Wenn erst Friede ist  © 2005

BRIEFE ZNAIM

Dienstag, 13. Februar 1940

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Kommentar

Icb bin gleich nach dem Büro nach Hause gefahren und machte erst einmal im Ofen Feuer, das seit Sonntag ausgegangen war und das ich auch gestern nicht angemacht habe. Als ich nach Hause kam (heute ), hatte es 4° im Zimmer. Nachdem ich das Feuer angemacbt hatte, bin ich nach Hause essen gegangen und bin erst jetzt wieder da. Es ist noch immer kalt hier und ich sitze ganz beim Ofen und schreibe. Es fällt mir sehr schwer, ohne Dich allein in der Wohnung zu sein. Es ist so unsagbar traurig. Überhaupt seit ich Sonntag bei Dir war, bin ich so deprimiert über alles Gesehene und Gehörte, daß icb es gar nicht schildern kann.
Seit vergangener Nacht weht ein eisiger Wind, der den Schnee aufwirbelt und ein Aufenthalt auf der Straße ist beinahe ausgeschlossen. Habt Ihr auch heute auf dem Kuhberg geübt? Hast Du wenigstens Deine schwarze gestrickte Mütze aufgehabt? Lieber Spatz, laß es Dich nicht verdrießen, wenn es auch manchmal noch so arg kommt. Mein ganzes Sinnen und Trachten geht danach, Dich wieder zu Hause zu haben und mich nicht wieder von Dir trennen zu müssen. Kannst Du Dir vorstellen, daß mich jetzt noch irgend etwas hier freuen oder interessieren könnte? Die Arbeit ist das einzige, was mich noch ablenken kann. Es tut mir jetzt so leid um jeden Abend, den wir nicht miteinander verbracht haben, denn heute sehe ich, daß ich noch viel viel mehr Dir hätte meine Liebe zeigen und beweisen müssen, damit Du einen genügend großen Vorrat an Liebe hättest jetzt für die Zeit, wo Du allein bist und unter so unangenehmen Begleitumständen. Ich habe mir geschworen, wenn Du wieder zu Hause bist und bleibst, daß ich mein ganzes Leben lang jede Stunde und Minute nur mehr für Dich da sein werde. Jetzt, wo ich Dich in naher Gefahr glaube, weiß ich erst, wie gleichgültig im Grunde mir alles andere ist, wenn Du nur bei mir wärest. So viele Prüfungen und so viele Jahre im Guten und Bösen sind schon über uns hingegangen, sodaß wir schon mit Recht sagen können, jetzt wollen wir in Ruhe und Frieden leben bis an unser Ende und außer unserer Arbeit auch ein wenig von den Schönheiten dieser Erde genießen. Wie lange haben wir schon zusammen keine Reise mehr gemacht, keinen größeren Ausflug und doch zählen diese Erinnerungen zu dem Schönsten, was wir haben.
Soeben hat Otto angerufen und sich nach Dir genauestens erkundigt. Helli hat ihr Zeugnis bekommen u.z. hat sie drei 3 in Rechnen, Deutsch und Handarbeiten. Auch Fritzi hat sein Zeugnis bekommen, der hat zwei 3 in Zeichnen und in Schreiben! In Rechnen eine 1 und sonst lauter 2. Die Klassifikationen sind jetzt ein bißchen anders, da es doch bis zu sechs Noten gibt


Ruth Linhart | Zeitgeschichte | Inhalt | Anmerkungen