Wenn erst Friede ist  © 2005

BRIEFE FRANKREICH

Wien, 5. Mai 1940

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Kommentar

Lieber Spatzi, was sagst Du zu dem Leben heutzutage? Gibt es irgend etwas, auf das man sich freuen kann? Mit welcher Hoffnung soll man seine Tage und Nächte verbringen? Es gibt einzig und allein meine Arbeit im Büro, die mir jetzt wieder viel Freude macht. Da denk ich an Dich, sehe Dich zeichnen mit Reinlichkeit und Genauigkeit, wie es Deine Gewohnheit ist.
Dann denkst Du wahrscheinlich auch an mich und es fällt mir ein, wie sehr lieb ich Dich habe. Mein liebes Spatzili, das so süß und sanft küssen kann, das mich auf seinen Schoß zieht, sodaß mir alle Angst im Leben vergeht. Was aber, wenn Du nicht bei mir bist? Noch habe ich keine Angst, ist es, weil ich noch nicht erfassen kann, in welcher Gefahr Du bist, oder ist es, weil ich das Gefühl habe, "es kann Dir eh nix gschehn"? Aber was mache ich, wenn erst die Angst von mir Besitz ergreift?
(Gestern war Herr Eder hier, um sich zu verabschieden, er wird von seiner Firma ins Ausland versetzt. Wahrscheinlich für lange.)


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