Wenn erst Friede ist  © 2005

BRIEFE POLEN

Sokal, 2. Juli 1941; Krankensammelstelle

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Kommentar

Ich weiß, Du wirst schon böse auf mich sein, weil Du von mir gar keine Nachricht erhältst. Aber wie Du aus rneinem letzten Schreiben entnommen haben wirst, sind wir seit dieser Zeit in Kampfhandlungen verwickelt gewesen und wenn dies nicht der Fall war, Tag und Nacht marschiert. Hatte man einmal einige Stunden Zeit, so wurden sie benützt, um zu schlafen.
Unsere Division war bei Ravaruska eingesetzt und war eine der vordersten.
Der Russe hatte dort eine Bunkerverteidigung und unsere Kompanien hatten schwere Arbeit zu leisten. Ich war ständig beim Gefechtstroß einige km weiter rückwärts und hatte mich um die Verpflegung, d.h. um den Nachschub zwischen Feldküche und kämpfender Truppe zu kümmern. Auch die Verbindung Feldküche-Verpflegungstroß mußte ich aufrecht halten. Das waren bestimmt keine kleinen Aufgaben und wir hatten oft unter starkem Beschuß zu leiden. Der Russe kämpft zäh und die russische Artillerie schießt gut. Ein Spähtrupp unserer 6. Kp. brachte die ersten Gefangenen ein.
Leider mußten einige Kameraden für immer von uns Abschied nehmen. Ein Offz., acht Mannschaften sind tot und zirka 40 sind verwundet worden. Nach einem kleinen Rückmarsch sind wir sofort wieder eingesetzt worden, aber ohne mich. Ich mußte in Druszkopol in die Krankensammelstelle und der Arzt stellte eine beginnende Phlegmone beider Unterschenkel fest. Die Ursache ist bestimmt in den großen Anstrengungen der letzten Tage zu suchen, welche ich eben nicht gewohnt war. Ich fuhr doch immer per Auto oder Rad und mit dem Einsatz sind uns aber die Autos weggenommen worden. Die Straßen sind hier furchtbar schlecht, Sand, Sand und wieder Sand. Ein Weiterkommen ist nur mit einem Panjefahrzeug (einem hier Iandesüblichen Pferdefahrzeug) möglich und so waren wir gezwungen, solche in größerer Anzahl zu requirieren.
Ich setzte mich schon streckenweise auf einen derartigen Wagen, aber wenn es halt gar zu schwer ging, was meistens der Fall war, so stieg ich halt wieder ab. Meine Knöcheln waren schon immer geschwollen, aber in letzter Zeit wurde das derartig arg, daß sich die Geschwulst bis zum halben Unterschenkel hinaufzog und vom Knöchel überhaupt nichts mehr zu sehen war. Die Folge war, daß ich überhaupt nicht mehr gehen konnte. Außerdem färbten sich die geschwollenen Stellen rot und blau. Ich verabschiedete mich also gestern Nacht um ½ 2 Uhr von der Truppe, um diese Zeit wurde nämlich Abmarsch befohlen, und humpelte mit meinem gesamten Gepäck unter großen Qualen zur nächsten Krankensammelstelle. Dort verbrachte ich die Nacht am Fußboden und um ½ 12 Uhr mittags fuhren von dort zwei Krankenautos mit 11 Leuten aller möglichen Verletzungen mit uns nach Sokal. Der Weg war schlecht und die Fahrt eine Qual. Hier um ½ 16 Uhr angekommen, wurden alle in das Verbandszimmer geschafft. Meine Diagnose wurde vom diensthabenden Unterarzt als richtig befunden und absolute Bettruhe mit Hochlagern und abwechselnder Kühlung der Beine befohlen. Auch hier gibt es kein Lazarett, sondern nur eine Krankensammelstelle, und ich liege in einer ehemaligen Schule in einem Zimmer mit noch 24 Kameraden auf Strohsäcken. Die Einrichtung ist primitiv und von Bequemlichkeit kann keine Rede sein. Alles wartet auf einen Weitertransport in ein Feldlazarett. Die Verpflegung erfolgt durch die Feldküche. Also auch nichts besonderes. Auf Befragen des Arztes, wie lange diese Sache dauern wird, sagte er mir zu meinem Erstaunen, das kann eine sehr langwierige Angelegenheit werden. Nachdem ich mich heute nachmittag schon sehr wohl fühle und auch die Geschwulst etwas zurückgegangen ist, hoffe ich doch in kürzester Zeit von hier wegzukommen, um zur Truppe zurückkehren zu können. Vor dem Suchen der Truppe mit dem vielen Gepäck fürchte ich mich schon jetzt.
Sollte es aber noch länger dauern, so würde ich ja in Bälde in ein Lazarett geschafft werden und von dort wahrscheinlich zum Ers.Btl. Mistelbach. Wenn ich dann soweit bin, werde ich selbstverständlich auch einen Erholungsurlaub bekommen.


Ruth Linhart | Zeitgeschichte | Inhalt | Anmerkungen