Ruth Linhart | Literaturliste zu Chinoiserie | Sasameyuki - Die Schwestern Makioka


Chronologie zu "Chinoiserie"

Zeittafel zur Einführung in die Themen "Japanische Literatur" und "Japanische Frauen" anläßlich der Dramatisierung des Romans Sasameyuki (Die Schwestern Makioka) von Tanizaki Junichirô im Schauspielhaus Wien *

 

660 v.Chr. Gründung des legendären japanischen Reiches durch Kaiser Jimmu

3. oder 4. Jahrhundert n. Chr. Sagenhafte Kaiserin Jingû

Anfang 5. Jh. Einführung der chinesischen Schrift durch koreanische Gelehrte. Die chinesischen Logogramme waren der Struktur der jap. Sprache eigentlich völlig inadäquat, onyomi (jap. Lesung) und kunyomi (chin. Lesung) entstanden für jedes Zeichen, Beispiel Frau onna und jo, zusammengesetzte Wörter häufig chin. Lesung, z.B. josei – Frau etc. Jedes Zeichen hat mehrere Bedeutungen, die „durchschimmern“ –(kokoro oder shin: Herz, Geist, Idee, Mentalität, Sympathie, Interesse, Zuwendung ....) Wichtig für Dichtung. Schon früh Entwicklung der Silbenschriften Hiragana und Katakana.

Die moderne japanische Schrift ist eine komplexe Wort- und Silbenschrift: Begriffswörter in Kanji (chin. Zeichen), morphologische und syntaktische Elemente in Hiragana, zum Kanji bei schwierigen Zeichen furigana (die richtige Lesung wird in der Silbenschrift Hiragana klein rechts neben dem Kanji hinzugefugt), Katakana wird für Fremdwörter (gairaigo) und ausländische Eigennamen verwendet. Lateinbuchstaben heißen romaji. In der Schule werden tôyô kanji gelehrt – ca. 1950 Standardzeichen, das verbreitetste große Zeichenlexikon Japans umfasst zirka 15 000 Zeichen. In dem alten Standardlexikon von 1716 waren es 40 000 Zeichen.

Japanische Sprache: Die moderne Standardsprache basiert auf Tôkyô-Sprache mit Merkmalen des Kantô-Dialekts; typologisch ist das Japanische eine agglutinierende Sprache mit flektierenden Elementen, sinntragenden Wörtern folgen Suffixe oder Postpositionen, die syntaktische Beziehungen bezeichnen. Der Grundwortschatz ist vorwiegend zweisilbig, lautmalende Wörter und Wortwurzeln sind zahlreich.

Die japanische Grammatik ist in einigen Bereichen im Vergleich zur Deutschen sehr „ungenau“. (Allerdings ist zum Beispiel die Höflichkeitssprache viel differenzierter – sowohl in Wortschatz wie Grammatik.) Ein Zeichen hat verschiedene Lesungen mit zum Teil recht unterschiedlichen Bedeutungen, was Assoziationen mit den anderen Bedeutungen nach sich zieht. Gemeinsam mit der Vielschichtigkeit der Schrift ermöglicht das Japanische deshalb sowohl vom Akkustischen wie auch vom Visuellen her eine im Deutschen nicht wiederzugebende Assoziationstiefe und Suggestionskraft .

Bis zur Meijizeit Literatursprache und gesprochene Sprache anders in Wortschatz und Grammatik. Ab der Meijizeit unter westlichem Einfluss Erneuerung der literarischen Sprache, Angleichung der geschriebenen an die gesprochene Sprache. (Schrift und Sprache nach Bruno Lewin, Kleines Wörterbuch der Japanologie, Wiesbaden, 1968.)

6. Jh. Übernahme des Buddhismus

710 Nara wird erste feste Hauptstadt, im 8. Jh. Reichschroniken Kojiki (712), Nihongi (720) und die Lyriksammlung Manyôshû (Sammlung von 10 000 Blättern – 2. Hälfte des 8. Jh.s)

 

794 -1185 Heian-Zeit

794 Heian-kyô (Kyôtô) wird Hauptstadt. 10. Jh. Klassisches Zeitalter der japanischen Poesie und Prosa, Frauen sind entscheidende literarische Persönlichkeiten. Japan war in der Heian-Zeit ein abgeschlossenes Land, 400 Jahre wurde Kontakt mit China abgebrochen. Die höfische Gesellschaft war eine geschlossene hierarchische Gesellschaft, die einen hedonistischen Lebensstil pflegte. Kult der Schönheit und Ästhetik.

 

Literatur der Heian-Zeit

Literatur war innerhalb dieser Welt wichtiges Beurteilungsmerkmal für den Charakter der Menschen. Dichten und schön schreiben zu können (Kalligraphie) waren u.a. Entscheidungskriterien bei der Partnerwahl. Themen der Lyrik und Prosa waren Liebe, Sehnsucht, Vergänglichkeit, Natur. Literarästhetische Termini sind aware, mono no aware, „Kult“ des Augenblicks und der Vergänglichkeit, yû und yûgen – stille Schönheit, Eleganz, etc. Das Dichten ist bis heute im zwischenmenschlichen Kontakt von Bedeutung (siehe Sasameyuki).

Kôkinwakashû (Sammlung von japanischen Gedichten aus alter und neuer Zeit)

904 - 915 Die erste vom Kaiser in Auftrag gegebene Sammlung von Gedichten in japanischer Sprache. Besteht hauptsächlich aus Tanka . Themen vorwiegend Natur und Liebe.
Waka oder Tanka oder uta: „japanisches Gedicht“ oder „kurzes Gedicht“ oder „Lied“. Gedicht in 5 „Versen“ – Oberstrophe mit 5-7-5 Silben, Unterstrophe mit 7-7 Silben (aus Oberstrophe wird später Haiku).
Umfasst 20 Bände, mehr als tausend Tanka, von 132 Dichtern und Dichterinnen (26 Frauen). Sehr berühmt u.a. der Hauptkompilator Ki no Tsurayuki (868?-945) und die Dichterin Ono no Komachi (ca. 9. Jh.).
omoitsutsu
nureba ya hito no
mietsuramu
yume to shiriseba
samezaramashi o

In Gedanken an
meinen Geliebten fiel ich
in Schlaf und träumte
ihn - und wußte nicht von Traum,
sonst hätt ich ewig geträumt.

