Wenn erst Friede ist  © 2005

BRIEFE MÜNSTERBERG

Wien, 11. Oktober 1940

Bild klickbar



Kommentar

Dein Expreßbrief, den ich gestern erhieIt, hat mich sehr traurig gemacht. Ich war über Deine - wie ich gIaube - ungerechten Vorwürfe sehr gekränkt und habe es mir sehr zu Herzen genommen. Ich habe nachgedacht, was Dich denn so verstimmt haben könnte. Machen wir es nicht so, Spatzili. Wenn Dir etwas nicht gefällt, dann schreibe mir als guter Freund, diese und diese Stelle hat mir nicht gefallen und das habe ich nicht verstanden oder in welcher schrecklichen Stimmung befindest Du Dich denn, daß Du so etwas schreibst? Und dann bedenke immer, daß ich, wenn ich gezwungen bin, erst am späten Abend zu schreiben, schon sehr müde bin und es höchstens noch langt zu einem knappen Tatsachenbericht, aber ich dachte immer, das sei besser als gar kein Brief.
Nun zur Reise Deines Vaters: Er wird Dir inzwischen mitgeteilt haben, daß er bis Sonntag abend bleibt. Du wirst Dich sicher freuen, daß Du ihn länger bei Dir hast. Ich habe alle Sachen, die Du gewünscht hast, Vater mitgegeben.
Ich würde mich so unendlich freuen, diese Reise zu Dir zu machen und Dein neues Zimmer sehen zu können mit dem Balkon und dort zu schlafen und bei Dir zu sein und Entenleber und gefüllte Täubchen zu essen. Und sofort würden wir miteinander gut sein.
Ich bin so töricht, ja einfach dumm, daß ich in dem eintönigen Leben, das ich da führe, manchmal vergesse, wieviel Ursache ich habe, glücklich zu sein, da ich Dich habe.


Ruth Linhart | Zeitgeschichte | Inhalt | Anmerkungen