeile lese und auch durch das Radio einmal im Tag im Büro nichts Wesentliches erfahre. Ich bin deswegen ganz ruhig, weil ich, wie gesagt, nichts weiß. Da ich absolut nicht weiß, wie jetzt die Kriegslage bezüglich England steht, so kann ich mir auch gar nichts vorstellen, was von dort noch zu erwarten ist. Es ist aber leicht möglich, daß die harte Nuß erst dort beginnt. Die Engländer sind schließlich auch ein germanisches Volk und haben die entsprechenden Eigenschaften, nämlich die besondere Brutalität und auch Gründlichkeit, also Eigenschaften, die wir doch kennen sollten! Überhaupt auf die Engländer bin ich nicht gut zu sprechen, aber leider finde ich jetzt immer häufigere Anzeichen von "englischen Gewohnheiten und Ansichten" bei unseren Volksgenossen. So wie die Engländer immer selbstgefällig und selbstzufrieden waren, so beginnen jetzt die Vettem am Kontinent selbstgefällig und selbstzufrieden zu werden. Die Engländer waren auch immer der Meinung, jedes Volk müsse "glücklich" sein, "endlich" unter englischen Schutz zu kommen. Es ist halt doch etwas daran an der Rassentheorie.
Aber wie gesagt, mir ist das alles momentan gänzlich wurscht. Gar nicht wurscht ist mir aber, daß nun doch glücklich wieder ein Urlaub für mich herannaht, den ich wieder nicht mit Dir verbringen kann, es ist jetzt der dritte in drei Jahren. Dann soll ich mich nicht ärgem, wenn andere ein besseres Los gezogen haben. Überhaupt haben sehr viele Menschen wirklichen Grund, glücklich und zufrieden zu sein, seit sie sich seit 2 Jahren plötzlich im glücklichen Besitz einer herrlichen Villa oder eines entzückenden Weekend-Hauses usw. befinden, oder als ganz junge noch nicht zwanzigjährige Ehepaare bereits im glücklichen Besitz eines Kindes sind, was ein anderer trotz zwanzigjähriger harter Arbeit noch immer sich nicht leisten kann.
Ich denke dabei immer an Dich und an die Zeit, wo ich Dich endlich wieder haben werde und dann soll mir auch alles andere egal bleiben und wir wollen, was wir ohnehin noch nie getan haben, fröhlich in den Tag hineinleben und den Herrgott einen guten Mann sein lassen. Um die "höheren Dinge" sollen sich die oberen Instanzen kümmem, uns sollen sie damit in Ruhe lassen!


Ruth Linhart | Zeitgeschichte | Inhalt | Anmerkungen