Das Vorwort von Ki no Tsurayuki gilt als einer der poetologischen Texte der japanischen Lyrik:
„Das Samenkorn eines japanischen Gedichts sind die menschlichen Gefühle, und aus ihnen erwachsen die zehntausend Wortblätter. Weil Angelegenheiten und Tun der Menschen in der Gesellschaft so vielfältig sind, sprechen die Menschen sich aus, vertrauen dasjenige, was sie in ihren Herzen fühlen, den sichtbaren und hörbaren Dingen an. Wenn wir den Teichrohrsänger vernehmen, der zwischen den Blüten singt oder die Stimme des Frosches, der im Wasser lebt, dann fragen wir uns, ob es irgendein lebendiges Wesen gibt, das keine Dichtung hervorbringt. Denn die Poesie ist das, was ohne Einsatz von Kraft und Gewalt Himmel und Erde bewegt, die Gefühle der unsichtbaren Geister und Götter erweckt, die Beziehungen zwischen Mann und Frau glättet und auch die Herzen der grimmigen Krieger besänftigt“.

(Übersetzung des Gedichts von O.n.K. und des Vorworts aus Andrew J. Pekarik, 36 Dichterinnen des Alten Japan. Höfische Dichtkunst in der Heian- und Kamakura-Periode 9.-13. Jahrhundert, Du Mont,1992)

Genji monogatari (Erzählungen vom Prinzen Genji)

Zwischen 1001-1014 höchstwahrscheinlich von Murasaki Shikibu verfaßt. Sie war Hofdame der Kaiserin in Heiankyô. Gilt als der erste Roman der weltliteratur. Ungeheurer Einfluss auf die spätere japanische Literatur. Mehr als 10 000 Werke darüber geschrieben. Wurde u.a. von Tanizaki Junichirô in modernes Japanisch übersetzt. Die Geschichte hat 54 Bände. 40 handeln von Prinz Genji, ein damaliger Idealmann und feinfühliger Herzenbrecher, den alle Frauen liebten und der alle Frauen liebte, u.a. Murasaki, Akashi und Nyôsan. Der Zeitraum umfaßt 70 Jahre und 4 Generationen. Ca. 300 handelnde Personen. Die Liebesgeschichten von Genji, seines Enkels Niou (aus der Beziehung mit der Dame von Akashi) und seines vermeintlichen Sohnens Kaoru (Eltern sind seine Gattin Nyôsan und Kashiwagi) spielen vorwiegend in Kyôto und Uji.

Wesentliches Merkmal japanischer Literatur – siehe Sasameyuki: In die Prosa ist Lyrik gemischt, das Genji monogatari enthält 800 Tanka - jeweils die Zusammenfassung eines emotionellen Höhepunkts.

Obgleich wir wissen,
dass unser Leben begrenzt ist,
Scheiden ist traurig –
wie gerne schritte mit euch
ich weiter den Weg des Lebens!

Dies ist das erste Gedicht im Genji monogatari, das Genjis Mutter Kiritsubo, eine Nebenfrau des Kaisers, am Sterbebett zum Herrscher, dem Vater Genjis, spricht. (Übersetzung aus: Die Geschichte vom Prinzen Genji, Altjapanischer Liebesroman, verfaßt von der Hofdame Murasaki, vollständige Ausgabe aus dem Original, übersetzt von Oscar Benl, 2 Bände, Manesse Bibliothek der Weltliteratur, Zürich 1992)

 

Frauen in der Heian-Zeit

Aus dieser Zeit ist nur das Leben der adeligen Frauen, die in der Hauptstadt Heiankyô lebten, bekannt, und dies nur aus der Literatur. Im Vergleich zu späteren Zeiten etwas emanzipierter, gewisses Erbrecht, gewissen Zugang zur Bildung, Liebe war erlaubt, aber die „drei Abhängigkeiten“, die bis 1945 bestanden, schon damals existent – vom Vater, Mann, Sohn. Eifersucht, Angst, den Geliebten an eine andere Frau zu verlieren und Existenzangst, da nur die Bindung an einen Mann diese sicherte, sind in der polygamen Heian-Gesellschaft zentrale Themen der vorwiegend von Frauen geschriebenen Literatur.

Frauen lebten völlig unfrei, abgeschlossen wie in Harem. Durch Wohnarchitektur und Kleidung völlig den Männern ausgeliefert.

Aussehen: mollig, ausgezupfte Augenbrauen, Zähne schwarz gefärbt, 12 Schichten Kleider, Haar bis zum Boden. (In der jap. Literatur immer wieder „Haarkult“ – nicht bei Tanizaki, in Sasameyuki wird Äußeres nicht detailliert beschrieben!). Frauen durften von Männern nicht gesehen werden und sich ihnen nicht zeigen, sie lebten in dämmriger Welt hinter Wandschirmen und Seidenvorhängen.

(Mehr über das Leben der Heian-Zeit siehe Ivan Morris, Der leuchtende Prinz, Höfisches Leben im alten Japan, Insel Verlag, Frankfurt am Main,1988)

 

Frauen in der Literatur der Heian-Zeit

Es ist schwierig, ein anderes Beispiel, ob in Japan oder anderswo, zu finden, dass Frauen in der Literatur einer bestimmten Epoche eine so dominierende Rolle spielten. Gründe: Adelige Damen hatten Zugang zur Bildung, Sie hatten Muße und sie lebten am Rand der Macht, sie hatten zwar selbst keine, aber sie hatten Einblicke. Publikum war die höfische Gesellschaft, in der diese Autorinnen lebten.

Die Tagebuch- und Erzählliteratur der Heian-Zeit widmete sich der Schilderung privater Gefühle, vor allem Liebens- und Ehedingen. Sie haben Liebesgefühle auf eine in allen Zeiten und allen Ländern nachvollziehbare Art wiedergegeben.

