Wenn erst Friede ist  © 2005

BRIEFE POLEN

Wien, 8. Juni 1941

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Kommentar

Gestern abend war ich bei Piperger eingeladen. Zuerst wurde gegessen und geplaudert, dann wurden Spielkarten gebracht und ich mußte ein neues Spiel lernen und wir saßen dann bis ½ 1 Uhr nachts zusammen. Von Louis habe ich wieder allerhand Gerüchte gehört, es scheinen also wieder allerhand Überraschungen bevorzustehen. Ich bin Deinetwegen sehr unruhig, denn wer weiß, Ihr werdet jetzt vielleicht weiß Gott wohin kommen, immer weiter weg von hier. Was ist eigentlich mit Deinem Uffz.-Kurs? Wenn Du doch nur für diese Zeit nach Wien oder in die Nähe kommen könntest! Hansl ist derzeit in Jägerndorf, Sudetengau. Wie lange er dort bleiben wird, ist unbekannt.
Gestern als ich bei Anny war, habe ich mir vorgenommen, daß wir in Zukunft, wenn wir Gäste haben, auch immer ein Spiel oder so etwas arrangieren wollen, damit diese unerquicklichen und unleidlichen Gespräche, bei denen ohnehin nie etwas herauskommt, vermieden werden. Es ist so angenehm für einige Stunden nichts denken zu müssen, sondern sich mit einem Spiel zu zerstreuen. Die Gespräche über gegenwärtige Dinge soll man sich wirklich absolut abgewöhnen, mit Ausnahme unter vier Augen. Andere Menschen können vielleicht ruhig und objektiv über diese Dinge sprechen, ich aber fast niemals, weil da immer ein besonders wunder Punkt in mir getroffen wird.
Am schönsten kam es mir vor, als ich gestern Anny und ihre kleine Tochter miteinander spielen sah, das ist die einzige vollkommene Harmonie, die es für eine Frau geben kann.


Ruth Linhart | Zeitgeschichte | Inhalt | Anmerkungen