Wenn erst Friede ist  © 2005

BRIEFE MÜNSTERBERG

Münsterberg, 23. September 1940

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Kommentar

Gestern, Sonntag habe ich mich ein bißchen in unserem neuen Städtchen umgeschaut und mir die wenigen Sehenswürdigkeiten betrachtet.
Ich habe heute mit einem hiesigen Fotogeschäft vereinbart, daß ich unentgeltlich meinen Vergrößerungsapparat bei ihm aufstellen und in seinen Dunkelkammerräumen alle Einrichtungen benützen darf. Ich habe nämlich gestern mit Herrn Major gesprochen und ihn gefragt, was ich weiter machen soll. Er hat mich dann beauftragt, mir in Münsterberg einen geeigneten Arbeitsraum und wenn ich will ein besseres Schlafzimmer suchen zu dürfen. Ich könnte auch, so wie die anderen Kameraden der Schreibstube und unsere Offiziere im Hotel Rautenkranz wohnen, aber da bekomme ich kein Gratisfrühstück (außer das der Feldküche) serviert und die Kontrolle ist in jeder Beziehung eine größere.
So habe ich ein nettes Zimmer mit separatem Eingang bei einem älteren Ehepaar und kein Mensch kümmert sich um mich. Das Hotel Rautenkranz war früher ein Zisterzienser-Kloster und stammt aus dem Jahre 1665. Auch Friedrich der Große wohnte hier. Gestern nachmittag war ich auch in der schönen St. Georgsmünster-Kirche, von der auch die heutige Ortsbezeichnung herrühren soll. Sehr schön auch der Patschkauer Torturm, der aus dem 14. Jahrhundert stammt. Abends war ich im Gasthaus "Zum Deutschen Kaiser" bei einem Wunschkonzert. Es war ganz nett und doch eine kleine Abwechslung. So vergeht ein Tag um den anderen und ist nur unterbrochen von kleinen Dorfereignissen.
Gestern kamen 200 neue Leute aus Strebersdorf bei uns an, zur Ergänzung, da wir eine komplette Kompanie an das III. Bataillon abgeben müssen. Es sind lauter Wiener und Ostmärker, aber durchwegs Bauern und Hilfsarbeiter, fast gar keine Intelligenzler und niemand Bekannter. Jetzt sind wieder ganze Regimenter und Divisionen in Bewegung und niemand weiß wofür und warum.
Von vielen Leuten sind auch schon die Frauen da und Du kannst Dir vorstellen, wie die beneidet werden. Es wäre schon sehr fein, wenn Du nicht mehr in das blöde Büro gehen würdest und mit dem wenigeren Geld bei mir sein könntest, so wie es ja tatsächlich auch viele andere Frauen längst machen.


Ruth Linhart | Zeitgeschichte | Inhalt | Anmerkungen