 

1185 - 1600 Mittelalter

Im 12. Jahrhundert Kampf um die Macht zwischen verschiedenen Adelsklans – zuerst verliert die Familie Fujiwara die Macht. Aus dem Krieg zwischen den Familien Taira und Minamoto geht Minamoto Yoritomo als Sieger hervor. 1185 Seeschlacht bei Dannoura, Taira verlieren, Minamoto Yoritomo gründet das „bakufu“, die Shôgunatsherrschaft; die Zeit der Shogune (Statthalter des Kaisers, die die Macht ausüben) beginnt, zuerst mit Sitz in Kamakura, später in und um Kyôto

Der Krieg der Adelsfamilien Taira und Minamoto lieferte Stoff für Literatur und Theater, z.B. für die berühmte Kriegserzählung Heikemonogatari , für Theaterstücke für Kabuki etc. In Sasameyuki werden die Personen genannt Benkei und Yoshitsune genannt:

Außer mit den Tairas kämpfte Minamoto Yoritomo auch mit seinem Bruder Yoshitsune, wobei Benkei Yoshitsunes treuer Begleiter ist. Yoshitsune begeht bei Hiraizumi Selbstmord, darauf folgte 1189 die Zerstörung von Hiraizumi durch Yoritomo, was wiederum Stoff für Literatur bot, z.B. für ein berühmtes Haiku von Matsuo Bashô:

Natsugusa ya
tsuwamonodomo ga
yume no ato

Sommergras
ist alles, was geblieben ist

vom Traum des Kriegers.
(Übersetzung aus Auf einen Atemzug, Klassische Haiku, herausgegeben und übersetzt von Dietrich Krusche, dtv Taschenbibliothek, München, 1996)

13. Jh. Mongolenangriffe, Taifun greift rettend ein (wurde als Götterwind - kamikaze - bezeichnet.)

14. Jh. Kriegerklasse wird Elite, Hofadel wird bedeutungslos.

15., 16. Jh. Zen Buddhismus gewinnt an Einfluss, wichtigste philosophische und Kunstkonzepte sabi (Einsamkeit, Selbstgenügsamkeit), wabi (Armut, Schlichtheit) und yûgen (symbolische Schönheit, aus der äußeren Erscheinung nicht sofort erkennbar), Teezeremonie, Gartenkunst entwickeln sich zur Hochblüte.

Das Nô-Theater entsteht, ebenfalls von Zen beeinflusst. Besteht aus Tanz, Gesang und Musik, geht auf einfache Volkstänze bei Shintô-Festen zurück. Wichtige Persönlichkeit Zeami Motokiyo (1363-1443). Kyôgen sind volksnahe Stehgreiflustspiele, die lyrische, elegante, aber langatmige No-Stücke auflockern.
1467-1600 Hundertjähriger Bürgerkrieg (Sengoku-jidai) und Einigung des Landes.

In der Epoche der Bürgerkriege kämpften verschiedene Daimayate um die Macht. Völlige Dezentralisierung der Macht, viele blutige Kriege, Verwüstung Kyôtos. Bauernaufstände wegen unerträglicher Steuerlasten, auch der Klerus mischte sich z.T. in die Kämpfe.
Drei politischen und militärischen Persönlichkeiten gelang in der 2. Hälfte d. 16. Jhs. Japan zu einigen und zu schließlich befrieden: Oda Nobunaga (1534 - 1582), Toyotomi Hideyoshi (1536 - 1598) und Tokugawa Ieyasu (1542 - 1616). Dieser wird nach der Schlacht von Sekigahara in Zentraljapan 1600 Shôgun, und seine Familie beherrscht Japan mehr als 250 Jahre lang.

Charakteristisch für dei beiden ist die Geschichte mit dem Vogel, der nicht singen wollte. Nobunaga: „Ich werde ihn töten“, Hideyoshi: „Ich werde ihn durch List zum Singen bringen“, Ieyasu: „Ich werde warten bis er singt.“
(Aus Otto Ladstätter, Sepp Linhart, China und Japan. Die Kulturen Ostasiens, Ueberreuter, Wien , 1983)

Kato Kiyomasa (1562-1611) war ein General Toyotomi Hideyoshis. Kämpfte in den Korea-Feldzügen des Hideyoshi 1567 und 1569. Beide Feldzüge wurden abgebrochen.

 

1600-1868 Tokugawa-Zeit

Auch Edo-Zeit genannt, da Edo, das spätere Tôkyô, Regierungssitz wird. Kyôto mit dem kaiserlichen Wohnsitz wird politisch bedeutungslos. Polizeistaat, totale Überwachung des Individuums, persönliche Freiheit eliminiert, bis zur Unterwäsche alles vorgeschrieben und hierarchisch unterschiedlich geregelt. Verfolgung des Christentums, das sich seit ca. 1550 mit Duldung Oda Nobunaga in Japan ausgebreitet hatte (siehe Endô Shûsaku, Schweigen).

 

1639 totale Abschließung des Landes, nur mehr die holländische Handelsniederlassung Deshima war erlaubt, sie bleibt ein winziges, aber wichtiges Fenster in die Welt. Engelbert Kaempfer 1651-1716, Philipp Franz von Siebold 1796-1866 waren dort als Ärzte tätig und gelten als „wissenschaftliche Entdecker Japans“.

Ab 1750 Verlagerung des Schwerpunktes politischer und kultureller Bedeutung von der Gegend um Osaka und Kyôto nach Edo.

1853/54 Amerik. Commodore Perry mit seinem „schwarzen Schiff“ erzwingt die Öffnung japanischer Häfen.

1867 Letzter Tokugawa Shôgun übergibt die Macht an Kaiser Meiji.

1868 Die moderne Zeit beginnt.

 

Der Konfuzianismus bildet ideologische Grundlage des Tokugawa-Staates, er betont Unveränderbarkeit des Status quo – wirkt sich bis heute aus! Siehe auch Sasameyuki. Als selbstverständlich empfundene Fremdbestimmung hatte aber auch damals schon Tradition.
Weltlich orientierte, hierarchisch gegliederte und patriarchalisch strukturierte Gesellschaft. Feudale Abhängigkeitsverhältnisse. Individuum bedeutungslos.
Gesellschaftsordnung unterhalb von Tennô (Kaiser), Shôgun (militärischer und eigentlicher Machthaber) und Daimyôs (Feudalfürsten) in vier Klassen geteilt: Militäradel (shi), Bauern (), Handwerker (), Kaufleute (shô) sowie eta und hinin (Parias). Frauen hatten keinerlei Rechte.

Eine duale ethische Wertestruktur entwickelt sich: giri ist Pflichtgefühl und Pflichterfüllung gegenüber in der sozialen Hierarchie Übergeordneten, dem Feudalherr etc., im Konfliktfall ist Familie nachgereiht. Und ninjô, das bedeutet menschliches Gefühl, Liebe, Zuneigung zu Kindern, Gatten, Eltern und anderen Personen. Die Kunst nährte sich aus diesem Dualismus, seinen Widersprüchlichkeiten und den daraus entstehenden Tragödien – siehe Prosa und vor allem Drama. Vergleiche mit Sasameyuki, hier entsteht immer wieder der Konflikt zwischen „Pflicht“ (gegenüber Stammhaus, Familie) und menschlichem Gefühl (Zuneigung zu den Schwestern).

