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Meine liebe, liebste Vally, vor
ungefähr zehn Tagen habe ich durch Karli Peutl die schreckliche Nachricht
erhalten über Toni. Zuerst habe ich um ihn geweint, daß er so jung
hat gehen müssen von dieser Welt, die trotz allem Schweren doch eine
einmalige ist. Ich habe mich an tausend liebe Dinge im Zusammenhang mit ihm
erinnert; ich weiß genau, wie Du mir das erste Mal über Euch
erzählt hattest, ich habe mich an alle Probleme und Komplikationen
erinnert und daran, daß er trotz seiner Jugend und seines
unbekümmerten Temperamentes es verstanden hat, gut zu Dir zu sein, wenn Du
in Not warst. Ich denke daran, daß er Dir Märchen erzählt hat,
wenn Du durch irgendein Erlebnis aufgewühlt und erschüttert warst und
nicht hast schlafen können. Ich denke daran, wie wir um ihn gezittert
haben, als er vom Standgericht aus verhaftet wurde; und ich denke daran, wie
unser Mäderl für ihn geschwärmt hat. Ich weiß, daß
er sich immer hochanständig und so benommen hat, wie Du es von ihm
erwartet hast, und es tut mir bitter weh, daß er nicht hat all die Dinge
tun dürfen, die noch vor ihm gelegen sind. An ihn werden ich und Otto und
Edith stets mit Wärme und Freundschaft denken, er wird für uns immer
das Beispiel eines Wiener Genossen bleiben, der bei all seiner wienerischen
Feschheit und Lebenslust ein grundanständiger, guter, lieber, feiner
Mensch gewesen ist.
Toni weiß von nichts, er leidet nichts, ihm
tut nichts weh, und er mißt nichts. Aber Du, liebste, gute Vally,
für Dich bricht mein Herz im wahrsten Sinne des Wortes. Hast Du doch
ohnehin ein schweres Leben, bist Du doch ohnehin ein Mensch, dem alles so
nahegeht und so tief, und war doch Toni für Dich immer eine Mischung von
Mann und Kind. Ich kann Dir gar nichts sagen als Trost. Ich kann Dir auch nicht
sagen, weine nicht um Toni, denn um wen sollen denn Tränen fließen,
wehn nicht um einen geliebten Menschen? Versuche nicht, den Schmerz gewaltsam
zu überwinden, Vally, das ist gar nicht gut. Den tiefsten Kummer wirklich
spüren, auch das ist ein Teil unseres Lebens. Laß Dir auch nicht
sagen, daß die Zeit alle Wunden heilt, denn in dieser Form ist es nicht
richtig. Nur, das Leben ist stärker als der Tod, und wenn wir leben, dann
wollen wir nicht als Krüppel leben, und so verleiben wir den Kummer in
unsere Persönlichkeit ein, er wird ein Teil unseres Wesens, und dadurch
ist der verlorene Mensch doch wieder bei und in uns. Ich meine, daß man
nach einer Weile (und das alles kommt bei einem so klaren Menschen, wie Du es
bist, sicher ganz natürlich und mit der Entwicklung des Lebens) den Kummer
umwandelt: erst ist er wie ein wildes reißendes Tier, das einen
brüllen macht vor Schmerz und das den Verstand fast verwirrt; dann wird er
ein dumpfes Staunen und Wunder: gibt es das wirklich, bin das ich, die so
leidet? Dann kommt eine Reaktion: man fühlt eine Weile gar nichts, alles
ist gestorben. Dann nimmt man den Kummer an sein Herz und sieht, daß man
nicht weniger Herz hat, sondern mehr. Man wird feinhöriger und
feinfühliger, man fürchtet sich nicht zu leiden, man erkennt,
daß leben heißt, nicht nur glücklich sein, nicht nur arbeiten,
nicht nur schaffen, sondern a u c h l e i d e
n. Es ist nicht leicht, es dauert lange, manchmal jahrelang, aber Du
wirst nicht zusammenbrechen, Vally, Du nicht. Meine "schwarze" Rose, meine
Bedienerin, sagt auch, daß Gott nur die Starken prüft, denn bei den
Schwachen weiß er ohnehin, daß sie die Prüfungen nicht
ertragen ... Liebste Vally, ich weiß, lieber wärest Du schwach
und unbedeutend und kummerlos und glücklich. Aber wir können es uns
nicht aussuchen. Dabei denke daran, daß Toni nicht hat elend in
diesem Kriege unter furchtbaren Schmerzen sterben müssen, sondern
daß sein Tod der eines Götterlieblings war: rasch und schmerzlos.
Liebste Vally, wenn Du das Bedürfnis hast, mit mir zu sprechen, dann
schreibe bald wieder. Wenn es Dir leichter ist, nicht zu schreiben, dann
mußt Du es nicht tun. Wie ich während der langen Kriegsjahre, wo wir
doch nichts voneinander hörten, dessen gewiß war, daß Du
geblieben bist wie Du warst, so verstehe ich Dich auch jetzt und habe tiefstes
Vertrauen in Dich. Wenn ich Dir durch meine Liebe und Freundschaft ein wenig
helfen kann, dann hat mein eigenes Leid mehr Sinn bekommen. Ich umarme Dich
in alter Freundschaft und Treue
Deine Rosa |