Wenn erst Friede ist  © 2005

BRIEFE POLEN

Im Walde, 11. Juni 1941

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Kommentar

Ich wollte Dir gerne einen genauen Bericht der letzten acht Tage schreiben, aber leider wird das jetzt sehr streng bestraft, so muß ich mich darauf beschränken, Dir nur das Zulässige zu berichten. Das Wetter ist herrlich. Gelebt haben wir wie die Zigeuner. Die Wanderlust bekommen wir spät abends und zeitlich früh machten wir halt. Geschlafen wurde untertags oder gar nicht und zwar in Zelten oder bei Mutter Grün.
Bei Tag ist es hier sehr warm und nachts ist es vor Kälte nicht auszuhalten, wir blieben deshalb sehr lange auf (erstens weil es zum Schlafen zu kalt war und zweitens weil die Truppe ziemlich pünktlich früh ankam, ich fuhr doch meistens per Rad oder Auto voraus) und machten uns ein Lagerfeuer. Mancher hatte junge Krähen aus einem Nest herausgenommen, um eine Suppe zu kochen oder gar einen Hasen geschossen, um denselben zu braten. Dabei wurden Lieder gesungen oder geblödelt. Also eine höchst uninteressante Beschäftigung. Die Landschaft ist sehr schön, Wiesen und Felder, viel Nadelwald, meistens Föhren. Das Wasser ist meistens schlecht und darf nur in gekochtem Zustand genossen werden. Die Ziehbrunnen passen herrlich in die Landschaft und sind sehr typisch. Komisch ist, daß es hier soviel Sand gibt. Du kannst Dir nicht vorstellen, wie die Truppe ausschaut, wenn sie einen halben Tag auf diesen Straßen marschiert, oder gar unsere Leute, welche rückwärts im Auto sitzen. Ein entsetzlicher Anblick. Motorräder und Autos stecken oft bis zur Achse im Sand.
Wenn es nur einige Tage regnet, tritt das Umgekehrte ein und man versinkt im Schmutz.
Momentan sind wir in einem großen Föhrenwald in der Nähe eines kleinen Städtchens. Die Leute schlafen in selbstgebauten Zelten, auch sämtliche Offiziere, jetzt hat niemand mehr eine Ausnahme. Das Btl.Geschäftszimmer befindet sich in einer Holzbaracke und wir schlafen zu acht am Boden darin.
Der Dienst geht jeden Tag weiter und es ist dafür gesorgt, um immer wieder neue Beschuldigungen und Ungerechtigkeiten einstecken zu müssen.
Soeben fällt mir ein, daß Du nächsten Monat Geburtstag hast, vielleicht kannst Du mir den genauen Tag schreiben, ich habe ihn nämlich vergessen und werde mir Daten wahrscheinlich nie merken, Du weißt, das ist meine schwache Seite.
In der Sache Hans habe ich nur unternommen daß ich gefragt habe, ob es überhaupt möglich ist, was mir bejaht wurde. Wenn sich die Dame aber nicht mehr rührt, so ist dies nur ein Zeichen, daß sie überhaupt kein Interesse hat.
Über die Mitteilungen bezüglich Deines Urlaubes habe ich mich sehr gefreut, aber wenn Du nach Bregenz zu Deiner närrischen Freundin fährst, so glaube ich kaum, daß Du Dich gut erholen wirst. Das Packerl, welches Du Richter mitgegeben hast, war bereits verzehrt, ich habe mich aber bereits revanchiert und eines von Nemecek verzehrt.


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