Glorifizierung des Todes: Innerhalb einer unveränderbaren äußeren Welt einzige angebotene „Alternative“.
Einerseits Doppelselbstmord aus Liebe (shinjû), anderseits Harakiri (oder seppuku) für Krieger. Typische Dramen sind Sonezaki shinjû (Freitod aus Liebe in Sonezaki) und Kanadehon Chushingura (Geschichte der 47 Rônin).

Das Hagakure von Yamamoto Tsunetomo, verfaßt zwischen 1710 und 1716 (deutsch als Hagakure.Der Weg des Samurai, Piper, München, Zürich, 2004) idealisiert die Pflichterfüllung für Samurai.
Selbstmord ist auch äußerster Ausdruck des verlangten „Verzichtes auf das Ich“.

In der Literatur (Prosa, Drama) bietet sich die Gelegenheit zum Weinen über die traurigen Schicksale. Je trauriger das Schicksal der Helden ist, desto mehr Sympathie bekommen sie. Die Ursachen für das traurige Schicksal werden aber nicht in Frage gestellt. Schrankenlose Selbstaufgabe ist gleichzeitig höchstes Heldentum und Quelle größter Bewunderung.

 

Literatur der Tokugawa-Zeit

Die Genroku-Zeit 1688-1704 brachte eine Hochblüte der bürgerlichen Kunst und Kultur mit Zentrum Osaka. Die Gedichtform Haiku und das dramatische Genre des Kabuki entstehen. Drei bestimmende künstlerische Persönlichkeiten: Lyrik: Matsuo Bashô (1644-1694), Prosa: Ihara Saikaku (1642-1693), Theater: Chikamatsu Monzaemon (1653-1724, „japanischer Shakespeare“), Rückbesinnung auf Hochblüte der japanischen Literatur in der Heian-Zeit.

Aufstieg der Kaufmannsschicht, Höhepunkt der bürgerlichen Kultur, zu Beginn der Tokugawazeit geschaffene Freudenviertel Yoshiwara (Edo), Shimabara (Kyôto) und Shinmachi (Osaka) liefern Schauplatz, Hintergrund und Konfliktthemen für die Kunst. Holzschnitte – ukiyôe – zeigen diese „fließende Welt“ – wieder Vergänglichkeit und augenblicklicher Genuß im Zentrum. (Ukiyô – ursprünglich buddhistischer Terminus).

Kabuki
Die Schreintänzerin Okuni gründete um 1600 in Kyôto eine Art Tanztheater – Kombination von altem religiösen Tanz mit einfacher Handlung und vitaler Darstellungsart (Heinz Kindermann, Fernöstliches Theater, Kröner Verlag Stuttgart, 1966). Das erotische Frauenkabuki wurde 1629 aus moralischen Gründen verboten. In der Folge spielten Knaben die Frauenrollen, 1652 wurde auch das verboten, ab 1653 nur mehr Männer auf der Bühne des Kabuki-Theaters. Frauenrollen heißen onnagata.
Kabuki ist „großartiges Ausstattungstheater“ mit Drehbühne, dem „Blumenweg“ (hanamichi), prächtigen Kostümen, Tanz, Musik, Akrobatik, technischen Raffinessen, Rhythmik in Musik und Sprache, Einheit von Gefühlen und Gestik – z. B. die mie-Pose (an dramatischen Höhepunkten erstarren die Schauspieler kurz in ihrer Pose, Klatschen, Zurufe des Publikums, dann Fortsetzung); „Startheater“ – siehe Kikugoro in Sasameyuki! Die Schauspieler sind in „Gilden“ - Familienklans (ie-System) organisiert, auch heute noch.

Bunraku, Joruri – Liebesgeschichten werden zu den japanischen Instrumenten Biwa und Shamisen rezitiert, später mit Puppen szenisch gestaltet. Ab Beginn des 18. Jhs. heutige Form. Puppen von halber Menschengröße werden jeweils von drei schwarz gekleideten Puppenspielern geführt . Noch stärker als beim Kabuki Mischung von äußerstem Realismus und äußerster Stilisierung.
Kabuki
und Joruri werden heute noch gepflegt – vorwiegend in traditioneller Weise. Auch Versuche zur Modernisierung, aber Randerscheinungen. Oft dieselben Stücke wie im Kabuki.

Chikamatsu Monzaemon schrieb ca. 160 Dramen für Kabuki und Bunraku. Aktuelle Ereignisse wurden öfters sofort dramatisiert und wegen strenger Zensur oft in frühere Zeiten verlegt. Auch Themen aus Geschichte und literarischer Tadition.

Ihara Saikaku schrieb realistische Prosa, aktuelle Themen, sie kreisen hauptsächlich um Liebe, aber auch um Geld. Im Deutschen u.a. Koshoku gonin onna (Fünf Geschichten von liebenden Frauen). Beinhaltet vier traurige Geschichten von liebenden Frauen und eine mit Happy-end. Zeigt die soziale Situation der Frauen der Tokugawa-Zeit.

Das Haiku ist wohl die kürzeste und gleichzeitig erfolgreichste lyrische Gattung der Welt!
Entstand aus dem „Kettengedicht“ (Renga), das sind aneinandergereihte Tanka. War eine Art Gesellschaftspiel. Das Haiku ist die Oberstrophe des Tanka mit 5-7-5, also insgesamt 17 Silben. Entwickelte sich seit dem 16. Jh., Blüte Mitte des 17. – 19. Jh. Heute noch ist Haiku-Dichten in Japan und weltweit beliebt.

Matsuo Bashô 1644 - 1694

Name Basho von Bananenstaude, die ihm Schüler vor seiner Hütte pflanzten. Bashô machte das Haiku aus einem amüsanten Spiel mit Worten zu anspruchsvoller Lyrik. Hauptkennzeichen: 17 Silben, Jahreszeitenwörter, die Konkretheit beim Erfassen des Themas bzw. der augenblicklichen Stimmung sowie die innere Spannung (Moment-Dauer bzw. Zustand –Veränderung).
Bashô war aus Samurai-Familie, lebte in Edo, hatte mehrere Kinder und wurde berühmt durch seine Wanderungen in Japan, die er dichterisch besang. Mehr als 1000 Haiku von Bashô sind überliefert.

Berühmtestes Haiku:

Furu-ike ya
kawazu tobikomu
kizu no oto

Der alte Teich.
Ein Frosch spingt hinein -
das Geräusch des Wassers

(Übersetzung wie oben von Dietrich Krusche, Auf einen Atemzug ...))

