Wenn erst Friede ist  © 2005

BRIEFE RUSSLAND II

Wien, 16. Juni 1943

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Kommentar

Das Wetter ist seit Montag abend wieder außerordentlich schlecht. Manchmal habe ich sehr viel Ärger, und zwar immer dann, wenn ich mit den Mitmenschen in Berührung komme, und zwar meistens beim Einkaufen. Da meine Mutter nicht da ist, muß ich selber für mich sorgen und da sehe ich erst, wieviel an Ärger und Widrigkeiten mir erspart bleiben dadurch, daß die Mutter für mich sorgt. Seit Montag voriger Woche renne ich täglich zur Kräutlerin, da jeder Kirschen bekommen soll oder sonst irgendein Gemüse, aber täglich ver-gebens. Ausgerechnet am Samstag, da ich schon in der Früh wegfuhr, waren die Kirschen da, und ich bekam nichts und diese Woche ist wieder nichts. Aufgehoben wird nichts, und meistens wird auch vormittag verkauft, und wenn ich dann am Abend komme, kriege ich nichts. In der Zeitung steht, man bekommt Erbsen und anderes Gemüse, aber täglich, wenn ich hinkomme, gibt es nur Kochsalat, grünen Salat und schwarze verfaulte ausgewachsene Erdäpfel. Und die Leute kaufen stillschweigend und sagen kein Wort.


Ruth Linhart | Zeitgeschichte | Inhalt | Anmerkungen