Wenn erst Friede ist  © 2005

BRIEFE MÜNSTERBERG

Wien, 8. Februar 1941

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Kommentar

Am Mittwoch früh gab es in Wien eine Schneekatastrophe allergrößten Ausmaßes. Es hatte die ganze Nacht geschneit, sodaß am nächsten Morgen die Stadt im Schnee buchstäblich erstickt ist. Der Straßenbahnverkehr war gänzlich eingestellt. Manche Linien sind auch am Donnerstag noch nicht gefahren. Donnerstag nachmittag war ich bei Olga und dann im Kurs. Gestern, Freitag, war ein Tag mit sehr vielen Aufregungen.
Begonnen hat es mit einer Mitteilung von Lola, die mir schrieb, daß sie nicht mehr in der Ebendorferstraße wohnt, mir aber ihre neue Adresse nicht schreiben könne und mich auch dort nicht empfangen könne und daß sie mich nur in meiner Wohnung besuchen kann. Außerdem habe sie sich unter den gegebenen Umständen entschlossen, die ihr bevorstehende Operation sogleich vornehmen zu lassen und werde daher in den nächsten Tagen ins Spital gehen. Sie hinterließ mir eine Adresse, wohin ich ihr schreiben könne. Ich machte daher am Donnerstag mit Olga aus, daß sie selbst sowie Lola und auch Hans am Samstag abend zu mir kommen sollten. Am Freitag vormittag erhielt ich durch eine dritte Person die Mitteilung, Lola sei seit Freitag im Spital und werde Samstag operiert. Ich wollte nun wenigstens den Hans einladen und rief einigemale vergeblich bei ihm an, bis ich ihn endlich erreichte. Bei dieser Gelegenheit erhielt ich von ihm die alarmierendste Nachricht, daß er nämlich in 1 - 2 Tagen weg müsse und mich leider nicht mehr sprechen würde können. Es sei etwas ganz Furchtbares passiert.
Die näheren Mitteilungen erhielt ich dann teilweise von Olga, teils von Lola, die ich heute im Spital besucht habe, teils auch von anderer Seite. Ich habe heute wieder so viele schreckliche Dinge erfahren, daß ich leider wieder einige Tage brauchen werde, bis ich das alles überwunden habe. Olga wird morgen versuchen, irgend etwas über Hans zu erfahren. Lola wird erst am Dienstag operiert.
Ich bin zu der Erkenntnis gelangt, daß man in solchen Zeiten wie jetzt sich ganz auf sich selbst zurückziehen und versuchen muß, sich ein Leben und ein Glück aufzubauen, das nur auf die eigene Familie gegründet ist. In seinen eigenen vier Mauern ist die einzige Möglichkeit, ruhig und glücklich zu leben, ohne sich urn etwas anderes zu kümmern. Denn wie man mit der Außenwelt in Kontakt gerät, da gibt es nichts wie Aufregungen und man kommt absolut aus dem Gleichgewicht. Deshalb, liebes Spatzili, bin ich so ganz und gar auf Dich eingestellt und suche bei Dir alles, was mir Freude machen kann. Ich hätte große Lust, Dir wieder eine schöne Liebeserklärung zu machen, besonders jetzt, nach Deinem letzten Hiersein, wo Du so lieb warst zu mir wie niemals zuvor und mir soviel anvertraut hast, daß ich Dir immer dankbar sein werde.
Du wirst Dich vielleicht manchmal fragen, wieso ich so plötzlich dazugekommen bin, mir so heiß ein Kind von Dir zu wünschen? Das hat viele Gründe und einer davon ist der, daß ich nach den Erfahrungen der letzten bitteren Jahre zur Erkenntnis gelangt bin, daß das Leben heutzutage nicht auszuhalten ist ohne eine GIücksquelle, aus der man schöpfen kann, sodaß einem alle die Dinge, die von außen kommen, nichts anhaben können. In den Tagen und Wochen, wo ich nur ganz der Erwartung auf das Kind gelebt habe, bin ich wahrhaft glücklich gewesen und die Dinge der Politik interessierten mich in keiner Weise. Da war mir klar, daß das Dinge sind, die nur die Männer angehen, die haben eine robustere Natur und konnen häßliche Erscheinungen leichter überwinden. Wie Du mich kennst, konnte ich das aber niemals erlernen. Ich fürchte mich immer wieder maßlos, ja ich fürchte direkt eine Psychose davon. Du erinnerst Dich doch noch meiner ganz furchtbaren Angst vor dem Radio. Ein Kind aber könnte mich wieder ganz jung machen, könnte meinem Leben einen Sinn geben, ich käme mir nicht vor, am Ende meines Lebens zu stehen, wo ich alles Sinnvolle und Schöne hinter mir habe, sondern am Anfang meines Lebens, wo ich noch für lange lange Jahre eine wichtige Funktion vor mir habe und ein Objekt, an das ich meinen großen Vorrat an Liebe und Gefühlen abgeben kann. Und wenn Du der einzige Abnehmer bliebest für meine Liebe, so wäre das schließlich für Dich zuviel, denn ein Mann muß auch etwas anderes im Kopf haben, als immer nur an Liebe und Gefühle zu denken.


Ruth Linhart | Zeitgeschichte | Inhalt | Anmerkungen