Wenn erst Friede ist  © 2005

BRIEFE POLEN

Wien, 16. April 1941

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Kommentar

Ich habe alle Deine Mitteilungen über Deine Reise und Deine Erlebnisse mit großem Interesse gelesen und bin sehr traurig mit Dir darüber, daß Du bezüglich Unterkunft und Sauberkeit so gar nicht zufrieden bist. Trotzdem mußt Du Dich bemühen, das vom höheren Gesichtspunkt des s o z i a l e n Problems zu sehen und nicht, wie man so sagt, das Kind mit dem Bade ausschütten. Die Reinlichkeit ist ein Zivilisationsfaktor und ist mehr eine Eigenschaft der äußeren Schale und hat keine übermäßige Bedeutung für den inneren Kern eines Problems.
Gewiß wird das, besonders von einem Menschen, der in dieser Beziehung überaus empfindlich ist. als sehr unangenehm empfunden, aber das darf und soll Dich nicht abhalten, Deine Studien über Land und Leute, von unserem Gesichtspunkt, Du weißt schon, zu machen. Besonders Du wirst Dich nicht auf den Standpunkt stellen wollen, aus einer anderen, höheren Welt zu diesen Menschen zu kommen, sondern als Gleicher zu Gleichen, so absurd das auch klingen mag. Unsere Erziehung wollen wir doch nie vergessen!
Am Ostermontag vormittag habe ich ein sehr hübsches Buch angefangen und zu Ende gelesen, nach dem Essen bin ich zu Robert auf den Flötzersteig gegangen, dort saßen wir ein bißchen im Garten und als Herbert dann aufwachte, gingen wir (Robert, Hilde, Herbert und ich) rund um den Steinhof spazieren.
Robert wird demnächst doch seine Stellung wechseln und zwar kommt er wieder zu Ido, nur über die Höhe des Gehalts ist er sich noch nicht ganz einig mit der Firma.


Ruth Linhart | Zeitgeschichte | Inhalt | Anmerkungen