Wenn erst Friede ist  © 2005

BRIEFE ZNAIM

Wien, 19. Februar 1940

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Kommentar

Sonntag früh stand ich um 8 Uhr auf und machte Ordnung im Schreibtisch und unter meinen Sachen. Ich sah die aufgestapelten Zeitungen durch, las so manchen interessanten Artikel und alle volkswirtschaftlichen Artikel vor allem und ich spürte so große Lust und Interesse, daß ich mir am liebsten eine volkswirtschaftliche Zeitschrift halten möchte. Weißt Du vielleicht, was es auf diesem Gebiet gibt?
Ich malte mir aus, wenn der Krieg und die erste Nachkriegszeit vorüber sein würden, wie alles wieder einen Aufschwung nehmen wird und normal werden, auch die Beziehungen zwischen den einzelnen Ländern, die Wirtschaft wird endlich wieder auf Hochtouren laufen, man wird wieder reisen können, mein Spatzili wird jede Frühjahrs- und Herbstmesse einmal da und einmal dort besuchen, vielleicht wirst Du doch mit einem eigenen Wagen auf die Tour gehen konnen, ich werde nicht mehr ins Büro gehen müssen und werde lernen können, alles was mich nur freut: Sprachen, Volkswirtschaft, Kunstgeschichte, Musikgeschichte, ach wird das ein herrliches Leben sein. Mein Spatzili wird viel Geld verdienen und wir werden ein arbeitsreiches und inhaltsreiches Lehen haben. Wie sehr freue ich mich darauf. Ich denke, es wird vielleicht unter Umständen gut sein, daß Du eingerückt warst, man wird doch diese Leute irgendwie bevorzugen müssen.
Gestern mittags ging ich dann zu Deiner Mutter essen. Zu Hause stürzte ich mich auf meine Aufgabe und lernte wirklich fleißig und eifrig wie schon lange nicht, dann kam das Schönste an diesem herrlichen Sonntag: Dein Anruf! Ich habe nachher gesungen und gezwitschert wie ein Vogel.
Mittwoch gehe ich gleich nach dem Büro zu Hilde, ich habe es versprochen. Donnerstag nach dem Kurs habe ich hoffentlich nicht mehr viel zu besorgen, sodaß ich ein wenig vorschlafen kann. Dann kommt der Freitag. Herr Eder will möglichst schon vor 7 Uhr kommen und ich werde nicht wissen, wie ich alles vorbereiten soIl, etwas zum Essen wenigstens für Hans, dann die Sachen für meine Reise zu Dir, denn Samstag muß ich früher vom Büro weg und gleich zur Bahn.


Ruth Linhart | Zeitgeschichte | Inhalt | Anmerkungen