Wenn erst Friede ist  © 2005

BRIEFE ZNAIM

Znaim, 16. Februar 1940

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Kommentar

Ich habe schon sehr sehnsüchtig auf Deinen Brief gewartet, welchen ich auch Donnerstag abend bei der sog. "Parole" erhalten habe. Spatzilein, es betrübt mich sehr, wenn ich lesen muß, daß Du so traurig bist. Wenn ich schon so verzweifelt bin, da ich keinerlei Hoffnung mehr sehe, daß wir überhaupt noch ein ruhiges und zurückgezogenes Leben führen können, da ich doch täglich mit Dingen zu tun habe, welche mich nie interessiert haben und die mich zum Wahnsinn treiben, so kannst doch wenigstens Du noch Tätigkeiten betreiben, welche Dir Spaß machen und zu denen Du Lust hast. Vielleicht tut Dir das viele Alleinsein nicht gut und schau Dich doch um nette Menschen um, welche Dich auf andere Gedanken bringen.
Hier ist es furchtbar kalt und wir leiden sehr darunter. In der Stube ist es wohl warm, aber wir sind doch den ganzen Tag draußen. Diese Woche hatten wir einen 15 km Marsch mit Fliegerangriffen und Panzerwagenüberfällen und als Draufgabe 20 Minuten mit umgehängter Gasmaske zu marschieren. Es war eine wirkliche Qual. Nicht einmal die Länge des Marsches als die außergewöhnlichen Umstände. Es war wie gesagt sehr kalt und die Straßen durch den vielen Schnee für jeden Verkehr unpassierbar. Wir mußten aber durch und sanken stellenweise bis über die Stiefel ein. Außerdem kam alle Augenblicke das Kommando "Fliegerdeckung" oder "Panzerdeckung" und wir mußten von der Straße in den tiefen Schnee verschwinden. An Anstrengung gerechnet war es wohl ein 30 km Marsch mit allen diesen Mätzchen.
Bei den vorletzten Übungen war es so kalt, daß sich einige Leute die Ohren und 1 Mann die Hand erfror. Die letzte Übung wurde wegen der Kälte nach zwei Stunden abgebrochen. Ich bin wohl sehr warm angezogen, aber allzuviel geht auch nicht, da Du Dich sonst überhaupt nicht bewegen kannst und auf das wird großer Wert gelegt. Ich bin schon die ganze Woche sehr verkühlt und habe starken Husten.
Dabei geht es fast jedem so in der Stube und Du kannst Dir vorstellen, was das für eine Bellerei abends und in der Nacht ist und was wir schlafen. Diese Woche haben sich natürlich viele krank gemeldet und das Ergebnis war, daß diejenigen, welche Husten und Schnupfen hatten, unter Aufsicht unseres Kompaniechefs strafexerzieren mußten. Daß die Leute dabei nicht gesund wurden, ist begreif1ich.
Gestern, Samstag nachmittag, hatten wir um 1/2 15 Uhr dienstfrei und ich machte mir einige Besorgungen in der Stadt. Dabei hatte ich große Sehnsucht nach Dir, denn von vielen Kollegen kamen die Frauen und waren überglücklich und ich ging allein und hatte niemand. Ausgang war allerdings nur bis 24 Uhr und nur gegen Bewilligung. Ich werde gleich für nächsten Sonntag ein Zimmer bestellen, denn es war diesmal so, daß viele Angehörige im Gastzimmer übernachten mußten, da keine Zimmer mehr zu haben waren. Spatzilein, ich freue mich schon sehr auf den nächsten Sonntag, das heißt auf Samstag, um Dich endlich wieder zu sehen und endlich wieder einmal ganz zu besitzen.


Ruth Linhart | Zeitgeschichte | Inhalt | Anmerkungen