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Hast Du mich auch noch am Montag
im Büro angerufen? Ich war nämlich am Montag (also
gestern) n i c h t im Büro, weil
ich sofort um 8 Uhr, als ich ins Büro gekommen bin, wieder weggegangen
bin. Ja, mein liebes Spatzili, das war gestern ein furchtbarer Tag für
mich und für uns alle. Ich muß Dir viele traurige Mitteilungen
machen. Zunächst einmal wurde Herma Sonntag abend durch die Partei
verständigt, daß Hansl am Samstag, dem 9. September, im Lazarett in
Karlsruhe gestorben ist. Wahrscheinlich hat er die Überführung doch
nicht ausgehalten. Ich bin daher sofort mit Sack und Pack gestern früh vom
Büro nach Lainz gefahren, weil sie mich darum gebeten hat. Wir haben
einige Wege gemacht, um die Überführung der Leiche zu erreichen, es
wird wahrscheinlich aber nicht gehen, weil seit 8 Tagen solche
Überführungen gänzlich eingestellt sind. Wir warten also weiter
auf nähere Mitteilungen aus Karlsruhe. Und nun die Wirkungen des
furchtbaren Terrorangriffes vom Sonntag auf Wien. Das kannst Du Dir
überhaupt nicht vorstellen, und ich hätte das nie im Traum für
möglich gehalten. Es ist unvorstellbar, was alles vernichtet und
zerstört ist. Und zwar sind mit Ausnahme von 4 oder 5 Bezirken alle
Bezirke betroffen. Nur im 6., 7., 13., 14. und 15. Bezirk ist nichts gewesen.
Ich habe mich sofort interessiert für unsere Bekannten, die in den
betroffenen Bezirken wohnen. Zuerst war ich im 3. Bezirk, Dietrichgasse, bei
meiner Tante Pischa. Vollkommen bombenbeschädigt! Nichts wie Schutt und
Trümmer in der Wohnung, im ganzen Haus, zwei Seitenwände des Hauses
vollkommen eingestürzt. Ringsherum furchtbare Verwüstung. Die zwei
Frauen waren dort und kramten nur in Schutt und Trümmern herum. Ich habe
ihnen versprochen, daß mein Vater am nächsten Tag hinkommen wird.
Sie schlafen inzwischen irgendwo bei Bekannten. Von dort fuhr ich direkt
bis zur Alser Straße, um nach Otto und Familie zu sehen. Was ich aber
dort gesehen habe, übersteigt alle Vorstellungskraft. Die ganze Alser
Straße von der Spitalgasse bis zum Gürtel und darüber hinaus
ein einziger Schutt- und Trümmerhaufen. Von der Universität aus
mußte ich zu Fuß gehen, da die meisten Straßenbahnlinien in
Wien eingestellt sind, auch die Gürtellinie der Stadtbahn. Von weitem
schon sah ich, daß auch das Wohnhaus vom Otto eingestürzt ist. Bis
zum Haus selbst konnte ich aber nicht kommen, da speziell dieses Haus besonders
abgesperrt ist wegen Einsturzgefahr, außerdem brannte es aus dem Innern
noch gestern abend. Ich ließ aber nicht locker und wollte unbedingt
erfahren, was mit Otto ist, denn im Geschäft rührte sich gestern den
ganzen Tag niemand, sooft ich auch anrief. Man schickte mich von einer
Polizeistelle zur anderen, niemand wußte etwas, niemand konnte Auskunft
geben, ich habe es dann doch durchgesetzt, mich dem Haus zu nähern, und
nach langem Hin- und Herfragen erfuhr ich von der Hausbesorgerin des Hauses,
daß Helli und Franzi gerettet, Otto aber bisher
n i c h t gefunden wurde! Ich erfuhr auch,
daß Franzi und Helli sich bei Alma in der Burggasse aufhalten, ging hin,
erfuhr auf komplizierte Weise die Hausnummer, traf aber zufällig Helli und
Alma plötzlich auch auf der Polizeistelle und ging dann zu Franzi hinauf,
die leicht verletzt ist. Franzi erzählte mir, daß Helli und Hilda
(das Dienstmädchen) gleich hinuntergingen in den Keller, Otto und Franzi
ließen sich Zeit, waren aber auch bereits auf dem Weg, Franzi bereits auf
der Stiege, Otto noch am Gang zu der Wohnungstür, plötzlich schlug
eine Luftmine ein, das ganze Stiegenhaus stürzte zusammen, Franzi
saß stundenlang auf schwindelnder Höhe auf einem Mauervorsprung, bis
sie geborgen werden konnte, von Otto fehlt jede Spur. Franzi redet sich
noch immer ein, daß er auch geborgen wurde und bewußtlos in einem
Spital liege, wir alle anderen haben leider keine Hoffnung, aber wir lassen ihr
ihre Hoffnung. Von ihren Sachen ist alles vernichtet, nicht einmal
eine S p u r wird davon gefunden werden.
Wer weiß, ob man Otto jemals noch finden wird. Und wenn Du die Innere
Stadt sehen würdest! Unzählige Häuser und alte Bauten sind
vernichtet. Es ist grauenhaft. Die Zahl der Toten muß unendlich
groß sein, es wird überall noch nach Verschütteten gegraben,
ununterbrochen hört man von allen Seiten Nachrichten über Tote und
Ausgebombte. Angeblich ist der Alarm auch viel zu knapp gegeben worden. Die
meisten Bezirke haben kein Gas und kein Wasser. Nun, davon wird noch viel zu
erzählen sein, wenn nicht inzwischen vielleicht schon wieder ein neuer
Angriff stattgefunden hat.
Liebes Spatzilein, ich war trotzdem froh
über die schönen Stunden, wo ich mit Dir beisammen sein konnte,
leider war aber der Unterschied dann zu krass zu all dem Furchtbaren, was ich
dann erfuhr. |