Chiyô-ni 1702-1774

Seit der Heian-Zeit (seit 500-600 Jahren) kommen zum ersten Mal wieder Frauen in der Literaturgeschichte vor und zwar als Haiku-Dichterinnen. Chiyô-ni verlor früh Mann und Sohn, wurde dann Nonne. War auch berühmte Malerin. Berühmtestes Haiku:

Asagao ni
tsurube torarete
mora-i mizu

morning glory
the well-bucket entangled
I ask for water

(Von der Morgenwinde
umrankt, der hölzerne Kübel
zum Wasserholen)

(Englische Übersetzung aus Patricia Donegan, Yoshie Ishibashi, Chiyo-ni, Woman Haiku Master, Tuttle, Tokyo, Boston, Singapore, 1998)

 

Frauen in der Tokugawa-Zeit

Die Edo-Zeit wird als schlimmste Zeit in der Geschichte der japanischen Frauen betrachtet. Das konfuzianische Prinzip danson johi (Vorherrschaft der Männer über Frauen) durchdringt alle Lebensbereiche. Prinzip der sanjû no oshie (3 Gehorsamkeiten) ist besonders ausgeprägt: vor der Heirat dem Vater, in der Ehe dem Mann, verwitwet dem ältesten Sohn gegenüber. Hauptaufgabe der Frauenist die Sicherung der Familiefortführung, d.h. das Gebären von Söhnen. Die Frau mußte bei der Heirat ihre Familie verlassen. Das Familienoberhaupt hatte absolute Macht über alle Familienmitglieder. Nebenfrauen und Geliebte waren üblich. Ehebruch der Frau wurde mit dem Tod bestraft (auch in der Heian-Zeit). Scheidung war für Frauen unmöglich, für Männer einfach. „Nyôbo to tatami wa atarashikereba atarashii hodo yoi“(Die Reisstrohmatten am Boden und Ehefrauen sind neu am besten). Fluchtmöglichkeit nur in einige buddhistische Tempel, die als Fluchttempel oder Scheidungstempel (kakekomi dera oder enkiri dera) galten. Kinder blieben immer in der Familie des Vaters.

(Siehe dazu mehr: Imai Yasuko, Vor dem Tagesanbruch für Frauen, in: Ruth Linhart, Onna da kara, Weil ich eine Frau bin, Liebe, Ehe und Sexualität in Japan, Wiener Frauenverlag 1991).

Onna daigaku takarabako(Schmuckkästchen der Hohen Schule für Frauen), dem konfuzianischen Denker und Wissenschaftler Kaibara Ekiken (1630-1714) zugeschrieben. Diese und ähnliche Schriften dienten der Erziehung der Frauen der Kriegerklasse, später für gesamte Gesellschaft. Es besteht aus 20 Punkten. Betonung auf abolutem Gehorsam. „Außer ihrem Mann hat eine Frau keinen Herren.“ Die wichtigste lebenslange Pflicht einer Frau ist Gehorsam. Sie soll ihrem Mann höflich, demütig und versöhnlich begegnen. Eine Frau möge auf ihren Mann schauen, als wäre er der Himmel. Als die fünf schlimmsten Krankheiten des weiblichen Charakters werden Unbelehrbarkeit, Unzufriedenheit, üble Nachrede, Eifersucht und Torheit bezeichnet. Sieben oder acht von zehn Frauen seien von diesen Übeln befallen.

(Mehr z.B. Elisabeth Gössmann, Am Anfang war die Frau die Sonne in: Ruth Linhart, Fleur Wöss (Hrsg.) Nippons Neue Frauen, S. 18ff).

Die Erziehung der „höheren Töchter“, also der Samuraitöchter, später auch der Töchter aus reichen Bürgerkreisen, beinhaltete auch traditionelle Künste, Musikinstrumente, Kalligraphie, Dichten, Lesen klassischer japanischer Literatur. Der Großteil der Frauen konnte aber nicht lesen ("Frauen ohne Wissen sind tugendhaft").

Prostitution wurde legal in der Edo-Zeit, Einrichtung von Vergnügungsvierteln in 50 Städten. Prostituierte waren bis 1945 Frauen oder Töchter armer Bauern oder Städter, die ihre Steuern nicht zahlen konnten oder sonst in Armut lebten oder geraten waren. Die Töchter wurden in den Dienst (als Prostituierte, Dienstmädchen und später Fabriksarbeiterin) „verkauft“ bzw. erhielten ihre Eltern (bzw. Besitzer der Bordelle, Teehäuser und Geishahäuser) das Geld, das sie verdienten. Dieses Verfahren wurde gesellschaftlich akzeptiert, das Leiden der Eltern und Kinder gewürdigt, da sie als Ausdruck der Ahnenverehrung (Fortführung der Familie) bzw. Kindesliebe angesehen wurden. Angehörige des mizushôbai (Wassergeschäft –Welt der flüchtigen Vergnügungen) wurden aber gesellschaftlich verachtet. Prostitution wurde zwar 1956 verboten, lebt aber in vielfältiger Form weiter (heute Import von weiblichen Arbeitskräften aus Südostasien).

 

1868 bis 1945

Die Japanische Zeitrechnung wird nach Namen und Regierungszeit des jeweiligen Tennô reguliert. Heute werden sowohl die japanische wie auch die westliche Zeitrechnung verwendet:
1868 – 1912 Meiji-Zeit
1912 - 1926 Taishô-Zeit
1926 – 1989 Shôwa-Zeit
1989 – Heisei-Zeit (2004 ist Heisei 16)

 

Die Meiji-Restauration besteht im Zusammenbruch der Tokugawa-Herrschaft und in einer "Tennô-Renaissance".

1853 ankerten "die schwarzen Schiffe", die zur amerikanischen Flotte gehörten, unter Commodore Matthew C. Perry in der Bucht von Edo, und ein Jahr später öffneten die Japaner nach rund 250 Jahren strenger Abgeschlossenheit ihe Häfen für das Ausland.

1868 erkannten die Feudalfürsten die Kaiserherrschaft wieder an und machten Mutsuhito als Meiji Tennô zum Kaiser. Tôkyô wird kaiserliche Hauptstadt.

"Das überlebte feudalistische Herrschaftssystem zerbrach so von außen unter der Bedrohung durch westliche imperialistische Mächte und von innen unter dem Herrschaftsanspruch einer Gruppe junger, reformfreudiger Samurai vor allem aus den südwestlichen Lehensgebieten des japanischen Reiches; ihnen zur Seite standen Daimyô und Samurai aus den zentralen Landesteilen, die eine Restauration der Kaisermacht wollten." (Aus: Manfred Pohl, Geschichte Japans, C.H. Beck Wissen, München 2002, S. 59/60).

