Wenn erst Friede ist  © 2005

BRIEFE POLEN

Wien, 5. Juni 1941

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Kommentar

Dienstag nachmittag war ich in Mariahilf, dann kam ich nach Hause und mußte mich rasch umziehen, um wieder in die Stadt zu fahren, da ich mich mit Minnie im Cafe Hochhaus getroffen hatte. Minnie hat vierzehn Tage Urlaub und ist aus Berlin nach Wien hergekommen und fährt wahrscheinlich heute für l0 Tage auf den Semmering. Kurz, wir haben uns also getroffen und sie hat mir alle Neuigkeiten aus Berlin erzählt. Es geht ihr soweit ganz gut bis auf die leidige Wohnungsfrage; sie hat jetzt bereits die dritte Wohnung (d.h. eigenlich nur ein Zimmer) in Untermiete und was sie mir davon erzählt hat, ist alles andere als angenehm. Ich habe mir bei ihren Erzählungen nur immer gedacht, daß ich absolut nicht an ihrer Stelle sein möchte. Sie schaut im übrigen gar nicht gut aus, nicht vielleicht, daß sie mager wäre oder so, sondern das Gesicht sah so müde und verbraucht aus.
Mir geht es jetzt ganz gut gesundheitlich, nur haben wir jetzt im Büro besonders viel zu tun. Auch wir leiden sehr an Personalmangel, andererseits kommen täglich neue Verordnungen oder sonstige Umstellungen, die uns immer von neuem eine Unmenge Arbeit aufbürden. Leider bin ich sehr nervös, erstens durch die viele Arbeit, zweitens durch den wahnsinnigen Lärm im Bürozimmer sowohl wie von der Straße. Ich sage Dir, es ist manchmal schrecklich und ich würde mich schon stark nach einer Zeit sehnen, wo ich auch einmal wenigstens vorübergehend ein paar Monate zu Hause sein kann, danach würde ich ganz gern wieder arbeiten gehen.


Ruth Linhart | Zeitgeschichte | Inhalt | Anmerkungen