Wenn erst Friede ist  © 2005

BRIEFE MÜNSTERBERG

Wien, 13. Dezember 1940

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Kommentar

Ich las in einem ganz interessanten und fesselnden Buch von Josef Popper: "Das Recht zu leben und die Pflicht zu sterben", das über philosophische und reformerische Themen handelt. Ich liebe solche Themen ganz besonders und sie regen mich dann immer zu eigenem Nachdenken an und mein eigenes Nachdenken bewirkt immer, daß ich über alle Dinge ruhiger und leidenschaftsloser - eben mit "philosophischer Ruhe" urteilen kann. So ein Nachmittag zu Hause verbracht ist doch etwas sehr sehr Schönes. Besonders der Blick aus unseren Fenstern über die tief verschneiten Dächer bis zum Tiergarten hinaus gehört zu den stimmungsvollsten Augenblicken, die ich mir denken kann. Die verschneite Landschaft bringt es mit sich, daß man unwillkürlich ganz weihnachtliche Gefühle verspürt. Ich denke oft zurück an die Zeit, als ich so 15 und 16 Jahre alt war und am Weihnachtsabend immer ein weißes Kleid angezogen hatte und mich auch sonst festlich geschmückt habe, da ich an diesem Abend immer etwas Besonderes erwartete. Dann flogen meine Gedanken in die Zukunft und ich träumte wohl von vielen schönen und seligen Weihnachtsabenden, wo ich noch viel glücklicher sein wollte als Hausfrau im eigenen Heim und der eigenen Familie. Eigentümlich kommt es mir vor, wie mädchenhaft ich im Herzen geblieben bin, weil ich noch immer von der Zukunft alles Glück erwarte.


Ruth Linhart | Zeitgeschichte | Inhalt | Anmerkungen