In der Meiji-Zeit erfolgte eine grundlegende Erneuerung des japanischen Staates und der Gesellschaft nach dem Vorbild der damaligen westlichen Mächte. Die Beschränkungen der bürgerlichen Freiheit der Edo-Zeit, das Vierklassensystem und Reisebeschränkungen wurden aufgehoben. Die Samuraischicht verlor ihre Privilegien. Allgemeine Wehrpflicht. Allgemeine Schulpficht, aber unterschiedlich für Buben und Mädchen, wurden eingeführt. Adel nach westlichem Vorbild wurde geschaffen.

Ziel der Politik und sozialen Umwälzungen ist das Aufholen mit dem Westen, „für ein ein reiches Land und eine starke Armee“ (fukoku kyôhei).

Nach europäischem Vorbild exportorientierte Industrialisierung, vor allem die Textilindustrie (Seide- und Baumwolle) wurde forciert.

 

1889 Erste japanische Verfassung (Dai Nihon Teikoku Kenpô) weitgehend nach preußischem Vorbild von 1871. „Der Kaiser ist heilig und unverletzlich“ hieß es aber in Japan. Kaiser erhielt noch nie dagewesene Machtfülle.

1890 Erziehungsedikt des Kaisers Meiji, erste Einberufung eines Parlaments

1898 Bürgerliches Gesetzbuch (Meiji minpô)

1894 - 95 Chinesisch japanischer Krieg

1904 - 05 Russisch-japanischer Krieg

Japan gewinnt beide Kriege und sieht sich gestärkt für künftige Expansionspolitik.

1906 Korea jap. Protektorat

1907 Vertrag mit Russland, der Nordmandschurei zur russ. und Südmandschurei zur jap. Einflussphäre erklärt.

1910 Annexion Koreas

1914 Japan erklärt Deutschland den Krieg

1921 Schwere Wirtschaftskrise, Arbeiterbewegung erstarkt in den folgenden Jahren.

1923 Großes Erdbeben von Tôkyô mit wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Auswirkungen.

1925 Allgemeines Wahlrecht für Männer. Frauen waren nach wie vor ausgeschlossen.

1930 - 35 Japan gerät in den Sog der Weltwirtschaftskrise. Wirtschaftlicher Niedergang. Japan hungert. Radikalisierung des politischen Klimas, politische Morde. Linke und rechte politische Bewegungen sind aktiv, die Linke wird jedoch zunehmend unterdrückt. Regimegegner werden eingesperrt. Zunehmende nationalistische Indoktrinierung und Organisierung der Bevölkerung in gleichgeschalteten patriotischen Verbänden.

1931 "Madschurischer Zwischenfall", nationalistische Offiziere inszenieren in Mukden (heute Shenyang, China) einen Sabotageakt gegen die Südmandschurische Eisenbahn, die sie zu schützen haben, und besetzen einen großen Teil der Südmandschurei.

1932 Marionettenstaat Mandschukuo wird eingerichtet. Japanische Kolonisten sollten dorthin auswandern, um dadurch Japans Überbevölkerung abzubauen (siehe Sasameyuki).

1933 Japan tritt aus dem Völkerbund aus. Aufrüstung.

26. Februar 1936 Putschversuch nationalistischer Offiziere

1936 Pakt mit Deutschland und Italien – Antikominternpakt gegen Sowjetunion.

7. Juli 1937 Bei Peking Kampfhandlungen zwischen chinesischen und japanischen Truppen, Kriegsbeginn mit China. Ende 1937 bereits Nanking eingenommen. Nanking ist Symbol für Greueltaten der Japaner während dieses Krieges. Chiang Kai-shek hatte zu diesem Zeitpunkt sein Hauptquartier in die Stadt Hankow verlegt.

1938 Japan gibt öffentlich militärische Ziele bekannt: „Neue Ordnung in Ostasien“

 

In Europa (Daten in Hinblick af Sasameyuki ausgewählt):

März 1938 Anschluss Österreichs an Deutschland

September 1938 Sudetenkrise, 29. September Münchner Abkommen, England, Frankreich, Italien und Deutschland beschließen, dass die Tschechoslowakei das Sudetenland räumen muss.

Oktober 1938 Deutschland annektiert das Sudetenland.

März 1939 „Rest-Tschechei“ wird „Protektorat Böhmen und Mähren“.

1.9. 1939 Ausbruch des 2. Weltkrieges

 

1939 schwere Kämpfe japanischer und sowjetischer Truppen an der mandschurisch-mongolischen Grenze.

1940 Japan schließt sich dem Dreimächtepakt mit faschistischem Italien und nationalsozialistischen Deutschland an.

7. Dezember 1941 Überfall auf Pearl Harbour. Japan tritt in den 2. Weltkrieg ein.

1942 Japan hat weite Teile Südostasiens erobert.

Juni 1942 Schlacht bei Midway gegen die Amerikaner. Von nun an japanischer "Verteidigungskrieg".

6. und 9. 8. 1945 Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki

15. 8. 1945 Kapitulation Japans. Amerikanische Besatzung.

 

Frauen 1868-1945

Die Meiji-Aufklärer wollten auch für Frauen Zugang zu Bildung. Aber bereits 20 Jahre nach der Meiji-Restauration ist das aufklärerische Feuer gezügelt, Ziel ist es nun, Frauen im Dienste eines weltpolitisch erstarkenden Landes zu ryôsai kenbo – guten Ehefrauen und weisen Müttern - zu erziehen. Gehorsam bleibt die höchste Tugend. Heiraten und Kinder bekommen ist weiterhin „erste Pflicht“ der Frauen. Gegenüber der Tokugawa-Zeit ist die Situation der Frauen zwar verbessert, aber nicht grundlegend verändert.

Die Meiji-Verfassung von 1889, das Kaiserliche Erziehungsedikt von 1890 und das Bürgerliche Gesetzbuch von 1898 bringen Rückschritte für die Frauen gegenüber Tendenzen der frühen Meiji-Zeit.

Wichtigstes Gesetzeswerk für Frauen ist das neue Bürgerliche Gesetzbuch (Meiji Minpô) von 1898. Die drei Gehorsamkeiten gegenüber Vater, Ehemann und Söhnen werden prolongiert. Das patriarchale Familiensystem wird für die gesamte japanische Gesellschaft neu etabliert und in den Dienst des Staates gestellt. Die Loyalität zum Kaiser und zu den Eltern wird ideologisch verbunden (kazoku kokka). Siehe auch Adoptionsgesetze (Erwachsenenadoption zur Erhaltung der Familie, des Hauses).

