Wenn erst Friede ist  © 2005

BRIEFE RUSSLAND II

Im Graben, 22. August 1943

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Kommentar

Heute muß ich Dir unbedingt schreiben, und ich will es Dir gar nicht länger mehr verheimlichen, daß ich seit drei Tagen im Graben, also in vorderster Linie, als Schwadronstruppführer meinen Dienst für Großdeutschland versehe. Ich habe ja schon eine leise Vorahnung gehabt, und nun ist es eben Wirklichkeit geworden. Die Verluste waren groß, und so mußte eben auf Leute der Trosse gegriffen werden, um die Lücken einigermaßen auszubessern. Ich und noch 14 meiner Kameraden wurden also vom Troß, denn unsere kämpfende Truppe wurde zur Gänze aufgerieben, zu einer anderen Feldeinheit, wie es heißt, vorübergehend, abkommandiert. Spatzilein, wie hier deutsche Soldaten leben nüssen, das kann sich in der Heimat bestimmt niemand vorstellen. Dabei haben wir momentan das große Glück, daß sich der Russe, er liegt uns nur wenige 100 m gegenüber, außer dem täglichen üblichen M.G. und Artilleriestörungsfeuer, ruhig verhält. Aber wie lange wird das so bleiben?
Ich hocke in einem von mir selbst geschaufelten Loch und schreibe Dir diesen Brief. Die einzelnen Schützenlöcher sind mittels Laufgräben verbunden, und der Russe kann jede Bewegung von uns wahrnehmen. Untertags sind wir also Gefangene unserer eigenen Löcher und Gräben und dürfen den Kopf nicht hinausstrecken. Der Batl. Gefechtsstand befindet sich im nächsten Dorf in einem Bunker und ist zirka 2 km von uns entfernt. Verpflegung und Munition erhalten wir nur nachts, und das ist die einzige Möglichkeit, für einige Zeit unser Grab zu verlassen. Untertags sind wir also für niemanden zu sprechen, und Du kannst Dir jetzt ungefähr vorstellen, was für ein Hundeleben wir hier führen. Zu trinken haben wir Kaffee in der Feldflasche, eventuell Schnaps. Das Essen abends ist gut und reichlich, meistens Fleisch, Kartoffeln und Gemüse, gleichzeitig empfangen wir auch für den nächsten Tag das Mittagessen. Es ist kalt und besteht aus Brot, Fleisch oder Fischkons., Fett oder Honig, Drops, Alkohol und Zigaretten. Wasser gibt es keines, unsere Stellung verläuft im freien Feld. Wäsche haben wir nur, was jeder am Körper hat, alles andere befindet sich beim Troß und der ist nicht weniger als zirka 150 km von uns entfernt, hinter Rosslawl. Waschen, Rasieren und Wäschewechseln gibt es also nicht. Als wir hier rauskamen, es war gerade eine Regenzeit, standen die meisten Gräben unter Wasser, und wir waren in kurzer Zeit zu unkenntlichen Dreckklumpen verwandelt. Seit gestern herrscht wieder Schönwetter, und wir sind wieder trocken, wenn aber jetzt jemand an uns ankommt, geht eine Staubwolke auf. Der Boden besteht nämlich zur Hälfte aus Sand, zur anderen Hälfte aus Lehm. Vor unseren Stellungen wär schon ein schöner Fluß, aber er ist im Besitz der Russen. So, jetzt habe ich Dir genug von mir erzählt, vielleicht schon zu viel. Ich habe nur eine Bitte an Dich, verliere nicht den Mut, glaube an mich und behalte mich weiterhin lieb. Bete zu Gott, er soll mich weiterhin beschützen. Wenn Du jetzt noch einmal in der Woche einen recht lieben Brief schreibst, so ist dies alles, was ich in meiner jetzigen Lage von meiner über alles geliebten Gattin und Kameradin verlange.


Ruth Linhart | Zeitgeschichte | Inhalt | Anmerkungen