Wenn erst Friede ist  © 2005

BRIEFE FRANKREICH

Im Felde, 5. Mai 1940

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Kommentar

Deine zwei Briefe habe ich erhalten. Der zweite kam gestern, ebenso das Paket. Es war sehr lieb, daß Du ein bißchen was Süßes hineingegeben hast.
Über Deinen ersten Brief war ich anfangs ein wenig unglücklich. Er ist hart, ernst und ohne Milde. Aber es ist recht so. Denn je öfter ich diesen Brief lese, umso mehr kommt mir zum Bewußtsein, wie groß und stark Du bist und wie Du über all den vielen Dingen und Problemen stehst. Du hast eben die innere Kraft, Dich von dem Alltag und alldem, was um Dich geschieht, loszusagen und Deine eigenen Wege zu gehen. Du weißt, ich bin ein Mensch, der viel Liebe braucht und an und für sich zur Weichheit neigt. Wenn Du jetzt bedenkst, wie ich mir mein Leben überhaupt und mit Dir eingerichtet habe und die außergewöhnlichen Ereignisse der letzten drei Monate in Betracht ziehst, wie ich mich umstellen mußte und was ich über mich alles ergehen lassen mußte, so wirst Du vielleicht doch verstehen, daß dies doch viel schwieriger ist als bei Dir.
Du weißt, wie ungern ich eingerückt bin, daß ich Gemeinheit und Brutalität hasse. Kaum an alles gewöhnt, kam ich hierher und mußte mich wieder an viele neue Dinge gewöhnen. Es dauert schon eine Weile, bis man bei unmittelbarem Beschuß Zeitung lesen, Radio hören oder Brief schreiben kann. Ich fühle mich so im großen und ganzen ganz wohl, nur bin ich halt manchmal unglücklich, wenn ich über das Ganze nachdenke und kein Ende finde, noch ein Warum und Wozu. Aber es geht allen anderen nicht viel besser. Du hast halt den Vorteil, daß die täglichen Dinge nicht allzu stark auf Dich einwirken, daß Du Dir ein Programm gemacht hast, dies durchführst, und damit zufrieden und froh bist. Ich bewundere Dich, wirklich beneidenswert bist Du. Aber was nutzt das alles, wenn wir so weit voneinander entfernt sind. Wie lange wird das noch dauem? Es ist doch gar keine Aussicht auf eine Besserung geschweige Abrüsten.
Du fragst oft, was ich den ganzen Tag mache und wie es mit der Freizeit steht. Vorher muß ich Dir aber mitteilen, daß unser Geschäftszimmer ausgezogen ist. Wir sind jetzt nicht mehr im großen Bunker, sondern 100 oder 200 m weiter entfernt in einem kleinen Holzhaus im Walde. Schlafen tun wir in einem kleinen Bunker, gleich neben dem Haus. Im großen und ganzen etwas besser als früher, da wir bei Tageslicht arbeiten und viel im Freien sind. An Bequemlichkeit haben wir etwas eingebüßt, so den schönen Waschraum (wir haben jetzt kein Wasser, sondern müssen es aus dem großen Bunker holen), das W.C., wir haben eines im Walde. Die Entlüftung im Bunker ist nicht automatisch wie früher, sondern mit der Hand zu betreiben. Im Bunker haben wir genug Platz, er ist für 9 Mann berechnet und wir schlafen nur 4 Mann darin. Das Essen müssen wir ebenfalls aus dem anderen Bunker holen.
Nun zu meiner Beschäftigung. Ich muß vorausschicken, daß sehr nette Leute um mich sind. Wie ich Dir schon geschrieben habe, bin ich als Zeichner dem Bataillonsstab zugeteilt. Unser Bat.Kommandeur ist ein Major, sein Adjutant ein Oberleutnant. Ich habe tagtäglich mit beiden zu tun. Der Kommandeur hält viel auf gutes Aussehen (rasiert, geputzte Stiefel, kurzer Haarschnitt, reine Uniform, militärisches Benehmen) und dürfte zirka 50 Jahre sein. Er ist sehr nett zu mir, fragt mich immer, wie es mir geht und ob ich zufrieden bin. Der Adjutant ist höchstens 26 Jahre alt und behauptet, mich vom Speisewagen zu kennen. Er ist Amateurfotograf und besitzt eine Leica. Er interessiert sich sehr für Fotografie und ich muß für ihn immer Aufnahmen machen und kurze Belehrungen darüber geben. Ich glaube, sie sind beide mit mir zufrieden. Mein unmittelbarer Vorgesetzter ist im Geschäftszimmer ein Feldwebel. Er ist verheiratet, hat 2 Kinder und ist 42 Jahre alt.
Wir schlafen bis ca. ¼ oder ½ 8 Uhr früh (für die anderen ist um 7 Uhr wecken und 22 Uhr schlafen), dann wird gleich rasiert, gewaschen, Stiefel geputzt und abwechselnd Kaffee geholt. Vormittags machen wir jetzt momentan wenig im Zimmer, sondern helfen draußen mit, unser neues Heim verschönern. Ein Steg wird gelegt, Blumen angebaut, Bäume gepflanzt und ein bißl Ordnung gemacht. Um ½ 12 Uhr wird Essen geholt. Bis 14 Uhr ist Mittagspause. Das geht ebenfalls nicht genau. Nachmittags sind dann Befehle für die einzelnen Kompanien zu schreiben, Post zu erledigen, Unterschriften vorzulegen, Matrizen zu schreiben, abzuziehen und den Meldefahrern mitzugeben. Ich mache außerdem kleine Skizzen und Pläne für den Stab (Telefon, Funker, Bunker). Um zirka 18 Uhr wird Nachtmahl geholt (meist Wurst oder Käse und Butter mit Kaffee). Wenn es schön ist, sitzen wir dann vor unserem Haus oder turnen zu unserem Vergnügen und machen Späße. Andere schreiben Briefe oder hören Nachrichten. Wir haben sowohl im Geschäftszimmer wie im Bunker einen guten Radio. Wir hören meist französische Musik. Jetzt lese ich ein Reclam-Buch von Sven Hedin über Tibet.
Um zirka ½ 23 Uhr wird meist schlafen gegangen. Wir hören da noch immer im Bett Radio. So vergeht ein Tag nach dem anderen. Immer nur gleich eintönig. Die Franzosen schicken täglich ihre Kanonenschüsse herüber, nur, wenn sie zu genau auf uns schießen, flüchten wir in den Bunker. Einmal in der Woche fahre ich ins Bad. Das ist aber ein ganz besonderer Vorteil der Leute beim Stab. Die anderen Kompanien gehen nicht baden. Denen geht es überhaupt nicht besonders gut. Meine Kameraden von Znaim klagen sehr .


Ruth Linhart | Zeitgeschichte | Inhalt | Anmerkungen