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Du wirst nun in den letzten Tagen
sehr besorgt um uns gewesen sein, denn es gehen sicherlich die möglichsten
und unmöglichsten Gerüchte über Wien bei Euch, wie
wahrscheinlich auch anderswo, um. Bis zum heutigen Tag ist uns hier nichts
besonders Unangenehmes zugestoßen, wir haben zwar jeden Tag durch viele
Stunden Alarm (Kleinalarm und
Großalarm in bunter Abwechslung), aber bombardiert ist in Wien nichts
worden. Viele Flüchtlinge verlassen wohl die Stadt, auf allen
Straßen, mit den Autos und viele mit der Bahn, was aber sehr große
Hindernisse und Schwierigkeiten hat, da die Westbahn so gut wie nicht
funktioniert, besonders auf der weiteren Strecke bei St. Pölten. Etwas
sehr Unangenehmes ist mit Herma und Fritzi passiert. Nachdem doch Vater und
Herma schon vorige Woche für zwei Tage nach Steyr fahren wollten, aber
wegen der Unterbrechung der Strecke nicht fahren konnten, so kam am Donnerstag
abend Dein Vater zu uns und sagte, er wollte Ostersamstag früh mit dem Zug
um 7 Uhr nach Steyr fahren, und fragte, ob Herma mitfahren wollte. Vater
meinte, er werde ihr jedenfalls eine Reisebewilligung ausstellen. Da Freitag
kein Alarm in Wien war, so hat sich Herma doch entschlossen, mit Fritzerl zu
fahren. Dein Vater wollte vereinbarungsgemäß mit dem Zug um ½
3 Uhr nach Steyr fahren, kam aber nur bis gegen St. Pölten und mußte
wieder nach Wien zurückfahren. Dabei erfuhr er, daß der
Frühzug, mit dem Herma gefahren war, in der Gegend von St. Pölten von
Tieffliegern angegriffen wurde, wobei die Lokomotive unbrauchbar wurde, und der
Lokomotivführer tot, der Heizer schwer verletzt wurde. Dieser Zug ist also
nie nach Amstetten gekommen. Was ist also mit Herma geschehen? Wir müssen
also jetzt mit Geduld warten, bis sie kommt oder schreibt. Ich glaube,
unser Büro wird sich schon schön langsam aufhören. Morgen sollen
wir 2 Gehälter im voraus ausbezahlt bekommen, das ist doch ein Zei- chen,
daß man mit einem normalen Bürobetrieb bald nicht mehr rechnet.
Ich danke Dir sehr, daß Du mich durch Deinen Vater eingeladen hast,
nach Znaim zu kommen, aber vorläufig kann ich gar nichts
beschließen. In Znaim scheint es mir auch gar nicht so sicher zu sein,
denn die Gebiete nördlich der Donau werden ganz von Wien abgeschnitten
werden, und die Besetzung wird ja auch dort vom Osten kommen, und was mache ich
dann allein in Znaim, denn wer weiß, ob Du wirst dort bleiben
können? Und die Tschechen sind ja dort auch zu fürchten, da bleibe
ich noch lieber in Wien. Ich war gestern bei Robert, seine Familie will auch
jedenfalls hier bleiben, ebenso meine Eltern und überhaupt viele Bekannte.
Mir geht es also, wie Du siehst, ganz gut, nur ist die Spannung recht
groß. |