Wenn erst Friede ist  © 2005

BRIEFE HINTERLAND

Wien, 1. Jänner 1945

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Kommentar

Vor allem anderen wünsche ich Dir ein recht glückliches Neues Jahr. Und daß Du sehr oft in meiner Nähe sein kannst, wenn es uns noch nicht vergönnt sein sollte, daß Du heuer schon endgültig wieder nach Hause kommst.
Ich war gestern abend (Silvester) bei Deinen Eltern, und auch Herma war mit. Es war ganz lustig und angenehm. Herma brachte eine Bouteille Ruster Rotwein mit, Deine Mutter hatte eine Bouteille Zierfandler weiß, ich glaube, von der letzteren ist noch etwas übrig geblieben, aber ich habe doch auch mehr als zwei Gläser getrunken. Auch einen Likör hat Herma mitgebracht, dazu Keks und von Deiner Mutter gab es einen Mohnstrudel und von uns selbstgemachte Zuckerln. Herma hat dann bei uns geschlafen und ging heute früh schon zeitlich zu ihren Schwiegereltern auf den Flötzersteig einen Besuch machen.
Ich bin ganz glücklich, wenn ich ein paar Tage zu Hause sein kann. Nur der Gedanke, daß Krieg ist und daß wir dieses Jahr vielleicht noch das Schrecklichste des ganzen Krieges werden mitmachen müssen, stimmt mich derart ernst und traurig, daß kein wirklich glückliches und ruhiges Gefühl aufkommen kann. Im übrigen lese ich manchmal in meinem Buch von Ranke (Französische Geschichte), und dann vergesse ich sogar auf den Krieg.


Ruth Linhart | Zeitgeschichte | Inhalt | Anmerkungen