Wenn erst Friede ist  © 2005

BRIEFE RUSSLAND II

Wien, 12. April 1943

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Kommentar

Ich bin soeben nach Hause gekommen, nachdem wir unsere liebe Minnie begraben haben. Ich traf dort auch sehr viele der anderen Bekannten, u. a. Gretl Werner, Alfred Migsch, Leo Mistinger, Otto und Franzi, Robert Uhlir. Es waren sehr viele Leute zusammengekommen, und Minnie bekam unendlich viele Blumen und Kränze. Wir gingen dann alle weg, und ich wurde eingeladen, mit ein paar Freunden noch in ein Kaffeehaus zu gehen. Alfred Migsch, den ich seit vielen Jahren wieder zum erstenmal gesehen habe, hielt uns im Kaffeehaus ein regelrechtes Referat über aktuelle Fragen, (er hat inzwischen den Doktor gemacht und hat eine ihn scheinbar sehr befriedigende Arbeit als Angestellter der Gemeinde Wien). Ich habe mich die ganze Zeit nicht in die Gespräche eingemischt, sondern den ruhigen Zuhörer gespielt, aber was Fredl Migsch sprach, interessierte mich sehr. Er machte mir einen sehr guten und seriösen Eindruck.
Wir gingen dann zurück zum Matzleinsdorfer Platz und die anderen stiegen in die Straßenbahn, aber ich ging noch einmal zurück zu Minnies Grab, um allein von ihr Abschied zu nehmen. Ich habe ihr versprochen, sie oft zu besuchen und sie niemals zu vergessen. Von der Rede des Priesters habe ich nur einen Vers behalten, den er gesprochen hat:
Was wir bergen in den Särgen, ist das Erdenkleid.
Was wir lieben, ist geblieben bis in Ewigkeit.


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