Wenn erst Friede ist  © 2005

BRIEFE HINTERLAND

Wien, 22. September 1943

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Kommentar

Ich will auch den heutigen Tag nicht vorübergehen lassen, ohne Dir wenigstens einen kurzen Brief zu schreiben, damit Du genau weißt, daß ich immer an Dich denke und mir immer Sorgen um Dich mache. Ich kann mir ja gar nicht denken, wie es ist, wenn man mit gar niemandem sprechen kann und daß Du keine Musik und kein Radio hören kannst. Du schreibst mir, daß Du viel liest und Schach spielst. ich habe Dir heute ein Kuvert mit Zeitschriften geschickt als auch die kleine Lutherbibel in einem Päckchen.
Du schreibst mir auch, daß ich hoffentlich nicht eifersüchtig sein werde, da Du ja fast nicht ausgehst und mit niemandem sprichst. Aber das macht ja nichts, ich bin trotzdem eifersüchtig, und zwar auf alle Leute, die Dich sehen und in Deiner Nähe sein dürfen, die Dir Gefälligkeiten erweisen dürfen und Dir die Zeit vertreiben. Auf alle diese Menschen bin ich eifersüchtig. Denn ich muß hier sitzen und kann nicht zu Dir kommen oder nur sehr schwer, obwohl Du mich brauchen könntest und ich schon so große Sehnsucht nach Dir habe. Da ist es doch klar, daß ich mich kränken muß, jetzt, wo wir uns schon wieder 9 Monate nicht gesehen haben.


Ruth Linhart | Zeitgeschichte | Inhalt | Anmerkungen