Wenn erst Friede ist  © 2005

BRIEFE HINTERLAND

Wien, 12. September 1943

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Kommentar

Heute sind es 8 Tage, seit ich Deinen Brief vom 31. August aus Minsk bekommen habe, der mich gleichzeitig erschreckt und erfreut hat. Erschreckt, weil ich hören mußte, in welcher Gefahr Du gewesen bist, und erfreut, weil ich hörte, daß Dir nichts sehr Arges geschehen ist und Du Dich jedenfalls außerhalb der Gefahrenzone befindest. Wenn es nur möglich wäre, daß Du ins Reich herein kämest, vielleicht gar nach Wien oder Niederdonau, dann wäre mein Glück vollständig. Ich mache mir aber doch einigermaßen Sorgen, wie es mit Deinen Ohren steht, und will mit Dir zusammen hoffen, daß sich das wieder bessert, wenn es auch nicht so bald ist. Aber ist Dir auch sonst wirklich nichts geschehen, und verschweigst Du mir nichts?
Gestern abend war ich bei Otto, und er sagte mir, daß er jetzt wieder zur ärztlichen Untersuchung bei der Wehrmacht vorgeladen war. Du wirst ja wahrscheinlich schon wissen, daß jetzt die Jahrgänge von 1884 bis 1893 zur Musterung aufgerufen worden sind.
Eine Nachricht wollte ich Dir noch mitteilen, Herr Binder von unter uns, der im April nach Rußland abgegangen ist, ist am 17. Juli gefallen. Es ist ganz entsetzlich, und stell Dir nur das vor für die alte Frau Binder als Mutter und für die junge als Frau, jetzt wo sie das kleine Mäderl hat. Das kleine Kind ist jetzt 7 Monate alt. Es war ganz schrecklich, wie die Nachricht auf die beiden Frauen gewirkt hat.
Soll ich Dir vielleicht Geld schicken? Oder Mehlspeise? Oder irgendwas an Wäsche? Ich bin ja so froh, daß Du gut untergebracht bist und Dich wohlfühlst. Soll ich Dir eventuell was zum Lesen schicken?


Ruth Linhart | Zeitgeschichte | Inhalt | Anmerkungen