Polygamie wird zwar verboten, aber Praxis von Frauen außehalb der „Hauptfrau“ (shufu) beibt (siehe auch Imai Yasuko). Stellung der außerehlichen Frauen und ihrer Kinder wird nachhaltig verschlechtert! Frauen bleiben im Erbschaftsrecht und Scheidungsrecht benachteilt. Zusammenleben ohne Ehe und Kinder ohne Ehe bis heute sozial verachtet.

In der Arbeitswelt sind Frauen weiterhin in der Landwirtschaft und als professionelle Unterhalterinnen sowie als Fabriksarbeiterinnen, vorwiegend in der Textilindustrie tätig. 80-90 Prozent der Textilarbeiterschaft im Vorkriegsjapan sind Frauen. Billigstlöhne. Miserable Arbeitsbedingungen. Geißel Tuberkulose.

Wenn auch im Vergleich zu Männern die Bildungsmöglichkeiten geringer sind, so stehen nun aber doch mehr Ausbildungswege offen als etwa in der Tokugawa-Zeit, sodass Frauen aus der Mittelschicht bereits ab der Meiji-Zeit und besonders in den Zwanziger und Dreißigerjahren als Lehrerinnen, Krankenschwestern, Sekretärinnen, Telefonistinnen etc. arbeiten. Ab 1924 Frauen können an einigen wenigen Universitäten studieren und höhere Beamtinnen werden.

Je höher die Gesellschaftschicht ist, desto schwieriger ist es,soziale Akzeptanz für die Berufstätigkeit zu erhalten, und mit der Heirat endet Berufstätigkeit gewöhnlich (siehe Sasameyuki). Das war so bis in die Siebziger-, Achzigerjahre üblich.

Die kaiserliche japanische Verfassung von 1889 und andere Gesetze dieser Zeit gestehen Frauen keine bürgerlichen Rechte zu. Verbot politischer Aktivitäten bis 1945. Trotz dieses Verbotes gibt es bereits in der Meiji-Zeit Frauen und Frauengruppen, die vehement gegen die japanische Familie als Ort der Unterdrückung von Frauen, gegen die praktizierte Polygamie, gegen Prostitution und ihre Folgen für die betroffenen Frauen und für politische Rechte von Frauen eintreten.

1911 Frauenzeitschrift Seitô (Der Blaustrumpf) wird von Hiratsuka Raichô (1886 - 1971) gegründet. Die sogenannten „neuen Frauen“ sind meistens bürgerliche Frauen. Aber es gibt auch Aktivitäten sozialistischer und kommunistischer Frauen, christlicher und patriotischer Frauen etc.. Die politischen Ereignisse der Dreißigerjahre bringen die japanischen Emanzipationsbewegungen jedoch immer mehr zum Schweigen. Sogar Frauenkämpferinnen wie Ichikawa Fusae (1893 - 1981), die als Pazifistin und Faschismuskritikerin hervorgetreten war, schließt sich nach den Vorfällen in China von 1937 der patriotischen Front an. Andere verstummen und ziehen sich zurück.

Viele Japanerinnen aus ärmeren Schichten werden in die Kolonien und Kriegsgebiete als Prostituierte geschickt und Frauen von dort ebenfalls in die Prostitution gezwungen. Die Frauen an der „Heimatfront“ sollen hingegen Soldatennachwuchs zeugen. Außerdem ersetzen sie zunehmend die Männer in der Produktion. Zwischen 1937 und 1941 – siehe Sasameyuki - beherrscht der Krieg bereits alle Bereiche der Gesellschaft.

 

Literatur zwischen 1868 und 1945

Ab der Meiji-Zeit bis in die Dreißigerjahre des 20. Jh.s war der Westen auch in Kunst und Kultur das große Vorbild: Erneuerung des Romans und der Lyrik, Übernahme des westlichen Dramas und der westlichen Malerei. Große Begeisterung für westliche Musik. Gleichzeitig jedoch Weiterbestehen japanischer Werte und traditioneller Kunstformen wie Kabuki.

In der Schrift „Über das Wesen des Romans“ (Shôsetsu shinzui) forderte Tsubouchi Shôyô (1859-1935): „Ziel des Romans ist es nicht, das Gute zu propagieren und das Böse anzuprangern, sondern die Vorgänge im Inneren des Herzens ohne Auslassung zu beschreiben und die menschlichen Gefühle klar und vollkommen darzustellen." Das war eine Revolution gegenüber Rolle der Literatur und des Schriftstllers in der konfuzianistisch bestimmten Tokugawa-Zeit. Higuchi Ichiyô (1872 - 1896), die mit 25 an Tuberkulose starb, ist eine der bedeutendsten Erzählerinnen dieser Zeit.

Unter dem massiven Einfluss westlicher Literatur von Zola über Tschechow bis Hauptmann und Schnitzler entwickelte sich in Japan der moderne realistische Roman. Natume Sôseki (1867 - 1916) und Mori Ogai (1862 - 1922) sind wichtige Namen. Extreme in der realistischen Darstellung waren die naturalistischen Schriftsteller, die aber nicht soziale Missstände anprangerten, sondern detailgetreu ihre innere Misere niederschrieben. Wichtiges Genre wurde „Ich-Roman“ (watakushi shôsetsu). Soziale Anliegen vertrat die Proletarier-Literatur. Die Vertreter der linken Literatur wurden aber in den 30igerjahren massiv verfolgt.

Dichter wie Tanizaki Junichiro (1886-1965) wendeten sich sowohl gegen Ich-Roman und Naturalismus wie auch gegen die proletarische Literatur. Wie der Nobelpreisträger Kawabata Yasunari (1899 - 1972) wird auch er als „Traditionalist“ bezeichnet. Er wird in der jap. liter. Terminologie dem Ästhetizismus (tanbishugi) zugeordnet.

Während Tanizaki das Genji monogatari übersetzte und später Sasameyuki schrieb, beherrschte die Nippon romanha das literarische Geschehen. Diese „Stiefkinder des Modemarxismus“ (Katô Shûichi) vertraten während des Faschismus eine Art tennôistische Ästhetik und huldigten einem kulturellen Traditionalismus. Im allgemeinen wird in den Literaturgeschichten die Zeit des Nationalismus als „dunkles Tal“ oder „Zeit des Schweigens“ bezeichnet und übergangen.

 

1945 bis heute

1945 ebenso großer Einschnitt wie 1868, besonders für Frauen, totale Änderung ihrer rechtlichen Position in der Gesellschaft.

1945 Ende des 2. Weltkrieges, bedingungslose Kapitulation Japans, in der Folge „Demokratisierung“ aller Gesellschaftsbereiche durch die amerikanische Besatzungsmacht, zahlreiche Gesetzesreformen.

