Ruth Linhart | Japanologie | Texte
Daß ihr Name bei uns unbekannt und nicht unter die großen Frauengestalten dieses Jahrhunderts eingereiht ist, verdankte sie wahrscheinlich ihrer Muttersprache. Fusae Ichikawa war Japanerin. Noch vor einem Jahr wurde die 87-jährige, vor allem von den ganz Jungen, für eine weitere Sechsjahresperiode ins japanische Oberhaus gewählt. |
Ruth Linhart 1978 zu Gast bei Fusae Ichikawa in Tokio |
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FUSAE ICHIKAWA - DIE LETZTE SUFFRAGETTE |
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Die Menschen haben geglaubt, Frau lchikawa ist
unsterblich, sagte Sumiko Tanaka, die stellvertretende Vorsitzende der
japanischen Sozialisten, als die Vorkämpferin für das Frauenwahlrecht
am 11. Februar 1981 an einem Herzleiden starb. Die weißhaarige Frau war
bereits zu Lebzeiten eine legendäre Persönlichkeit. Um so
überraschender wirkte sie, wenn man sie traf. Im Sommer 1978 hatte ich
Gelegenheit dazu.
Herzklopfen und Anspannung gingen dem Interview voraus. Füllt doch der Name Fusae Ichikawa schon viele Bücher, ist er doch bereits ein historischer Begriff. Die Aufregung löst sich aber in Erleichterung auf, sobald die alte Frau im blauweißen Sommerkleid von ihrem Schreibtisch aufspringt, von dem aus man die Innenstadt von Tokio überblickt, und uns auf die bescheidene blaue Polsterbank bittet. Sie hat sehr freundliche Augen, lacht herzlich, wirkt robust und natürlich und nimmt sich beim Reden - weder politisch - noch, wie andere Japaner gegenüber Ausländern, aus patriotischen Gründen ein Blatt vor den Mund. Kein Wunder, daß sie bei der Jugend so viele Anhänger findet. Fand. Denn nun ist sie ja tot. Und Japan hat eine unermüdliche Streiterin für die Gleichberechtigung der Frauen verloren. 1893 wurde Fusae Ichikawa als eines von sechs Kindern eines armen Seidenraupenzüchters geboren. Vorerst wurde sie Volksschullehrerin, dann Reporterin (eine Sensation in der Zeit vor 1920); sie ging nach Tokio und übernahm den Posten der Frauensekretärin der ersten japanischen Gewerkschaft. Bald engagierte sie sich in der "Vereinigung neuer Frauen", und 1924 gründete Fusae Ichikawa den "Verein zur Erlangung des Frauenwahlrechts". "Wir wollten die Diskriminierung der Frauen rundherum abbauen", erinnert sie sich im Juli 1978. Es bot sich ein breites Betätigungsfeld. Die Frauen hatten keinerlei Rechte und waren in jeder Hinsicht Vater, Ehemann oder Sohn unterworfen. Als 1930 Frauen erlaubt wurde, politischen Parteien beizutreten, galt dies nur für Ledige. Verheiratete wären ja von der Erlaubnis ihres Ehemannes abhängig gewesen. 1940 mußte Fusae Ichikawa ihre Organisation auflösen. Wenige Tage nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges im August 1945 meldete sie sich jedoch wieder mit ihrem alten Anliegen beim Premierminister. Schließlich erreichten die Japanerinnen 1946, mehr oder weniger auf Befehl der Siegermacht USA, die volle verfassungsmäßige Gleichberechtigung (die übrigens in den USA selbst bis heute aussteht). Dreieinhalb Jahrzehnte später ist Fusae Ichikawa mit dem Erreichten keineswegs zufrieden. "Das Wahlrecht hat den Frauen zuwenig gebracht." 1946 zogen in das japanische Unterhaus 39 Frauen ein. Bis 1978 schrumpfte diese Zahl auf 7 zusammen. Ichikawa hatte im Oberhaus 17 Kolleginnen. "Die Männer halten die Frauen noch immer für dumm, und die Frauen finden sich darein." Fusae Ichikawa hat nach dem Krieg mit ihrer Fortbildungsanstalt für Frauen, Fusen Kaikan, einen Ort geschaffen, an dem vor allem Hausfrauen Bildungslücken in Wirtschaft und Sozialgeschichte, Recht und Literatur schließen. Denn Ichikawa beharrt darauf: "Letzlich ist die Gleichberechtigung eine Frage der Erziehung." "Politik gilt als schmutziges Geschäft. Frauen wollen damit nichts zu tun haben", sagt sie weiter. Fusae Ichikawa hat auch das Ihre getan, um die Politik sauberzumachen. Zeitlebens kandidierte sie als Unabhängige (am nächsten stand sie den Sozialisten). Sie gilt als "idealer Politiker". Ihr Slogan ."Stoppt die korrupten Abgeordneten" brachte ungeheuren Widerhall. Damals, an jenem Julitag 1978, meinte sie lachend, 1980 würde sie gewiß nicht wieder kandidieren. Sonst wäre ich ja mit 93 Jahren noch im Parlament! Eigentlich war es schon damals vorauszusehen, daß nur der Tod ihren ungebrochenen Einsatz beenden könnte.
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