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Deine zwei Briefe habe ich
erhalten. Der zweite kam gestern, ebenso das Paket. Es war sehr lieb, daß
Du ein bißchen was Süßes hineingegeben hast. Über
Deinen ersten Brief war ich anfangs ein wenig unglücklich. Er ist hart,
ernst und ohne Milde. Aber es ist recht so. Denn je öfter ich
diesen Brief lese, umso mehr kommt mir zum Bewußtsein, wie groß und
stark Du bist und wie Du über all den vielen Dingen und Problemen
stehst. Du hast eben die innere Kraft, Dich von dem Alltag und alldem, was um
Dich geschieht, loszusagen und Deine eigenen Wege zu gehen. Du weißt, ich
bin ein Mensch, der viel Liebe braucht und an und für sich zur Weichheit
neigt. Wenn Du jetzt bedenkst, wie ich mir mein Leben überhaupt und mit
Dir eingerichtet habe und die außergewöhnlichen Ereignisse der
letzten drei Monate in Betracht ziehst, wie ich mich umstellen mußte und
was ich über mich alles ergehen lassen mußte, so wirst Du vielleicht
doch verstehen, daß dies doch viel schwieriger ist als bei Dir. Du
weißt, wie ungern ich eingerückt bin, daß ich Gemeinheit und
Brutalität hasse. Kaum an alles gewöhnt, kam ich hierher und
mußte mich wieder an viele neue Dinge gewöhnen. Es dauert schon eine
Weile, bis man bei unmittelbarem Beschuß Zeitung lesen, Radio hören
oder Brief schreiben kann. Ich fühle mich so im großen und
ganzen ganz wohl, nur bin ich halt manchmal unglücklich, wenn ich
über das Ganze nachdenke und kein Ende finde, noch ein Warum und Wozu.
Aber es geht allen anderen nicht viel besser. Du hast halt den Vorteil,
daß die täglichen Dinge nicht allzu stark auf Dich einwirken,
daß Du Dir ein Programm gemacht hast, dies durchführst, und damit
zufrieden und froh bist. Ich bewundere Dich, wirklich beneidenswert bist
Du. Aber was nutzt das alles, wenn wir so weit voneinander entfernt sind.
Wie lange wird das noch dauem? Es ist doch gar keine Aussicht auf eine
Besserung geschweige Abrüsten. Du fragst oft, was ich den ganzen Tag
mache und wie es mit der Freizeit steht. Vorher muß ich Dir aber
mitteilen, daß unser Geschäftszimmer ausgezogen ist. Wir sind jetzt
nicht mehr im großen Bunker, sondern 100 oder 200 m weiter entfernt in
einem kleinen Holzhaus im Walde. Schlafen tun wir in einem kleinen Bunker,
gleich neben dem Haus. Im großen und ganzen etwas besser als früher,
da wir bei Tageslicht arbeiten und viel im Freien sind. An Bequemlichkeit haben
wir etwas eingebüßt, so den schönen Waschraum (wir haben jetzt
kein Wasser, sondern müssen es aus dem großen Bunker holen), das
W.C., wir haben eines im Walde. Die Entlüftung im Bunker ist nicht
automatisch wie früher, sondern mit der Hand zu betreiben. Im Bunker haben
wir genug Platz, er ist für 9 Mann berechnet und wir schlafen nur 4 Mann
darin. Das Essen müssen wir ebenfalls aus dem anderen Bunker holen.
Nun zu meiner Beschäftigung. Ich muß vorausschicken, daß
sehr nette Leute um mich sind. Wie ich Dir schon geschrieben habe, bin ich als
Zeichner dem Bataillonsstab zugeteilt. Unser Bat.Kommandeur ist ein Major, sein
Adjutant ein Oberleutnant. Ich habe tagtäglich mit beiden zu tun. Der
Kommandeur hält viel auf gutes Aussehen (rasiert, geputzte Stiefel, kurzer
Haarschnitt, reine Uniform, militärisches Benehmen) und dürfte zirka
50 Jahre sein. Er ist sehr nett zu mir, fragt mich immer, wie es mir geht und
ob ich zufrieden bin. Der Adjutant ist höchstens 26 Jahre alt und
behauptet, mich vom Speisewagen zu kennen.
Er ist Amateurfotograf und besitzt eine Leica. Er interessiert sich sehr
für Fotografie und ich muß für ihn immer Aufnahmen machen und
kurze Belehrungen darüber geben. Ich glaube, sie sind beide mit mir
zufrieden. Mein unmittelbarer Vorgesetzter ist im Geschäftszimmer ein
Feldwebel. Er ist verheiratet, hat 2 Kinder und ist 42 Jahre alt. Wir
schlafen bis ca. ¼ oder ½ 8 Uhr früh (für die
anderen ist um 7 Uhr wecken und 22 Uhr schlafen), dann wird gleich rasiert,
gewaschen, Stiefel geputzt und abwechselnd Kaffee geholt. Vormittags machen wir
jetzt momentan wenig im Zimmer, sondern helfen draußen mit, unser neues
Heim verschönern. Ein Steg wird gelegt, Blumen angebaut, Bäume
gepflanzt und ein bißl Ordnung gemacht. Um ½ 12 Uhr wird
Essen geholt. Bis 14 Uhr ist Mittagspause. Das geht ebenfalls nicht genau.
Nachmittags sind dann Befehle für die einzelnen Kompanien zu schreiben,
Post zu erledigen, Unterschriften vorzulegen, Matrizen zu schreiben, abzuziehen
und den Meldefahrern mitzugeben. Ich mache außerdem kleine Skizzen und
Pläne für den Stab (Telefon, Funker, Bunker). Um zirka 18 Uhr wird
Nachtmahl geholt (meist Wurst oder Käse und Butter mit Kaffee). Wenn es
schön ist, sitzen wir dann vor unserem Haus oder turnen zu unserem
Vergnügen und machen Späße. Andere schreiben Briefe oder
hören Nachrichten. Wir haben sowohl im Geschäftszimmer wie im Bunker
einen guten Radio. Wir hören meist französische Musik. Jetzt lese ich
ein Reclam-Buch von Sven Hedin über Tibet. Um zirka ½ 23
Uhr wird meist schlafen gegangen. Wir hören da noch immer im Bett Radio.
So vergeht ein Tag nach dem anderen. Immer nur gleich eintönig. Die
Franzosen schicken täglich ihre Kanonenschüsse herüber, nur,
wenn sie zu genau auf uns schießen, flüchten wir in den Bunker.
Einmal in der Woche fahre ich ins Bad. Das ist aber ein ganz besonderer Vorteil
der Leute beim Stab. Die anderen Kompanien gehen nicht baden. Denen geht es
überhaupt nicht besonders gut. Meine Kameraden von Znaim klagen sehr .
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