1947 Neue Verfassung, Kaiser wird „Symbol des Staates und der Einheit des Volkes“, Japan verzichtet auf Militär und Kriege – sogenannte Friedensverfassung.

Kalter Krieg bricht aus.

1950/53 Koreakrieg

1951 Japanisch-Amerikanischer Sicherheitsvertrag in San Francisco. Vor Verlängerung des Sicherheitsvertrages um 1960 und Ende der sechziger Jahre heftige Unruhen, Studentenbewegung (gakusei undô).

Ab 1955 Japanisches Wirtschaftswunder

 

Frauen seit 1945

Mit Ende des Zweiten Weltkriegs für japanische Frauen starke Veränderung ihrer Stellung in Politik und Gesellschaft. Weitgehende gesetzliche Gleichstellung, zum Teil noch 1945. Frauen, die vor dem Krieg schon in emanzipatorischen Bewegungen aktiv waren, arbeiten gemeinsam mit amerikanischen Besatzern an der rechtlichen Besser- bzw. Gleichstellung der japanischen Frauen in folgenden Bereichen:

Wahlrecht für Frauen, gleicher Zugang zur Bildung, Koedukation, Änderung des Zivilrechts, Abschaffung des Patriarchats in der Familie, freie Entscheidung bei der Eheschließung, Gleichheit von Mann und Frau z.B. im Erbschaftsrecht u.a..

1956 Verbot der Prostitution

1975 - 1985 UNO-Jahrzehnt der Frau

1986 Gleichbehandlungsgesetz (danjo byôdô kintôhô) bringt weitgehende Gleichstellung von Frauen in der Arbeitswelt, zum Beispiel im öffentlichen Dienst.

In der gesellschaftlichen Realität langsamere Veränderung. Der gleiche Zugang zur Bildung wurde von Frauen zumindest bis zum Abschluss des sekundären Bildungsweges (vergleichbar Matura) - massiv genützt. In der Arbeitswelt vorerst Berufstätigkeit bis zur Ehe häufig, später Pause in der Berufstätigkeit üblich, wenn Kinder klein sind. Dann Wiederaufnahme. Eheschließungen durch Liebe (renai-kekkon) werden bald ebenso häufig bzw. häufiger als traditionelle arrangierte Ehen (miai-kekkon).

Weltweite Frauenbewegung der Siebzigerjahre und UNO-Jahrzehnt der Frau bringen einen weiteren „Sprung nach vorn“. Gute Ausbildung, gestiegenes Selbstbewußtsein, spätere Eheschließungen, geringere Kinderzahl, massive Teilnahme am Erwerbsleben und hohe Lebenserwartung sind Charakteristika der heutigen Frauensituation. Die erwachsenen Frauengenerationen versuchen traditionelle Verpflichtungen in der Familie mit individueller Selbstverwirklichung zu vereinen. Jüngere Frauen genießen ihr Leben als Single und versuchen Heirat, Kinder und Ernst des Lebens so weit wie möglich hinauszuschieben. Steigende Zahl an Singles. Noch immer vergleichsweise hohe Bereitschaft zu Anpassung an gesellschaftliche und familiäre Anforderungen. Pragmatismus und Einbeziehen familiärer Bindungen auch bei Liebe und Ehe.

Einige Zahlen und Fakten (aus diversen Quellen 2000-2004)

40 % aller japanischen Werkstätigen sind Frauen (mehr als in Deutschland), Großteil jedoch teilzeitbeschäftigt (pâto taima).

38 % der verheirateten Frauen arbeiten.

51,8 % der japanischen Frauen mit Kindern unter 18 arbeiten, mit Kindern unter 3 Jahren arbeiten 27,9 % der Frauen.

Frauen verdienen 66 % des Einkommens der Männer (Japan 13. Platz hinter anderen Industrienationen).

40 % der Männer und Frauen unter 50 Jahren sind der Ansicht, dass erfülltes Leben ohne Heirat möglich ist.
50 % der Begründungen sind, dass Heirat die Menschen zu sehr einschränke.

Männer haben mehr Chancen auf Heirat, wenn sie sich flexibel bei der Teilung der Hausarbeit, der Berufstätigkeit der Frau und bei Freizeitgestaltungen zeigen.

Geburtenrate Japan 1,38 % (Östereich 1,43 %)

Nur 61% der Frauen unter Ende 20 haben Kinder.

Lebenserwartung Männer 78, Frauen 84 (Östereich 75 und 82)

Frauen tragen noch immer die Hauptlast der Hausarbeit.

 

Literatur 1945 bis heute

1968 Kawabata Yasunari (1899 - 1972) erhält den Nobelpreis für Literatur "for his narrative mastery, which with great sensibility expresses the essence of the Japanese mind."

1994 Oe Kensaburo, geb. 1935, "who with poetic force creates an imagined world, where life and myth condense to form a disconcerting picture of the human predicament today", erhält den Nobelpreis für Literatur. Oe ist sehr engagiert in sozialen und politischen Fragen.

Tanizaki Junichiro, der 1965 starb, ist einer der bekanntesten und geschätztesten Romanciers. Wurde ebenfalls für den Nobelpreis vorgeschlagen. Starb "zu früh".

Frauen sind in der literarischen Welt der Zeit nach dem 2. Weltkrieg stark vertreten.

Tanka und Haiku noch immer beliebte Gattungen. Dichten ist Volksvergnügen.

Schriftsteller und Dichter immer wieder Status von Popidolen. In den 80igern erschien Tawara Machi, die 1987 25jährig Tanka-Sammlung „Sarada kinenbi“ publizierte – „Salat-Erinnerungstag“. Millionen Exemplare verkauft. Auch ins Englische übersetzt. Haupthema dieser Gedichte ist die Liebe und die Beziehung zum anderen Geschlecht..

Yasashisa o/ umaku hyôgen/ dekinu koto/ yurusarete ori/ chichi no sedai wa

Dass sie Zärtlichkeit
nicht gut ausdrücken konnte,
man verzieh es ihr,
der Generation meines Vaters.

 

weiter zur Literaturliste und Sasameyuki - Die Schwestern Makioka


* In dem chronologischen Überblick werden vorwiegend Daten und Fakten vorgestellt, die mit dem Roman Sasameyuki (Feiner Schnee, übersetzt als "Die Schwestern Makioka") von Tanizaki Junichirô in Beziehung stehen.


Ruth Linhart | zurück | Japanologie Email: ruth.linhart(a)chello.at