Wenn erst Friede ist  © 2005

BRIEFE MÜNSTERBERG

Wien, 6. Dezember 1940

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Kommentar

Vor zehn Monaten, als Du eingerückt bist, warst Du sehr unglücklich und Dein guter Instinkt hat aus Dir gesprochen, als Du dem ganzen Militär gegenüber Dich ablehnend und mißtrauisch verhalten hast. Wir haben doch schließlich unsere eigene und berechtigte Meinung darüber gehabt. Und ich kann nicht sagen, daß die Ereignisse der letzten 10 Monate geeignet waren, unsere Meinung zu ändern. Wenn Du Dich heute mehr oder weniger gleichgültig dazu verhältst und Dich irgendwie damit abfindest, so ist das gewiß in erster Linie darauf zurückzuführen, daß Du ja dagegen nichts machen kannst. Aber Dein Urteil dem Kern der Sache gegenüber darf sich nicht ändern.
Ich muß eigentlich ununterbrochen daran denken, wie sehr Du leider fremden Einflüssen zugänglich bist. Immer färbt Deine Umgebung auf Dich in stärkerem Maße ab, als auf andere. Deswegen mußt Du immer darauf bedacht sein, mit Deinem eigentlichen Ich, das ist in erster Linie Deine Frau, Dein Heim, Deine Familie und unsere ganze Weltanschauung, ganz besonders tief verwurzelt zu bleiben. Bedenke doch, was Deine jetzigen Bekannten für Menschen sind, aus welchen Kreisen sie stammen, in welcher Gedankenwelt sie aufgewachsen sind. Ist das wirklich Deinesgleichen? Sie mögen persönlich sehr anständige Menschen sein, oberflächlich gesehen auch gute Kameraden und vielleicht sehr angenehm im Umgang. Sie sind überaus nett zu Dir und können Dich gut leiden, aber doch nur darum, weil Du Dich ihnen angepaßt hast, in ihrer Sprache, die sie immer gewohnt waren, redest. Was aber wäre, wenn Du in Deiner Sprache redest, wenn sie wüßten, welches Deine Ansichten sind usw. Du weißt schon, was ich meine, wären sie dann auch noch gute Kameraden und angenehme Bekannte? Eine Kameradschaft am Wirtshaustisch mit Zechgenossen ist keine Kameradschaft. Es wird schwer sein, wenn man sich einmal weiter als gut war, mit diesen Leuten eingelassen, sich ein bißchen zu distanzieren, aber trotzdem mußt Du es versuchen, jeden Tag.
Du hast Dir die Bibel mitgenommen und liest vielleicht manchmal darin. Ich habe in bitteren und bittersten Stunden beten gelernt und versäume es seit vielen vielen Tagen niemals mehr. Gott, der alles lenkt und durch unsere Wünsche nicht beeinflußbar ist, da er die höchste Weisheit ist, er macht es, daß die Wahrheit der innersten Seele sich wie von selbst offenbart.
Nun möchte ich Dich zum Schluß sehr bitten, mir eine Bestätigung ehebaldigst zu schicken darüber, daß Du gegenwärtig noch Militärdienste leistet, da ich damit zum Finanzamt gehen muß mit meiner neuen Steuerkarte. Kannst Du auch wieder ein Stück Toilettenseife mitbringen? Und bitte noch etwas. Man bekommt hier jetzt tatsächlich keinen Wein zu kaufen, weder offen noch in Flaschen, könntest Du 2 - 3 Flaschen mitbringen? Jetzt also wirklich Schluß und schreibe mir wirklich bald wieder, in längstens 1 oder zwei Tagen, Deine Freunde soll inzwischen der T. holen! Viele Schnurlibussi.


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