Wenn erst Friede ist  © 2005

BRIEFE POLEN

Wien, 9. Juni 1941

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Kommentar

Ich war heute nachmittag bei dem Frauenarzt Dr. Z. und bat ihn in meiner Sache um Rat. Er untersuchte mich und sagte mir bezüglich meiner Konstitution dasselbe, was mir schon Dr. S. im Jänner gesagt hat. Er meinte, ich müsse Geduld haben und warten, es sei bei mir sonst alles in Ordnung. Wörtlich sagte er zu mir: "Ich kann Ihnen gar nicht helfen, Ihnen kann nur Ihr Mann helfen. Hoffen wir, daß er sobald als möglich für ganz nach Hause kommt, dann wird alles in Ordnung gehen". Nun ja, dieser Rat ist ganz schön, was soll ich aber tun, wenn Du mir nicht helfen kannst, weil Du nicht da bist? Ich habe nie gedacht, daß ich um dieses Glück einmal so betteln würde und daß es mir in meiner Ungeduld so fern und unerreichbar erscheinen würde wie gegenwärtig.
Heute habe ich im Büro wieder etwas gehört, was mir doch ein bißchen Freude macht. Es soll doch die Aussicht bestehen, daß die verheirateten Frauen, die schon länger im Haus sind und beim Pensionsfonds (also unkündbar) sind, nach dem Krieg pensioniert werden können. Das wäre doch ein sehr schöner Zuschuß zu unserem Einkommen und ich könnte trotzdem zu Hause bleiben.
Es wird jetzt sehr rasch dunkel, ich sitze im Zimmer beim kleinen Tisch und habe die Lampe angezündet, aber das Fenster ist noch offen. Draußen wird gerade sehr laut ein Soldatenlied gesungen und zwar das, was ich am liebsten habe, das vom Edelweiß. Als ich heute abend zu Deiner Mutter hinüberging, fuhren auf der Wientalstraße sehr viele Autos mit Soldaten. Bei jedem einzelnen, der hier vorüberfuhr, mußte ich bei mir denken, wer weiß, wo der eine Frau oder eine Braut hat, die in diesem Augenblick sehnsüchtig an ihn denkt, denn erst jetzt im Krieg kommt es wenigstens mir so deutlich zum Bewußtsein, daß die gescheiteste und klügste Frau sich allein nicht zu helfen weiß, wenn sie ein Kind haben will.
Auf dem Bild am Schreibtisch lachst Du so lieb zu mir, daß ich es gar nicht glauben kann, daß Du noch so ein bißchen böse auf mich bist.
Wenn Du schreibst, daß Du immer enttäuscht bist, wenn Du kommst und immer in mir einen anderen Menschen findest, als Du nach meinen Briefen zu erwarten glaubst, so ist das schon ein Grund für mich, um mich kränken zu müssen. Ich weiß ja auch gar nicht, wieso das kommt. In meinen Briefen offenbare ich mich wahrscheinlich so, wie ich wirklich innerlich bin. Wenn Du aber kommst, so sind dann immer so viele äußerliche Nebenumstände, die mich und auch Dich ablenken, ich muß ins Büro gehen, die dahineilenden Stunden machen uns unwillkürlich nervös, das ist doch ein Unterschied gegenüber dem Umstand, daß ich hier ungestört sitzen und mich mit Dir schriftlich unterhalten kann.
Du solltest auch ein bißchen Dein Herz für mich sprechen lassen, wenn Du mich so streng beurteilst und daran denken, daß ich meine Tage meistens in einer wahren Hetzjagd verbringe, mit lauter Besorgungen und Wegen, mit lauter Korrespondenzen, mit dem Haushaltsbuch-Führen, mit Bezahlen von Rechnungen und Erlagscheinen, Pakete aufgeben usw.. Mein Leben ist ja gewiß auch nicht leicht und dann weißt Du doch, daß ich Dir fast täglich schreibe. Aber ich bin bestimmt der Überzeugung, daß Du das alles richtig einschätzest und es macht mir gar nichts, wenn Du mich manchmal ein bißchen schärfer kritisierst, das halte ich schon aus.


Ruth Linhart | Zeitgeschichte | Inhalt | Anmerkungen