Wenn erst Friede ist  © 2005

BRIEFE FRANKREICH

Im Felde, 12. Mai 1940

Bild klickbar



Kommentar

"Pfingsten, das herrliche Fest ist gekommen." Welche Ironie. Welch Erwachen heute nachts. Es ist wohl heute Pfingstsonntag, aber im Krieg gibt es keinen Sonntag und Feiertag und es geht unbarmherzig weiter. Bei uns wird es jetzt auch sehr lebendig. Heute mußten wir nachts aufstehen und unser Geschäftszimmer für einige Zeit räumen, hinüber in den Bunker. Es war ein ganz unheimlicher Lärm, man glaubte schier, die Welt geht unter. Ich glaube, es wäre nicht das Ärgste.
Spatzilein, bevor ich Deine Briefe beantworte, muß ich mich sehr entschuldigen, daß ich so lange nicht geschrieben habe, aber wir hatten die letzten 5 Tage bis spät abends zu tun. Es kamen immer Sonderbefehle und Sonderzeichnungen, die gleich fertig gemacht werden mußten und nachher war ich immer so müde, daß ich mich nur mehr im Gedanken mit Dir beschäftigen konnte. Urlaub ist momentan bis auf weiteres gesperrt. Hoffentlich bringt mir Zankl alles Gewünschte mit.
Es ist jetzt Mittag. Der Kanonenlärm hat nachgelassen und man kann in Ruhe wieder vor unserem Haus sitzen. Es ist ein herrlicher Tag mit blauem Himmel und heißer Sonne. Die Wiesen und Bäume sind grün und es geht kein Lüftchen. Wie schön wäre doch die Welt. Doch leider. "Wahn, Wahn, nichts als Wahn," kann man hier nur sagen.
Spatzilein, wie kannst Du nur fragen, ob ich Dich lieb habe? Wenn ich nicht wüßte, daß Du mich so lieb hast und daß Du auf mich wartest bis ich zurückkomme, wozu sollte ich noch leben. Du bist das Einzige auf der Welt, das mich zwingt zu leben. Ich will noch nicht sterben. Ich will noch viele schöne Stunden mit Dir allein verbringen.
Du schreibst, daß Du viel allein bist und keinen Kontakt mehr mit Menschen finden kannst. Freut Dich das viele Alleinsein? Bitte gib acht, daß Du nicht mit allen Leuten Kontakt verlierst und vielleicht gar ein großer Sonderling wirst. Über Deinen Vorsatz, mir jeden Tag einen Brief zu schreiben, habe ich mich sehr gefreut.
Wo turnst Du denn und kann Dir niemand zuschauen, das will ich nicht haben. Das darf nur ich. Wie kommst Du mit dem Geld aus, hast Du genug? Spare nicht zuviel.


Ruth Linhart | Zeitgeschichte | Inhalt | Anmerkungen