Wenn erst Friede ist  © 2005

BRIEFE ZNAIM

Wien, 6. Februar 1940

Bild klickbar



Kommentar

Ich habe mit großer Freude gestern abend, als ich nach Hause kam - ich war bei Deinen Eltern -, Deinen Brief vorgefunden, der wirklich schön und ausführlich war. Ich kann mir jetzt schon einige Vorstellungen von Deinem Leben machen. Ich habe ganz genau gelesen, da ich aus dem Brief entnehmen wollte, wie Du Dich fühlst und in welcher Stimmung Du bist. Ich bilde mir ein, der Brief klingt ganz heiter und aufgeräumt. Hoffentlich täusche ich mich nicht. Es gibt gewiß noch vieles, was ich gerne wissen möchte. Mußt Du den ganzen Tag lernen und üben und zu welchen Stunden des Tages bist Du frei? Wie verbringst Du die freie Zeit und hast Du nette Kameraden? Bist Du abends immer sehr müde? Hast Du von Deinem Eßvorrat schon alles aufgegessen? Kannst Du das Pyjama gut brauchen und den Trainingsanzug und wie bist Du mit den Laufschuhen zufrieden? Hast Du warmes Wasser zum Waschen und kommst Du mit Handtuch und Seife gut aus? Habt Ihr Zeitung und Radio? Muß ich die Briefe an Dich frankieren oder gelten meine Briefe als Feldpostbriefe?
Sicherlich schläfst Du schon lange, während ich das schreibe. Ich bin heute sehr müde, ich habe in den letzten Tagen sehr viel im Büro gearbeitet, den ganzen Tag gerechnet, aber ab morgen geht es schon leichter, nachmittags und abends habe ich so viele Wege, daß ich leider gar nicht zum Lernen komme. Morgen nach dem Büro will ich zur Hilde (Uhlir) und anschließend zur Anny (Piperger) gehen. Da wirds doch auch wieder spät. Ich bin neugierig, was es Neues gibt.
Du fragst, ob ich noch traurig bin? Ich wäre gar nicht traurig, wenn ich wüßte, daß es mit den zwei Monaten zur Abrichtung getan wäre. Aber ich frage mich immer, was wird denn dann sein? Ich will mich gar nicht an den Gedanken gewöhnen, dag Du nun für lange fort sein wirst. Ich habe ja den ganzen Tag viel zu tun, auch des Abends und bin müde, wenn ich ins Bett gehe. Aber ab 3 Uhr früh ist es mit dem Schlafen vorbei, da bin ich ganz wach und sehe einige Male nach der Uhr, da ich immer der Meinung bin, es müsse schon spät sein. Dann denke ich immer daran, was einem die Männer für Sorgen machen, Du dort und Robert dort und all die vielen Menschen, die unter der Kälte und all dem leiden. Liebes Spatzili, wenn ich die Nase in das Futter von Deinem Pelzmantel stecke, dann spüre ich Deinen Geruch und dann habe ich eine so große Sehnsucht nach Dir. Ich glaube fest daran, es wird alles gut werden, man darf nur die Geduld nicht verlieren. Aber wir haben ja Geduld gelemt.


Ruth Linhart | Zeitgeschichte | Inhalt | Anmerkungen