Wenn erst Friede ist  © 2005

BRIEFE POLEN

Wien, 5. April 1941

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Kommentar

Du hast wohl schon ungeduldig auf eine Nachricht von mir gewartet und ich konnte auch bis gestern hoffen, Dir eine günstige Nachricht zu geben - aber es sieht leider so aus, als wenn auch diesmal unsere Hoffnung enttäuscht worden wäre. Du kannst Dir denken oder vielleicht kannst Du es Dir gar nicht in dem Maß vorstellen, wie groß meine Enttäuschung und Verzweiflung war. Ich war schon so völlig auf den Gedanken der Schwangerschaft eingestellt, daß ich mich schwer zurechtfinden kann.
Liebes Spatzili, kannst Du es nicht möglich machen, bald wieder nach Wien zu kommen? Du kannst Dir gar nicht vorstellen, wie Ich Frauen beneide, die ihre Männer bei sich haben. Und wenn sie außerdem ein Kind haben und ihren Stolz ganz offen zeigen. Und an allem ist nur der verfluchte Krieg schuld!
Ich werde mich vielleicht doch entschließen, zu Ostern auf zwei Tage wegzufahren, denn das ist das einzige, was mir Freude machen könnte. Ich möchte gerne ins Kamptal fahren. Wahrscheinlich werden aber wieder nur beschränkte Züge gehen und auch sonst werden allerhand Schwierigkeiten sein mit dem Nachtquartier usw. Aber ich werde wahrscheinlich doch fahren. Oder bestünde eine Aussicht, daß Du zu Ostern herkommst?
Von Hans Reich ist nun doch eine Nachricht gekommen. Es scheint Ihm nicht gut zu gehen. Bei Lola war ich gestern nicht im Spital. Ich kann nicht immer andere trösten, wenn ich selber traurig bin.


Ruth Linhart | Zeitgeschichte | Inhalt | Anmerkungen